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“ICH öffne eure Gräber!”
(Osterpredigt zu Kol 3,1-4 und Joh 20,1-9, gehalten in der Jesuitenkirche am Ostersonntag, 4. April 2010 um 11.00 und 18.00 Uhr)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2010-04-12

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Kein Wunder, dass sie vor Schreck erstarrten. Und dies nicht nur beim ersten Mal. Nicht nur beim Eintreffen der außer Atem geratenen Maria von Magdala. - "Das Grab ist offen!" - Hals über Kopf rannten sie zum Grab, blieben mit offenem Mund stehen. Der "Schrei" des Entsetzens ist ihnen im Hals stecken geblieben. - Grabschändung? - Leichendiebstahl? Das hat es immer wieder gegeben. Doch: - hier gab es nichts zu holen! Und das Entsetzen wurde noch größer, als der Tote am ersten Abend plötzlich in ihrer Mitte stand. Und dies, obwohl die Tür verriegelt war. Sie glaubten, ein Gespenst zu sehen. Gott sei Dank haben sie noch kein Internet gehabt und auch keinen Teletext. So konnten sie die Situation verhältnismäßig spontan bewältigen und sich für die radikal neue Erfahrung öffnen. Da haben wir es schwerer. Unser Blick wird nicht gegen den Himmel gerichtet (vgl. Kol 3,2). Irdisches, allzu Irdisches wird da fokusiert. Die tsunamiartig sich potenzierende Schreckensmeldungslogik moderner Berichterstattung blieb ja ihnen damals erspart. Sie ist auch nicht besonders hilfreich für das Erfassen dessen, was sich an diesem Morgen in Jerusalem ereignet hat. Im Sekundentakt hätten sich die Jünger durch die Fänge der virtual reality schon eher in eine katastrophische Gewissheit hinein katapultiert als in die Position der ersten Zeugen der Auferweckung begeben: - "Römische Soldaten beim Grab durch Angst und Schrecken gelähmt!" - "Verängstigte Wächter psychologisch betreut!" -"Unzählige Frauen im Schockzustand!" - "Opfer des Schreckens verlassen fluchtartig die Stadt" - "Toter zurückgekehrt" - "Vertuschung und Verschleierung in religiösem Zirkel!" - "Nun kommt die Wahrheit voll ans Licht!" Die Jünger - starr vor Schreck - schweigen immer noch. In "Jesus Christ Superstar" bringt Herodes diese archaisch menschliche, also auch moderne Logik auf den Begriff: Es wäre furchtbar, wenn die Toten zurückkehren würden. Das offene Grab stürzt die Jüngerinnen und Jünger in Panik. Und warum dies?

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Liebe Schwestern und Brüder, Kulturen gründen auf Gräber und Gräber decken Vieles zu. Nicht nur das zum Himmel schreiende Unrecht und das vergossene Blut der zugrunde gegangen Opfer. So paradox es zuerst klingen mag: die Hoffnung darauf, dass ich die Wahrheit über mich selber mit ins Grab nehme, diese Hoffnung stellt dem Menschen eine der Quellen seiner spontan sich äußernden Lebenskraft. Und dies, obwohl sie den Menschen zunehmend isoliert, ihn also schon im Verlauf des Lebens in die Einsamkeit entlässt, ihm demnach gewissermaßen schon in seinem eigenen Grab begräbt. Nicht nur der pädophil veranlagte und für sein Leben schon genug bestrafte Vater oder auch Onkel hofft, sein Geheimnis mit ins Grab zu nehmen. Wie viele der fanatischen Aufklärer und Aufdecker oder die ihr Leben lang mit erhobenen Zeigefinger agierenden, Moralingift und Moralingalle versprühenden Saubermänner nehmen die tieferen Beweggründe ihres Treibens mit ins Grab, weil diese Gründe alles andere als ehrbar sind. Das Schweigen bis zum Grab stellt keineswegs das exklusive Privileg eines Kardinals dar. Jeder von uns hat seine Geheimnisse, oft gar ganz dunkle Geheimnisse, Geheimnisse, die er nicht preisgeben will und auch nicht preisgeben wird, Geheimnisse, die er mit sich selber ins Grab mitzunehmen hofft - trotz oder gerade in einer exzessiv therapeutischen Kultur. Jeder von uns bastelt sein Leben lang an jenem existentiellen Grab, dem Grab, zu dem die anderen keinen Zugang haben, dem Grab, das nur eine einzige direkte Fortsetzung finden soll: im Grab am Friedhof, in jenem Grab, das meine Leiche bergen, und auch meine Wahrheit über mich selber endgültig verbergen und verschließen soll. Für immer! So schmerzhaft die Erfahrung des Todes auch sein mag, vor allem jenes Todes, den der Mensch in der Blüte seines Lebens erleidet, so schockierend auch und entsetzlich bliebt uns allen die Vorstellung einer gewaltsamen Bloßstellung meiner letzten Geheimnisse und die schonungslose Aufdeckung des Geheimnisses der Grabensruhe. Das Zuschütten von Massengräbern durch totalitäre Regime und gewaltsame Exhumierungen im Kontext der Wahrheitsfindung tragen zur Lösung dieses grundsätzlichen menschlichen Dilemmas kaum etwas bei, vielmehr helfen sie dazu, dass wir uns in der Haltung der Empörung über das vergangene Unrecht, über die Sackgassen der eigenen dunklen Abgründe hinweg schwindeln und höchstens nur hin und wieder erfahren, dass uns die eigenen Gespenster heimsuchen: im Traum oder auch im Wachzustand, jene Gespenster, die den postmortalen Gespenstern nicht ganz unähnlich sind.

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Liebe Schwestern und Brüder, die österliche Gretchenfrage im Jahre 2010 lautet: Stellen diese Ängste vor der Bloßstellung meiner innersten Geheimnisse nicht der allerletzten Grund dar, warum die modernen Menschen auf eine konkrete Hoffnung, auf die Hoffnung des Lebens durch den Tod hindurch, auf die Wiederherstellung personaler Identität lieber verzichten? Ist das nicht der Grund, warum auch die meisten Religionen - im Grunde alle bis auf die christliche - letztendlich bei vagen Hoffnungen bleiben? So ganz nach dem Motto: irgendwie wird es schon weitergehen. Es muss doch irgendeine höhere Macht geben. Man wird wohl in einen allumfassenden Geist eingehen oder aber in den ewigen Kreislauf der Materie integriert werden. Wie lauten doch die intellektuellen Smalltalks? - "Schau dir doch mal die nackten Tatsachen an, die facta bruta des postmortalen Zustandes mit den nüchternen Augen eines Naturwissenschaftlers. Der Mensch, diese fleischgewordene Lebenslust, ist doch reduzierbar auf ein Knochengerüst, auf Materie, aus der wiederum das Leben kommt, so ganz nach dem Motto: Stirb und werde. Darüber sollst du staunen, dem Naturwissenschaftler, dem Nanomediziner, dem Gentechniker und dem Physiker nicht unähnlich, die über den gelungenen Zusammenprall von Protonen staunen. Staunen sollst du über die Galaxien! Erstrecken sollst du deinen Denkhorizont auf Zeiträume von Milliarden und Abermilliarden von Jahren". Dann wirst du leichter die Gespenster der Nacht und des Wachkomas vergessen. All das, was dir heute Nacht den Schlaf aus den Augen rauben wird, all die offensichtliche Bosheit deiner Mitmenschen, vor allem aber all die verborgenen Geheimnisses deines eigenen Herzens, dunkle Geheimnisse - jene Geheimnisse, die du mit dir in dein Grab mitnehmen willst, und dies gerade deswegen, damit deine Liebsten es nie erfahren, jene Geheimnisse, die dir hin und wieder, (und Gott sei Dank nur hin und wieder) gespenstisch vorkommen.

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Ja, liebe Schwestern und Brüder, die Kulturen gründen auf Gräbern, genauso wie die Lebenskultur eines jeden von uns von der Logik des Grabes immer schon infiziert bleibt. Glaubt man der medialen Berichterstattung, so tun sich die meisten Zeitgenossen - und auch viele Christen - mit der Vorstellung einer personalen Auferweckung schwer, sie wollen auch einen personalen Gott nicht kennen. Noch einmal gefragt: Liegt der eigentlich Grund ihres Unglaubens nicht in jener Vorstellungswelt, die auch Herodes in "Jeus Christ Superstar" gefangen hält? Dieser Lebemann sagt es unumwunden aus: Es wäre schrecklich, wenn es eine Auferweckung gäbe. Und dies nur deswegen, weil er sich die Auferweckung als Bloßstellung vorstellt, als Abrechnung, als Aufklärung, die bis in die allerletzten dunklen Schlupflöcher seines Lebens geht. Lieber also auf die Ewigkeit verzichten; auf jeden Fall auf diese Art von Ewigkeit und all das, was mich irgendwie an diese Ewigkeit erinnert. Damit das Grab, jenes Grab, das ich mir während des ganzen Lebens schaufle, damit sich dieses Grab nach meinen Tod endgültig schließt: denn nichts, aber gar nichts fürchte ich so sehr wie den Verlust der Würde.

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Erst auf diesem Hintergrund wird es verständlich, warum die Nachricht vom offenen Grab die Jüngerinnen und Jünger vor Schrecken erstarren ließ. Ich öffne eure Gräber - ließ doch der Gott Israels seine Propheten verkünden. Eine Drohbotschaft oder das Evangelium, eine Trostbotschaft und eine frohe Nachricht? Das ist die Frage. Das ist die einzig wichtige Frage der menschlichen Geschichte. Gott in der Rolle eines Oberstaatsanwalts, Gott als der gnadenlos, mit naturwissenschaftlich garantierter Perfektion funktionierende Scanner aller Menschen? Wie gesagt, es gibt genug gute Gründe, warum man schon auf das Zeichen der Auferweckung mit Schrecken reagieren wird, und warum man den Auferweckten als Gespenst und nur als Gespenst wahrnehmen wird. Der im Verlaufe seines Lebens sich immer mehr in sein eigenes Grab einmauernde Mensch muss die Öffnung des Grabes als einen Gewaltakt begreifen und dabei nur noch Gespenster am Werk sehen.

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Dass die Jüngerinnen und Jünger sich verhältnismäßig schnell auf die radikal neue Erfahrung einlassen konnten, dass sie sich nicht vom Entsetzen fesseln ließen und schon bald im Gespenst einen Menschen erkannt, berührt - ja mit ihm gegessen und getrunken haben, sich auch von ihm lieben ließen, so lieben ließen, wie sie sich schon vor seinem Tod lieben ließen, dass das an diesem Morgen in Jerusalem möglich wurde, dass also eine banale Schreckepisode sich zum Ostermorgen wandelte und die Geschichte der Menschheit nachhaltig veränderte, das lag einzig und allein an jenem Menschen, dessen Grab geöffnet wurde. Er hat all das, was ihm angetan wurde, nicht mit sich ins Grab genommen, all die Gewalt, all die Lüge, all den Verrat und auch all das schlichte Versagen, das Mitlaufen und Mitheulen mit der Meute. Er hat all das vertrocknete Dornengestrüpp menschlicher Existenz, das Gestrüpp des Versagens, des Verbrechens, der Sünde, das nur verletzen und vernarbte Wunden aufreißen kann, das Gestrüpp, das auch Eiterbeulen zum Platzen bringen kann, das Dornengestrüpp, das aber unmöglich heilen und Versöhnung stiften kann, er hat all das mit hineingenommen in seine Hingabe an Gott, seinen Vater! Er, dieser Gott-Mensch, der all die krummen Zeilen auch meiner eigenen Existenz, all die dunklen Geheimnisse meines innersten Grabes: All das nahm er in seine Hingabe mit. Er ließ also, wie es in der Lesung hieß, er ließ mich in diesem Sinne mit ihm bereits sterben und übergab das Geheimnis meines existierenden Grabes - er übergab es an meiner Stelle dem göttlichen Mysterium. Dem Geheimnis göttlicher Liebe, jener Liebe, die mich niemals bloßstellen will, dem göttlichen Geheimnis, das nichts, aber gar nichts mit der Logik eines Scanners zu tun hat und schon gar nichts mit der Logik eines Staatsanwalts. Er nahm in seinen Tod das Geheimnis meines Grabes mit. So wurde dieses mein Grab eigentlich schon geöffnet. So wird es immer neu geöffnet in der Taufe, in der Eucharistie, in den vielen Akten der Sündenvergebung, wo ich immer wieder und immer wieder neu mich als Kind Gottes erfahre, - es wird auch nach meinem Tod geöffnet. Weil er selber aber kein dunkles Geheimnis hatte, weil er Gott unverfälscht erfährt, deswegen musste sein eigenes Grab nicht mit Gewalt geöffnet werden. Es fand keine Exhumierung statt! Weil seine persönliche Identität Liebe, und nichts als Liebe ist, weil er die menschgewordene Liebe Gottes ist, stieg er aus dem Grab, um uns alle zu versöhnen, uns, die wir uns vor Gespenstern fürchten. -" Friede sei mit euch! - Maria ...! - Habt ihr etwas zu essen? - Leg deine Hand in meine Seite!" - All das galt den verstörten Jüngern und all das gilt auch uns.

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Liebe Schwestern und Brüder, vergessen wir es nie! Christen und nur Christen dürfen die dunklen Ahnungen einer postmortalen Existenz nicht als Drohbotschaft begreifen. Sie dürfen diese Ahnungen als Evangelium deuten. "Ich öffne eure Gräber", das wird wohl heißen: ich versöhne euch mit euch selber und mit all denen, die der Versöhnung bedürfen. Schon jetzt, heute, und erst recht durch den Tod hindurch. Weil Christus auferweckt wurde, dürfen wir die Hoffnung auf unsere eigenen Auferweckung unser eigen nennen. Beglückwünschen ir uns. Im Grunde sind wir die glücklichsten Kreaturen dieses Universums. Wir leben und wir werden leben in aller Ewigkeit: Versöhnt! Was sind schon die kleinen Gespenster, die uns den Schlaf aus den Augen vertreiben verglichen mit dieser großen Hoffnung.

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