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Die Wahrheit des geschlachteten Lammes.
(Ansprache des Dekans bei der Promotions- und Sponsionsfeier am 10. Juli 2010 im Kongresshaus in Innsbruck)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriefak
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2010-08-17

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Ein Lamm mit der Fahne! Fast so, wie die Lämmer, die man früher überall zu Ostern sehen und auch kaufen konnte - damals als sie noch nicht von den Osterhasen in die zweite Reihe der Einkaufsregale verdrängt wurden. Das Lamm steht auf einem Buch, einem Buch mit den sieben Siegeln. Ein Spruchband klärt die Situation auf: Im "alterwürdigen Englisch" der antiken Welt steht da: "Dignus es Domine accipere librum et aperire signacula". Zu deutsch: "Würdig bist Du Herr, das Buch zu nehmen und seine Siegel zu öffnen" - so die offizielle Einheitsübersetzung des lateinischen Spruchs. "Apocalypse now!" - würde der Teenager von gestern sagen. Das Zitat stammt ja aus der Apokalypse des Johannes, aus jenem Buch also, das die abendländische Tradition als das "Buch mit sieben Siegeln" qualifizierte und als den Inbegriff der geheimen Offenbarungen einschätzte. Und was steht da in diesem Buch: Natürlich die Wahrheit! Wer kann aber das was dort steht verstehen? Wer kann die Wahrheit erkennen? Um die Figur des Lammes gruppiert sie eine Reihe von symbolischen Zeichen. Eine Waage, ein Zirkel, ein Globus, das vertraute Dreieck mit dem wachen Auge dadrin, geheimnisvoll anmutende Kästchen. All das eingerahmt in Kreisen.

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Weit verfehlt - meine Damen und Herren - wenn sie nun denken, ich tische Ihnen eine noch nicht publizierte Fortsetzung von "Da Vinci Code/Sakrileg" auf. Nein! Die Symbole und Kreise stehen für die Fakultäten, für universitäre Kultur von erlesener Qualität. Magnifizenz, sehr geehrter Herr Vizerektor Klotz, lieber Herr Kollege Siebenrock - Promotor aus der Theologischen Fakultät -, liebe Eltern, Freunde, Verwandte und Bekannte unserer Kandidatinnen und Kandidaten und auch Feinde, sollten welche da sein. Vor allem aber Sie, liebe Absolventinnen und Absolventen. Warum dieser kryptischer Einstieg? Was soll denn der Dekan der Theologischen Fakultät machen, wenn er beim Termin "seiner" Fakultät auch für die Absolventinnen und Absolventen von solch exotischen Fakultäten, wie die Fakultät für Chemie, oder aber Bildungswissenschaften reden soll, sind doch Absolventinnen von dort heute bei uns: der alterwürdigen Theologie zu Gast? Spontan dachte ich an jene Stuckatur, die ich mehrmals die Woche sehe, die man in unserem Dekanatsitzungssaal findet: dem Sitzungssaal der Katholisch-Theologischen Fakultät in Innsbruck. Auf eine - für die damalige Zeit - geradezu revolutionäre Art und Weise wird dort die innere Ordnung der Fakultäten der damaligen Uni dargestellt. Nicht die Theologie steht dort im Zentrum. Theologie, die sich dann verschiedener anciliae bedien, verschiedener Dienstmägde - ganz gleich wie sie auch heißen mögen: Philosophie, Medizin oder Naturwissenschaft. Nein! Im Zentrum steht das Lamm. Eine zentrale Figur aus der Offenbarung des Johannes. Das Lamm als das Sinnbild für den gewaltfrei lebenden und auch sterbenden Christus. Christus, der von sich selber sagte, er sei die Wahrheit. Eine Wahrheit, die nicht zu verwechseln sei mit Machtinteressen, und schon gar nicht mit Gewalt, mit manipulierter Forschungspolitik, mit institutionalisierter Verblendung - auch der Verblendung kirchlicher Art. Wahrheit, die im mühsamen Reflexionsprozess gesucht werden muss, dem Prozess, dem gerade die Wissenschaft verpflichtet bleibt; eine Wahrheit, die das Zeugnis abverlangt, das Zeugnis der Hingabe, hin und wieder gar das Zeugnis des Lebens. Die Künstler, die die Stuckatur geschaffen haben, gruppierten um das Lamm die vier damals existierenden Fakultäten. Sie alle haben gemeinsam Anteil an dem Suchprozess. Zeichen und Symbole deuten die Identität der Fakultäten an. Zirkel und Globus stehen für die Wissenschaften, die Naturwissenschaften vor allem, die alles bemessen, die zur Wahrheit auf dem Weg des Experimentes vorzustoßen versuchen.

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Die heutigen Forscherinnen und Forscher reden zwar nicht von der Wahrheit, wenn sie uns verständlich zu machen versuchen, warum sie denn stundenlang tagtäglich im Labor sitzen oder stehen. Sie sind halt vom Suchprozess fasziniert. Frau Martina Danek-Bulius sagte mir, sie habe immer gerne im Labor gearbeitet, die pharmazeutische Chemie sei für sie sehr faszinierend. Es sei schlichtweg spannend, Vorgänge im Körper auf die molekularen Grundlagen runter zu brechen. Deswegen absolvierte sie - sage und schreibe - etwa 4500 Laborstunden (gut 3,5 Jahre Arbeit im Kontext der geordneten Arbeitsverhältnisse). Dann sass sie noch ungefähr 1000 Stunden am Schreibtisch - mit Pausen  natürlich - um die Dissertation zu verfassen (unter der Leitung von der Kollegin Barbara Matuschek), eine Arbeit die sich mit der Erforschung von Adenosinrezetor-Antagonisten beschäftigt. Sollten sie jetzt verdutzt geschaut haben, so kann ich sie beruhigen: Auch ich schaute verdutzt als ich den Titel las. Verglichen mit dem Chemie-Latein ist ja das Theologenlatein wohl kinderleicht. Ein bisschen klarer wird es, wenn man sich sagen lässt, dass der bekannteste Vertreter der Adenosinrezeptro-Antagonisten Koffein sei. Auf jenden Fall scheinen sich die langen Stunden im Labor ausgezahlt zu haben, hat doch Frau Danek bereits ihren Einsatzort in der pharmazeutischen Industrie gefunden: Eine Erfolgstory also! Schön, dass sie ihr Studium gemeinsam mit Theologie abschließt, jener Fakultät für die traditionell - und auch an der Decke unseres Dekanatssitzungsaals das Dreieck mit dem geheimnisvollen Auge göttlicher Vorsehung steht.

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Das Dreieck symbolisiert die Wahrheit des Einen und Dreifaltigen Gottes. Gerade an der Theologischen Fakultät gibt es noch Menschen, die sich in der christlichen Philosophie professionell mit dem Problem der Lüge und Wahrheit beschäftigen. Herr David Ernst schrieb seine Diplomarbeit in der christlichen Philosophie (unter der Leitung vom Kollegen Hans Kraml) über die "Not mit der Lüge". Kritisch analysierte er die menschenfreundliche Position des großen Scholastikers Thomas von Aquin zur Frage der Notlüge. Kreativ verbindet Ernst die thomasische Diskussion der Problematik der Notwehr mit der der Notlüge und gelangt zum Schluss, dass wie im Fall der Notwehr auch im Fall der Notlüge, man dazu kommen kann, nicht mehr die Lüge als den zentralen Aspekt der Reflexion zu betrachten, sondern den größeren Kontext des Schutzes wesentlicher Güter. Dieser kann aber den Umstand legitimieren, dass die Äußerung der Unwahrheit sich nicht in erster Linie als Lüge darstellen lässt. Na ja..., würden viele nicht nur fundamentalistisch angehauchte Wahrheitsfanatiker sagen, die oft auch vor Gewalt nicht zurückschrecken, um Menschen der Lüge zu überführen und so ihren Dienst an der Wahrheit zu dokumentieren. Ihnen allen sei das geschlachtete Lamm aus der Offenbarung des Johannes in Erinnerung gerufen. Das Lamm, das für die Wahrheit einsteht, steht auch für die Gewaltfreiheit.

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Die großen, vielleich ein bisschen pathetisch klingenden Worte können, sollen und werden auch auf die Alltagsebene gebrochen. Wie viel an Wahrheitsanspruch, an Lüge und Gewalt wird tagtäglich in unseren Partnerschaften und Ehen gelebt? Alexander Santin geht in seiner Diplomarbeit (unter der Leitung des Kollegen Christian Aigner) auf die Reise in die Forschungslandschaft der Forschung über gelingende Ehen und Partnerschaften. Auf 100 geschlossene Ehen folgen in Tirol 38 Scheidungen. Kann man deswegen sagen, dass die Wahrheit von der Ehe an Attraktivität verloren hat? Keinesfalls. Die Motivation und die Erwartungen haben sich geändert. Liebe, Geborgenheit und Erfüllung persönlicher Bedürfnisse kennzeichnen eine tragfähige Partnerschaft. So zumindest die allgemeine Erwartung, die aber ein zweitschneidiges Schwert sei, macht sie doch Ehen und Partnerschaft leichter lösbar. Deswegen will sich Herr Santin auf die 62 Ehen, die nicht geschieden wurden konzentrieren. Hatten diese Partner einfach Glück? Die antwort verrate ich nicht. Sie können diese nachlesen in der Diplomarbeit, die an der Bildungswissenschaftlichen Fakultät verfasst wurde.

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Die Perspektive des Gelingens und Geglückseins kennzeichnet auch die Diplomarbeit von Frau Renate Schick (geschrieben unter der Leitung vom Kollegen Berti Anton). Frau Schick schaute sich die Situation der diplomierten SozialpädagogInnen in Tirol an, untersuchte dabei die AbsolventInnen der letzten 15 Jahre aus dem Institut für Sozialpädagogik in Stams. Sie fühlen sich durch die Ausbildung gut auf die berufliche Praxis vorbereitet. Diese hat aber - so Frau Schick - in letzten Jahren ein neues Gesicht bekommen: Neben der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen arbeitet die Sozialpädagogin immer mehr in der Begleitung von Menschen aller Generationen in unterschiedlichen Lebenssituationen. Auch hier also eine Erfolgstory?

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Zumindest im Blick auf die Vergangenheit präsentiert sich selbst die Lebensform des Zölibats als eine Erfolgstory. Da staunen sie - meine Damen und Herren. Die in der Gegenwart krisengeschüttelte Lebensform römisch-katholischer Priester weist eine abwechslungsreiche Geschichte auf. Herr Daniel Arnold Hinterleitner - wiederum ein Theologe - (der wie ich gestern erfuhr als Kind vom unserem Diözesanbischof getauft wurde) hat sich in seiner Diplomarbeit (betreut vom Kollegen Wilhelm Rees) mit der rechtsgeschichtlichen Entwicklung und der gegenwärtigen Rechtslage des Zölibatsgesetzes beschäftigt (womit zumindest auf ideeller Ebene eine Eselsbrücke zu einer weiteren Fakultät der traditionellen Universität: den Rechtswissenschaften geschlagen werden kann, für die an der Decke unseres Dekanatssitzungsaals die Waage steht, die Waage, die auch das Gleichgewicht von Wahrheit und Gerechtigkeit andeutet, jenes Gleichgewicht, das die Wahrheit von der Gewalt scheidet, weil es eine Rechtskultur pflegt, die den Menschen in seinen konkreten Bedürfnissen gerecht zu werden sucht). Mit seiner Diplomarbeit greift Herr Hinterleitner eines der sog. "Heißen Eisen" auf, die die gegenwärtige Kirchendebatte in der Öffentlichkeit beherrschen, eine Debatte, die nicht immer frei ist von Vorurteilen. Er zeigt auf, dass die Geschichte der zölibatären Lebensform im Grunde immer schon eine Geschichte des Kampfes um die Durchsetzung des Zölibats gewesen ist. Hinterleitner geht auf die Ausnahmen von der Zölibatspflicht ein, auf die möglichen Gefahren für das zölibatäre Leben und die Rechtsinstitute zum Schutz des Zölibats. Nur eine umfassendere Sicht des Zölibats als Lebensform wird der komplexen Problematik gerecht, wobei wie schon bei der Ehe das Moment der Freiwilligkeit in der Gegenwart eine größere Rolle zu spielen scheint - ein Aspekt, das der Bedürfnislage besser entspricht, ein zweitschneidiges Schwert aber sei, weil er die Verbindlichkeit in den Hintergrund rückt.

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Meine Damen und Herren, in meiner Einleitung sprach ich vor der Figur des apokalyptischen Lammes, einem Symbol für Christus, den wir: die Christen als Wahrheit erkennen, eine Wahrheit, die nicht zu verwechseln sei mit Machtinteressen, nicht mit Gewalt, nicht mit der in der Gegenwart so selbstverständlich gewordenen Manipulation der öffentlichen Meinung, nicht mit der manipulierten Forschungspolitik und auch nicht mit institutionalisierter Verblendung: selbst kirchlicher Art. Die Universität als erhofftes freies Spiel unterschiedlicher Disziplinen ist nicht nur vor all den Gefahren nicht gewappnet. In der Gegenwart spielt sie sogar bewusst mit dem auf all diesen Straßen brennenden Feuer. Die Universität soll - so ihre altehrwürdige Aufgabe - auch nach Wahrheit suchen. Interdisziplinarität soll nicht nur ein populär gewordenes Instrumentarium sein, um Forschungsgelder zu akquirieren. Normativ soll die Interdisziplinarität den Weg weisen auf dem wir alle uns der Wahrheit über unser menschliches Leben nähern. Eine Wahrheit, die sehr viel mit der Liebe zum Leben und dessen ganz alltäglichen Lebensformen zu tun hat: mit Partnerschaft, mit Ehe, aber auch mit Zölibat; mit Gesundheit und Krankheit, damit auch mit den Pharmaka, jenen Giftmitteln, die die Giftkatastrophe unseres Lebens verhindern oder heilen. Womit ich auf dem bewährten Weg der Eselsbrücken zur letzten der klassischen Fakultäten gelangt bin: der Medizin, für die an der Decke des Dekanatssitzungsaals die Kästchen - Ärzneikästchen - stehen. Doch davon weiß Frau Dr. Martina Danek ein modernes pharmazeutisch gestimmtes Lied zu singen.

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Liebe Absolventinnen und Absolventen, ich beglückwünsche sie zu dieser Feier, inder ein Hauch der Interdisziplinarität greifbar wird; ich beglückwünsche sie zum Abschluss ihres Studiums und wünsche Ihnen, dass die Faszination der Wahrheit nach der wir im Grunde unser Leben lang suchen, dass sie diese Faszination niemals verlässt. Dass sie das Leben als ein beglückendes Abenteuer erleben dürfen - eine Reise zum Ziel, an dem uns die Wahrheit aufleuchtet. Die Christen glauben fest, eine Ahnung davon geschenkt zu bekommen, wenn sie im Buch der Offenbarung des Johannes, jenem Buch mit sieben Siegeln, wenn sie dort von der Hochzeit des Lammes lesen und von der Braut, die sich für diese Hochzeit schön gemacht hat - eine Braut, die vom Himmel herabsteigt und mitten unter uns im ganz gewöhnlichen Alltag Gestalt annimmt. Feiern sie also ihren Abschluss ganz ordentlich, denn jede Feier stellt den Vorgeschmack des Himmels dar.

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