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Maria: In den Himmel aufgenommen - der Fülle des Glücks teilhaftig

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:Predigt beim Festgottesdienst anlässlich der Festwochen der Alten Musik in Innsbruck, gehalten in der Jesuitenkirche am 15. August 2010 um 11.00 Uhr
Publiziert in:
Datum:2010-08-18

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Barock liebte es: dieses Fest der leiblichen Aufnahme Marias in den Himmel. Wie kaum eine andere Epoche war ja der Barock in die Vision des offenen Himmels verliebt. Nach oben zog es die Augen des Betrachters in einer Barockkirche. Man stelle sich bloß auf den Stern unter die Kuppel unserer Jesuitenkirche: Schon sind die Augen dort, wohin sie entschwindet. Diese tolle Frau aus den unzähligen Barockbildern. Kaum ein Maler hat sich ja die Szene entgehen lassen: wie sie dem Grab entsteigt. Nein, nicht als Zombie und auch nicht als blutleerer Vampir. Als schönste aller Frauen, sinnlich bis zum Geht-nicht-mehr. Einfach als ein Vollblutsweib schwebt sie dem Himmel entgegen und lässt hinter sich eine Gruppe faszinierter Männer zurück. Ihre Münder offen, ihre Augen weit aufgerissen im Anbetracht des Wunders aller Wunder. Ganz wie im Barocktheater, wo nicht nur die Kinder nicht genug staunen konnten über all das, was sich da vor ihren Augen abspielte: dank der Bühnenmaschinerie.

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Am 15. August 2010 begegnen sich in der Jesuitenkirche zu Innsbruck zwei Welten. Da ist zuerst die barocke Inszenierung der Innsbrucker Festwochen der alten Musik: jenes Sommerevent, das den Innsbruckern und den Touristen dieses Jahr "ein Stück vom Glück" (so lautet ja das Motto der diesjährigen Festspiele) schenken möchte, weil es sie "mit Eleganz und Grandezza, mit Raffinesse und der ganzen Pracht der betörenden barocken Melodik" beschenkt. Es begegnen sich also das Festival und die liturgische Feier des kirchlichen Marienfestes. Heute in diesem Augenblick begegnen einander die Sängerinnen und Sänger des Universitätschores, die Musiker, die der in den Archiven des Schwazer Pfarrchores modernden Partitur der F-Dur Messe von Franz Sebastian Haindl und einigen Marienkompositionen von Joseph Alois Holzmann zur sinnlichen Präsenz inmitten der feiernden Gemeinde verhelfen und die gläubigen Katholiken, die am 15. August hier den "Einbruch der Ewigkeit" in ihr Leben feiern, oder aber den "Strahl des Himmels" (wie Kollege Roman Siebenrock es vor einem Jahr ausdrückte), den Strahl des Himmels, welches ihnen im Fest des Hohen Frauentages aufleuchtet. Ja! Es findet eine Begegnung statt, der Begegnung zweier gerade schwanger gewordenen Frauen aus dem Festtagsevangelium (Lk 1,39-56) nicht ganz unähnlich. Es sind Frauen, die gerade, weil jede von ihnen "ein Stück vom Glück" erlebte, einander in den sprichwörtlichen siebten Himmel versetzen.

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"Moment mal, Herr Pfarrer! Nicht so schnell" - wird der traditionell sozialisierte Katholik sagen. "Was machen Sie da mit dem kirchlichen Dogma, wenn Sie vom Theater reden und auf das Thema der Begegnung abschweifen? Das Dogma redet doch klar von einem Himmel, ja von dem Himmel und von Leib und Seele. Über das Dogma soll man also predigen, nicht aber über das Evangelium, das doch klar das Thema des Festes zu verfehlen scheint!" - "Ist eh bloß Schnee vom Gestern. Aufgeblasenes, unverständliches Zeug. Hat mit dem Leben nichts zu tun: der ganze Frauentag, genauso wie das ganze Barocktheater, das einfach nicht in die heutige Welt passt" - wird der kritisch eingestellte Zeitgenosse einwenden und dem Prediger, ohne es gewollt zu haben, auf dem Weg der Auslegung des geheimnisvollen Festes weiterhelfen. Und warum dies?

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Liebe Schwestern und Brüder, als Opernliebhaber denke ich angesichts solch kritischer Einwände an jenen Umbruch in der Musiklandschaft, als die Barockoper plötzlich populär wurde, ja geradezu modern. Es war dies die Zeit, als die Regisseure sie entstaubt haben, als sie angefangen haben auf der Bühne anstelle von Heroen und Helden Menschen aus Fleisch und Blut zu zeigen, Menschen, die meine Nachbarn hätten sein können. Als diese Menschen, aufeinander geworfen und einander ausgesetzt, einander liebten und hassten, sich schlugen und versöhnten und dies an Orten, die gar keine Orte sind. Weil sie ja überall hätten sein können. Einer der Regisseure drückte dies folgendermaßen aus: "Je verzweifelter die Personen sind, desto kahler wird bei mir die Bühne; so wird der Raum durchlässig auf den Zustand von beteiligten Menschen, auf ihre innere Stimmung, auf ihre Empfindsamkeit." Unwillkürlich mußte ich da an das Experiment mit dem gereizten Hund denken, dem Hund, den man in einen Spiegelsaal eingeschlossen hat. Plötzlich sieht sich der Hund von Hunderten von Hunden umgeben. Alle gleichermaßen gereizt! So bellt er sie an und die Meute bellt zurück. Er fletscht die Zähne, springt hoch. Tausendfach prallt ihm die Aggression entgegen. Der Hund verfällt in Raserei, bis er schlussendlich mit Schaum vor dem Maul tot zu Boden umfällt. Der kahle Spiegelsaal als der Inbegriff eines Ortes, der gar kein Ort ist, weil er nur den inneren Zustand dessen widerspiegelt, der sich an diesem Ort befindet.

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Warum diese Geschichte? Weil sie uns das Verständnis dessen erleichtern kann, was denn die Hölle sei und was auch der Himmel ist. Nicht Orte sind es: weder in den luftigen Höhen, noch in geheimnisvollen Unterwelten. Nicht Orte, sondern Zustände. Zustände, in denen Menschen sich selber und auch andere begegnen. Begegnen mit Leib und Seele! Denn Begegnungen leben aus dem Gedankenaustausch, haben also viel mit geistiger und seelischer Identität zu tun. Aber Begegnungen leben auch aus der Umarmung und Berührung, aus dem Miteinander essen und trinken und schlafen. Begegnungen werden durch Schläge, durch Misshandlung und Missbrauch traumatisiert, gebrochen und abgebrochen. Sie werden durch den versöhnenden Händedruck geheilt. Begegnungen werden durch einen Kuss besiegelt. Begegnungen stellen eine leib-seelische Wirklichkeit dar. Glich nun die Konfrontation des aggressiv gewordenen Hundes mit der tausendfachen Widerspiegelung seiner eigener Aggression der Destruktivität der Hölle, der sich steigernden Bosheit, sich geradezu mechanisch potenzierenden und keine Grenzen kennenden Zerstörungswut eines homo incurvatus in se ipsum, eines in sich selbst verbogenen Menschen, so weist die Begegnung der zwei schwanger gewordenen Frauen, Frauen, die "ein Stück vom Glück" erfahren haben, Frauen, denen der Segen widerfahren ist, Frauen, deren innerstes Wesen auf ein Du ausgerichtet wurde, auf das sich in ihnen entwickelnde neue Leben, so weist ihre Begegnung auf den Zustand der himmlischen fruitio hin: auf den Zustand des himmlischen Genusses. Ist doch der Himmel mit der fruitio Dei identisch, mit dem Genuss, den uns die Gemeinschaft, den uns die Begegnung mit Gott vermittelt. Stellt doch der Himmel jenen Zustand dar, in dem wir die Fülle des Glücks erfahren und dies deswegen, weil wir in unserer ganzen Geschöpflichkeit, in unserer Leib-seelischen Verfassung also, uns als ganz durchlässig erleben. Durchlässig auf Andere hin: durchlässig auf die Personen des dreifaltigen Gottes, durchlässig auf andere Menschen, ja durchlässig auf uns selber, wenn wir selber unser innerstes Wesen als geschenkte Beziehung erleben.

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Liebe Schwestern und Brüder: das ist der Grund, warum der christliche Glaube den Ursprung jeder menschlichen Existenz mit einem "Ja" Gotts zu diesem ganz konkreten Leben identifiziert. Gott schafft, indem er ein "Ja" sagt, indem er Beziehung stiftet: Beziehung zu mir: einem sich der Beziehung stets verweigerndem Wesen, einem Menschen also, der die Lebenskraft auch aus der Manipulation der Beziehungen zu gewinnen sucht, und die Faszination auch aus dem Bruch, aus dem Abbruch und dem Todesbewusstsein und aus der Nichtigkeit gewinnt. Weil aber Gott selber der Inbegriff der Beziehung ist, steigt er in meine, von Brüchen und Abbrüchen von Beziehungen gezeichnete Welt herab, in eine Welt, in der Begegnungen zu Gewaltkonfrontationen mutieren. Er steigt selber in seinem Sohn herab und stiftet die Beziehung und somit auch das Leben neu: gar durch den Tod hindurch.

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Der 15. August setzt nun ein Tüpfelchen auf das "I" dieser Logik. Das katholische Gütesiegel für die christliche Hoffnung sagt nur eines aus: die Frau, jenes Wesen also, in dem das neue Leben wächst, diese ganz konkrete Frau: Maria aus Nazaret sei in ihrem eigenen Leben der Inbegriff der gelebten Beziehung gewesen und kein geschlossener Spiegelsaal. Und dies nicht weil sie eine barockhafte Heroine war. Nein! Weil sie begnadet, sich der Beziehung nicht verweigerte, sondern diese immer wieder neu in der Begegnung mit anderen aktualisierte, ist sie wahrhaft zu einer "socia" geworden, zur Gefährtin, die mit ihrem ganzen Leib und ihrer ganzen Seele dieses "Mit-sein" schon auf Erden verdichtete. Also schon hier zu einem Ort wurde an dem der Himmel zum Greifen nahe war. Deswegen ist sie auch mit Leib und Seele durch ihren leiblichen Tod hindurch in jenen Zustand der Begegnung mit Gott aufgenommen worden, den wir alle mehr oder weniger gebrochen hier und da erleben: gebrochen wie in einem Spiegel. Und weil sie durch ihre Aufnahme in den Himmel, in jenen Ort also, der im Grunde kein Ort ist, weil sie durch diese ihre Aufnahme sich als ganz durchlässig erlebt, kann sie selber zum Postkasten werden, zu einer Adresse: zum Postkasten, der, weil eine Person im Grunde kein Postkasten ist, zur Adresse, an die sich Millionen von Menschen wenden können. Selbst jene Menschen, die in ihrer incurvatio mehr dem gereizten Hund gleichen als dem menschlichen Wesen, selbst diese können sie anbellen und erfahren, dass sie nicht zurück bellt. Sie ist ja des Himmels teilhaftig, deswegen strahlt uns in ihr ein Strahl des Himmels auf, nicht aber unsere eigene Begrenztheit und unsere Bosheit. Ja! Am 15. August erblicken die Katholiken in dieser Frau den Einbruch der Ewigkeit, nicht nur die Widerspiegelung ihrer eigenen Endlichkeit und schon gar nicht ihre eigene Bosheit. Sie hat sich ja nicht ein Stück vom Glück mit List und Gewalt geschnappt. Sie ist des Glücks teilhaftig geworden, so wie auch wir alle einmal teilhaftig sein werden: der vollkommenen fruitio Dei, teilhaftig des Genusses des dreifaltigen Gottes und aller Seligen. Aller!

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