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Man sieht nur mit dem Herzen gut
(Predigt zum Herz-Jesu-Sonntag in der Jesuitenkirche am 3. Juli 2011 um 11.00 und 18.00 Uhr)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2011-07-07

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Es ist eine der schönsten Geschichten des vorigen Jahrhunderts: die Geschichte von der Begegnung zwischen dem kleinen Prinzen und dem Fuchs. Von seinem Stern aufgebrochen, durchwandert das kleine Kerlchen das ganze Universum, trifft u.a. auf den Säufer, der nur deswegen trinkt, damit er vergisst. Vergisst, dass er sich schämt, sich aber eigentlich nur deswegen schämt, weil er säuft. Das kleine Kerlchen begegnet auch dem gestressten Geschäftsmann, der zwar schon reich ist, sich aber unaufhörlich darum bemüht, seinen Besitz zu vergrößern, deswegen auch nicht einmal die Zeit findet, seine Zigarette anzuzünden. Als „ernsthafter Mann“ zählt er und zählt. Zählt die Sterne, die ihm gehören, schreibt die Zahlen auf Wertpapiere auf und hinterlegt diese in der Bank. Konfrontiert mit der Aussage des kleinen Prinzen, der ja bloß eine Blume besitzt, eine Blume, die er jeden Tag begießt, konfrontiert mit der zerschmetternden Aussage: ein derart gestresster Geschäftsmann wäre für die Sterne - jene Sterne, die er besitzt - zu nichts nütze, bleibt dieser Wichtigtuer mit offenem Mund stehen und kann keine Antwort finden. Genauso wie jener Pillenverkäufer keine Antwort findet, der Pillenverkäufer, der durststillenden Pillen verkauft und diese bewirbt: „Man schluckt jede Woche eine und spürt überhaupt kein Bedürfnis mehr zu trinken“ und erspart sich damit eine Menge Zeit. Die Experten hätten ja ausgerechnet, dass man dank der wunderbaren Pille ganze „dreiundfünfzig Minuten“ in der Woche an Zeit gewinnt. - Wozu? Wozu? - fragt das kleine Kerlchen. Ja, wozu denn eigentlich? „Man macht damit, was man will“ - antwortet stolz der Pillenverkäufer. „Wenn ich dreiundfünfzig Minuten übrig hätte“, sagte der kleine Prinz, „würde ich ganzb gemächlich zu einem Brunnen laufen.“

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Liebe Schwestern und Brüder! Dutzende von solch absurd anmutenden Geschichten erzählt Antoine de Saint-Exupéry. Es sind Geschichten aus der Welt der Erwachsenen, einer Welt, die durch Sachverstand regiert wird, durch rationale Zwänge, die den Alltag und das auf rationale Art und Weise zum „verrückten“ Universum machen. Saint-Exupéry illustriert - und dies durchaus auf eine liebenswerte Art - den Sachverstand der Forscher, die bei ihrer Forschungstätigkeit außer Atem geraten, den Sachverstand der Registrierer und Statistiker, die dem Echo nicht ganz unähnlich nur das „wiederholen, was man ihnen sagt“. „Den Menschen fehlt es an Phantasie“ konkludiert der Prinz, ein bisschen ratlos vor dem Befund. Als vorüberziehende Wanderer hinterlassen die Nomaden keine Spuren in der Wüste, der Wind verweht diese sofort - hilft dem Prinzen eine ganz armselige Wüstenblume auf die Sprünge. Den Menschen fehlt es also an den Wurzeln und „das ist sehr übel für sie“. Wie der Eitle haust jeder von ihnen auf dem je eigenen Planeten, ständig darum bestrebt, den Glauben nicht zu verlieren, dass er der schönste, der bestangezogene, der reichste und der intelligenteste Mensch des Planeten sei. Eines Planeten allerdings, auf dem es eben keine andere Bewohner gibt, Bewohner, die dem Eitlen seinen Glauben stärken würden. Denn: jeder Eitle haust für sich allein auf seinem eigenen Planeten, von lauten Eitlen umgeben. Der Befund zum Thema: „Mensch“ deprimiert den kleinen Prinzen. Es fehlen dem Menschen die Wurzeln und es fehlen ihm auch die freunde. Man kann sich ja dieses nicht kaufen!

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„Zähme mich! Bitte! Zähme mich!“ - sagte der Fuchs zum Prinzen. „Zähen“ sei eine unter den Menschen in Vergessenheit geratene Sache. Es bedeutet: „sich vertraut machen“ Dazu braucht es Zeit und Geduld. Aber auch feste Rituale und Bräuche...: all das, was Menschen über Bord geworfen haben, was aber einen Tag vom anderen unterscheidet und eine Stunde von der anderen. Was unterscheidet denn die eine Rose, die auf dem Planeten des Prinzen wächst, von den Abertausenden von Rosen, die auf der Erde wachsen? Die Zeit, die er für seine Rose verloren hat, diese Zeit macht ihm die Rose zum einzigartigen Geschöpf! So lehrt der Fuchst den Prinzen die Logik des wahren Lebens und das kleine Kerlchen zeigt sich von der besten Seite: als mustergültiger Schüler sozusagen. „Niemand hat sich euch vertraut gemacht und auch ihr habt euch niemand vertraut gemacht“, sagt der Prinz zu den Hunderten von Rosen eines Rosenfeldes. „Ihr seid schön, aber ihr seid leer: Man kann für euch (nicht leben und auch) nicht sterben!“ Das wesentliche Geheimnis des Lebens wird ja - so die Botschaft des zutiefst gläubigen französischen Piloten, der mit dem kleinen Büchlein zu einem der bekanntesten Bestellern des zwanzigsten Jahrhunderts gebracht hat - das wesentliche Geheimnis des Lebens wird nicht rational erfasst und auch nicht statistisch. Es kann weder gekauft noch konstruiert und schon gar nicht dekonstruiert werden, zerstört durch die zynische Eitelkeit der Trendsetter und Meinungsmacher in der Öffentlichkeit.

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Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar und auch für die Ohren unhörbar. Das Wesentliche kann mit den Instrumenten nicht bemessen werden, durch wissenschaftliche Hypothesen nicht falsifiziert und im Rahmen streng wissenschaftlicher Theorien auch nicht verifiziert werden. Das Geheimnis ist ganz einfach: „Man sieht nur mit dem Herzen gut!“ Und wer vermag das Geheimnis zu erkennen. Der Fuchs würde die Frage schlicht und einfach beantworten: Nur jemand, der selber „gezähmt“ wurde. Jemand, dem sich ein anderer vertraut gemacht hat. Einer, der es erfahren hat, dass ein anderer Zeit und Geduld aufbringt, um sich mir vertraut zu machen.

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Liebe Schwestern und Brüder, warum dieser extensiv anmutender Rückgriff auf den Bestseller der Weltliteratur am Herz-Jesu-Sonntag? Saint-Exupérys Werk ist eines der besten Spiegeln unserer Alltagskultur. Dieser Pilot sah mehr als bloß die Wellen des Atlantiks und den weiten Horizont. Als Prophet nahm er wahr, dass wir selber uns unweigerlich erniedrigen, weil wir die Menschen im besten Fall zum statistischen Material degradieren, den Rosen eines Rosenfeldes nicht ganz unähnlich. Der Pilot nahm wahr, das wir uns selber erniedrigen, weil wir tagtäglich den Menschen bloß instrumentalisieren, seinen Wert als Gebrauchswert bemessen: den Gebrauchswert einer Arbeitskraft oder eines Konsumindividuums. Der Pilot nahm schließlich wahr, dass wir uns selber erniedrigen, weil wir im schlimmsten Fall den Menschen nur noch bloßstellen, ihn als einen eitlen Affen der Weltgeschichte präsentieren. Was bleibt dann als Auswege aus diesem rational kalkulierten Käfig unserer Alltagszwänge? Die Scham! Die Scham über uns selber, über jene Menschen, die sich selber zu Unmenschen degradieren. Diese Scham und auch das Trinken. Trinken, um die Scham zu vergessen. Das Ausgeliefertsein an die Opiaten-Kultur!

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„Zähme mich! Bitte! Mache mich Dir vertraut!“ - beteten jahrhundertelang Menschen. Auch in dieser Kirche. Auch vor diesem Herz-Jesu-Bild, dem Bild, das die zynischen Trendsetter unserer Öffentlichkeit zum Inbegriff des Kitsches erklären, oder aber einer lebensfeindlichen religiösen Ideologie. Geradezu zwanghaft wendet sich unsere Kultur vor der Logik der Erkenntnis durch das Herz ab, jener Logik, die durch jahrtausendalte Erfahrungen von Generationen verfeinert wurde.

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Die Geschichte der Offenbarung Gottes gleicht nämlich den Lernstunden, die der Fuchs dem kleinen Prinzen schenkt. „Du setzt dich zuerst ein wenig abseits von mir ins Gras. Ich werde dich so verstohlen, so aus dem Augenwinkel anschauen und du wirst nichts sagen. Die Sprache ist die Quelle der Missverständnisse. Aber jeden Tag wirst du dich ein bisschen näher setzen können.“ Zur selben Zeit. Am selben Art. Unter Beachtung von Bräuchen und Riten und Regeln. Liebe Schwestern und Brüder! Nichts anderes machte jener Gott, dessen Wurzeln identisch sind mit Beziehung, mit Freundschaft und Liebe. Zuerst nahm er Gestalt in den unzähligen Formen der Religionsgeschichte, setzte sich sozusagen ein bisschen abseits, auf dass die Menschen ihn bloß verstohlen - aus dem Augenwinkel sozusagen - beobachten konnten. Er setzte sich abseits und sprach auch nicht. Doch dann! Dann rückte er näher und näher und machte sich die Menschen vertraut. Den Liebenden aus dem Hohen Lied nicht ganz unähnlich suchten sich der Mensch und Gott. Sie haben sich immer wieder verloren und sie haben sich immer neu gefunden. Zeit und Geduld waren nötig auf beiden Seiten. Bis... sich Gott dem Menschen vertraut gemacht hat und bis Gott selber Mensch werden konnte. Um uns allen - und dies gar als einer von uns - sein tiefstes Geheimnis offenbaren zu können. Es ist ganz einfach. Es ist das Geheimnis der Beziehung, das Geheimnis des Herzens. Gerade, weil auch Gott uns alle nur mit dem Herzen anschaut, sieht er uns gut, ja sogar sehr gut und weiß auch unseren Wert. Mein Kollege, Niki Wandinger, hat mich auf ein Text von Karl Rahner aufmerksam gemacht, der die Logik der Predigt auf eine theologische Kurzformel bringt. „Wenn Gott selbst Mensch ist und in Ewigkeit bleibt ..., dann ist es dem Menschen verwehrt, gering von sich zu denken, da er dann von Gott gering dächte.“

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Liebe Schwestern und Brüder, Einer hat sich uns vertraut gemacht und auch wir, die wir heute da sind und das Fest des Herzens feiern, das Fest des Herzens Jesu, jenes Herzens, das uns das Wesentliche zu erkennen erlaubt, nämlich: dass Gott ein Herz für uns hat. Deswegen haben auch wir uns Einen vertraut gemacht, den menschgewordenen Sohn Gottes und ihn ihm jeden Menschen, der uns begegnet. Deswegen ist es uns verwehrt gering zu denken: vom Menschen! Von all den Nächsten und auch den Fernsten. Und auch von mir selber. Er hat uns ja „gezähmt“. Deswegen sind wir einzigartig und kostbar in den Augen Gottes.

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