Stürmische Zeiten, schon wieder einmal, in die der Beginn
dieses Studienjahres fällt.
Nicht genug damit, dass unsere Hochschulen relativ
Ratlos scheinen, wie sie ihren Ausbildungs-, mehr noch ihren Bildungsauftrag
erfüllen sollen.
Nicht genug damit, dass es bei Österreichs Politikern üblich zu
sein scheint, ihre Ämter als Selbstbedienungsladen zu verstehen.
Nicht genug damit, dass die internationalen Finanzmärkte in ihrem manisch-depressiven Irresein Europa vor
sich her treiben.
Nicht genug damit, dass in Ostafrika nach wie vor der
Hunger wütet, schon wieder weitgehend vergessen von der Weltöffentlichkeit.
Nicht genug damit ... Ja was denn noch?
Nicht genug mit all dem und manch anderem, beutelt es
auch unsere Kirche gewaltig durch. Das Schiff, das sich Gemeinde nennt,
schlingert von einem Sturmtief ins nächste und kommt nicht zur Ruhe. Wäre es nicht schön in der Arche des Heils über stille Wasser zu treiben, in ruhiger Gelassenheit:
Schoten dicht, Luken zu, innere Harmonie! - ein Bild bei dem man fast ins Träumen kommt. Aber das spielt es halt nicht.
Und so ergeht es unserer Kirche und uns mit ihr viel
eher wie jenem Schiff, auf dem Jona nach Tarschisch unterwegs ist:
unbarmherziger Sturm, Kampf ums Überleben.
Vielleicht ist das ja gar nicht so schlecht, weil wir
andernfalls ignorant und abgehoben über eine Welt dahin dümpeln würden, unter deren Oberfläche
zahlreiche Leichen liegen, deren Tod und Leid uns nicht rührten. Stürme wecken auf; zumindest die meisten. Aber
andererseits sind wir so doch auch wieder nur mit uns selbst beschäftigt: damit die Segel zu reffen, hektisch zu rudern,
Ballast abzuwerfen. Zu diesem Ballast gehören natürlich auch schon wieder die Sündenböcke, die, zumindest vorgeblich, schuld sind an unserer
Misere.
In der herrschenden Rat- und Hilflosigkeit mag manchem
schon der Gedanke kommen eine Bombe - zumindest eine mediale - unter dem Bug
des Schiffes zu zünden. Das gibt wenigstens eine gewisse Richtung - oder
auch nur ein Leck. Es mag manchem schon der Wunsch kommen, sich den Himmel
einfach blau zu lügen: Wir schrumpfen gesund, aber unsere Kerngemeinden
sind doch so lebendig und angesichts der wenigen Kirchgänger haben wir mehr Priester als früher; pro Kopf.
Nichts desto weniger stürmt es weiter.
Und mitten in diesem nervenzerrenden Hin und Her der
Wellen stand während der letzten Wochen immer wieder das Wort
Gehorsam und eine Diskussion um sein rechtes Verständnis. Gehorsam als archimedischer Punkt von Wohl oder
Wehe des durchgerüttelten Kirchenschiffs.
Vom Gehorsam sprechen auch die Schrifttexte, die uns
die Leseordnung an diesem 3. Oktober vorgibt (Jona 1,1 – 2,1.11; Lk 10,25–37).
Das Wort fällt zwar nicht,
aber die Sache ist ganz massiv da, sowohl im Buch Jona, als auch im Evangelium
vom Samariter.
Da
ist der Gehorsam, den Jona dem Auftrag Gottes verweigert. Auf der anderen Seite
steht Jonas Gehorsam gegenüber dem selbst gezimmerten Gottesbild, das mehr von
gerechter Strafe weiß, als von Gnade. Da ist der zögernde Gehorsam der Matrosen der Weisung Jonas gegenüber, ihn über Bord zu werfen. Da ist das Gehorsamsversprechen
der Matrosen und jenes des Jona im Bauch des Fisches. Sogar einen Gehorsam des
Fisches müssen wir unterstellen.
Bei
Lukas hören wir von Gehorsam gegenüber dem Gesetz, wohl auch vom falsch verstandenen
Gehorsam gegenüber einer kultischen Verpflichtung, vom Gehorsam gegenüber einer inneren Regung und jenem Gehorsam, den der
Anspruch eines Hilfsbedürftigen fordert; letztlich auch vom Gehorsam gegenüber einer Einsicht, zu der man gelangt ist.
Viele
Gehorsamsbilder! Ein einheitliches Bild ergibt das alles freilich nicht. Im stürmischen Hin und Her der derzeitigen Kirchensituation,
in der manche Planke schon bedenklich nahe am Bersten ist, findet da wohl jede
und jeder ein Gehorsamsbild das genau die eigene Position untermauert. Und so
bleiben viele Fragen offen: Wie viel Gehorsam braucht es dem Gesetz gegenüber, oder den geltenden Kultvorschriften? Immerhin ist
auch mein Predigen hier Ungehorsam gegen eine solche Vorschrift. Ist solcher
Ungehorsam erlaubt? Wenn ja, wie viel davon; oder ist er gar nötig? Schließlich ist Gott mehr zu gehorchen als den Menschen.
Blinder Gehorsam war mit schuld an den großen Katastrophen des letzten Jahrhunderts, der lässt sich doch wohl wirklich nicht mehr retten. Also
dem Gewissen gehorchen! Allerdings müssen wir uns eingestehen, dass das auch nicht ungefährlich ist. Überzeugungstäter in den unterschiedlichsten Kontexten sind nicht
selten jene Menschen, vor denen uns am meisten graut.
Vielleicht
lassen wir das ganze Gehorsamsthema also am besten bleiben und stellen die Rede
davon überhaupt unter Generalverdacht. Ich war nahe daran,
muss ich zugeben. Dann habe ich mich an ein Buch von Marianne Gronemeyer
erinnert. Ich schätze diese deutsche Pädagogin
als Autorin, auch wenn sie keine theologische Referenz ist. Ich hatte auch nie
den Eindruck, dass diese Frau besonders gläubig ist. Aber dann, 2008 in ihrem Büchlein “Genug ist Genug” bildete den Einstieg und
letztlich das tragende Fundament der gesamten Argumentation eine Meditation über Abraham: Abraham als Prototyp eines Gehorsamen.
Was Gronemeyer da schreibt, schien mir dann doch spannend. Vielleicht kann es
auch Sie zum Weiterfragen und Weiterdenken anregen, denn dazu sind wir alle ja
hier an einer theologischen Fakultät; um weiter zu fragen und weiter zu denken.
Gehorsam, so Gronemeyer, hat mit Hören zu tun, mit Hinhören, das
versteht sich ja wohl von selbst, aber auch - und das überrascht zunächst doch - auch mit Aufhören. Der Gehorsam lebt davon, innezuhalten, ganz Ohr
zu werden, ein Mensch in empfangender und empfänglicher
Haltung. Ich muss zunächst aufhören, um auf etwas, auf jemanden hinhören zu können.
Beim Propheten Jona scheitert wohl Manches am
Nicht-aufhören-können. Er kann nicht aufhören recht zu haben, sich durchzusetzen, die
eigenen Erfahrungen zum Maß aller Dinge zu erheben; kann nicht aufhören, immer eine Antwort parat zu haben, einmal bezogene
Standpunkte immer neu zu befestigen.... Wissen wir nicht auch wie der Prophet
Jona gar zu oft schon im Voraus, was bei
einer Sache herauskommen wird? Ja hab ich das nicht schon gesagt, als ich noch
daheim war! wird der Prophet nach der Bekehrung Ninives zornig ausrufen.
Deswegen wollte ich doch nicht hierher, weil die Sache ja nur schief gehen
konnte! So spricht ausgerechnet der Prophet, der erfolgreich ist wie kein
zweiter in der gesamten Bibel. Er kann nicht aufhören, auf
den ausgetrampelten Pfaden seines engen Gottesverständnisses dahin zu rennen. Und Gott, so scheint es,
versucht während seiner ganzen Reise nichts anderes, als ihn zum
Hinhören zu bewegen. Wir erfahren bis zum Ende nicht, ob es
funktioniert.
Einen blinden Gehorsam jedenfalls verlangt dieser Gott
von seinem Propheten nicht. Wer blinden Gehorsam fordert, so wieder Gronemeyer,
duldet keinen Widerspruch, wagt nichts, liefert sich nicht an den Befehlsempfänger aus, vielmehr degradiert er diesen zur anonymen Nummer. “Der machtvolle Befehl” - so
schreibt sie - “stellt den Befehlsempfänger in Reih und Glied, er raubt ihm sein Antlitz, löscht ihn als Person aus, macht ihn zu einer
Rechnungseinheit, er uniformiert ihn, vergleichgültigt
ihn, macht ihn namenlos, unkenntlich, schicksalslos.” Es mag sogar sein, dass
solche Befehle funktionieren. Was ihnen fehlt, ist eine Beziehung des
Vertrauens. Das Gegenbild zum blinden, ist der vertrauensvolle Befehl, der beim
Namen nennt und eine einmalige, unvertretbare Beziehung stiftet. Wäre es vermessen zu sagen, dass Gott im Buch Jona
kontinuierlich und mit einer Eselsgeduld daran arbeitet, ein Vertrauensverhältnis zu seinem Propheten aufzubauen?
Eine Atmosphäre des Vertrauens also braucht Gehorsam, damit einer überhaupt den Mut finden kann aufzuhören, um dann hinzuhören. Das passt wie ich finde ganz gut auf die
Geschichte vom Propheten Jona. Aber auf die Geschichte vom barmherzigen
Samariter? Man kann natürlich fragen, womit der Priester und der Levit im
Gleichnis nicht aufzuhören vermögen. Auch sie sind auf ausgetrampelten Pfaden
unterwegs. Und dann können wir fragen, was sie vom Mann aus Samaria
unterscheidet. Auch hier spielt zweifellos das Vertrauen eine Rolle. Wir
erheben ja ganz gern den moralischen Zeigefinder gegen die beiden Kleriker, die
da nach Jerusalem eilen und wissen doch zugleich, wie schwer es ist, in einer
Situation, die gefährlich für uns sein könnte, einen Schritt abseits des gewohnten Weges zu
wagen. Der Samartitaner verfügt über so viel Vertrauensseligkeit, über so viel Gottvertrauen, einen solchen Schritt zu
riskieren. Nun ließe sich darüber spekulieren, welche Lebens-, welche
Beziehungserfahrungen es wohl sind, die ihn so handeln lassen. Mir scheint
aber, dass in diesem Gleichnis etwas anderes im Zentrum steht. Hier geht es
weniger um das, was zum Innehalten und Auf-hören befähigt, als vielmehr um das, was ein Innehalten und
Auf-hören herausfordert.
Lassen
Sie mich noch einmal Gronemeyer zitieren: “Aufhören ist
nicht ein heroischer Akt der einsamen Selbstüberwindung .... Ohne eine Hinwendung zum Anderen, zum
Du, bleibt das Aufhören nur eine Variante des Weiter-so. Ich bleibe mir
treu. Das Aufhören in einem ernsten ... Sinn kann sich nur ereignen,
wenn ich mein Augen- und Ohrenmerk von mir löse und auf dich richten lasse.”
Der
Anspruch des Anderen in seiner Not, dieser Anspruch, dem er sich nicht
entziehen kann, lässt einen Menschen hier aufhorchen und fordert seinen
Gehorsam.
Und so frage ich mich, ob es nicht so ist, dass uns
die Erzählung von Jona
heute mehr über den Befehlenden, den der Gehorsam fordert und
fordern darf, zu erzählen versucht, und die Geschichte vom Samariter mehr über den Gehorchenden.
Wer
keinen offenen Blick und kein offenes Ohr für die Anderen hat, wer sich nicht herausfordern lässt von der ihm begegnenden Not, ist wohl gar nicht fähig zu gehorchen; auch nicht Gott oder dem Ruf des
Gewissens.
Wer
andererseits nicht bereit ist, sich darum zu bemühen,
Vertrauen zu schaffen, Vertrauensverhältnisse aufzubauen, darf im Grunde gar keinen Gehorsam
erwarten oder gar fordern. Der Gehorsam, soll er dem Leben dienen, ist keine
einseitige Sache. Der Ungehorsam dient aber auch noch nicht dem Leben, bloß weil er sich verweigert.
Sowohl
ein Gehorsam, den man guten Gewissens einfordern darf, als auch ein Gehorsam,
auf den man sich guten Gewissens berufen darf - vielleicht sogar um ungehorsam
zu sein - scheint also eine ziemlich voraussetzungsreiche, anspruchsvolle
Angelegenheit zu sein. Ich denke wir sollten die Rede von ihm nicht zur Ausrede
verkommen lassen, um sich das Bemühen um Vertrauen zu ersparen und die Bereitschaft
aufzuhören, um wirklich hinhören zu können.
Mir
scheint, Gehorchen lässt sich in diesem sturmgebeutelten Schiff Kirche nur
miteinander. Horchen wir also auf!