- Leseraum
| „Mit österlichen Augen…“ Zur Hermeneutik eschatologischer AussagenAutor: | Niewiadomski Jozef |
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Veröffentlichung: | |
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Kategorie | artikel |
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Abstrakt: | |
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Publiziert in: | Brixner Theologisches Forum 118 (2007), Beiheft, 337-366 |
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Datum: | 2012-04-01 |
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Inhalt1
| Die bereits in den 50er-Jahren des
letzten Jahrhunderts von Karl Rahner vorgelegten dogmatischen Grundsätze für
die Hermeneutik eschatologischer Aussagen1 haben nichts von ihrer
Gültigkeit verloren. Da uns nach der eindeutigen Aussage des Neuen Testaments
der Tag der Parusie nicht geoffenbart wurde, zeichnet sich die Vollendung der
Welt durch den „Verborgenheitscharakter“ aus. Allerdings ist der Mensch ein
geschichtliches Wesen; er lebt aus der Vergangenheit im Blick auf die Zukunft
hin. Deswegen gehört die Zukunftsdimension zum Glauben. Doch was hat das
konkret zu bedeuten? Rahner folgert, dass der Inhalt der biblischen Aussagen über
die Zukunft klar begrenzt sei: Sie offenbaren uns nur das, was nötig ist zum gläubigen
Verständnis der Gegenwart. Von der noch ausständigen Zukunft wissen wir also
auch durch Offenbarung nur das, was vorausblickend aus und an der eigenen
heilsgeschichtlichen Erfahrung in der Geschichte ablesbar ist. Es gibt keine
biblischen Aussagen, die nur unsere Neugier bezüglich des Kommenden befriedigen
würden. Schon aus solch formalen Gründen würde Rahner in der gegenwärtigen
kulturellen Debatte seine Stimme erheben und sämtliche Eschatologien, die den
apokalyptischen „count down“ darstellen oder den „Fahrplan ins Jenseits“ als
Sonderangebot anbieten, als frommen Unfug oder als „Terrorismus im Namen des
Herrn“ kritisieren. Er blieb allerdings nicht bei formalen Aussagen. Die
eschatologische Frage impliziert einen inhaltlichen Diskurs. Auch in diesem
Kontext begrenzte aber Rahner die Fragestellung. Die biblischen Geschichten können
uns nichts anderes erzählen, als dass es kein anderes über Christus und sein
Endgericht hinausgehendes Heilsangebot Gottes gibt. Den ängstlichen Christen
von heute würde also Rahner zurufen: Die Eschatologie vom Himmel und die
Eschatologie von der Hölle stehen nicht auf derselben Ebene; Gnade ist mehr als
eine bloße Möglichkeit, sie ist siegreich! Verdammnis ist damit zwar nicht
geleugnet. Als Möglichkeit muss diese auch zur Sprache gebracht werden; sie
stellt aber keinen Grund für Ängste und schon gar nicht für ressentimenterfüllte
Hoffnung der Frustrierten dar. Und woher wissen wir das? Rahner brachte die
Heilsgeschichte auf die christologische Kurzformel: In Jesus Christus hat sich
Gott endgültig zum Heil der Menschen entschieden und in Jesus Christus hat sich
auch der Mensch endgültig für dieses Heil entschieden. | 2
| Auf den Titel des vorliegenden
Beitrags angesprochen, würde Rahner vermutlich sagen, weil die Christen die
Welt und ihr eigenes Leben mit „österlichen Augen“ betrachten, erden sie tagtäglich
durch ihr Leben die christliche Hoffnung auf die Vollendung der Menschheit bei
Gott und die Versöhnung der Menschen untereinander. | 3
| Vom dogmatischen Standpunkt aus
betrachtet, behält der hermeneutische Rahmen, den wir Karl Rahner verdanken,
immer noch seine Gültigkeit. Seine Plausibilität wurde allerdings in den
letzten Jahren durch die „popular culture“ des Alltags erschüttert. Mit einer
konsequenten Zuwendung zur reinen Diesseitigkeit schien unsere Kultur das
Jenseits abgeschafft zu haben. Diese kulturelle Beseitigung des Jenseits stand
im Dienste der Steigerung der Lebensqualität. Allzu leicht wurde die Hoffnung
auf das Jenseits als Vertröstung über das triste Diesseits verstanden, die
Religion als „Opium“ missverstanden. Der kulturelle Verzicht auf „das Opium“
sollte eine geerdete Hoffnung bringen. Es war dies vor allem die Hoffnung
darauf, dass der wissenschaftlich-technische Fortschritt das Leben qualitativ
verändern wird und zur Versöhnung des Menschen mit sich selber, mit den
Mitmenschen und auch mit der Natur beiträgt. Längst hat sich aber „das Geschenk
der reinen Diesseitigkeit“ als kulturelles trojanisches Pferd entpuppt. Das
emphatische Bekenntnis: „Es gibt ein Leben vor dem Tod“ und die daraus folgende
Logik der „geerdeten“ Alltagsgestaltung verwandelten zwar unsere
Lebenseinstellung radikal. Nicht das Paradies auf Erden war allerdings die
Folge der kulturellen Revolution, sondern die Neudefinition des Lebens selbst.
Das Leben wurde nur noch als letzte Gelegenheit, etwas zu leisten oder auch
etwas zu erleben, begriffen. Und die Folgen sind klar: Leistungs- und
Erlebnisstress.2 Vor lauter Stress vergisst der Mensch der Gegenwart
die sog. Sinnfrage oder er beantwortet sie praktisch: „Lass uns essen und
trinken, denn morgen sind wir tot!“ (Vgl. Jes 22,13) Der entfesselte Konsum lässt
nicht nur das Interesse für die Frage der weltweiten Gerechtigkeit verblassen,
er zerstört auch die Fähigkeit zu einer zweckfreien „fruitio“. Leistungs- und
Konsumstress, die fast omnipotente Logik der Konkurrenz und des Neides, aber
auch des Absturzes in die Depression vergiften den Alltag der Gegenwart. Kann
die theologische Reflexion den eschatologischen Aussagen in diesem veränderten
Klima zur Glaubwürdigkeit verhelfen? Eine österreichische Boulevardzeitung hat
vor kurzem geurteilt: „Der Glaube an das Paradies hat in der Geschichte der
Menschheit jedoch mehr ‚Seelen´ vor Angst und Depression geheilt als die
gesamte moderne Pharma-Industrie.“3 Der kulturelle Trend, der in der
durch die Kirche provozierten Angst vor der Hölle das größte Unheil sah,
deswegen auch den Abschied vom kirchlichen Jenseits als Lösung der Probleme
empfahl, scheint langsam der Vergangenheit anzugehören. Wir fürchten uns ja
nicht mehr vor der Hölle, aber umso mehr fürchten wir uns vor uns selber. Und
auch vor dem Ende der Welt! Jenem Ende, das wir selber bewerkstelligen werden. | 4
| Folgender Beitrag will zur Entgiftung
der Alltagskultur beitragen. Mit Hilfe der Metapher „österliche Augen“ sollen
Hoffnungen und Ängste der Gegenwart kritisch beleuchtet und in Verbindung
gebracht werden mit den eschatologischen Aussagen biblischer Tradition. Den
Anknüpfungspunkt bieten einerseits die Fortschrittsutopien unserer durch Markt
und Medien strukturierten Gesellschaft, andererseits die apokalyptischen Strömungen
in der gegenwärtigen Kultur. Die durch die Ereignisse vom 11. September 2001 in
den Mittelpunkt medialer Öffentlichkeit geratene Haltung der religiös
motivierten Selbstmordattentäter verschärft den Fokus eschatologischer Debatte,
sie wirft die Frage nach dem Unterschied der Mentalität des Selbstmordattentäters
zur biblischen Apokalyptik und dem tragenden Grund für jene Lebenseinstellung,
die wir mit der Metapher „österliche Augen“ bezeichnen, auf. Die Überlegungen
sind auf zwei Ebenen angesiedelt. Da die systematischen Reflexionen dem Ansatz
der sog. „Dramatischen Theologie“ verpflichtet sind, wird die Reflexionsebene
immer wieder durch Narrationen unterbrochen. Diese dienen nicht bloß der
Illustration des systematisch reflektierten Stoffes. Gemäß der Logik des
dramatischen Ansatzes behält die Narration ihren Eigenwert. Sie hält die dramatischen
Übergänge und Transformationen fest und erlaubt rollenspezifische Vergegenwärtigung.4
Die Narrationen sind in der Logik eines Triptychons angeordnet. Zwei Seitenflügel
bereiten vor und interpretieren das zentrale Gemälde. | 5
| | 6
| Auf den ersten Blick betrachtet
scheinen die festen Erwartungen und die vagen Hoffnungen, die mit dem Glauben
an den technologischen Fortschritt verbunden bleiben, die biblische
Eschatologie restlos beerbt zu haben. Macht also der technologische Fokus die „österlichen
Augen“ obsolet? Die Informationstechnologie und der Markt mit seiner
Eigengesetzlichkeit erzeugen zwar eine Welt, die im wahrsten Sinne des Wortes
als ein Imperium bezeichnet werden kann. Es ist dies nicht nur die
globalisierte Welt, die im Medium von Massenmedien und den sich überall
durchsetzenden Marktmechanismen wahrgenommen wird. Es ist auch eine neue Form
der Religion, die in diesem Kontext entsteht. Die Markt- und Mediengesellschaft
absorbiert alle Kulturen, Religionen und Individuen und schafft eine in der
Geschichte bisher nie gekannte Bindung von Menschen: eine „religio“. Was der
Kirche in den Zeiten des blühenden Konstantinismus nicht gelungen ist, scheint
jetzt Wirklichkeit zu werden. Überall in der Welt und zu jeder Zeit überwindet
der entscheidende Sozialisationsfaktor der Globalkultur - die
kommerzialisierten neuen Medien - Grenzen und Barrieren; Menschen aller Rassen
und Sprachen, aller Schichten und Gruppen werden - und dies unabhängig davon,
ob sie dies wollen oder nicht - zu ein und derselben global erregten
Gemeinschaft vereinigt. Eine wahrhafte „Pseudocatholica“ hat schon längst Fuß
gefasst, eine „electronica et oeconomica communio“. | 7
| Welcher Mehrwert ergibt sich aus
dieser Betrachtung der gegenwärtigen Kultur für die Frage nach der Wahrnehmung
und Kultivierung menschlicher Hoffnungen? Schaut man sich gerade als Theologe
die Träume und Hoffnungen an, von welchen die Ausbildung der Mediengesellschaft
begleitet wird, so wird man zuerst neidisch und auch geneigt sein, die
Perspektive der „österlichen Augen“ ad acta legend, die eigene Theologie nur
noch an der Latte der Utopien der Mediengesellschaften zu messen. Bereits in
den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts träumte der Literaturwissenschaftler
und Medientheoretiker Marshall McLuhan nicht nur vom Katholizismus als der
Religion der Zukunft, sondern von einer pfingstartigen Harmonie des universalen
Verstehens und der universalen Einheit, die durch moderne Medien, v.a. aber
durch Computerisierung hergestellt wird.5 Howard Rheingold zeugte
vor knapp15 Jahren mit seinem an Sicherheit grenzenden Vertrauen davon, dass
Cyberspace6
der entscheidende Durchbruch zur Ausbildung weltweiter Demokratie sein wird.7
Und Nikolas Negroponte sang 1995 sein Lied auf die neue Epoche: „Während die
Politiker mit der Last der Geschichte zu kämpfen haben, wächst eine neue
Generation heran. Durch die Digitalkultur ist sie von den alten Vorurteilen
befreit. Die territorialen Grenzen, die die Basis für die Freundschaft, Zusammenarbeit,
Spiel und Nachbarschaft festlegten, sind den Jugendlichen keine Grenzen mehr.
So kann die Digitaltechnik eine natürliche Kraft sein, die die Menschen zu
einer größeren Weltharmonie bringt.“8 Sein Werk heißt auch „Being
digital“. Und was soll dabei noch „Hoffnung“ heißen? | 8
| Allen Träumen von der „universalen
Einheit“ der Menschheit ist die Grundidee einer sich mechanisch vollziehenden
Verbindung von Menschen und der sich daraus quasi automatisch einstellenden
Harmonie der begehrenden Menschen eigen. Trotz aller Katastrophen und Pannen
wird im Grunde immer ein und derselbe Traum geträumt. Und welcher Traum ist
das? Nähert man sich dem Traum direkt auf dem neuesten Level unserer alltäglichen
Erfahrungen mit dem Cyberspace, so wird man sagen müssen, dass die Faszination
des Cyberspace gerade darin liegt, dass dort Institutionen, aber auch
Mechanismen des Marktes, und selbst mediale Vernetzung sämtlicher
Kommunikationsräume bloß als Möglichkeitsbedingungen der Freiheitserfahrung des
einzelnen erscheinen. So paradox es klingen mag: Mechanisch verbunden, werden
die Menschen dort noch mehr zu Individuen. Der Grund der Faszination ist hier
also ein alter: die Verführung durch den Wunsch nach Autonomie bei gleichzeitiger
Entfesselung des menschlichen Begehrens. Cyberspace krempelt die traditionelle
Rolle der Institutionen um und stellt sie uneingeschränkt in den Dienst des
individuellen Begehrens. Der Mensch darf sich eben als Schöpfer seiner eigenen
- letztendlich aber entmaterialisierten - Welt erleben.9 Im Cyberspace!
Ein jeder kann dort sein eigener Gott werden! „Ein privatisierendes Genießen
aller von allem“ als Ziel und Erfüllung aller menschlichen appetitio? Die wahre
Leidenschaft im Kontext der fruitio, dem alten Himmel nicht ganz unähnlich? Schön
wäre es! | 9
| Der Cyberspace macht zwar die
Menschen zu den Schöpfern ihres Lebens, ja zu Göttern selbst. Aber gerade
dadurch stachelt er auch den Neid und die Rivalität an. Vor allem aber erzeugt
er ständig neu das Bewusstsein der Knappheit. Gerade der billige Cyberspace
schuf ja das teuerste, weil das knappste Produkt der Menschheit: die
Aufmerksamkeit. Was nützt die Veredelung der „profundior et universalior
appetitio“ durch göttliche Prädikate, wenn es keine Anbeter mehr gibt! Außerdem:
Dem emphatischen Vertrauen, dass Lebensgeschichten und Traditionen nach
Belieben vom Individuum gewählt und gestaltet werden und dass das „Netz“ nur
die Bedingung der Möglichkeit dieser Erfahrung ist, korrespondiert also eine
gewaltige Kontrasterfahrung: Zunehmend mehr Menschen definieren sich in dieser
im Medium von Massenmedien geschaffenen Weltgesellschaft als Opfer. Die
Weltgesellschaft wird auch zunehmend kontaminiert durch Freisetzung von
Ressentiments. Destruktive Leidenschaften werden potenziert. Und dies, weil
Menschen bereits unter die Räder der neuen religio gekommen sind, wohl aber
auch, weil in der medial strukturierten Öffentlichkeit auch Opfer längst ihre
Rolle als mimetische Modelle bekommen haben. Die unerträgliche Spannung
zwischen dem programmatischen Vertrauen auf die problemlose fruitio und der
faktisch gemachten Erfahrung des Opferseins wird durch eine rituell gepflegte
Anschuldigungsmentalität und Jagd auf Sündenböcke bewältigt. Auch im Cyberspace
stellt diese Strategie das Universalrezept nicht nur für die Bewältigung von
Krisen und Zusammenbrüchen dar; der electronica religio ist sie zum Inbegriff
der Reduktion der Komplexität und zum Rezept der Kultivierung von zerstörenden
Leidenschaften geworden. | 10
| So paradox es also klingen mag: Die
im Medium der Massenmedien geschaffene „Eine Welt“ hat zwar aufgrund der
weltumspannenden Mechanismen und Kommunikationsnetze eine
Schicksalsgemeinschaft der Menschheit hervorgebracht, zugleich hat sie aber
deren Mitglieder atomisiert und vereinsamt. Vor allem bietet sie aber keine Lösung
für das von ihr selbst in Gang gesetzte Experiment der Globalisierung des
Neides, der Eifersucht, der mimetischen Rivalität und der Ressentiments. | 11
| An diesem - noch unerlösten - Paradox
setzen radikale Hoffnungen an. Sie gehen Hand in Hand mit technischen
Versuchen, die die Schnittstelle „Mensch-Computer“ in Richtung einer technisch
bewirkten Symbiose der Menschheit zu hoffen wagen. Bereits Marshall McLuhan sah
im Computer die Verlängerung des menschlichen Nervensystems; die bereits im
Alltag vertrauten Formen der Cyborgisierung des menschlichen Körpers regen nun
an, auf die Herstellung einer Verbindung zwischen den Nervenbahnen und
Computern zu hoffen. | 12
| Das Wissenspotenzial vom Cyberspace
wird schon jetzt in der utopischen Literatur in Anlehnung an Marshall McLuhan
als „Noosphäre“ bezeichnet (ein Ausdruck von P. Teilhard de Chardin im Kontext
seiner mystischen Vision der evolutionären Entwicklung der Menschheit in
Christus). Die utopische Literatur spricht sehr viel von der Vernetzung
menschlicher Gehirne und des unmittelbaren Austausches von Gehirn zu Gehirn.
Der Glaube, durch den direkten Zugang zum Nervensystem werde die Basis für
einen Datenfluss geschaffen, der dem Menschen eine Realität erzeugt, die er von
der normalen - sinnlich wahrgenommenen - nicht zu unterscheiden vermag, führt
diese Art des Denkens auf die nächste Stufe des einseitig technisch motivierten
Evolutionsglaubens. Losgelöst von den leiblich-materiellen Bedingungen wird die
Menschheit doch einmal zur Harmonie finden. Die Visionen des postbiologischen
Zeitalters enden aber vorläufig in der Vorstellung der elektronisch
garantierten Unsterblichkeit: Jeder Mensch soll in der Lage sein, „eine
Sicherheitskopie von sich zu machen“ und sich so „die Chance des ewigen Lebens“
zu verschaffen.10 Deswegen frieren auch die sog. Kryoniker
ihre Körper ein - oder nur ihren Kopf. Im Glauben, dass die Medizin eines Tages
die Krankheit, an der sie zugrunde gingen, heilen kann und sie sich das
Bewusstseinspotenzial ihres Hirns in einen geheilten - oder gar neuen
cyborgisierten - Körper transferieren lassen.11 „Ostern“ wird damit
zu einer technologischen Angelegenheit, „österliche Augen“ zum sich nüchtern
wissenschaftlich gebenden Blick. | 13
| Was solche Träume jedoch radikal
verdrängen, ist die Tatsache, dass eine solche Verewigung menschlichen
Bewusstseinspotenzials auch dessen Unerlöstheit, das Bewusstsein der Rivalität,
des Neides und der Konkurrenz verewigt. Der selbstgerechte Täter und das
ressentimenterfüllte Opfer stehen einander weiterhin frontal gegenüber. Stellt
die Verewigung des unversöhnten Zustands nicht eher den Inbegriff der Hölle
dar? „Jeder glaubt sich allein in der Hölle und genau das ist die Hölle.“12 | 14
| | 15
| Bieten die apokalyptischen
kulturellen Strömungen einen Ausweg aus diesem Dilemma an? Die Kreise, die von
der apokalyptischen Logik fasziniert sind, präsentieren eine genuine Kehrseite
der technophil angehauchten Hoffnungen. Die Bücher aus diesen Kreisen tragen
typische Titel wie: Apokalypse Code13, die „Aufklärungsschriften“
sind da deutlicher: „Das Tier der Apokalypse ist der Computer“14.
Der Inhalt der Broschüre ist denkbar einfach: „Computer = 666 = Satan“. Ein
Feuer speiender Drache und ein Spruch: „Er ist mitten unter uns und tötet.
Alle. Rettet euch vor der Bestie aus der Hölle“ zieren die Titelseite. Ihre
Botschaft reduziert sich zur Parallelisierung der Texte aus der Offenbarung des
Johannes mit modernen Bildern und Werbetexten aus der Computerbranche. Das
Problem mit der Apokalypse darf nicht auf kleine fundamentalistisch angehauchte
Konventikel reduziert werden. Es handelt sich dabei um apokalyptische
Grundstimmungen in der „popular culture“, die auch losgelöst sind vom
konfessionellen Hintergrund.15 Bereits die oberflächliche
Lektüre dieses Schrifttums zeigt, dass bei dieser Art von apokalyptischer
Hoffnung der Ausweg aus dem Dilemma der unerlösten Gegenwart nicht gefunden
werden kann. Auch in diesem Kontext stehen sich letztendlich die
selbstgerechten Täter und die ressentimenterfüllten Opfer frontal gegenüber.
Die Konstante scheint gar transkulturell und transreligiös zu sein. | 16
| In der gegenwärtigen Welt wird die
apokalyptische Verzweiflung vor allem durch die Herausforderung islamischer
Selbstmordattentäter greifbar. Mit ihrer Hoffnung auf das bessere Leben in der
neuen Welt zerfetzen sie ihre Leiber und die ihrer Opfer. Unter Zuhilfenahme
neuester Techniken und Kommunikationsnetze. Stellt die Destruktion den Ausweg
aus dem Dilemma der Gegenwart dar? Für eine in der reinen Diesseitigkeit
gefangene Kultur kann ja nur das Handeln der Menschen etwas bewirken; eine
falsche Kultur kann letztlich auf die Destruktion hoffen und auf einen radikal
neuen Anfang. Spitzt man die Fragestellung auf diese Art und Weise zu, so
erscheinen die Attentäter doch als Inkarnation der Hoffnung. Doch welche Art
Hoffnung ist das? | 17
| Bevor wir auf diese Frage eingehen,
will ich noch auf die gefährlichen Parallelisierungen hinweisen. Unsere
kulturelle Gegenwart neigt dazu, so diverse Haltungen wie die der
Selbstmordattentäter und die der christlichen Märtyrer „in einen Topf“ zu
werfen. Für den liberal eingestellten Zeitgenossen handelt es sich dabei um
nichts anderes als um ein und denselben „apokalyptischen Eintopf“16.
Seiner Meinung nach stürzen ja auch Christen in ihrem Tod ins Nichts. Sucht man
nach oberflächlichen Parallelen, so wird man schnell fündig. Eilige
Kommentatoren könnten ja darauf hinweisen, dass auch die „österlichen Augen“ so
etwas wie die Neueinschätzung des eigenen Todes beinhalten, weil halt die Taufe
gemäß Röm 6,3-9 als Mitsterben mit Christus gesehen wird. Auch von der
Neueinschätzung der ganzen Schöpfung kann die Rede sein: „Das Alte ist
vergangen, Neues ist geworden” (2 Kor 5, 17). Der „Kirchenfresser“ wird schnell
parallelisieren: Die Neueinschätzung des eigenen Todes sei doch vergleichbar
dem gewaltsamen Sterben als „Eintrittskarte“ ins Paradies. Die Neueinschätzung
der ganzen Schöpfung wird greifbar im gewaltsamen Tod als Vorwegnahme einer
neuen Welt, in der die Feinde gedemütigt oder vernichtet werden. Außerdem seien
die Selbstmordattentäter eindeutige Idole ihrer Völker, ihr „Selbstopfer“ sei
Garant für das Leben. Sind aber die Selbstmordattentäter im Jenseits aufgehoben
oder bleiben sie im unerlösten Diesseits gefangen? Gibt es einen Unterschied
zwischen der Hoffnung der Attentäter und der Hoffnung der Märtyrer? Durch die
erste Narration soll der Unterschied präzisiert werden. | 18
| | 19
| Es ist eine archaische Geschichte,
eine Geschichte, die sich immer und immer wieder neu abspielen kann, aber auch
eine Geschichte, die genau datierbar ist. Man schreibt das Jahr 165 v. Chr. Der
neue - globale - Wertekodex wird eingeführt ..., mit brachialer Gewalt
freilich, aber auch auf subtile Art und Weise. Es ist nicht nur die neue Mode,
der neue Stil in der Kleidung und es sind auch nicht nur die neuen Spiele,
sondern es sind auch eine neue Sprache und neue Verhaltensweisen, die die
Jugend faszinieren. Wer mit dem Puls der Zeit Schritt halten möchte, muss mit
den neuen Trends mitmachen, ansonsten ist er out. Wer des Griechischen nicht mächtig
ist, der hat keine Chancen, beruflich aufzusteigen. Heutzutage würden wir alle
sagen, dass derjenige, der noch kein Englisch spricht und der keine
ausreichenden Computerkenntnisse besitzt, nach und nach an den Rand des
wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Lebens gedrängt wird. | 20
| Und das bisherige Leben? Die bis
dahin bewährten Sitten und Gebräuche, die Geschichten, Lieder und
Gesetzestexte? Nicht nur, dass sie weniger wichtig werden, sie werden direkt
untersagt, ja sogar unter Todesstrafe gestellt. Und warum dies? Hin und wieder
verrennen sich die Menschen in der Sackgasse der Einschätzung des Wertes ihrer
eigenen Neuerungen. Das Neue reguliert dann nicht nur den sozialen Umgang der
Menschen untereinander, das Neue verspricht viel mehr, es wird zu einer Erlösungsbotschaft,
es verspricht ein qualitativ anderes Leben: Alte Ängste werden beseitigt und
auch alte Hoffnungen, weil das Neue das Leben in Fülle verheißt. Alles wird
anders, wenn bloß das Alte vergeht! Modernisierung also auf Teufel komm raus,
fast schon nach dem Motto: „Tirol soll auf jeden Fall zum Silicon Valley des
21. Jahrhunderts werden!“ Und der Schritt zwischen der spontanen Faszination
und der bewussten Politik zur Umgestaltung des Alten ist nicht allzu groß. Die
Nicht-Förderung schlägt allzu leicht in eine direkte Verfolgung um. | 21
| Nun sind die Menschen nicht nur von
einer „profundior et universalior appetitio“, einem tiefen und keine Grenzen
kennenden Verlangen geprägt, dem Verlangen nach einem glücklichen Leben, es ist
ihnen auch die Angst eigen, eine Angst, die den Alltag lähmen kann. Angst, die
die Anpassung als Verhaltensweise fordert oder höchstens eine stille
Distanzierung nahelegt, eine frontale Konfrontation aber zu vermeiden sucht.
Scharenweise übernehmen also Menschen neue Sitten und Bräuche, neue Sprachen
und auch neue Götter (1 Makk 1,43.54). Auf dem Höhepunkt der Modernisierung
wird ja das Götzenbild der Eroberer im Tempel aufgestellt und der altvertraute
Kult blasphemisch verhöhnt. Der Globalisierungstraum der Neuerer nimmt immer
deutlichere Konturen an. Die Macht der Tatsachen fasziniert - und dies nicht
nur die führende Schicht und auch nicht nur den Hohepriester. Fast ein jeder möchte
bei der Gewinnerpartei dabei sein und jeder hofft, dass sein bisheriger Gott
dies auch versteht. | 22
| Und jene, die sich nicht damit
abfinden? Jene, die mit der Entwicklung nicht Schritt halten können, weil sie
zu alt sind oder aber keine Aufstiegschancen sehen? Jene, denen die stille
Distanzierung zu wenig ist? Jene, die laut ihren Protest kundtun und deswegen
auch in die Berge gehen oder sich in der Anonymität der Großstädte verschanzen
und Terroranschläge verüben (vgl. 2 Makk 8,6)? Auch sie wollen ja auf ihre Art
und Weise zu den Gewinnern gehören. Gezielt verwirklichen sie an den Feinden
ihre Racheträume oder aber an jenen, die aus Angst kollaborieren (1 Makk 2,24).
Jene Terroristen und auch Selbstmordattentäter, die sich ihrer Sache so sicher
sind, dass Gott auf ihrer Seite steht, auf der Seite ihres Hasses und ihrer
Gewalt! | 23
| Eine Familie gerät in den Mittelpunkt
der Ereignisse, typische Menschen von der Straße, eine Mutter mit ihren sieben
Söhnen (2 Makk 7). Sie sind weder Helden noch Drückeberger, Menschen wie du und
ich ... Mittelstand. Menschen, die für die Normalität des Alltags sorgen und
trotz aller Sackgassen und Infragestellungen mit diesem Alltag auch zufrieden
sind. Freilich haben auch sie ihre Träume und ihre kleinen Tragödien. Den Tod
des Vaters gab es zu beklagen und vermutlich auch die ihnen immer wieder neu
zusetzende Armut. Auch wenn sie mit ihrem Gott ihre Schwierigkeiten haben, so
leben sie trotzdem eingebettet in die Normalität ihres Alltags. Ihr „Alltagsglaube“
und ihr „Alltagsatheismus“ können oft kaum voneinander unterschieden werden.
Und nun werden sie, ohne dass sie etwas dazu beigetragen haben, in den
Mittelpunkt hineingedrängt. Der Gang der Ereignisse katapultiert sie in eine
Position, die sie sich niemals freiwillig ausgesucht hätten. Sie sollen ihre
Freude mit der neuen Kultur, den neuen Sitten und den neuen Göttern
demonstrativ zur Schau stellen. Sie sollen zeigen, wie glücklich sie sind. „Wieso
gerade ich? Wer bin ich schon? Gibt es da nicht andere, die es besser können,
die eloquenter sind?“ Für solche Fragen gibt es keine Zeit. Die harte Sprache
der Gewalt und nicht die Sprache der Bekenntnisse und schon gar nicht die
Sprache des Dialogs diktiert das Tempo. Mit Geiseln und Riemen wird die neue
Lebenslust eingeimpft; das Leben, das es sich zu leben lohnt, wird ihnen mit
brachialer Gewalt beigebracht. | 24
| Einer von ihnen, der Hitzkopf, glaubt
doch, etwas sagen zu müssen. Er ist der Meinung, den fremden König darauf
aufmerksam machen zu müssen, welcher Widerspruch da vorliegt: die Botschaft von
einem neuen und besseren Leben, von einem neuen besseren Glauben, von den neuen
besseren Göttern auf der einen Seite und diese Infragestellung des Lebens in
seiner elementarsten Gestalt auf der anderen Seite? „Was ist das für ein Leben,
wenn es eingepeitscht werden muss? Wir sind ja doch keine Masochisten!“ Kaum
hatte er angefangen zu reden, schon schnitten sie ihm die Zunge ab; mehr noch,
sie zogen ihm die Haut ab und zerhackten ihn. Und die Mutter und die Brüder
mussten zusehen. Größer konnte der Schock über den Widerspruch zwischen dem
Versprechen eines neuen und besseren Lebens und der Vernichtung jeglichen
Lebens nicht sein. Der neue Gott zeigte seine dämonische Fratze. | 25
| Was hätte denn der Hitzkopf gesagt,
wenn er noch reden könnte? Hätte er dem fremden König, der Gewalt und nur
Gewalt zu kennen scheint und nur noch Brüche und Brüche von seinem Leben erzählt
und von seiner Lebenslust? Hätte er ihn in bester religionspädagogischer Manier
in die Schule seiner Hoffnungsgeschichte mitgenommen und so die vielen Brüche
zu überbrücken versucht? Und zwar dadurch, dass er aus dem Vollen schöpfend erzählt
hätte, wie aus dem Glauben an den lebendigen Gott, den Liebhaber des Lebens
(Weish 11,26), sich leben lässt? Miteinander essen und trinken und auch
miteinander schlafen ... mit Freude und mit Spontaneität! Hätte er von seiner
Globalisierungsvision erzählt, wie gerne er diesen fremden König kennengelernt
hätte ... beim gemeinsamen Mahl aller Völker auf dem Berg Zion, bei dem die
besten Speisen und die erlesensten Weine serviert werden (Jes 25,6-8)? Hätte er
von seiner ersten Liebeserfahrung erzählt, von seiner Freundin und ihren Augen,
gleich denen einer Taube, und dem Haar, das einer Herde von Ziegen gleicht,
wenn sie herabzieht von Gileads Bergen? Von seiner Freundin, deren Lippen wie
rote Becher sind, und von ihrem lieblichen Mund? Hätte er von seiner Sehnsucht
erzählt, wie sie einander suchten, die Gassen, Straßen und Plätze
durchstreiften? Hätte er davon erzählt, wie die Freundin ihn packte und in die
Kammer ihrer Mutter brachte? (Hld) Oder hätte er von den Stunden der Trauer und
des Schmerzes erzählt, als Gott ihm so fremd zu sein schien, dass er nur noch
schreien konnte: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Ps 22). Oder von
den Stunden der Einsamkeit, als er in sich zusammengekauert an die klagenden
Großmütter und Großväter dachte und ihre Klagen seinen Kopf ausfüllten: „Ihr
alle, die ihr des Weges zieht, schaut doch und seht, ob ein Schmerz ist wie
mein Schmerz, den man mir angetan?“ (Klgl 1,12) | 26
| All diese Schritte lassen sich als
Durchbuchstabierung von gelebter Hoffnung in einer ambivalenten Situation
interpretieren. Sie stehen für geerdete Hoffnung, für eine Brücke angesichts
von Brucherfahrung, die anders ist als die Selbstgerechtigkeit des Täters und
das Ressentiment des Opfers. Selbst die Computergeneration hat es inzwischen
erfahren müssen, dass die alltäglichen Haltungen von „Miteinander essen und
trinken und schlafen“ den zerstörerischen technophilen Utopien immer noch am
meisten trotzen können. Hätte also der Bursche, der mit dem gewaltsamen
Kulturimperialismus des fremden Königs konfrontiert wurde, ihm all das erzählt? | 27
| Wir wissen es nicht. Die Sprache der
Gewalt erlaubte nicht einmal diese Klage. Die Macht der Tatsachen ist nun zur
Sprache des Todes geworden. Für die meisten Zuschauer ging freilich die
Rechnung schneller auf, als es ihnen lieb war. Sie unterwarfen sich der Logik
der Gewalt. „Wieso hat er denn angefangen zu reden? Selber schuld! Hätte er
geschwiegen, so wäre er nicht zum Opfer geworden, so hätte er sein Leben
gerettet.“ Doch welches Leben war das noch? Ein neues freilich, eines aber, das
unter dem ständigen Diktat des Todes stand. Ein Leben der reinen
Diesseitigkeit, ein Leben, das durch das „Sein zum Tode“ strukturiert bleibt.
Ein Leben, das nicht aus der Kraft ihres Gottes gelebt wurde, eines Gottes, der
den glimmenden Docht nicht auslöscht und das zerknickte Rohr nicht zerbricht
(Jes 42,3). Es war das Leben, in dem der Tod und dessen Gewaltmechanismen
regierten. Sie vergifteten die Lebensqualität. Mitten im Leben wurden diese
Menschen bereits in der Kultur des Todes begraben. Wie soll man da noch von
Hoffnung reden? | 28
| Angesichts der Herausforderung
exerziert nun diese Durchschnittsfamilie, die übrigen sechs Söhne mit ihrer
Mutter, gemeinsam mit allen anderen Märtyrern der Makkabäerzeit (2 Makk 6,18-31; 2 Makk 7,9-38; 1 Makk 1,60f.; Dan 12,1-4) all die nur möglichen
Auswege durch, wie sie ihre Würde und ihren Glauben an das Leben bewahren kann.
Vom frontalen Hass auf den Gewalttäter und von den Vergeltungswünschen bis hin
zur lähmenden Sprachlosigkeit und wortlosen Klage reicht die Palette, von der
Hoffnung auf die vergeltende Gerechtigkeit bis hin zu den menschlichen
Hoffnungen und Wünschen, dass sie trotz dieser Auslöschung weiterleben können.
Ja, bis hin zu dem kühnsten Bekenntnis, dass sie - obwohl physisch verstümmelt
- weiterleben werden und das Leben durch den Tod hindurch von ihrem Gott
geschenkt bekommen. Doch was ist an dieser Hoffnung subversiv? Nur die Tatsache,
dass es ein Leben nach dem Tod gibt und damit auch Vergeltung und Rache? Wo
liegt da der Unterschied zur Hoffnung der technophilen Philosophen der
Gegenwart, die im Zustand der Unerlöstheit mit all dem Ressentiment und
Rachepotenzial elektronisch verewigt werden wollen? Bevor wir diese Fragen
beantworten, gilt es noch systematisch Folgendes festzuhalten: | 29
| Mit dem Bekenntnis zur Auferweckung
der Toten findet der Glaube an den „Einen und Einzigen Gott“, der der „Einen
Welt“ gegenüber steht, seinen logischen Abschluss. Die Schöpfungstheologie und
die Eschatologie des Deuterojesaja (Jes 40-55) vollenden sich geradezu im
Bekenntnis, dass dieser „Eine Gott“, der die gesamte Wirklichkeit aus Nichts (2
Makk 7,28) erschaffen hat, stärker ist als alle Gewalt und der Tod, und der
deswegen auch die Macht hat, alle Menschen zum Leben zu erwecken und mit ihnen
ins Gericht zu gehen. Erst mit dem Bekenntnis zur Auferweckung der Toten wird
auch jene im Alltag „geerdete Hoffnung“ gefunden, die imstande ist, die gesamte
erfahrbare Wirklichkeit, den Inbegriff der Diesseitigkeit, zu hinterfragen,
sich mit dem Vorhandenen nicht zufrieden zu geben. Doch: Wie soll das Neue
aussehen? Als Umkehrung der Verhältnisse? Dann wäre das Neue nichts anderes als
der Inbegriff des Ressentiments der Opfer und der Selbstgerechtigkeit der Täter.
Die neue Welt wäre trotz aller Neuerungen doch die Kopie der vertrauten
Wirklichkeit. Der Gott, der die Toten auferweckt, würde aber im Verdacht
stehen, bloß Verlängerungsarm menschlicher Wünsche und Handlanger der Opfer und
ihres Ressentiments zu sein. Vermag die akademische Diskussion zur
systematischen Differenzierung im apokalyptischen Eintopf etwas beizutragen? | 30
| | 31
| Mit ihrer Fixierung auf Fragen, die
von den Natur- und Geschichtswissenschaften des 19. Jahrhunderts aufgeworfen
wurden, trägt die gängige akademische Diskussion kaum etwas zur Beantwortung
der hier aufgeworfenen Fragen nach der Erlösung der unerlösten Fronten zwischen
dem selbstgerechten Täter und der ressentimenterfüllten Opfer bei. Die Angst
vor dem Fundamentalismusverdacht provoziert in der akademischen Diskussion gar
eine gewisse „Apokalypse-Blindheit“. Die Bemühung, mit den wissenschaftlichen
Standards der Epoche Schritt zu halten, führte sogar zur Preisgabe biblischer
Traditionen. | 32
| Zum entscheidenden Todesstoß holte
schon Ernst Troeltsch aus. Die moderne naturwissenschaftliche Kosmologie
beseitigt apokalyptische Ängste und Hoffnungen in einem: „Die vor uns stehende
Welt von unsagbarer Größe ist eine andere als die des Siebentagewerks der
Bibel. … An einem bestimmten Punkt sind wir aus der Entwicklung hervorgegangen,
an einem bestimmten Punkt werden wir wieder verschwinden. Mehr sagt die
Wissenschaft nicht. Wie der Anfang ohne uns war, so wird auch das Ende ohne uns
sein. Auf das Religiöse übertragen bedeutet diese Einsicht: Das Ende ist nicht
das der Apokalypse.“17 Welches Ende und welche Apokalypse sind
hier gemeint? Johannes Weiß und Albert Schweitzer gossen mit ihren Thesen zusätzlich
Öl ins Feuer. Ihre Annahme, dass die Predigt Jesu vom Reiche Gottes, ja die
ganze Existenz Jesu nur verständlich ist, wenn man sie auf dem Hintergrund des
nahen Weltendes begreift, stellte die Theologie vor eine anscheinend klare
Alternative. Da Jesus das Weltende erwartet hatte, es sogar erzwingen wollte,
ist doch das Ausbleiben desselben ein klarer Beweis dafür, dass sich Jesus in
diesem Punkt geirrt hat. Will man nun das Christentum retten, muss man
konsequenterweise das apokalyptische Denken verwerfen. Den Weg der Rettung
beschritt man entweder durch die Intensivierung der liberalen Theologie, die in
Jesus bloß eine moralische Autorität sah, oder durch die klare Trennung
zwischen Eschatologie und Apokalyptik. Mit der Preisgabe der Letzteren
zugunsten einer Umdeutung der Ersten ging aber der spezifisch biblische Aspekt
der Differenzierung im „apokalyptischen Eintopf“ verloren. Mit der Diskussion
des sog. „eschatologischen Vorbehalts“ wollte man die zeitliche Differenz
zwischen der in Jesus „schon jetzt“ präsenten und der „noch nicht“
existierenden Herrschaft Gottes in den Griff bekommen. Eschatologie wurde zur
Lieblings-„Black Box“ des 20. Jahrhunderts, die Bibelkritik zur Kritik an der Apokalypse
selbst. | 33
| Im Grunde war es erst Johann Baptist
Metz, der das Thema auf eine umfassendere Art und Weise in die Diskussion
hineinbrachte, vor allem aber die Apokalyptik mit dem modernen evolutionären
Denken kontrastierte. „Sieht man in der jüdisch-christlichen Apokalyptik, die
doch zu Recht als ‚Mutter der christlichen Theologie´ gelten darf, nicht primär
die mythische Bannung der Zeit in ein starres Weltschema, sondern - im
Gegenteil - die radikale Verzeitlichung der Welt, dann ist das Katastrophenbewusstsein
der Apokalyptik fundamental ein Zeitbewusstsein, und zwar nicht etwa ein
Bewusstsein vom Zeitpunkt der Katastrophe, sondern vom katastrophischen Wesen
der Zeit selbst, vom Charakter der Diskontinuität, des Abbruchs und des Endes
der Zeit.“18 So wichtig der Vorstoß war, so wenig ist er hilfreich bei
der Frage nach der „geerdeten Hoffnung“. Angesichts des jahrzehntelang
gepflegten Positionskriegs zwischen den fundamentalistischen Konventikeln, die
die akademische Theologie verwerfen, und der akademischen Theologie, die den
Glauben der Konventikel bloß belächelt oder als gefährlich einschätzt, hilft
die Begriffsdialektik recht wenig. Nimmt man nämlich die Haltung der vom Ende
faszinierten Gläubigen ernst, so müsste man gerade ihnen das Bewusstsein vom
katastrophischen Wesen der Zeit zugestehen. Ein solches Zugeständnis ist aber
immer noch mit keinem kritischen Maßstab verbunden, um zwischen den
legitimerweise zu kritisierenden und den zu akzeptierenden Aussagen
unterscheiden zu können. Welche Bilder und Aussagen, welche Wünsche und Verwünschungen
bei den makkabäischen Märtyrern sind theologisch legitim, welche sind aber als
Projektionen zu qualifizieren? Weil Differenzierungen in der akademischen
Diskussion nicht zur Diskussion stehen, kann die mediale Öffentlichkeit jene „Gerechten“,
die ganz vom Geist des Ressentiments und der Rache erfüllt bleiben, problemlos
zusammen mit den „christlichen Märtyrern“ und den islamischen Selbstmordattentätern
in einen „apokalyptischen Eintopf“ werfen, um das Vorurteil zu nähren, dass wir
das apokalyptische Problem lediglich den Menschen mit einer perversen religiösen
Phantasie verdanken. | 34
| | 35
| Die wissenschaftlich verifizierbare
Tatsache einer möglichen Selbstzerstörung der Menschheit schafft einen neuen
Zugang zu den apokalyptischen Schriften der biblischen Tradition. Der absolut
neue Aspekt, den die akademische Theologie bisher zu wenig beachtet, ist in der
Tatsache zu sehen, dass wir im Unterschied zu früheren Generationen den zerstörenden
Gott gar nicht brauchen, um das Ende denken zu können. Insofern leben wir
wahrhaft in der „objektiv-apokalyptischen Situation“.19 Derart fokussiert
wird man - nicht zuletzt in der Tradition der Hermeneutik eschatologischer
Aussagen, wie sie uns Karl Rahner überliefert hat - aus den biblischen
Apokalypsen nur das herauslesen, was man den vielen Gerichtstexten
alttestamentlicher Provenienz entnehmen kann: Gott richtet, weil er das
Selbstgericht der Menschheit zulässt. Gemäß dieser Logik würden die biblischen
Apokalypsen bloß die Zerstörung der Strukturen menschlicher Ordnung schildern.
Doch sie entspringen nicht einer perversen religiösen Phantasie und stellen
auch nicht bloß historische Zeugnisse einer noch unaufgeklärten Kultur dar; sie
buchstabieren bloß bis zum Ende die Logik der Selbstzerstörung jener
Menschheit, die der Verschleierungsmechanismen beraubt bleibt, ein radikal
neues Verhalten aber ausschließt, weil sie dies nicht will oder dazu nicht fähig
ist. Diese Logik der Selbstzerstörung ist nicht an bestimmte Daten gebunden, sie
bleibt vielmehr eine permanente Möglichkeit.20 Die Übereinstimmung
darüber, dass wir Gott gar nicht dazu brauchen, um die Erde zu zerstören, wirft
konsequenterweise die nächste Frage auf: Ist mit der Beseitigung des zerstörenden
Gottes Gott überhaupt beseitigt? Mit aller Dringlichkeit stellt sich uns nun
neu die Frage nach jener apokalyptischen Dimension im geschichtlichen Handeln
Gottes. Diese Frage soll nun hier durch die Betrachtung des Wirkens Gottes in
der Person und im Geschick Jesu beantwortet werden. Wie sehen also die Konturen
des christlichen Glaubens im „objektiv-apokalyptischen Zeitalter“ aus? Wie ist
die Hoffnung für das 21. Jahrhundert zu buchstabieren gerade angesichts des
technischen Fortschritts und der apokalyptischen Verzweiflung? Wie sehen die
Analogien und Unterschiede zwischen der legitimen christlichen apokalyptischen
Erwartungshaltung und der undifferenzierten Faszination durch ein
apokalyptisches Szenario aus? Durch den Fokus der an der Person und am Geschick
Jesu abgelesenen Hoffnung hindurch betrachtet erscheinen ja die Hoffnungen der technophilen
Zeitgenossen, aber auch die Hoffnung der makkabäischen Märtyrer, schlussendlich
auch die Hoffnungen vieler fundamentalistischer Konventikel erst jetzt in ihrer
ganzen Ambivalenz. | 36
| Wir wollen also die Frage zuspitzen:
War Jesus ein Apokalyptiker? Gar in der Logik der Selbstmordattentäter? Auch
wenn sich Jesus in die biblisch-apokalyptische Tradition stellte, als er die Nähe
des Reiches Gottes verkündete, so hat er doch die entscheidenden
apokalyptischen Erwartungen seiner Umwelt transformiert. Sein Blick in „das
Fenster des lieben Gottes“ scheint nicht von derselben Qualität zu sein wie
jene Blicke, die aus der Verzweiflung kommen und die Hoffnung aus der
Destruktion ableiten. Deswegen auch seine Lebenslust und sein Bild von einem
letztendlich „toleranten Gott“. Dieser sein Gott spricht zwar und er handelt
auch. Aber er lässt auch seine Sonne über Gute und Böse aufgehen (vgl. Mt 5,45). In seinem innersten Wesen ist er kein fanatischer Fundamentalist und
auch nicht ein religiös verkappter Terrorist, der auf das Ende und auf die
Trennung von wahren und weniger wahren Gläubigen drängt und auf die sichtbaren
Kriterien zur Unterscheidung von Menschen besteht. Mit dieser Grundeinstellung
integriert er schon immer alle Menschen in seine Geschichte, auch die sich um
seine Gegenwart so wenig kümmernde heutige konsumfreudige Welt. Mehr noch: Er lässt
auch zu - und dies als konsequente Folge seiner Toleranz -, dass sich sein
inkulturierendes Wort mit dem menschlichen Wort vermischen und auch zur
Unkenntlichkeit entstellt werden kann. Etwa dann, wenn diese Art von Toleranz
mit der Gleichgültigkeit Gottes oder gar mit der Abwesenheit und Nichtexistenz
Gottes verwechselt wird. Da seine göttliche Toleranz aber nicht der Mentalität
der Gleichgültigkeit entspringt, lädt er alle Völker zum Festmahl am Zionsberg
(vgl. Jes 25,6-8) und zum Hochzeitsmahl des Lammes (Offb 19.7), bei dem nicht
nur die Hallelujagesänge erklingen, sondern die feinsten Speisen und auch die
besten, erlesensten Weine serviert werden. Er lässt es aber zu, dass Kulturen,
Völker und Menschen sich dieser Einladung verweigern oder sie auf ihre Art und
Weise verstehen und auch missverstehen. Und er korrigiert die Missverständnisse:
durch die Propheten, die Märtyrer und schlussendlich auch durch den „Mensch
gewordenen Sohn“. | 37
| Auch die apokalyptische Erwartung des
Einbruchs des Reiches Gottes wird von Jesus korrigiert. So lehnte Jesus jedes
zeitliche Wissen und auch jede zeitliche Berechnung ab (Mk 13,32). Damit gab er
der vertrauten Rede von der Nähe einen neuen Sinn. Das Reich Gottes ereignet
sich zuerst in der Erfahrung der persönlichen Nähe Gottes. Es kann immer und überall
einbrechen. Zuerst brach aber das Reich Gottes auf eine singuläre Art und Weise
in der jesuanischen Botschaft und auch in seinem eigenen Geschick ein. Was hat
das zu bedeuten? Die Gegenwart seines Vaters ließ für Jesus selber die Zeit
zusammenrücken. Dies erlaubte ihm, die Grundkonflikte der Menschheit in seinem
eigenen Geschick konzentriert zu sehen. Deswegen wird auch die Annahme oder aber
die Ablehnung Jesu und seiner Botschaft als das entscheidende apokalyptische
Problem zu diskutieren sein. Nicht die zeitliche Spannung zwischen einem
inhaltsleeren „schon jetzt“ in Jesus eingebrochenen und doch „noch nicht“
existierenden Reich Gottes stellt die entscheidende Schwierigkeit der Theologie
und des sog. eschatologischen Vorbehalts dar, sondern die Frage nach dem „Gegenwillen“
von Menschen, die sich auf die Botschaft Jesu nicht einlassen: die Frage nach
dem Ressentiment der Opfer und der Selbstgerechtigkeit der Täter. Auf die
Ablehnung jesuanischer Botschaft reagiert Jesus mit seiner Gerichtspredigt. Was
sagen diese Texte über die apokalyptische Dimension im geschichtlichen Handeln
Gottes aus? | 38
| Jesus transformierte in seiner Lehre
und seinem Geschick nicht nur die Vorstellung vom Einbruch des Reiches Gottes,
sondern auch die populär-apokalyptische Redeweise vom Gericht Gottes. Im
Unterschied zur apokalyptischen (v.a. zwischentestamentlichen) Tradition und
ihrer Schwarz-Weiß-Malerei, zur Vorstellung eines gewaltsamen Gottes, der
Menschen voneinander trennt, die Bösen selber vernichtet oder bestraft und auch
im Unterschied zur Selbstgerechtigkeit der apokalyptischen Seher, die immer
schon wissen, wer ein Agent des Satans ist, aber auch zu der Hoffnung der
makkabäischen Märtyrer, die ihren Henkern den Untergang und die Auferweckung
zum erniedrigenden Gericht wünschten, entspringen jesuanische Gerichtsworte
einer anders gelagerten Logik. Zum einen richten sie sich nicht bloß an Gegner
und Feinde, sondern sie richten sich an alle. So unterbinden sie jegliche
Selbstgerechtigkeit. Zum anderen sind sie durch den Glauben an einen
gewaltfreien Gott der Feindesliebe strukturiert. Dieser Gott kann demnach seine
Gottheit unmöglich durch das zerstörende Handeln offenbaren. Sein Gericht muss
als Selbstgericht einer Menschheit gesehen werden, die sich dem Einbruch des
Reiches Gottes verschließt. Überall, wo dies stattfindet, geschehen jene
Katastrophen, die in den Gerichtsreden angedroht werden. Dort stehen Väter gegen
Söhne und Söhne gegen Väter auf und Völker vernichten sich wechselseitig in
Kriegen. Das Gericht Gottes entpuppt sich als Selbstgericht: Es wird darin
regelrecht geerdet. Es ist letztendlich das Selbstgericht des „homo incurvatus
in se ipsum“, eines isolierten - auf sich selber zurückgeworfenen - Menschen,
jener unerlösten Existenz, die wir bereits in Verbindung mit dem Begriff der Hölle
gebracht haben: „Jeder glaubt sich allein in der Hölle und genau das ist die Hölle.“21
Warum beschreiben aber die biblischen Schriften dieses Gericht als Gericht
Gottes? Zum einen deswegen, weil Gott die geschöpfliche Ordnung geschaffen hat.
Zum anderen aber auch, weil das Offenbarungswort Christi Unheilszusammenhänge,
Lüge und Gewalt aufdeckt. Die unmittelbaren Agenten des Gerichtes bleiben
allerdings die Menschen selber. | 39
| Die Korrekturen apokalyptischer
Traditionen finden nicht nur durch jesuanische Lehre und ihre Praxis statt. Vor
allem verdichtet sein Geschick das apokalyptische Geschehen selbst, aber auch
dessen Transformation. An diesem Geschick kann man nochmals neu und auch tiefer
ablesen, wie das Apokalyptische im geschichtlichen Handeln Gottes verstanden
werden muss. Als das Böse und die Gewalt Jesus selber trafen, hat er nicht zur
Gegenwehr gegriffen. Er hat auch seinen Vater nicht gebeten, seine Gegner
gewaltsam zu vernichten. Im Gegenteil: Er betete für sie. Sein gewaltsames
Geschick hat er sogar im Voraus anders gedeutet und damit auch die Spirale der
Gewalt und Gegengewalt oder das apokalyptische Ressentiment, ja den spezifisch
apokalyptischen Hass zwischen Opfer und Täter durchbrochen. Auch sein Vater
griff nicht gewaltsam ein, um seinem Sohn zu helfen. Dennoch hat Gott sich
eindeutig zu ihm bekannt und ihn aus dem Tod errettet. Für die theologische
Systematik hat diese Erkenntnis der apokalyptischen Dimensionen im
geschichtlichen Handeln Gottes eine fundamentale Bedeutung. Natürlich besagt
sie zuerst: Gott richtet! Doch er richtet, indem er das Böse sich zwischen den
Menschen gemäß der geschöpflichen Ordnung austoben lässt. | 40
| 22 Und das musste sogar sein eigener
Sohn erfahren. Dieser wurde mit all dem Bösen beladen, das die Menschen bei
sich selber nicht sehen wollten. Der gewaltsame Tod Jesu darf demnach heute
weder als ein zufälliges Ereignis gedeutet werden noch als ein Geschehen, das
dem Willen eines zürnenden Gottes entspringt. Die Vorstellung eines zürnenden
Gottes stellt ja die letztmögliche sakrifizielle Reserve dar, die uns vor der
Wahrnehmung der „objektiv-apokalyptischen Situation“ auf eine lügnerische Art
und Weise eigentlich schützt. Nachdem die Tradition diesen Tod in eine
eindeutig positive Verbindung zum Willen Gottes brachte, weil sie den Sohn
durch den Vater selbst dem Zorn anstelle der Sünder auslieferte, manövrierte
sie sich nicht nur in jene Sackgasse hinein, die ihr die Augen vor der
eigentlichen Dramatik der Weltsituation nach dem Tod Christi verschloss. | 41
| Dann aber sagt die Erkenntnis der
apokalyptischen Dimension des Handelns Gottes auch: Gott richtet, indem er
auferweckt! Der Glaube an die Auferweckung stellt einen fundamentalen
Bestandteil apokalyptischer Deutungsmuster dar. Normalerweise fügt sich aber
dieser Glaube in das Klima des apokalyptischen Ressentiments oder gar in das
Schema der Rache der Opfer über die Henker ein. Der legitime Aspekt der
Gerechtigkeit und der Hoffnung, dass der Mörder nicht über sein Opfer
triumphiert, ist in vielen apokryphen apokalyptischen Schriften bis zur
Unkenntlichkeit entstellt. „Auferweckung zur ewigen Schmach“ wird in dieser
Welt der Täuschung und Lüge meistens zur Projektionsfläche eigener
Selbstgerechtigkeit und einer Aggressivität gegen die Feinde, die stärker ist
als der Tod. Die Auferweckung Jesu greift zwar das apokalyptische Motiv auf,
transformiert es aber radikal. Es wird ja jener auferweckt, der den Gott der
Feindesliebe lebte. Damit wird aber die vermeintliche Stärke des Hasses gegen
Gottlose radikal in Frage gestellt. Mehr noch: Dem Gläubigen wird ein klares
Verifikationskriterium bei der Entscheidung Liebe oder Hass, Gewalt oder
Gewaltverzicht vor Augen geführt. Und warum dies? Gemäß der apokalyptischen
Logik des Alten Testaments und der zwischentestamentlichen Literatur bleibt die
Auferweckung der Toten unmittelbar an das Ende der Welt, an das Endgericht
Gottes und auch an den neuen Himmel und die neue Erde gebunden. Erst in diesem
komplexen Geschehen, das in der Zukunft stattfinden wird, soll dem Apokalyptiker
sein Ressentiment in seinem Wahrheitsgehalt bestätigt werden. Was sich auf den
ersten Blick als verführerisch überzeugende Lösung präsentiert, das entpuppt
sich bei einer kritischen Prüfung lediglich als eine Projektionsfläche:
Unbestimmte apokalyptische Hoffnungsfiguren können in ihrer ganzen Ambivalenz
und Janusköpfigkeit durch nichts, aber auch durch gar nichts korrigiert werden.
Deswegen unterscheiden sie sich im Grunde nicht von den genauso
undifferenzierten, ambivalenten und auf ihre Art auch janusköpfigen Erwartungen
und Befürchtungen der oeconomica et electronica religio. Demgegenüber
differenziert das Geschick Jesu die Ereignisse der Endzeit, transformiert damit
auch die apokalyptische Erwartung und sperrt sich gegen beliebige Projektionen.
Weil diese Auferweckung bereits mitten in dieser Geschichte stattfindet, werden
zuerst Liebe und Gewaltverzicht als Gottesprädikate verifiziert, Hass und
Gewalt dagegen falsifiziert. Deswegen werden Christen immer ein Ende der Welt
im rein zeitlichen Sinn und das Ende im Sinne der Endgültigkeit voneinander
unterscheiden müssen. Auch wenn Christus auferweckt wurde, läuft die Geschichte
der Welt weiter. Das Verhältnis reiner apokalyptischer Diskontinuität ist damit
für das christliche Denken unzulässig. | 42
| Diese gerade ausgearbeiteten
Unterscheidungen sind für die Einschätzung der ambivalenten religiösen Ängste
und Hoffnungen jener Menschen, die von der Apokalypse fasziniert sind, von
enormer Bedeutung. Eine Zerstörung von politischen Kulturen, aber auch eine mögliche
Zerstörung der Menschheit oder gar eine Zerstörung unserer Erde und die
Selbstzerstörung kann letztendlich das Ergebnis des Selbstgerichtes der
Menschheit sein. Gottes Gericht würde in diesem Zusammenhang nur im Modus der
Zulassung wahrnehmbar sein. Die Zerstörung ist aber keineswegs identisch mit
der Offenbarung der Majestät Gottes und schon gar nicht mit dem Einbruch des
neuen Himmels und der neuen Erde oder aber dem Eintritt in das Paradies - wie
dies die Selbstmordattentäter zu glauben wagen. Im Gegenteil, wenn Troeltsch
und andere Theologen das naturwissenschaftliche Bild von einem möglichen Ende
der Menschheit gegen die Apokalypse ausspielten, dann übersahen sie, dass
bereits im Geschick Jesu das Apokalyptische in ein real-symbolisches Drama verwandelt
wurde. Deswegen kann auch den Christen kein Hoffnungspotenzial aus der
Erwartung des Endes und der Zerstörung erwachsen. | 43
| Schussendlich zeigt die Auferweckung,
dass auch das Kreuz selbst als Gerichtsgeschehen verstanden werden darf. Es ist
aber ein Gericht, das noch einmal die Hoffnungen auf das apokalyptische Gericht
unterwandert. Selbst die durch das Evangelium des Matthäus (Mt 25,31-46) nahe
gelegte Perspektive von zwei unterschiedlichen Lagern, das der Schafe und das
der Böcke vor dem richtenden Menschensohn, wird in der nachfolgenden Passion
zurechtgerückt. Dort wird der Richter selber gerichtet, er wird zum Opfer
gemacht. Als Opfer kann er den Tätern verzeihen, weil er in ihnen letztendlich
auch bloß Opfer der Sünde sieht. So kann er sich als Opfer mit ihnen
identifizieren, die apokalyptische Scheidung zwischen zwei Gruppen von Menschen
unterlaufen und den Grund für die echt geerdete Hoffnung legen. Die Scheidung
findet nun nicht - wie die zwischentestamentliche Literatur es nahe legt -
zwischen der kleinen Gemeinde der Gerechten und der großen Masse der Satansjünger
statt. Es ist eine Scheidung in den Menschen selber. Als Täter der Sünde stehen
die Menschen in einer Allianz gegen den „gerichteten“ Richter, als Opfer
bleiben sie im Bereich seiner erlösenden Kraft. Durch diese von Christus selbst
vollbrachte Identifikation entsteht der „Leib Christi“. Weil im Grunde alle „homines
incurvati“ in diesen Leib integriert werden, kann die Logik des Selbstgerichtes
und der Hölle nicht das letzte Wort haben. | 44
| | 45
| Es war ein Tag wie jeder andere, und
doch war er es nicht. Und dies nicht nur für jene kleine Gruppe von Menschen,
die an diesem Morgen an die Grenzen ihrer Vorstellungskraft geraten ist. Was
sich an diesem „ersten Tag der Woche“ (Mk 16,2; Lk 24,1; Mt 28,1; Joh 20,1) in
Jerusalem ereignet hat, war so überwältigend, dass nicht nur die unmittelbaren Zeugen
ihr Leben lang um eine adäquate Artikulation des Erlebten gerungen haben. Deren
österliche Augen wurden in den nachfolgenden Jahrhunderten für Millionen von
Menschen zum entscheidenden Fokus für die Wahrnehmung, Deutung und Gestaltung
ihrer Lebensgeschichten. Wie sind aber die österlichen Augen möglich geworden
und was nahmen sie eigentlich wahr? | 46
| Nur die Tatsache des leeren Grabes?
Die kleine Gruppe von Jüngerinnen und Jüngern hat doch die schreckliche
Kreuzigung, das Sterben und die Verzweiflung der Gottverlassenheit gesehen. Sie
haben den leblosen Leichnam vom Kreuz abgenommen, liebevoll gewaschen, pietätvoll
gesalbt und begraben. Damit erklärten sie die Beziehung zu diesem Menschen,
zumindest sofern sich diese auch leiblich verwirklichte, für abgeschlossen, ja
für beendet. Auch wenn sie geglaubt haben sollten, dass in diesem Menschen Gott
in ihrer Gegenwart Gestalt angenommen hat, so hat sie die Erfahrung der
Kreuzigung und auch ihr eigenes Verhalten dabei eines Besseren belehrt.
Deswegen stellte für sie die Tatsache des leeren Grabes höchstens den Grund dar
für Zorn und Panik. Woran konnten sie bei der Tatsache des leeren Grabes
gedacht haben? An Leichenraub und Leichenschändung. Dies würde allerdings bloß
eine Verletzung der Gefühle, die den Trauerprozess begleiten, mit sich bringen.
Noch einmal also die Erfahrung des Bruches! Mehr noch: Es wäre bloß die
Potenzierung dessen gewesen, was sie schon beim Verrat, bei der Auslieferung
und bei der Kreuzigung erlebt haben. Ihr emotionaler Haushalt ist durch die
konfliktuelle Zuspitzung der letzten Tage radikal in eine Krise geraten. Es war
dabei vor allem die beschämende Erfahrung der Feigheit, aber auch der Allianz
mit den Gegnern da: Weil man sich dem Gedanken, dass man auf den Falschen
gesetzt und deswegen auch einige Jahre an Lebensgeschichte verloren hat, nicht
entziehen konnte; weil man von panischer Angst erfüllt wurde, dass die eigene
leib-seelische Integrität durch analoge Auslieferung, Misshandlung und Tötung
zerstört werden könnte; weil all das, was man bis dahin mühsam zu glauben
gelernt hatte - gerade im Hinblick auf den Gott dieses Mannes -, nun brutal
falsifiziert wurde. Solche und viele andere konfliktuelle Zuspitzungen und
Infragestellungen des emotionalen Haushalts brauchen geradezu notwendig den
Leichnam für eine sinnvolle Gestaltung der weiteren Lebensgeschichte, für die
Klärung dessen, was aus früheren Zeiten gerettet, was aber der Vergänglichkeit
preisgegeben werden konnte. Sie brauchen das Grab, an dem man weinen und
fluchen, sich selbst bemitleiden konnte, bis man eben mit der Vergangenheit
versöhnt wird. Das leere Grab allein stellt also nur die Verstärkung der
Brucherfahrung dar und hilft kaum dazu, den Klärungsprozess kreativ zu fördern. | 47
| Wie sind also die österlichen Augen möglich
geworden und was nahmen sie eigentlich wahr? Nur eine Erscheinung? Bei den
radikal verunsicherten, durch Angst voneinander isolierten und auf sich selbst
zurückgeworfenen Menschen sind Erscheinungen bei Gott keine Offenbarungen.
Geister und Gespenster stellen eher die Regel denn die Ausnahme dar und dies,
weil sie die Erfahrung des Bruches verfestigen und dem Bruch selber
entspringen. Sie versöhnen keineswegs mit der Vergangenheit, weder mit sich
selber noch mit den Anderen; im Gegenteil: Nach und nach zerstören sie die
biographische Kontinuität. So wie die Tatsache des leeren Grabes, wenn man sie
isoliert, nur den Bruch potenziert, so auch die Erscheinungen: Die Jünger
meinten zwar zuerst einen Geist zu sehen, fühlten sich dadurch aber noch mehr
in ihrem emotionalen Haushalt bedroht. | 48
| Wie sind diese österlichen Augen also
möglich geworden und was nahmen sie wahr? - lautet immer noch die Frage. Wie
die Bibelwissenschaftler sagen, ist es die Tatsache, dass der Auferweckte
wiedererkannt wird, die zu den entscheidenden Impulsen des Osterglaubens zählt.
Er wird wiedererkannt! Seine Identität und auch Integrität durch den Tod
hindurch wird von anderen Menschen als eine Identität erlebt, die immer noch
gegeben ist. Er wird also wiedererkannt - aber nicht aufgrund seines
Personalausweises, nein! Er wird wiedererkannt - aber auch noch nicht als
derjenige beschrieben, der durch die metaphysisch zu definierenden Bestandteile
seiner Seele und seines Leibes als derselbe zu identifizieren wäre (gemäß den
schulphilosophischen Traditionen soll gerade die - wie auch immer noch zu
definierende - Seele als das Identitätsprinzip gelten: Sie zeichnet für die
Individualität und Unverwechselbarkeit verantwortlich). Er wird wiedererkannt
... Ja, aber schon gar nicht im Kontext eines primär naturwissenschaftlich
orientierten Forschungsprogramms, bei dem man aus der ganzen breiten Palette
der Identifikationsprinzipien zu wählen hat, woran man sich zu halten habe: von
den einfachen biologistischen Kriterien bis hin zu den informationsgenetischen.
Österliche Augen haben mit der Logik der Kryoniker und mit der Illusion einer
elektronisch garantierten Unsterblichkeit gar nichts am Hut. | 49
| Er wird wiedererkannt - so banal es
klingen mag - im Kontext seiner Relationen, seiner vielfältigen Beziehungen also.
Ein solches Ereignis kann kein rein kognitiver Vorgang sein. Wiedererkennen im
Kontext der Beziehung, die radikal zu Bruch gegangen ist, bedeutet nämlich die
Neuaufnahme einer solchen Beziehung, hier: die Neuaufnahme sogar durch den Tod
hindurch. Es muss dies eine Neuaufnahme sein, die den Transformationsprozess
all der Ressentiments und all des Negativen impliziert, diese keineswegs
ungeschehen macht. Nur so ist Kontinuität möglich, eine Kontinuität für Leib
und Seele. Warum ist dies von Bedeutung in diesem spezifischen Kontext? | 50
| Sie haben doch diesen Jesus in ihrem
Leben als eine integrative Persönlichkeit erlebt. Er näherte sich ja jenen, die
ausgeschlossen oder an den Rand gedrängt wurden, den Opfern also, den Sündern
und den Außenseitern, den Kranken, den Schwachen, Kindern und Frauen und holte
sie in die menschliche Gemeinschaft zurück. Er mied aber auch nicht die Häuser
der Geachteten und der als gerecht Angesehenen. Er sprengte die Grenzen und
zeigte, dass sein Gott, sein Vater sich bedingungslos einem jeden Menschen
zuwendet. Welche Konsequenzen zeigte aber eine solche Offenbarung? Anstatt
einer universalen Integration aus der Kraft eines Gottes kam eine universale
Allianz gegen den Offenbarer zustande. Nicht nur die expliziten Gegner Jesu
rotteten sich gegen ihn zusammen. Die Universalität der Ablehnung kann nicht
zuletzt durch den Hinweis auf die Jüngerinnen und Jünger, die im Kontext der
Krise versagen und fliehen, ausgrenzen und verraten, verständlich gemacht
werden. Selbst beim letzten Liebesmahl entlarvte man den Verräter und stieß ihn
aus, weil man ihn gehen ließ in der Überzeugung der eigenen ethischen Überlegenheit
und der Solidarität untereinander: nun ohne das schwarze Schaf. Abendmahl als
eine Gemeinschaft der Verschworenen! Wie schnell zerriss der Schleier einer
vermeintlichen Überlegenheit. Die Verschworenengemeinschaft der Jünger ließ den
Einen dann doch ausgrenzen und verbluten. Sie machte ihn zum Opfer. Und sie
suchte dies auch zu vergessen und zu verdrängen. Man ging ja auseinander auf
der Suche nach neuen Gemeinschaften und neuen Liebesmählern. Wiedererkennen
Jesu nach seiner gewaltsamen Ausgrenzung und dem Tod durch seine Jüngerinnen
und Jünger ist also identisch mit der Wiederherstellung jener Relationen, die
vor dem Tod und der Ausgrenzung die spezifische Identität dieses Einen
ausgemacht haben. Trotz der gewaltsamen Ausgrenzung, trotz der Isolation, die
in den Tod führten, ist er immer noch derselbe; mehr noch: Gerade durch den Tod
hindurch kann er aus derselben Kraft seines Gottes weiterhin die Trennungen und
Ausgrenzungen überwinden und die Erfahrung des Opferseins transformieren. Was
bedeutet das konkret? | 51
| Für diese Perspektive ist es geradezu
konstitutiv, dass die erste Zeugin der Auferweckung, der erste Mensch mit österlichen
Augen, Maria von Magdala ist: die Außenseiterin per excellence! Mich stört die
kirchliche Identifizierung der früheren Hure und der späteren Jüngerin Jesu mit
der ersten Zeugin der Auferweckung keineswegs. Ich finde sie geradezu
sinnkonstitutiv. Die Beziehung durch den Tod hindurch wird durch Jesus auf
dieselbe Art und Weise geknüpft, wie schon damals, als er sie als Außenseiterin
beim Namen ansprach und in die Gemeinschaft der Jüngerinnen und Jünger
integrierte. Jene Person also, die Jesus radikal aus der Position der Außenseiterin
vor seinem Tod erlebt hat, nur sie - die von den Menschen erniedrigt wurde, die
viel geglaubt, wenig moralisiert und sehr viel gelitten hat, weil sie öfter als
die gut sozialisierten Bürger das Zerbrechen ihrer Wünsche und die Brüche in
ihrer eigenen Lebensgeschichte erlebt hat - kann mit einer so elementaren
Handlung etwas anfangen wie die Nennung beim Namen: „Maria!“. So etwas ruft
eine Kraft hervor, die die Grenze des Scheiterns und des Todes überwindet. Er
ist immer noch derselbe, weil er sie beim Namen anspricht, genauso wie früher:
ohne den moralisierenden, erniedrigenden und triumphierenden Beigeschmack. Der
Name steht bei dieser Begegnung für das Programm, einer tiefen leib-seelischen
Beziehung, die auch das Erotische nicht ausklammert (die mittelalterlichen Künstler
haben von dieser Szene sehr viel verstanden, weil sie diese Szene als
Projektionswand für ihre erotischen Wünsche begriffen haben). Der Leib des
Auferweckten wird in dieser Szene geradezu zur Verdichtung jener Leiblichkeit,
die in den unzähligen Berührungen, Heilungen, in den unzähligen
Kommunikationsvorgängen den irdischen Leib Jesu zum Realsymbol der ganzen
Person gemacht haben. | 52
| Neben der Begegnung mit Maria sind es
vor allem die Begegnungen mit den verstörten Jüngern im Abendmahlsaal, die von
Bedeutung sind. Der Auferweckte erscheint dort immer mit einem Friedensgruß und
speist sogar mit ihnen. Der Friedensgruß ist hier mit der bedingungslosen
Schuldvergebung und der Versöhnung identisch. Er, der selber ausgegrenzt und
getötet wurde, er, der zum Opfer geworden ist, erscheint mit einem Wort der
Versöhnung und nimmt am Versöhnungsmahl teil. Er bewirkt Frieden dort, wo der
Friede scheinbar unmöglich ist, angesichts der Grenze des Todes. Der emotionale
Haushalt der Jünger und Jüngerinnen ist durch die konfliktuelle Zuspitzung der
letzten Tage radikal in die Krise geraten. Die österlichen Augen machen nun den
toten Christus nicht lebendig (so etwas wäre identisch mit der Verdichtung
unserer eigenen Wünsche oder unserer Verdrängungsmechanismen). Sie lassen den,
der lebt - und dies trotz des gewaltsamen Versuchs, seine Identität auszulöschen
-, bloß wiedererkennen als den, der genau dasselbe schon vor dem Tod tat und
lebte. So integriert er seine Jüngerinnen und Jünger in seine Lebensgeschichte,
nun sogar durch den Tod hindurch, diesmal wiederum durch seine bedingungslose
Zuwendung und bedingungslose Schuldvergebung und ermöglicht ihnen so auch die
Erkenntnis ihrer eigenen Rolle im Passionsgeschehen. Es ging ihnen nämlich auf,
dass sie zwar selber versucht haben, diese Beziehung für abgeschlossen zu erklären,
dass aber diese Beziehung von ihm nun auf eine neue Art und Weise geknüpft
wurde. Sie wurde neu geknüpft in der gleichen und doch einer neuartigen
leib-seelischen Konstitution. Sie wurde zwar neu geknüpft, aber aufgrund
derselben Kraft, die schon jene Beziehungen zu ihm vor seinem Tod möglich
gemacht hat. Was ist das für eine Kraft? Der Glaube und auch die Theologie
haben dafür eine Metapher (oder aber einen Begriff) bereit: „Gott des Lebens“,
besser noch „Gott, der Liebhaber des Lebens“. Er stellt den Grund dieser Person
dar, also auch den Grund seiner leib-seelischen Einheit. Bei dieser
begrifflichen Fassung des Personenbegriffs wird die Person definiert von ihrem
Ursprung und konkretisiert von ihren Beziehungen her: „Persona divina est
divinae naturae incommunicabilis existentia“ (Göttliche Person sei die
unmitteilbare Existenz der göttlichen Natur) definierte im Mittelalter Richard
von St. Victor. Den Begriff existentia leitete er von ex-sistere ab (ex aliquo
sistere): von einem anderen her in sich selbst sein, von einem anderen her
existieren. Der Grund seiner Identität, der Identität des Gekreuzigten und
Auferweckten, der Grund seines ganzheitlichen Lebens, seiner leiblichen und
seelischen Einheit, und zwar in seinem Tun, vor allem aber auch in seinem
Ergehen: Der Grund dieser Identität liegt nicht in ihm selber. Auch nicht in
der Tatsache seines Opferseins. Christus wird zwar zum Opfer, dieses Opfersein
hat aber keine Definitionsmacht über ihn; er kann der ganzheitliche Mensch
sein, gerade deswegen, weil er sich von einem anderen her begreift und von der
Kraft eines anderen lebt. Und weil er dies auf eine radikale Art und Weise
erlebt und tut, kann er seinerseits ihnen ihre zerbrochene Identität
wiederherstellen. | 53
| Die Erkenntnis der österlichen Augen
bei den Jüngerinnen und Jüngern bedeutet nun die Vollendung des mühsamen (dreijährigen)
Lernprozesses, was es mit dieser Person und seinem Geschick auf sich hat. Es
ist das Bekenntnis zum Gott des Lebens, zum Gott des Liebhabers des Lebens, der
nicht nur die schrecklichsten Sackgassen überwinden und auch die radikalste
Zerstörung der leib-seelischen Integrität noch einmal auffangen kann. Es ist
aber letztendlich kein Gott, der bloß ein Verlängerungsarm menschlicher Wünsche
und Handlanger der Opfer ihres Ressentiments sein würde. | 54
| Wie konnte aber das, was die Jüngerinnen
und Jünger gerade erlebt haben, kommuniziert werden? Welcher Rahmen war
hilfreich, um diese Erlebnisse zu strukturieren? Sie konnten darüber erzählen,
und sie haben auch darüber erzählt. Sie haben aber auch das, was sie erlebt
haben, gefeiert. Die Erinnerung an die Gastmähler, die Jesus mit Sündern, Zöllnern
und Ausgegrenzten und mit den Freunden gefeiert hat, das sogenannte Letzte
Abendmahl und die Erfahrung, dass sie ihm nach dem fundamentalen Bruch der
Auslieferung und des Todes als ein und denselben Meister beim Brotbrechen
wiedererkannt haben (Emmaus-Geschichte Lk 24,13-35), bettet die Perspektive der
österlichen Augen in die Eucharistiefeier ein: in die Liturgie, in ein
dramatisches, intersubjektives Geschehen, bei dem der Auferweckte nicht nur
gedacht, sondern auch geglaubt wird, dessen transformierter Leib sogar
gegessen, also verinnerlicht wird. Eucharistie stellt aber gleichzeitig das
Gegenbild zur Situation der Ausgrenzung, Auslieferung und der Tötung dar. Man
versammelt sich nicht gegen den Ausgegrenzten, sondern um ihn herum. Die
Erfahrung der Viktimisierung wird vergegenwärtigt, aber eingebettet in die
transformierende Erfahrung der Hingabe (des sacrificiums) des Sohnes an den
Vater und an die ihn letztlich viktimisierenden Menschen. Der eucharistische
Leib steht somit sowohl für diesen ganzen Menschen (den getöteten und
auferweckten Christus) da, genau so, wie er für die feiernde Gemeinde steht.
Kirche ist auch Leib Christi: „Alles, was ihr dem Geringsten getan habt, das
habt ihr mir getan.“ (Mt 25,40) | 55
| | 56
| Die „österlichen Augen“ positionieren
die hoffenden Christen in der dramatischen Geschichte. Dank Ostern findet die
fundamentale Scheidung unter den Menschen nicht - wie die
zwischentestamentliche Literatur es nahe legt - zwischen der kleinen Gemeinde
der Gerechten und der großen Masse der Gottlosen statt. Es ist eine Scheidung
in den Menschen selber. Als Täter der Sünde stehen die Menschen in einer
Allianz gegen den „gerichteten“ und auferweckten Richter, als Opfer bleiben sie
im Bereich seiner erlösenden Kraft. | 57
| Aus diesem Grund wird die Dramatik
der Auseinandersetzung nach Ostern nicht abgeschwächt. Im Gegenteil, sie wird
eher verschärft. Schon Paulus spricht von einem Christen, der schlimmer lebt
als die Heiden (1 Kor 5,1-5). Die Zeit nach dem Kommen Christi ist die Zeit der
Kirche. Deren Geschichte ist genauso dramatisch wie das Geschick Jesu Christi.
Auf unterschiedlichen Ebenen wird in ihrem Leben stets neu das errungen, was im
Geschick Jesu grundsätzlich durchgestanden wurde. Da Gott unmöglich sein Reich über
die Freiheit der Menschen hinweg Wirklichkeit werden lassen kann, lässt er zu,
dass die Geschichte weitergeht. Er wird die Geschichte dieser Welt nicht mit
Gewalt beenden. Wohl aber wird er zulassen, dass das Böse sich austobt. Doch
diese Erwartung der Destruktion kann nicht der Grund der Hoffnung sein. Ist sie
es, so degeneriert die christliche Hoffnung zur Erwartung der Rache, entpuppt
sich damit auch als billige Projektion, als der Inbegriff des Ressentiments. In
seinem rettenden Handeln knüpft aber Gott immer wieder dort an, wo die Menschen
gerade stehen. Selbst dort, wo sie Böses tun. Auch in der nachösterlichen Zeit
bleibt also die Dramatik des Gerichts bestehen. Wenn die Menschen aus der Kraft
der Identifikation mit dem Opfer Christus nicht mehr als Anschuldigende,
sondern als Vergebende handeln, so leben sie die geerdete Hoffnung und
verwandeln zusammen mit Christus das ungeheure Potential an Tränen, Flüchen,
Leid und Tod. Dies ist zwar keineswegs die Realpolitik, weder im Staat noch in
der Gesellschaft, noch in den Kleingruppen und auch nicht immer in der Kirche.
Diese bleiben weiterhin trotz der transformierenden Kraft der „österlichen
Augen“ auch durch die Mechanismen der Anschuldigung und der Sündenböcke
strukturiert. Doch dies ist kein Gegenargument gegen den Glauben, dass die
undifferenzierte apokalyptische Logik durch Christus gesprengt wurde, und auch
kein Gegenargument gegen die Hoffnung, dass diese Erlösung auch jedem zuteil
werden kann: dem ressentimenterfüllten Opfer und dem selbstgerechten Täter. | 58
| Deswegen motiviert diese Hoffnung zur
gläubigen Gelassenheit im Alltag. Eine solche Gelassenheit zeigt den nötigen
sittlichen und politischen Ernst, sie zeigt aber auch das Vertrauen auf die
transformierende Kraft göttlichen Handelns im Kontext menschlichen
Selbstgerichtes. Der französische Intellektuelle Léon Bloys wurde gefragt, was
er sich von der Oktoberrevolution erwartet: den Einbruch des Reiches Gottes
oder das totale Desaster und die Katastrophe. Er antwortete: „Ich erwarte die
Kosaken und ich erwarte den Heiligen Geist.“ Analog dazu kann die Kirche
bekennen: Sie erwarte den Tod, den Zusammenbruch der Kultur und auch das Ende
der Welt und sie sieht darin die Folge menschlicher Taten und Untaten. Deswegen
erwarte sie auch oder vor allem das rettende Gericht Gottes. So wollen wir uns zum
Schluss dem zentralen Gemälde des Tryptychons nähern und uns nun die Szene des
letzten Gerichtes mit den österlichen Augen anschauen. | 59
| | 60
| Wir glauben an die Auferweckung der
Toten. Was bedeutet dies in der Logik des Bildes und nicht der Theorie?23
„Auferweckung der Toten“, das ist zuerst der Traum von der Erfüllung
menschlicher Wünsche und auch Ressentiments. Soll die ambivalente Hoffnung der
makkabäischen Märtyrer dort genauso Wirklichkeit werden wie die „destruktive
Erwartung der Selbstmordattentäter“? So weit denken wir meistens nicht. Wir
hoffen zuerst auf die uns allen so wichtige Begegnungsmöglichkeit mit all den
Menschen, die uns Gutes getan haben, mit Vater und Mutter und all den Lieben,
wie es so oft an den Gräbern zu lesen ist. „Auferweckung der Toten“ soll aber
auch die Begegnungsmöglichkeit mit all jenen sein, die sich an uns verschuldet
haben, jenen, die wir verflucht haben und denen wir Vergeltung wünschten.
Normalerweise enden hier die menschlichen Wünsche, jene Wünsche, die von der
ambivalenten apokalyptischen Logik unterstützt werden. | 61
| Aber „Auferweckung der Toten“ ist
doch auch die Begegnungsmöglichkeit mit jenen, an denen wir uns verschuldet haben.
Der Selbstmordattentäter wird nicht nur jenen begegnen, die ihm dankbar waren,
sondern auch jenen, deren Leben er auszulöschen trachtete. Subjektiv gewendet
bedeutet dies nichts anderes als: All diejenigen, die ich beschuldigte, und all
jene, denen ich den Lebensraum zerstört habe, werden auch mit mir konfrontiert.
Wenn das klassische Bild des Letzten Gerichts nun von der Klarheit über gute
und böse Taten gesprochen hat, so wird diese Klarheit vor allem das Verhältnis
von Opfer und Täter in jedem Menschen betreffen. Zugespitzt formuliert: Wenn
schon Hitler und seine Henker mit den Opfern von Auschwitz, Stalin mit jenen
vom Archipel Gulag und die Opfer von Hiroshima mit all den Politikern und
Wissenschaftlern, die ihren Tod verschuldet haben, konfrontiert werden, wenn
uns, den Bürgern der entwickelten Welt, Millionen von Kindern aus den ärmsten Ländern
direkt in die Augen blicken und schließlich auch die Ungeborenen oder die um
ihr Lebensrecht Betrogenen ihr Recht auf Leben einklagen werden, so wird diese
Begegnungssituation erst recht unerträglich, wenn man bedenkt, was nun die
Klarheit über das Problem, bis zu welchem Ausmaß die Täter nur Opfer waren, mit
sich bringt. Welch ein gewaltiges Entschuldigungs- und neues
Beschuldigungsszenario wird da realisiert? Was für eine Wucht an Ressentiment
und auch an lähmender Angst impliziert das Bild? | 62
| Es hat zwei Seiten: All diejenigen,
die mich um mein Recht gebracht haben, die sich an mir verschuldet haben, deren
Opfer ich geworden bin, treten vor mich als Täter. Als ihr Opfer werde ich über
ihre Gerechtigkeit urteilen können, es liegt an mir. Was werde ich fordern?
Vermutlich werde ich auf mein Recht pochen und Vergeltung und Rache verlangen.
Gleichzeitig werde ich aber mit all den Opfern meines Lebens, meiner Lügen,
meiner Anschuldigungen konfrontiert. Sie werden dasselbe Recht mir gegenüber
haben. Auch sie werden vermutlich auf ihr Recht, auf Vergeltung und Rache
pochen; ich aber werde meine Unschuld beteuern, indem ich andere beschuldige
und die mir zugedachte Vergeltung und Rache weitergebe. Ein wahrhaftiger „dies
irae“ - ein Tag des Zornes nach der besten biblischen Tradition - könnte es
werden, wenn es an diesem Tag nur auf uns ankäme und dieses Gericht bloß ein
Selbstgericht sein würde. Dann würde sich die Menschheit ohne das Zutun Gottes
gegenseitig in die Hölle (der Selbstgerechtigkeit, der Anschuldigung, der
Abschiebung und der Lüge) verdammen. Jeder würde auf seinen Opferstatus pochen,
Vergeltung verlangen und die ihm zustehende Vergeltung an die anderen abschieben.
Es wird aber an diesem Tag des Zornes noch eine Konfrontation geben, die von
entscheidender Bedeutung ist, die Konfrontation mit der unermesslichen Güte und
der Vergebungsbereitschaft Gottes. Aus christlicher Perspektive bedeutet dies
nichts anderes als die Begegnung mit dem apokalyptischen Richter der Welt. Das
Bild aus Mt 25 ist in der systematischen Perspektive nun zusammen zu denken mit
dem Bild des Lammes, das geschlachtet wurde und das uns durch die Offenbarung
des Johannes präsentiert wird. Christus ist in seiner Gott-menschlichen
Dimension zu sehen. Die in ihm Gestalt gewordene bedingungslose Vergebung und
Integration seitens Gottes wurde im jesuanischen Leben und Sterben auch
menschlich praktiziert. Sie nahm Gestalt im Friedensgruß des Auferweckten und
beim Brotbrechen an. So wird auch im „Letzten Gericht“ der Mensch Jesus beim
Prozess der Versöhnung Entscheidendes zu sagen haben. Dies schon deswegen, weil
im Namen dieser Güte und Vergebungsbereitschaft in der Geschichte der
Christenheit unzählige Menschen aus diesem Impetus und dieser Kraft heraus die
Bannkreise des Ressentiments und der Anschuldigung durch ihre zuvorkommende
Verzeihung und Güte immer wieder unterbrochen und auch ein Stück verwandelt
haben („Gnadenunterbrechungen“ in der Nachfolge Christi), weil Unzählige im
Gebet, durch Eucharistie und stellvertretendes Tun für die Toten deren
Potenzial an Schuld nicht weitertradiert oder gar vergrößert, sondern im Voraus
für vergeben erklärt haben.24 Und schließlich deswegen, weil
konfrontiert von Angesicht zu Angesicht mit Gott, der uns verurteilen und uns
in der von uns selbst gewählten Hölle lassen könnte, der uns aber durch
Christus bis in diese Hölle des Opferseins begleitet hat und dort noch einmal
den Ausstieg aus dem Teufelskreis von Recht und Vergeltung, von
Selbstgerechtigkeit und Ressentiment gezeigt hat, indem er als Opfer dem Täter
die zuvorkommende Vergebung schenkte, weil konfrontiert also mit dieser
radikalen Vergebungsgnade, kaum einer diese Vergebung verweigern kann und
anachronistisch auf sein Recht und seine Vergeltung pochen wird. Dass diese
Konfrontation „schmerzhaft“ - „wie durch das Feuer hindurch“ - sein wird,
versteht sich angesichts unserer Erfahrung von selbst. Dies ändert aber nichts
an der Hoffnung, dass der Tag des Zornes sich in einen Tag der Vergebung, der
Gnade, der Barmherzigkeit verwandeln wird. | 63
| Erst auf diesem Hintergrund der
Hoffnung auf Verwandlung des menschlichen Ressentiments und der Rachewünsche
bekommen die anderen Hoffnungen ihren eigentlichen - Gemeinschaft stiftenden -
Wert. Dies betrifft sowohl die Hoffnungen der electronica et oeconomica religio
als auch die Hoffnungen der Apokalyptiker. Erst durch diese Versöhnung werden
die elementaren Hoffnungsschritte, die der vor seinem Henker stehende makkabäische
Märtyrer hätte durchexerzieren können, wenn die Sprache der Gewalt nicht
gesprochen hätte, geerdet. Die Situation der „Einen Welt“ ist identisch mit der
objektiv apokalyptischen Situation. Heute brauchen wir den zerstörenden Gott
zur Zerstörung der Welt nicht. Gott als Grund unserer Hoffnung und auch die „österlichen
Augen“ sind dagegen notwendiger denn je, damit die Schicksalsgemeinschaft der „Einen
Welt“ ihr humanes Antlitz bewahrt. | 64
| | 65
| | 66
|
1K. Rahner, Theologische Prinzipien
der Hermeneutik eschatologischer Aussagen. In: Schriften zur Theologie Bd. IV.
Einsiedeln 1962, 401-428.
| 67
|
2Vgl. M. Grönemeyer, Das Leben als
letzte Gelegenheit. Sicherheitsbedürfnisse und Zeitknappheit. Darmstadt 1993.
| 68
|
3Kronenzeitung vom 26. November 2006.
| 69
|
4Zum „dramatischen“ Ansatz vgl. J.
Niewiadomski, N. Wandinger (Hg.), Dramatische Theologie im Gespräch. Münster
2003; R. Schwager, Jesus im Heilsdrama. Entwurf einer biblischen Erlösungslehre.
Innsbruck 1990.
| 70
|
5Marshall McLuhan, Understanding
media. The Extension of Man. With a new introduction by Lewis H. Laphan.
Cambridge/Mass. 1994.
| 71
|
6Der Begriff taucht zum ersten Mal bei
William Gibson in seinem Roman „Neuromancer“ auf (München 1987, 76): „Eine
konsensuelle Halluzination, täglich erlebt von Milliarden von Berechtigten in
allen Ländern, von Kindern zur Veranschaulichung mathematischer Begriffe...
Unvorstellbare Komplexität. Lichtzeilen in den Nicht-Raum des Verstandes
gepackt, gruppierte Datenpakete. Wie die fliehenden Lichter einer Stadt.“ John
Perry Barlow übernahm den Ausdruck von Gibson für die Bezeichnung der Verknüpfung
von Computertechnologie und Telekommunikation und verwandelte damit den Ort der
elektronischen Kommunikation, den man auch als ein die Erde umkreisendes
Wirrwarr von Hightech-Kabeln beschreiben könnte, zu einem Kommunikationsraum.
S. Bollmann, Einführung in den Cyberspace. In: Kursbuch Neue Medien. Hg. Von S.
Bollmann. Reinbek bei Hamburg 1998, 164.
| 72
|
7H. Rheingold, Virtuelle Gemeinschaft.
Soziale Beziehungen im Zeitalter des Computers. Bonn 1994; ders., Virtuelle
Welten. Reisen im Cyberspace. Reinbek bei Hamburg 1995; ders., Die Zukunft der
Demokratie und die vier Prinzipien der Computerkommunikation. In: Kursbuch Neue
Medien. Hg. Von S. Bollmann. Reinbek bei Hamburg 1998, 192-206.
| 73
|
8N. Negroponte, Being digital. New
York 1995, 230.
| 74
|
9Vgl. das Titelbild der Sondernummer
von GEO (1/1995) zum Thema: „Cyberspace“ unter dem Titel: „Das 21. Jahrhundert.
Faszination Zukunft“; stilisiert am Fresco aus der Sixtina von Michelangelo
erschafft dort ein Digitalfinger einen androgynen Menschen; der „Digitalfinger
Gottes“ ist aber nichts anderes als ein Werk des Menschen.
| 75
|
10So der Starphilosoph der Gegenwart
Marvin Minsky; zit. nach: H. Buddemeier, Leben in künstlichen Welten.
Cyberspace, Videoclips und das tägliche Fernsehen. Stuttgart 1993, 110.
Kritisch dazu: K. Müller, Spiritual digital. Theologische Provokationen durch
die Cyber-Religion. In: Medien Markt Moral. Vom ganz wirklichen, fiktiven und
virtuellen Leben. Hg. Von R. Jaobi. Freiburg 2001,117-122, 119.
| 76
|
11Vgl. Cyberzombies. Auferstehen von
den Toten. In: G. S. Freyermuth, Cyberland. Eine Führung durch den
High-Tech-Underground. Reinbek bei Hamburg 1996,137-192.
| 77
|
12R. Girard, Figuren des Begehrens. Münster
1988, 65.
| 78
|
13H. Lindsey, Apokalypse Code. Palos
Verdes/Ca. 1997.
| 79
|
14Die angesprochene Broschüre ist von
den Marienkindern -Patrona Bavariae in Bad Wörishofen herausgegeben. Zur
Herausforderung der fundamentalistischen Religiosität im Kontext der Apokalypse
vgl. J. Niewiadomski, Faszination des Untergangs? In: U. Winkler, W. Achleitner
(Hg.), Gottesgeschichten. FS Gottfried Bachl. Freiburg 1992, 392-409.
| 80
|
15Paradebeispiel dafür ist die von
Tyndal House Publishers in Massen produzierte Buchreihe (die mit Filmen und
Computerspielen ergänzt wird) von T. Lahaye und J. B. Jenkins, Left behind.
| 81
|
16Vgl. V. u. V. Trimondi, Krieg der
Religionen. Politik, Glaube und Terror im Zeichen der Apokalypse. München 2006.
| 82
|
17E. Troeltsch, Glaubenslehre. München
1925 (Nachdruck Aalen 1981),64.
| 83
|
18J. B. Metz, Glaube in Geschichte und
Gesellschaft. Mainz 1992, 152.
| 84
|
19Vgl. R. Girard, Wenn all das beginnt...
Ein Gespräch mit Michel Treguer. Thaur 1997.
| 85
|
20Vgl. J. Niewiadomski, Verdichtung der
Zeit? Dogmatische Überlegungen zur Jahrtausendwende. In: Der Mythos der Zahl -
Das Jahr 2000. Apokalyptik in der Event-Gesellschaft. Frankfurt 2000, 129-144.
| 86
|
21R. Girard (vgl. Anm. 12).
| 87
|
22Vgl. R. Schwager, Erbsünde und
Heilsdrama. Im Kontext von Evolution, Gentechnologie und Apokalyptik. Thaur
1997.
| 88
|
23Die dogmatische Begründung der
folgenden Narration findet sich in: J. Niewiadomski, Herbergsuche. Auf dem Weg
zu einer christlichen Identität in der modernen Kultur. Münster 1999, 167-186.
| 89
|
24Das ist der systematische Ort der
Hoffnung auf die stellvertretende Transformation des Bösen, die auch nach dem
Tod stattfinden kann und die in der Lehre vom Fegfeuer ihren deutlichen
Ausdruck gefunden hat.
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