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Skandal!
(Gedanken zum 26. Sonntag im Jahreskreis 2012 (LJ B))

Autor:Wandinger Nikolaus
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2012-10-18

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Lesungen: Num 11,25-29; (Jak 5,1-6); Mk 9,38-43.45.47-48

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Liebe Gläubige,

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ist das heute nicht ein Evangelium, bei dem einem die Abschlussformel „Frohbotschaft unseres Herrn Jesus Christus“ eher zynisch vorkommt? Was ist denn nur aus dem lieben Jesus geworden, der bereit ist alles zu vergeben und auch uns auffordert zu vergeben? Jetzt ist ihm schon die Verführung allein so fürchterlich, dass er Menschen dafür im Meer ersäufen würde und er seine JüngerInnen dazu auffordert, sich selber zu verstümmeln, um nur ja der Verführung Herr zu werden. Und dazu noch die Drohung mit der Hölle! Besser sich zu verstümmeln und zu überleben als ganz zugrunde zu gehen. Das ist die Logik der Amputation. Wenn Ärzte ein Menschenleben gar nicht mehr anders retten können, dann müssen sie zu diesem äußersten Mittel greifen. Zu Jesus scheint diese Logik so gar nicht zu passen, ganz zu schweigen vom Ersäufen mit Hilfe eines Mühlsteins – egal wofür. Was sollen wir mit diesen Texten machen, die uns Markus als Worte Jesu überliefert? Sie einfach zu ignorieren wird der Bedeutung der Heiligen Schrift nicht gerecht. Ich habe mich daher fürs genauer Hinschauen entschieden und habe dabei ein paar interessante Beobachtungen gemacht.

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Zunächst einmal fiel mir eine andere Stelle ein, wo es um etwas Ähnliches, nämlich um Versuchung, geht: Das Vater-Unser. „Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen“ – heißt es da an Gott gerichtet. Und wenn man das ganz verwegen mit dem heutigen Evangelium zusammenbringt, könnte man sagen „Wenn dich dein Gott in Versuchung führt, dann sag dich los von ihm“ – und dann ist man vielleicht hin und her gerissen zwischen Erschrecken über eine so gotteslästerliche Aufforderung und Verwunderung darüber, wie sie doch zu einer Zeit passt, in der Menschen wieder einmal andere Menschen wegen ihres Glaubens lächerlich machen oder sogar umbringen. Wie ist das also mit dieser Versuchung?

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Beim noch genaueren Hinsehen – nämlich in den griechischen Originaltext – habe ich aber festgestellt, dass zwischen dem In-Versuchung-Führen beim Vater-Unser und dem „Zum-Bösen-Verführen“ des heutigen Evangeliums ein großer Unterschied besteht: Beim Vater-Unser geht es um Versuchung im Sinne von Versuch und Test. Man bittet Gott darum, dass er den eigenen guten Willen nicht schwierigen Testbedingungen aussetzen möge, weil man sich selber seiner eigenen Schwäche bewusst ist und weiß, dass einen nur Gott ganz vom Bösen, das im eigenen Herzen schlummert, befreien kann. Davon ist im heutigen Evangelium nicht die Rede. Da heißt es vielmehr: Wenn dich dein Auge, Hand oder Fuß „skandalisiert“, dann reiß sie aus. Was aber bedeutet es, skandalisiert zu sein, und warum ist das so schlimm?

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Ein kluger Mann – der Anthropologe René Girard – erklärt, was es mit dem Skandal auf sich hat: Man ist dann skandalisiert, wenn man gleichzeitig von einem Vorbild angezogen und abgestoßen wird, weil man gleichzeitig so sein will und es doch ekelhaft findet, so zu sein; und das ist man immer dann, wenn jemand einem als Vorbild dient und zugleich als Hindernis auftritt, das zu erreichen, wofür er oder sie Vorbild ist. Das klingt nun etwas abstrakt. Die Bibel bringt uns aber genügend Beispiele, um es verständlich zu machen.

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Da sind Leute, die im Namen Jesu Dämonen austreiben, aber sie folgen ihm nicht nach. ‚Was bilden die sich eigentlich ein?! Die sollen auch, wie wir Jünger, mit Jesus herumziehen und sich seine Lehren anhören – auch wenn es strapaziös ist!‘ Eigentlich wäre es ja cool, auch so unabhängig zu sein wie die, aber das traut man sich nicht – und schon ist man skandalisiert. Oder erinnern Sie sich an den älteren Bruder des sog. „verlorenen Sohnes“, der brav zu Hause blieb und für seinen Vater schuftet – und als sein Bruder heimkommt, gibt der Vater für diesen Taugenichts ein Fest. Der Ältere beschwert sich mit diesen Worten: „So viele Jahre schon diene ich dir, und nie habe ich gegen deinen Willen gehandelt; mir aber hast du nie auch nur einen Ziegenbock geschenkt, damit ich mit meinen Freunden ein Fest feiern konnte. 30 Kaum aber ist der hier gekommen, dein Sohn, der dein Vermögen mit Dirnen durchgebracht hat, da hast du für ihn das Mastkalb geschlachtet.“ (Lk 15,29f.) Schwingt in dieser beleidigten Anklage nicht auch eine Menge Bewunderung für den mutigen und unabhängigen Bruder mit – und vor allem ganz viel Neid auf dessen vermeintlich geiles Leben in Saus und Braus?

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Nur weil etwas unmoralisch und verwerflich ist, löst es noch keinen Skandal aus. Skandalös wird es erst, wenn es insgeheim und uneingestanden irgendwie selber begehrt und bewundert wird und wir den Schuldigen wegen seiner Tat auch irgendwie beneiden. Die Bibel ist voll von Beispielen für solches Skandalisiert-Sein. Und unsere Zeit ist es erst recht – da finden Sie selber sicher genug Fälle. Aber, warum geht Jesus mit so scharfen Worten gegen dieses Skandalisiertsein vor? Warum ist es gar so gefährlich, dass er sich hier der brutalen Metaphorik von Amputation und Hölle bedient?

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Wohl, weil Menschen, wenn sie sich auf diese Weise skandalisieren, nur allzu leicht in einen Teufelskreis geraten, sich darin immer mehr aufschaukeln und sich so gegenseitig die Hölle bereiten. Wenn jeder der Beteiligten sich von der Empörung des anderen anstecken lässt und über dessen Empörung wieder empört ist und dieser Empörung wieder deutlich Luft machen muss – wohin führt das denn? Da braucht es keinen Gott, der einen in die Hölle wirft, weil man verführ worden ist – sondern der Gott Jesu Christi, der Vater, der dem verlorenen Sohn ein Fest bereitet, zu dem er auch den daheimgebliebenen Sohn einlädt, kann gar nichts machen, wenn sich die beiden Brüder übereinander aufregen und streiten. Stellen Sie sich mal vor, die fangen an sich zu beleidigen, zu beschimpfen, zu schlagen, zu prügeln … – mit jeder Eskalation wird der andere bewundernswerter, weil er so stark und mutig ist, und verdammenswerter, weil er so gemein und aggressiv ist. Jedes Mal muss der eine den anderen dadurch nachahmen, dass er ihn in Aggression übertrifft. Wenn dieser Teufelskreis nicht durchbrochen wird, enden sie beide tot im Staub. Da wäre es besser, wenn einer verzichten würde auf seinen vermeintlich gerechten Zorn – auch wenn es ihm vorkommt, als würde er sich einen Arm abhauen oder ein Auge ausreißen; kurz: als würde er verstümmelt und sich verlieren und der andere würde als strahlender Sieger dastehen. – Vielleicht aber würde der andere dann auch ein Stück nachgeben, ein wenig abrüsten und letztlich würden beide – um ihren Zorn amputiert – hineingehen zum großen Fest ihres Vaters.

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Jesus verwendet so massive Bilder, weil die Sache, um die es geht, uns so an der Wurzel unserer Existenz packt: Wir haben die Wahl zwischen liebendem Leben auf der einen und sich aufschaukelndem, todbringendem Hass auf der anderen Seite; und die richtige Entscheidung verlangt von uns, über den eigenen Schatten zu springen – was uns so schwer fällt wie uns selbst zu verstümmeln. Das einzige, was uns dabei helfen kann, ist die Führung und das Vorbild Jesu, das uns zeigt, dass die Aufgabe dieses Zorns uns eben nicht verstümmelt, sondern uns ganz und heil macht – uns näher zu uns selbst, zu den Mitmenschen und zu Gott führt. Wenn Jesus wirklich unser Vorbild ist, dann kommen wir nie in die Situation, dass er auch Hindernis für uns ist; dann kommen wir nie in die Gefahr, gegen unser Vorbild kämpfen zu müssen.

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Wie gesagt, die Vater-Unser-Bitte redet von Versuchung, nicht von der Skandalisierung. Aber in der Tat könnte man Jesu Warnung vor Skandalisierung auch auf die Religion anwenden: Wenn dich dein Gott dazu verführt, dich zu skandalisieren – egal ob er Christus, Jahwe, Allah, aufgeklärte Vernunft oder persönliche Freiheit heißt –, dann sag dich los von ihm und erkenne, dass du einer Täuschung aufgesessen bist. Denn der wahre Christus, Jahwe, Allah, die wahre Vernunft, Freiheit kommt ohne diese Faszination des Neides und ohne die Aufregung des beleidigten Gerecht-Seins aus; souverän genug die reine Güte und Barmherzigkeit zu sein. Alles andere kommt durch die menschliche Sünde.

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