University Logo

"Ich steh an deiner Krippe hier ..."
(Predigt zum Weihnachtsfest, gehalten in der Jesuitenkirche am 25. Dezember 2012 um 11.00 Uhr)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2013-01-09

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

1
Paragraph Icon

Gut fünfzig Jahre sind es her. Im kleinen Nest, am Ende der Welt, zwanzig Kilometer von der damaligen sowjetischen Grenze, bereitete der Kaplan das Krippenspiel vor - das Krippenspiel, das traditionell am zweiten Weihnachtstag in der Kirche aufgeführt wurde: zur größten Gaudi von Jung und Alt. Der Kaplan verteilte die Rollen, gab Texte auf zum Auswendiglernen und schärfte ein: man solle sich rechtzeitig um Geschenke kümmern. Geschenke für das Jesuskind in der Krippe: von einer Stange Schafskäse bis hin zum lebendigen Huhn sollte die Palette der Mitbringsel reichen. Da ich einer der kleinsten Buben war, fiel mir die Rolle des Waisenjungen zu. Von den Großen an den Rand gedrängt, in schäbigen Kleidern, arm wie die sprichwörtliche Kirchenmaus sollte ich - sollte der Außenseiter - ein Lied anstimmen. Als Geschenk sozusagen. Ziemlich am Ende des Spiels. Das Lied sollte aber mit einer derart krächzenden Stimme angestimmt werden, dass die ganze Horde der Hirten im Stall ins schallende Gelächter ausbrechen sollte. Und der Josef dem armen Waisenkind einen Rüffel erteilen sollte: “Hör doch auf! Das Kind kriegt einen Schock bei diesem Gekreische!” In Tränen aufgelöst stand ich also vor der Krippe. Ein Niemand. Ein Nichtsnutz. Ein absoluter Loser. Einer, der sich eigentlich schämt, dass er lebt. Ein Gossenkind sozusagen. Die Dramatik des Spiels sah den Einzug der Könige vor nach dem beschämenden Auftritt des Versagers. Die Könige mit ihren protzigen Geschenken sorgten für das Aha-Erlebnis bei der größtenteils armen Bevölkerung in diesem gottverlassenen Nest. Die Augen der Kinder leuchteten und auch die Eltern und Großeltern weideten ihren Blick an dem zur Schau getragenen Luxus, dem Luxus, der ihnen niemals zuteil werden wird. Doch war der Auftritt der Könige keineswegs der Höhepunkt des Krippenspiels. Das Muster des Spiels war nicht nach der Logik der Werbung gestrickt, nicht nach Hollywoods-Rationalität und auch nicht nach den Wünschen des sogenannten gesunden Menschenverstandes. Nicht beim Traum vom Aufstieg in eine Glamourwelt endete das Krippenspiel und auch nicht bei der kalkulierten Rankingsmentalität, die sich immer schon eine Stufe höher sieht, mich deswegen immer und immer wieder “außer Atem” bringt. Nein! Das Spiel endete mit einer Unterbrechung all menschlicher Illusionen. Es endete mit der Umkehrung vieler Wünsche und Hoffnungen.
Weil die Rolle Jesu im Spiel unbesetzt blieb - in der Krippe lag ja nur die Figur des Jesuskindes - sorgte die Mutter, sorgte Maria für die Deutung und auch den Höhepunkt des Spiels. Das längst von den großköpfigen, von den ordentlichen Haberer, von den Mächtigen zur Seite gedrängte Waisenkind, das ja nichts aber schon gar nichts geschenkt hat: außer seiner komplexbeladenen, schlichten Anwesenheit, außer seinen erstickten Tränen und auch der Wut auf die anderen, außer dem Ressentiment auf jene, die glänzen, außer dem Neid auf jene, denen alles gelingt, außer dem Ressentiment auf jene, die gesehen und auch anerkannt werden, gelobt werden, dieser Außenseiter wurde am Ende des Spiels von Maria ermuntert nach vorne zu kommen. Im Spiel von damals wurde ich aufgefordert, wurde der schäbig bekleidete Junge gebeten das Kind in seine Arme zu nehmen und den menschgewordenen Gottessohn nach Hause zu tragen. Der Loser stieg also aus dem Spiel als der eigentliche Gewinner aus und dies schlicht und einfach deswegen, weil er als erster die Logik von Weihnachten begriffen hat. Zwar notgedrungen begriffen, aber begriffen! Begriffen, woraus es letztendlich ankommt: Bei der Menschwerdung! Nicht der Aufstieg und schon gar nicht die Spitzenposition, wo einen schon der Höhe wegen die Atemnot plagt. Nicht all das macht in Gottes Augen den Wert des Lebens aus, sondern schlicht und einfach das Leben selbst. Das nackte Leben ohne all die Absicherungen, ohne all die Masken. “Mein Geist und Sinn und Herz und Seel und Mut und alles...” was er mir hat gegeben: all das soll zur Krippe werden für den menschgewordenen Gott. Für das Kind, dessen Lächeln sich im Lächeln eines jeden Menschen widerspiegelt.
Szenenwechsel! Gut fünfzig Jahre später. 25. Dezember 2012. Und der Spielort? Nicht das kleine Nest am Ende der Welt, sondern die “Weltstadt Innsbruck”, gar das Zentrum der Stadt. Hunderte von Menschen..., versammelt vor den Krippen. Jenen Krippen, die der Messner Toni liebevoll aufgebaut hat. Im Seitenschiff der Kirche, aber auch auf dem Hochaltar. Wo ein wackereres Jesuskind seine Hände einladend ausbreitet und den Menschen zuruft: “Freut mich, dass Ihr alle da seid. Jung und Alt, Gebrechlich und Krank, und auch Gesund. Freut mich, dass ihr geeilt seid, gelockt freilich durch die Engelschöre. Engel mit Sopranstimme und auch Bass (die Genderlogik hat sich ja auch im Himmel durchgesetzt), Engel mit Streicher und der “Erzengel Mathias” mit der Orgel. Gelockt durch die Engelschöre, die heute ausgerechnet mit der Missa in C ‘San Giuseppe’ (von J.E. Eberlin) auftrumpfen. Im Grunde also meinem lieben Nährvater Josef zu Ehren singen, der sich ja immer noch Vorwürfe macht, dass er keinen Platz in der Herberge fand.” Das Jesuskind breitet seine Hände aus und ruft uns zu: “Freut mich, dass ihr gekommen seid, ihr Ministranten - ihr Hirtinnen und Hirten, ihr ungekrönte Königinnen und Könige (oder sind auch gekrönte Häupter da? ... Nein! Scheinbar alle zum Weihnachtsbrunch bei Willi und Kathe geeilt). Freut mich, dass so viele Weisen - so viele Gelehrte - aus aller Herrenländer da sind, gerade die Weisen schwäbischer Zunge freuen mich ganz besonders!” Den Vorteil seiner erhöhten Position nutzend sieht das Jesuskind in der Krippe auf dem Hochaltar gar jene, die dem Waisenkind aus dem polnischen Krippenspiel nicht ganz unähnlich sind. Weil sie sich in diesem Stall - in dem kirchlichen Stall des 21. Jahrhunderts - nicht ganz wohl fühlen, sich allzu oft deplaciert vorkommen, weil sie an den Rand gedrängt werden..., durch die großköpfigen Hierarchen. An den Rand gedrängt, angeblich ihrer Lebensführung wegen, oder warum auch immer. Und wie schon seine Mutter im Krippenspiel ruft auch das Jesuskind heute diesen Menschen zu: “Kommt nach vorne. Empfangt. Empfangt mich! Habt nicht das Gefühl, ihr seid Loser im kirchlichen Alltag. Ihr habt ja mich empfangen!”
Anbetend! In der Anbetung verharrend singt und betet heute die Schar der Kirchenbesucher in der Jesuitenkirche: “Ich..., ja ich stehe an deiner Krippe hier, o Jesu du mein Leben. Und ich schenke dir nur das, was ich von dir empfangen habe. Dich heute anschauend und anbetend glaube ich nämlich verstanden zu haben, worauf es ankommt: Dass ich dir zuerst mein nacktes Leben zur Krippe machen darf. Denn: mein Leben, mein nacktes Leben stellt den Ort der Menschwerdung dar.” Liebe Schwestern und Brüder, das Kind, das in der Krippe liegt, deutet eigentlich nur diese eine Wahrheit an. Wenn es im Universum so etwas wie einen metaphysischen Ranking gibt, die Stufenleiter, die es uns allen erlaubt sich zu vergleichen, Urteile über sich selber zu fällen, v.a. aber über andere; wenn es so etwas gibt, wie einen metaphysischen Ranking, dann fällt am heutigen Tag der Gottessohn gewaltig hinunter. Nicht notgedrungen, sondern freiwillig. Freiwillig steigt er etliche Stufen des Rankings herunter: in die Heimatlosigkeit, in die Obdachlosigkeit. Ausgeliefert - so will es die Tradition wissen, jene Tradition, die den Grundnerv der Weihnachtslogik im Kern getroffen hat - dem wärmenden Atem von Ochs und Esel, jenen Tieren also, die im zoologischen Ranking selber ziemlich unten rangieren. Ausgeliefert den Eltern, die mit der Notsituation ziemlich überfordert sind: Weder Maria noch Josef sind ja Aufsteiger des Jahres gewesen und auch nicht die Shooting Stars. Ausgeliefert an das Holz einer Krippe: das Holz, in dem die mittelalterlichen Legenden auch das Holz des Kreuzes gesehen haben. Ausgeliefert an mich, ausgeliefert an uns, die wir im Grunde doch nur die Rolle des Waisenjungen unser Leben lang zu spielen haben. Weil wir uns oft an den Rand gedrängt fühlen, weil wir mit Misserfolgen und Pannen zu kämpfen haben, weil uns der Neid und das Ressentiment unsere Lebensqualität vergiften. Und wir letztendlich, die wir uns oft als Loser erleben, selbst dann als Loser, wenn wir den menschgewordenen Gott mit nach Hause mitnehmen und in unseren Alltag tragen, wir ihn dann doch nur eine Krippe zu basteln vermögen, die mit dem Kreuz identisch wird. Gottes Sohn fällt also am heutigen Tag im metaphysischen Ranking gewaltig hinunter - nicht notgedrungen, sondern freiwillig - ausgeliefert eben an jenen komplexbeladenen und schüchternen Außenseiter, an den an seinen Tränen erstickenden kleinen Niemand, den Nichtnutz, der nicht einmal singen konnte, ausgeliefert an den Waisenjungen, in dem aber die Legende den Simon von Cyrene wiedererkannt hat. Jenen Menschen, der Jesus auf dem Kreuzweg halft sein Kreuz zu tragen. Er trug es so, wie er das kleine Jesuskind in seinen Armen trug: als kleiner Junge.
Liebe Schwestern und Brüder, Weihnachten ist! Gott wurde Mensch. Wir - und der ganze Globus - wir alle feiern das menschlichste aller Feste. Und wir bekennen: “O Jesu Du mein Leben”: an deiner Krippe stehend erkenne ich, dass es im Grunde keine Loser gibt, weil alles, aber gar alles in deinen Abstieg eingeschlossen werden kann. In deine Menschwerdung. Das ist der Grund für einen derartigen Jubel: Weltweit!

© Universität Innsbruck - Alle Rechte vorbehalten
Webredaktion | Impressum

Powered by XIMS