Jus II: Bürgerliches Recht (Franz Gschnitzer), Zivilgerichtliches Verfahren
(Franz Novak), Arbeits- und Sozialrecht (Hans Floretta, Gerhard Schnorr),
Strafrecht (Friedrich Nowakowski)
Franz Gschnitzer hat über vier Jahrzehnte ab 1927 das (österreichische) bürgerliche Recht als Professor vertreten.
Franz Gschnitzer (1899-1968, Sohn eines Mittelschulprofessors, späteren Direktors der Oberrealschule in Innsbruck) hat 1917 am Staatsgymnasium Innsbruck maturiert. 1921 in Innsbruck zum Dr.jur. promoviert absolvierte er postgraduelle Studien in Wien bei Moriz Wlassak und Stefan Brassloff, sowie an der Universität Tübingen bei Max Rümelin, Hans Kreller und Philipp Heck.
1925 in Innsbruck auf Grundlage der von Friedrich Woeß und Karl Wolff begutachteten Schrift „Die Kündigung nach deutschem und österreichischem Recht“ (veröffentlicht in: Iherings Jahrbücher 76 (1928), 317-425 und 78 (1927/28), 1-86) habilitiert wurde er 1927 zum Professor für römisches und modernes Recht in der Nachfolge des nach Wien berufenen Friedrich Woeß ernannt.
Im November 1945 wurde Gschnitzer zum Abgeordneten des Nationalrats (ÖVP), dem er bis 1962 angehören sollte, gewählt. Zwischen 1956 und 1961 wirkte er an der Seite von Bruno Kreisky als Staatssekretär im auswärtigen Amt (zuständig für Südtirolfragen). Für die Periode von 1962 bis 1965 fungierte Gschnitzer als vom Tiroler Landtag entsandtes Mitglied des Bundesrates.
Gschnitzer zählt mit seinem „Lehrbuch des österreichischen bürgerlichen Rechts“ (1963-1968 in sechs Bänden) zu den Protagonisten der Zivilistik des 20. Jahrhunderts. Neben dem zivilrechtlichen Lehrbuch („dem Gschnitzer“) und dem 1954 übernommenen „Klang-Kommentar“ („Kommentar zum Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch“) gelten weitere rechtstheoretische Schriften Gschnitzers mittlerweile als klassisch, etwa: „Schafft Gerichtsgebrauch Recht?“ (1950) oder „Gibt es noch Gewohnheitsrecht?“ (1967) – oder: „Die Aufgabe des österreichischen Privatrechtes“ (1946), „Lebt das Recht nach Naturgesetzen?“, „Sollen wir das Arbeitsrecht kodifizieren?“ (1955), „Geschichte des europäischen Zivilrechts im 19. und 20. Jahrhunderts“ (1960), „Hundertfünfzig Jahre Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch“ (1962) (Vgl. Heinz Barta: Einführung in Werk und Leben Franz Gschnitzers [mit Tabelle zu ausgewählten Lebensdaten], in: Franz Gschnitzer Lesebuch, hrg. von Heinz Barta, Karl Kohlegger und Viktoria Stadlmayer, Wien 1993, 21-78, alle oben angeführten Beiträge finden sich in diesem „Lesebuch“ abgedruckt! - oder Susanne Lichtmannegger: Geschichte des Lehrkörpers der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck, 2 Bände, phil.Diss., Innsbruck 1998, Band 2, 153-161 und zuvor Nikolaus Grass: Professor Gschnitzer als Tiroler Rechtslehrer, in: Der Schlern 1968, 474-478)
Die Wiener Zivilrechtswissenschaft war nach dem Tod von Josef Schey (1938) oder nach dem Tod des noch von den Nazis verfolgten Oskar Pisko (1939) und endgültig nach den Jahren des Faschismus 1945 auf mittlere Sicht marginalisiert. So wie Armin Ehrenzweig bis 1935 von Graz aus das Erbe von Josef Unger, Leopold Pfaff oder Josef Krainz weiterentwickelt hatte, so schien das eigentliche Leistungsniveau nun an die Peripherie zu Gschnitzers Lehrstuhl nach Innsbruck abgewandert zu sein.
Gschnitzer war nach 1945 mit den vom NS-Regime verfolgten und aus seine Innsbrucker Professur vertriebenen Karl Wolff und mit Heinrich Klang maßgeblich an der Rekonstruktion der österreichischen Rechtswissenschaft beteiligt. 1946 legte Gschnitzer eine kleine Programmschrift vor: Die österreichische Zivilrechtswissenschaft muss an die Pionierleistungen von Armin Ehrenzweig und Heinrich Klang anknüpfen, an das Privatrechts-„System“ des 1935 verstorbenen Ehrenzweig und an den von Klang 1926 initiierten rechtspraktischen ABGB-Kommentar. Klang war 1938 als Richter des Oberlandesgerichts entlassen, aus der Wiener Universitätsdozentur vertrieben, enteignet und schließlich 1942 in das KZ-Ghetto Theresienstadt deportiert worden.
In seinem Nachruf auf Heinrich Klang unterschied Gschnitzer 1954 mehrere Perioden der Bearbeitung des österreichischen Privatrechts, die Periode der (naturrechtlich orientierten) ABGB-Kodifikation (Franz Zeiller), die Periode der paraphrasierenden Vormärz-Exegeten (Franz Xaver Nippel), die erst nach 1848 einsetzende historisch-systematische Bearbeitung, hochverdient, wenngleich Josef Unger „das Gesetzbuch in das Prokrustesbett der romanistischen Doktrin“ gezwängt habe, und dann die im späten 19. Jahrhundert einsetzende „von der romanistischen Schuldoktrin“ befreite Fortbildung des von Josef Krainz und Leopold Pfaff begründeten „System des österreichischen Privatrechts“ durch Unger-Schüler wie Josef Schey oder den freirechtlich orientierten Armin Ehrenzweig: „Ehrenzweigs Verdienst ist es, die schwere Krise des österreichischen Privatrechts nach 1918 überwunden zu haben. Allein die Ereignisse nach 1938 schienen das ABGB wieder mit dem, diesmal unvermeidlichen Tode zu bedrohen. – Klang’s persönliches Schicksal wird hier zum Symbol! Und der Zusammenbruch von 1945 lässt die österreichische Rechtsordnung in einer womöglich noch schlimmeren, verwirrteren und hilfloseren Lage zurück, als der von 1918. Ihre Überwindung dankt das Zivilrecht Klang.“ (Vgl. Franz Gschnitzer: Heinrich Klang – seine Bedeutung für das österreichische Privatrecht, in: Franz Gschnitzer-Lesebuch, 515-524)
Wenn Franz Gschnitzer 1966 einen „allgemeinen Teil des bürgerlichen Rechts“ vorlegt, sieht er sich in der Tradition von Armin Ehrenzweigs „System“. Einleitend fügte Gschnitzer einige rechtsphilosophische Bemerkungen gegen den „Positivismus“ ein: „Zum Unterschied von jenen Richtungen, die das Recht nach Sinn und Zweck ausrichten, löst die Reine Rechtslehre von Kelsen es von Zweck und Wertungen völlig los. Recht ist, wie der dieser Schule angehörende Vertreter des österreichischen Privatrechtes Karl Wolff formuliert, ‚das dem Souverän im Rahmen seiner Souveränität Zusinnbare, mag es auch unvernünftig oder ungerecht sein‘. Die Richtung hat sich unstreitig Verdienste um rechtstheoretische Fragen, besonders im öffentlichen Recht, erworben. Dass die Reine Rechtslehre die Zeichen der Zeit erkannte, lehrt die ihr auf dem Fuß folgende Erfahrung (der NS-Jahre – Anm.) am eigenen Leib. Auch der bare Unsinn und das blanke Unrecht von Tyrannen galt als Recht.“ Gschnitzer bediente also die im restaurativen Klima nach 1945 gängige Schelte, wonach ein wertagnostischer Positivismus für die nazistische Rechtsbarbarei (mit-) verantwortlich ist. Gschnitzer bekannte sich zu einem „relativen“ Naturrecht: „Unsere Grundanschauung hat sich nach den bitteren Erfahrungen vom Positivismus und Formalismus abgewendet. Wir sind nicht mehr bereit, alles von der Staatsgewalt Dekretierte als Recht anzusehen. Wir erleben eine Renaissance des Naturrechtes.“ Zwar nicht in Form rationalistisch abstrakter Prinzipien, wohl aber im Sinn von nicht näher qualifizierten kulturgebundenen Werten: „An ihnen ist das positive Recht zu messen und nach dem Ideal eines richtigen, gerechten Rechtes auszurichten.“
Abgesehen davon, dass der 1938 aus „rassischen Gründen“ aus seiner Innsbrucker Professur vertriebene, seit der Befreiung in Wien lehrende Karl Wolff nicht Rechtspositivist im Sinn der Kelsen-Schule war, gab es weiteren Widerspruch, so notierte der Salzburger Romanist Theo Mayer-Maly 1968 in den „Juristischen Blättern“ im Rahmen einer Rezension von Gschnitzers „allgemeinem Teil“: „Das in Gesetzesform gekleidete Unrecht sollte der Reinen Rechtslehre nicht angelastet werden. Es trat mit naturrechtlichem Pathos auf und hat sich nie positivistischer Legitimation bedient, sondern die Redlichkeit der meisten Positivisten durch deren Verfolgung dargetan.“ (Vgl. Franz Gschnitzer: Lehrbuch des österreichischen bürgerlichen Rechts. Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, Wien-New York 1966, 15-17. Vgl. Theo Mayer-Maly, Rezension von Gschnitzers „Allgemeinem Teil“, in: Juristische Blätter 90 (1968), 275-277, vgl. auch Peter Goller: Beiträge zur Geschichte der Rechtswissenschaften an der Universität Innsbruck, Innsbruck 2019)
ZGV: Franz Novak
1960 wurde die Lehrkanzel des zivilgerichtlichen Verfahrens nach der Emeritierung von Erich Sachers (1889-1974) frei. Sachers, in den 1920er Jahren Rat des Landesgerichts Innsbruck, hat sich 1928 in Gießen mit Arbeiten zu den Verträgen „im klassischen römischen Recht“ habilitiert. 1929 zum Professor des Römischen Rechts und Arbeitsrechts an die Universität Graz berufen wurde er nach dem „Anschluss“ 1939 wegen seiner konservativ monarchistischen Haltung entlassen. Vor allem der Innsbrucker Juristendekan Hermann Hämmerle äußerte sich im Mai 1939 wegen Sachers‘ „politischem Katholizismus“ ablehnend zu einer Weiterbeschäftigung. Nach 1945 weitere fünf Jahre in Graz lehrend kam Sachers 1950 als Zivilprozessrechtler an die Universität Innsbruck. Franz Novak wurde Sachers‘ Nachfolger.
Franz Novak (1908-1967), 1949 in Wien habilitiert, „hat als Schüler des bekannten [1938 aus Österreich vertriebenen] Univ.-Professors [Georg] Petschek eine ausgezeichnete Ausbildung in seinem Fach erhalten und dessen feinsinnig kritische Denkungsart übernommen. (…) Besonders soll nur erwähnt werden, dass der Genannte nach dem Tode Klangs dessen Funktion als Herausgeber der ‚Juristischen Blätter‘ übernommen hat.“ (Vgl. Franz Matscher: Nachruf auf Franz Novak, in: Juristische Blätter 89 (1967), 169f.)
Einleitend zu seiner Innsbrucker Antrittsvorlesung erinnert Franz Novak im Herbst 1960 an Anton Mengers „System des österreichischen Civilprocessrechts in rechtsvergleichender Darstellung“ (1876). Novak klagt über die lange Zeit anhaltende Ignoranz der österreichischen Privatrechtslehre gegenüber dem Prozessrecht, die das „Zivilprozessrecht bloß als einen Annex des Privatrechts betrachtet“. Novak plädierte für die eine Weiterentwicklung des Franz Klein’schen ZPO-Reformwerks (1895/98). Nachfolger von Novak wurde 1967 Rainer Sprung (1936-2008). (Vgl. Franz Novak: Die Stellung des Zivilprozessrechts in unserer Gesamtrechtsordnung. Antrittsvorlesung 25. Oktober 1960, in: Juristische Blätter 83 (1961), 64-70 und Franz Novak: Einige Probleme des Zivilprozessrechts, in: Juristische Blätter 86 (1964), 1-17 und 57-68)
Arbeits- und Sozialrecht: Hans Floretta, Gerhard Schnorr
1956 hat sich die Innsbrucker Juristenfakultät um eine Aufwertung der Arbeits- und Sozialrechtslehre in Form einer außerordentlichen Professur bemüht. Im Rahmen vermehrter rechtspolitischer Debatten über Gleichbehandlungsfragen, Fragen des Arbeitskampfrechts („Symmetrie der Kampfmittel“, „Aussperrung“), der („negativen“) Koalitionsfreiheit, der Frage, ob und in welchem Umfang die Gewerkschaften für Schäden im Rahmen von Streiks haften, vor allem aber der Plan einer Kodifikation des Arbeits- und Sozialrechts ließen eine akademische Professionalisierung dringlich erscheinen.
Für die vom Zivilrecht losgelöste Professur des Arbeits- und Sozialrechts nannte die Fakultät im Jänner 1964 den 1953 in Innsbruck bei Gschnitzer mit der Schrift „Der Kündigungs- und Entlassungsschutz im österreichischen und deutschen Arbeitsrecht“ habilitierten Salzburger Arbeiterkammerdirektor Hans Floretta (1923-2009) an einziger Stelle, für den Fall, dass die Stelle im Rang eines Extraordinariats stehen bleibt. Für den Fall, dass das Ministerium die Arbeitsrechtsprofessur zu einem Ordinariat aufwerten sollte, lautete der Vorschlag „unico et primo loco Univ.-Prof. Dr. Theo Mayer-Maly (Köln) und Hans Floretta“. Floretta nahm das Extraordinariat an, wechselte aber schon ein Jahr später 1965 an die Universität Salzburg. (Vgl. Hans Floretta: Autobiographie, in Clemens Jabloner und Heinz Mayer (Hrg.): Österreichische Rechtswissenschaft in Selbstdarstellungen, Wien 2003, 42-55)
Florettas Haltung wird als die der „sozialpartnerschaftlichen“ Zurückhaltung und des „Ausgleichs“ geschildert. Er trat aber gegen die in der österreichischen Rechtswissenschaft weit verbreitete Ansicht von der Injustitiabilität sozialer Grundrechte auf. Soziale Grundrechte sind im Verfassungsrang zu verankern, fordert Floretta. Wünschenswert ist die vollständige Übernahme der Europäischen Sozialcharta, zumal ein solches Vorgehen für Österreichs Arbeiter Vorteile bringt, etwa durch Erschwerung der (fristlosen) Entlassung und durch bessere Absicherung des Streikrechts, da die Streikteilnahme nach der Sozialcharta keinen Bruch des Einzelarbeitsvertrages mehr darstellt. Zahlreiche Arbeiten Florettas zeigen rechtspolitischen und rechtsdogmatischen Einsatz zum Schutz der Lohnarbeiterschaft gegen Entgeltkürzungen, Verschlechterung in Kündigungs- oder Urlaubsfragen, oder bei der Lohnfortzahlung im Fall der Arbeitsverhinderung (Krankheit).
Einen von der Kapitalseite immer wieder eingeklagten besonderen Schutz der „negativen Koalitionsfreiheit“, indem etwa „ein ausdrückliches Verbot eines Zwanges und einer Drohung zum Anschluss an eine Vereinigung“ positiv rechtlich festgeschrieben wird – Franz Bydlinski hat dies gefordert –, lehnte Floretta 1967 ab. Floretta verfocht die fortschrittliche These, dass der „negativen Koalitionsfreiheit“ nicht der gleiche Rang wie der positiven zukommt. Floretta sah in der „negativen Koalitionsfreiheit“ einen Angriff auf das gewerkschaftliche Organisationsrecht.
Nach Florettas Weggang nannte die Fakultät 1965 unter Federführung von Franz Gschnitzer neben dem erstgereihten Gerhard Schnorr den Wiener Wirtschaftskammerbeamten Theodor Tomandl (Jg. 1933) und den Direktor der Pensionsversicherungsanstalt in Wien Albert Nowak (Jg. 1912). Tomandls Studie über „Streik und Aussperrung“ (1965) kam fast durchgehend zu für die Gewerkschaften ungünstigen Schlüssen.
Der 1967 aus Köln berufene Gerhard Schnorr (1923-2003) war zwischen 1947 und 1951 an der Universität Leipzig Assistent bei Erwin Jacobi und Arthur Nikisch, bei denen er an einer Dissertation über „Koalitionskämpfe nach englischem Recht“ arbeitete. 1951 verließ Schnorr die DDR, um in Köln als Assistent bei Hans Carl Nipperdey anzuheuern. Mit seiner Kölner Habilitationsschrift „Das Arbeitsrecht als Gegenstand internationaler Rechtsetzung“ (1960) empfahl sich Schnorr für die Innsbrucker Professur. (Vgl. Gerhard Schnorr: Von mir über mich, in: Arbeitsleben und Rechtsordnung. Festschrift für Gerhard Schnorr zum 65. Geburtstag, hrg. von Oswin Martinek und Gustav Wachter, Wien 1988, XI-XVII)
Kurz nach seinem Innsbrucker Amtsantritt wurde Gerhard Schnorr als Mitglied der vom Sozialministerium 1967 eingesetzten Kommission zur Kodifikation des Arbeitsrechts („Rehor-Kommission“) nominiert. In seiner Innsbrucker Antrittsvorlesung über „Interdisziplinäre Probleme des Arbeitsrechts“ erläuterte Schnorr im Juni 1967 ein Forschungsprogramm zur Harmonisierung der Arbeitsrechtsnormen angesichts der „internationalen Wirtschaftsverflechtungen“, vor allem „innerhalb der EWG“. (Vgl. Gerhard Schnorr: Interdisziplinäre Probleme des Arbeitsrechts. Innsbrucker Antrittsvorlesung vom 2. Juni 1967, in: Juristische Blätter 89 (1967), 593-601)
Strafrecht: Friedrich Nowakowski
Im Herbst 1965 haben österreichische und deutsche Nachrichtenmagazine Listen mit Namen maßgeblicher Juristen mit NS-Vergangenheit, unter ihnen auch „Dr. Friedrich Nowakowski, Universitätsprofessor in Innsbruck und Mitschöpfer des neuen österreichischen Strafrechts“ veröffentlicht. Am 15. September 1965 sollte Friedrich Nowakowski an Justizminister Christian Broda schreiben: „Ich darf ausdrücklich erklären, dass ich mich des freundschaftlichen Verhältnisses mit Dir, so viel es mir bedeutet hat, doch öffentlich nie gerühmt habe. Ebensowenig natürlich an einer Beteiligung an Hinrichtungen.“
Am 5. Dezember 1978 wird das Nachrichtenmagazin „Profil“ im Rahmen eines Berichts über bundesdeutsche Forderungen nach Verjährung von NS-Verbrechen berichten: „Auch in Österreich finden sich Befürworter. In der sonst so katholischen Wochenzeitung ‚Furche‘ forderte der Innsbrucker Rechtsprofessor Friedrich Nowakowski einen kategorischen ‚Schlussstrich unter NS-Verbrechen‘. Er weiß, wovon er schreibt: In den Kriegsjahren 1943/44 betätigte sich der damals 30jährige Jurist im Sondergericht Wien als Ankläger, der ‚Volksschädlinge’ und ‚Wehrkraftzersetzer‘ ins Gefängnis schaffen ließ. Laut nie dementierten Zeitungsberichten soll der heutige Verjährungsfreund auch an 14 Todesurteilen beteiligt gewesen sein, darunter auch an dem gegen den kleinen Einbrecher Karl Czapka, der am 30. März 1943 im Wiener Landesgericht geköpft wurde.“ (Zitiert und referiert nach Wolfgang Neugebauer und Peter Schwarz: Der Wille zum aufrechten Gang. Offenlegung der Rolle des BSA [Bundes sozialdemokratischer Akademiker] bei der gesellschaftlichen Reintegration ehemaliger Nationalsozialisten, Wien 2005, 171, weiter 194, 245, 285. Georg Fürböck und Joachim Riedl: Verjährung für Nazimorde? Ihr letzter Kampf, in: Profil. Das unabhängige Nachrichtenmagazin 9/49 vom 5. Dezember 1978, 49f.)
Friedrich Nowakowskis Einsatz in der faschistischen Justiz wurde innerhalb der Innsbrucker Rechtsfakultät nie politisch diskutiert, allenfalls im Rahmen des üblichen akademisch kleinbürgerlich beengten „Kollegenklatsches“ abgehandelt. Es ist auch keine wirkliche Stellungnahme von Seite des als „Jahrhundertjurist“ angesehenen Nowakowski, des „Chefvordenkers der Strafrechtsreform“, bekannt geworden. Gelegentlich wurde Friedrich Nowakowskis Einsatz zur weltweiten Abschaffung der Todesstrafe und sein Einsatz für ein fortschrittliches Strafrecht als Auseinandersetzung mit der eigenen Biographie gewertet. (Vgl. Friedrich Nowakowski: Die Todesstrafe in Österreich, in: Die Zukunft. Sozialistische Zeitschrift für Politik, Wirtschaft, Kultur 1960/2, 37-41 und 3, 73-77)
Schon im August 1945 legte Friedrich Nowakowski, Schüler des Wiener Strafrechtlers Ferdinand Kadecka, eine politische „Rechtfertigung“ vor: „Vor dem März 1938 habe ich die NSDAP in keiner Weise unterstützt und meine Gegnerschaft nicht verhehlt. Deshalb und insbes. wegen meines Umganges mit jüdischen Kollegen und Hochschullehrern (Prof. Emil Goldmann, Stephan Brassloff) wurde ich wiederholt angegriffen. Seit dem 15.9.1934 war ich Mitglied der V[aterländischen] F[ront] und später Funktionär des österr. Studentenbundes, juristische Fachgruppe, der eine Sammlung der nicht nationalsozialistischen Studenten erstrebte. Nach dem ‚Umbruch‘ ließ ich durch Prof. Goldmann, mit dem ich persönlich und, als er nach Cambridge übersiedelte, bis zum Beginn des Krieges brieflich in Verbindung blieb, im Frühjahr 1939 Prof. Brassloff, der in Not geraten war, finanzielle Hilfe zukommen. Zur NSDAP trat ich nur gezwungen in Beziehung. (…) Im Herbst 1940 wurde ich aufgefordert, um die Mitgliedschaft der NSDAP einzukommen. Ich konnte mich dem nicht entziehen.“ Insgesamt ähnelt Nowakowskis Schreiben dem unzählig anderer Innsbrucker Universitätslehrer nach der Befreiung 1945. Häufig wurden „Entlastungsschreiben“ von katholischen Geistlichen, katholischen Ordensfrauen, von politisch und „rassisch“ Verfolgten vorgelegt.
Verwiesen wurde auch darauf, dass Friedrich Nowakowski 1944 sein Wiener Habilitationsansuchen zurückziehen musste, da der als Militärrichter berüchtigte, seit 1940 an der Universität Wien als Strafrechtsprofessor lehrende Erich Schwinge Nowakowski nicht nur auf persönliche Merkmale abgestellt diffamiert hat, sondern vorrangig im Kriegseinsatz stehende Schüler habilitieren wollte. Im späteren Innsbrucker Verfahren wurde dies im Mai 1947 so festgehalten: Nowakowski hat Ende 1944 auf die Fortführung des Verfahrens verzichtet, weil „sich der damalige Wiener Ordinarius Prof. Schwinge (Strafrecht) aus rein politischen Gründen, nur um seine aus Marburg mitgebrachten Schüler zu begünstigen, weigerte, das Habilitationsgesuch überhaupt in Angriff zu nehmen“. (Vgl. Eintrag „Ein treuer Diener vieler Herren. Friedrich Nowakowski“, in: Hans Weiss und Krista Federspiel: Wer?, Wien 1988, 155f, sowie Karin Bruckmüller und Frank Höpfel: Strafrecht – Brennpunkt im Nationalsozialismus, in: Vertriebenes Recht – Vertreibendes Recht. Zur Geschichte der Wiener Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät zwischen 1938 und 1945, Wien 2012, 351-373)
Im Jänner 1951 wurde dem Ministerium der Besetzungsvorschlag in der Nachfolge des seit 1912 in Innsbruck das Straf- und Strafprozessrecht lehrenden Theodor Rittler übermittelt: „primo loco: Professor Dr. Egdar M. Foltin, secundo loco: Professor Dr. Ernst Seelig, tertio loco: Priv.-Dozent Dr. Siegfried Hohenleitner und Priv.-Dozent Dr. Friedrich Nowakowski“.
Edgar Foltin, bei Rittler 1925 in Innsbruck habilitiert, auch bei Ernst Beling in München ausgebildet, hatte die deutsche Universität Prag in Vorahnung des finalen deutschen Überfalls Ende 1938 verlassen. In den USA lehrte er ab 1939 in Williamsburg, Virginia, und seit 1949 in Pittsburgh, Pennsylvania. Rittler notiert als Fakultätsreferent: „Foltin ist in besonderem Maß mein Schüler und hat seine weitere Ausbildung bei Beling erfahren, der das klassische Strafrechtssystem zur höchsten Vollendung geführt hat. Foltin vertritt dieses System unbeirrt durch die modernistischen Strömungen, die in den letzten 15 Jahren so viel zur Verwirrung der strafrechtlichen Doktrin beigetragen haben.“ Rittlers Hoffnung auf eine Rückkehr von Foltin war aber wenig erfolgversprechend.
Theodor Rittler förderte Friedrich Nowakowski 1951 als Nachfolger trotz der zwischen ihnen liegenden strafrechtsdogmatischen Auffassungen: „Obwohl ich starke Bedenken gegen die [in Nowakowskis Habilitationsschrift ‚Das Urhebergefühl‘] vertretenen Thesen und ihre Fruchtbarkeit hegte und dem Versuch nicht zustimmen kann, das System des Strafrechts ‚subjektiv‘ , d.h. auf den Vorstellungen, Absichten und sogar Gefühlen des Täters aufzubauen, habe ich doch [1948] mit Überzeugung die Arbeit zur Annahme empfohlen, denn sie zeigte ‚die Tatze des Löwen‘.“
Theodor Rittler hatte dies bereits in seinem Gutachten über Nowakowskis Habilitationsschrift „Das Urhebergefühl, ein Beitrag zur Lehre von der Begehung durch Unterlassung, der Gefährdungsschuld und der Beteiligung mehrerer an einem Verbrechen“ am 12. März 1948 näher ausgeführt: „Die Habilitationsschrift befasst sich mit 3 umstrittenen Fragen der Strafrechtswissenschaft, der Begehung durch Unterlassung, der Gefährdungsschuld und der Beteiligung mehrerer an einem Verbrechen (S.1) und versucht, diese Fragen auf ein gemeinsames Schuldproblem zurückzuführen, nämlich das Gefühl der Urheberschaft am Verbrechenserfolg (S. 2). Bei dieser Untersuchung geht N. von der Beling‘schen Tatbestandslehre aus, aber in der charakteristischen Umbildung, die sie durch Kadecka erfahren hat. Als Kern des Verbrechens erscheint ihm der Tatbestand, ‚aber nicht als Geschehnis in der Außenwelt, sondern als Gegenstand der Willensbildung des Täters‘ (S. 5). Nowakowski folgt also der subjektiven Verbrechensauffassung, die der objektiven Tatseite des Verbrechens Eigenwert abspricht und nur die Vorstellungen, Absichten und Gefühlsregungen des Täters als entscheidend betrachtet. Von dieser grundsätzlichen Einstellung aus war es für ihn naheliegend, die Lösung der angeführten Streitfragen in einem rein subjektiven, in der Seele des Täters gelegenen Moment zu suchen. (…) Nowakowski ist der Nachweis seiner These nicht gelungen. Das Urhebergefühl ist nicht geeignet, die Lösung der drei umstrittenen Fragen zu bringen.“ Und Rittler fügt noch hinzu: „Es gibt in der Rechtswirklichkeit Normen für Handlungen, doch keine Normen für Gefühle!“
Mit Blick auf seine begrenzte Loyalität zum Beling-Rittler-System erklärte Nowakowski 1977 in der „Österreichischen Juristen-Zeitung“: „Die Lehre Belings, dass nur Merkmale der äußeren Tatseite unrechtserheblich sein können, war in Österreich bekanntlich noch herrschend, als sie in Deutschland längst fallengelassen war. Ich selbst war einer ihrer letzten Bannerträger. (…) Aber ich habe die Vertretbarkeit anderer Ansätze bald eingeräumt und insb[esonders] [Hans] Welzels Unrechtslehre als folgerichtig und zu erwägen anerkannt.“
In strafrechtsphilosophischen Fragen erklärte sich Nowakowski früh, gerade auch als Mitglied der Strafrechtskommission, tendenziell für neutral, hielt sie aber nicht für völlig bedeutungslos. So merkt er 1957 in der Festschrift für Theodor Rittler unter Bezug auf dessen allgemeinen Teil des Strafrechts an: „In den Gesamtdarstellungen des Strafrechts pflegt geprüft zu werden, welche Bedeutung die Willensfreiheit im philosophischen Sinn, das Auch-anders-Können, für den Aufbau des Strafrechts habe. Auch Rittler befasst sich mit dieser Frage. Er kommt zu dem Ergebnis, der Kriminalist dürfe sich im Streit um die Willensfreiheit neutral erklären. Weder die Grundlegung des Strafrechts noch seine Einzelbestimmungen seien davon abhängig, wie man sich hier entscheide. Aber das wirkt nicht ganz schlüssig. Rittler selbst zeigt, dass der indeterministische und der deterministische Schuldbegriff grundverschieden sind, und hebt Probleme heraus, die sich nur vom einen oder nur vom anderen Standpunkt aus ergeben.“ (Vgl. zu Nowakowskis strafrechtsdogmatischer Entwicklung Viktor Liebscher: Friedrich Nowakowski (1914-1987), in: Juristische Blätter 109 (1987), 508f. - Friedrich Nowakowski: Zur subjektiven Tatseite der Rechtfertigungsgründe (1977), jetzt in derselbe: Perspektiven zur Strafrechtsdogmatik, hrg. von Günther Winkler, Wien 1981, 113-133)
Friedrich Nowakowskis rechtspolitisches und rechtsdogmatisches Werk ist wiederholt gewürdigt worden. (Vgl. Maria Wirth: Christian Broda. Eine politische Biographie, Wien-Göttingen 2011, 224-228 [zum Verhältnis Broda/Nowakowski] und 415-435. So ausführlich im Rahmen eines Innsbrucker Gedächtniskolloquiums von Hans-Heinrich Jescheck: Friedrich Nowakowski als Strafrechtsdogmatiker und Kriminalpolitiker, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Auslandsteil 103 (1991/4), 999-1020)
Nowakowskis sozialdemokratischen Positionen nahestehende Haltung in den langen Jahren der von „weltanschaulich kulturkämpferischen“ Streitpunkten überlagerten Strafrechtsreform von den 1950er bis in die 1970er Jahre kann an Hand zweier seiner Stellungnahmen verdeutlicht werden, – eine 1968 zu einer politisch Hans Klecatsky als Justizminister der ÖVP-Alleinregierung zuzuschreibenden Regierungsvorlage und eine Stellungnahme aus dem Jahr 1971 in den Tagen nach Angelobung der nun ebenfalls mit absoluter Mehrheit ausgestatteten SPÖ-Alleinregierung mit ihrem seit April 1970 nach vierjähriger Unterbrechung wieder amtierenden Justizminister Christian Broda.
Nach Nowakowski war es nachvollziehbar, dass der Regierungsentwurf seines Innsbrucker Fakultätskollegen Klecatsky in liberalen und sozialdemokratischen Oppositionskreisen abgelehnt wird, da er mehr von „weltanschaulich verfestigten Traditionen“ als von „sachbezogenen Erwägungen über die Vor- und Nachteile einer Strafdrohung“ angeleitet ist: „Wer sich dessen bewusst ist, dass Strafdrohungen nur dort eingreifen sollen, wo es der Schutz der Gesellschaft nötig macht, der muss, gleichgültig, wo er politisch und weltanschaulich steht, die meisten der ‚Neuerungen‘ [der Regierungsvorlage 1968] ablehnen, durch die sich die Regierungsvorlage vom Entwurf 1966 unterscheidet.“ An „Gravamina“ führt Nowakowski an: „die Senkung der Verbrechensgrenze“, die „insgesamt 67 Deliktsarten, zum Beispiel jeden Widerstand gegen die Staatsgewalt“ oder jede Mitwirkung am Schwangerschaftsabbruch „zum Verbrechen werden lässt“, – weiters die „darüber hinausgehende, namentliche Qualifikation einzelner Delikte zum Verbrechen“ wie „Gotteslästerung“ oder „Blutschande“, ferner die „bis zur Sinnentleerung betriebene Verzeichnung der allgemeinen Regel über die Strafmilderung und die Einschränkung der außerordentlichen Strafmilderung sogar gegenüber geltendem Recht, der Ausschluss der bedingten Strafnachsicht bei manchen Deliktstypen“, u.v.a.m.
Ende November 1971 sprach Nowakowski vor der rheinisch westfälischen Akademie der Wissenschaften. Bei der Nationalratswahl im Oktober 1971 hatte sich das politische Gewicht weiter zugunsten der nun mit absoluter Mehrheit ausgestatteten Sozialdemokratie verschoben. Bereits die 1970/71 amtierende sozialdemokratische Minderheitsregierung hatte in einer „kleinen Reformvorlage“ die von Nowakowski 1968 vorgebrachten Klagepunkte berücksichtigt. Die neue SPÖ-Alleinregierung „konnte schon am 16. November 1971“ einen neuen Strafgesetz-Entwurf vorlegen: „Damit steht zunächst jedenfalls eine volle Gesetzgebungsperiode zur Verfügung“. Und noch einmal klagte Nowakowski, dass die Regierungsvorlage des Jahres 1966 von konservativen Kreisen in der politischen Auseinandersetzung diffamiert worden war: „Der Strafgesetzentwurf wurde in entstellender Weise in den Wahlkampf [1966] gezerrt. Ein offener Brief, mit dem sich Prof. Rittler dagegen wandte, war vergeblich. Die Wahl des Jahres 1966 brachte das Ende der großen Koalition und die Alleinregierung der ÖVP. Der Entwurf wurde – insbesondere nach Absprache mit der österreichischen Bischofskonferenz – überarbeitet und 1968 als Regierungsvorlage eingebracht.“ (Friedrich Nowakowski: Um das neue Strafgesetz. Gedanken zur parlamentarischen Arbeit an der Regierungsvorlage, in: Die Zukunft. Sozialistische Zeitschrift für Politik, Wirtschaft und Kultur 1968/Heft 21, 22-28 und Friedrich Nowakowski: Probleme der österreichischen Strafrechtsreform. Vortrag vor der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften in Düsseldorf am 24. November 1971, Opladen 1972)
Dokumente im Folgenden: dzt. in Bearbeitung
- Habilitationsgutachten über F. Gschnitzer 1924
- Berufungsvorschlag nach F. Woeß (ernannt F. Gschnitzer) 1926/27
- Berufung Zivilgerichtliches Verfahren (ernannt F. Novak) 1960
- Berufung Arbeitsrecht (ernannt H. Floretta, dann G. Schnorr) 1964-1966
- Berufung Strafrecht nach Th. Rittler (ernannt F. Nowakowski), 1951