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21.06.1946, Entscheidung für Nordrhein-Westfalen. Protokoll der Sitzung des Overseas Reconstruction Committee


21.06.1946, Entscheidung für Nordrhein-Westfalen. Protokoll der Sitzung des Overseas Reconstruction Committee

Sitzung. Kabinett. Overseas Reconstruction Committee. „Ergebnisse des Treffens in 10 Downing Street SW 1 von Freitag, 21. Juni 1946, 11.30 Uhr. " Tagesordnungspunkt 2: „Deutschlandpolitik ". Ge-heim, Kopie Nr. 64. Anwesend: C. P. Attlee, Premierminister (Vorsitz); H. Dalton, Finanzminister; J. B. Hynd, Chancellor of the Duchy of Lancaster; E. Shinwell, Energieminister; Lord Nathan, Parlamentarischer Unterstaatssekretär im Kriegs-ministerium. Folgende Personen waren ebenfalls anwesend: A. Barnes, Transport-minister; P. J. Noel-Baker, Staatsminister; H. A. Marquand, Außenhandelsmini-ster; J. Dugdale, Parlamentarischer Staatssekretär in der Admiralität, für Finanzfra-gen zuständig; Edith Summerskill, Parlamentarische Staatssekretärin im Ernäh-rungsministerium; Sir Orme Sargent, Staatssekretär im Foreign Office; E. L. Hall-Patch. Protokollführer: Sir Norman Brook, C. G. Eastwood, Major J. A. M. Phillips.

Der Ausschuß beriet als erstes über die Zukunft des Ruhrgebietes und Westdeutsch-lands.z
Nach kurzer Diskussion beschloß der Ausschuß, daß
(1) die Regierung Seiner Majestät an ihrer Auffassung festhalten solle, wonach das Ruhrgebiet Teil Deutschlands bleiben solle und bat den Außenminister, auf die Vor-stellungen des britischen Botschafters in Paris entsprechend dem Memorandum O. R. C. (46) 523 zu antworten;
(2) daß das Rheinland politisch nicht von Deutschland abgetrennt werden solle, aber auf Dauer von französischen Truppen und Truppen anderer Alliierter (aller-dings ohne russische und britische Truppen) besetzt werden könne;
(3) das Saargebiet in das Wirtschaftssystem Frankreichs eingegliedert werden kön-ne.
Der Ausschuß beriet dann über den Vorschlag des Außenministers (O. R. C. (46] 41),4 daß, im Vorgriff auf eine Viermächteentscheidung bzgl. der internationalen Kontrolle der Ruhrindustrie, die britische Regierung folgende Schritte unternehmen solle, nämlich
(i) in Westdeutschland ein neues Land zu errichten, das das Ruhrgebiet einschließe;
(ii) daß in diesem Land ein kleineres Gebiet ausgewiesen werde, das die wichtigsten Industrien an der Ruhr enthalte, in dem dann die vorgesehene internationale Kon-trolle ausgeübt und die internationale militärische Besetzung durchgeführt werde; und
(iii) den britischen Oberbefehlshaber zu ermächtigen, die Ruhrindustrie in der glei-chen Weise zu beschlagnahmen, wie er das bereits mit den Bergwerken getan habe, wobei er gleichzeitig erklären solle, daß eine endgültige Entscheidung über ihre Zu-kunft noch zu treffen sei, sie aber auf keinen Fall ihren ehemaligen Besitzern zurück-gegeben würden.
Die Diskussion konzentrierte sich auf die Frag"ach den künftigen Grenzen des vorgeschlagenen neuen Landes. Der Chancellor of the Duchy of Lancaster sagte, obwohl sich die britischen Vertreter in Deutschland für das größere Land, entspre-chend dem Vorschlag im Memorandum O. R. C. (46) 41 ausgesprochen hätten, ha-be er selbst Zweifel, ob es politisch klug sei, ein so großes Land zu schaffen. In dem neuen Land, das der Außenminister vorschlage, würden 50 % der Bevölkerung der britischen Zone leben und es könnte ein zweites Preußen im Westen werden. Vor al-lem befürchte er, daß die Industriellen und Kapitalisten an der Ruhr überall in die-sem Land einen beherrschenden politischen Einfluß ausüben würden; denn selbst wenn sie ihre wirtschaftliche Macht verloren hätten, würden sie immer noch mit Hilfe der Katholischen Demokratischen Parteis großen politischen Einfluß ausüben. Schleswig-Holstein und Hannover, die zwei anderen Länder in der britischen Zone, würden nicht stark genug sein, um gegenüber dem neuen Land ein entsprechendes Gegengewicht zu schaffen. Er plädiere daher dafür, die beiden Provinzen Westfalen und Nordrhein zu erhalten, aber die Provinz Nordrhein um die Gebiete bis ein-schließlich Bochum und Dortmund zu erweitern.
Dem wurde entgegengehalten, daß es bei der Errichtung des vom Außenminister vorgeschlagenen großen Landes weniger Probleme mit bestehenden Grenzen und Traditionen geben werde. Was die Realisierbarkeit angehe, so sei es leichter, zwei bestehende Gebiete zusammenzuschließen, als neue Gebiete zu schaffen, wobei dann bestehende Grenzen verändert werden müßten. Das größere Gebiet würde auch eher den Vorstellungen der französischen Regierung hinsichtlich der Zukunft West-deutschlands entsprechen. Und mit Blick auf die zukünftige finanzielle Belastung der britischen Staatskasse gebe es gewichtige Argumente, die für6 ein großes Gebiet sprächen. Im Hinblick auf die politischen Überlegungen von Hynd wurde die Mei-nung geäußert, daß dadurch, daß die Kapitalisten an der Ruhr ihre Wirtschafts-macht eingebüßt hätten, dies auch dazu führen könne, daß die Katholische Demo-kratische Partei in diesem Gebiet an Einfluß verlieren werde. Im Ausschuß war man allgemein der Meinung, daß es in jedem Fall unsicher sei, sich bei der Festlegung von Landesgrenzen zu sehr von möglichen Ergebnissen zukünftiger Wahlen in Deutsch-land leiten zu lassen.
Der Ausschuß wurde dann darüber informiert, daß die Stabschefs bei jeder interna-tionalen Kontrolle des Ruhrgebietes Bedenken hatten, an der sowjetische Truppen teilnehmen würden. Falls eine internationale Ruhrkontrolle vorgesehen sei, würden sie daher dafür plädieren, das in Frage kommende Gebiet so klein wie möglich zu halten. Sollten die Minister den vom Außenminister vorgelegten Plan zur Errich-tung eines neuen Landes in Westdeutschland billigen, bäten sie darum, falls das möglich sei, Sicherheiten einzubauen, damit die Anwesenheit sowjetischer Truppen auf dem westlichen Rheinufer verhindert werde.
Der Premierminister wies darauf hin, daß es entsprechend den Vorstellungen des Außenministers als erstes um die Schaffung eines neuen Landes gehe, noch vor einer Entscheidung hinsichtlich der künftigen internationalen Kontrolle der Ruhrindu-strie. Insofern sei es nicht nötig, Fragen, die mit der Stationierung sowjetischer Truppen in diesem Gebiet im Rahmen einer internationalen Kontrolle zusammen-hingen, im gegenwärtigen Stadium zu beraten.
Der Ausschuß
(4) war sich einig, daß die Vorteile, die für die Errichtung des neuen, großen Landes durch Zusammenschluß der bestehenden Provinzen Westfalen und Nordrhein sprä-chen, - entsprechend dem Vorschlag des Außenministers - überwogen;
(5) billigte die Vorschläge für die Errichtung des neuen Landes in Westdeutschland, entsprechend den SS 12 und 13 im Memorandum O. R. C. (46) 41;
(6) stimmte zu, daß der britische Oberbefehlshaber unverzüglich ermächtigt werden solle, die Schlüsselindustrien an der Ruhr entsprechend den in 5,14 des Memoran-dums O. R. C. (46) 41 gemachten Vorschlägen zu beschlagnahmen.

(PRO, CAB 1341595.0. R. C. (46) 9.)