Antisemitismus von Schönerer bis Hitler
Dokument 1
Vorarlberger Volksblatt, 23. 11. 1918
Dokument 2
Flugblatt: Forderungen des Tiroler Antisemiten-Bundes vom 30. November 1919 in Innsbruck
Dokument 3
Hirtenbrief von Bischof Johannes Maria Gföllner, Linz, 23. Jänner 1933 (Auszug)
Dokument 4
Bericht des SD-Unterabschnitts Wien vom 18. November 1938 über den Verlauf des Pogroms (Auszug)
Vorarlberger Volksblatt, 23. 11. 1918
Die dunklen Gestalten der Semiten haben im Kriege die Christen kulturell und wirtschaftlich schmählich betrogen, hunderte von Millionen aus blutigen Volkskreuzern als Kriegsgewinn eingestrichen, als Unentbehrliche und Enthobene in den Zentralen gearbeitet, als Tachinierer in der Etappe und im Hinterlande die Kriegsjahre verbracht und manchen Ärger der Frontkrieger durch ihren Handel und Wandel erregt: jetzt will der Jude durch sein gewissenloses Treiben gegen Thron und Altar die allgemeine Aufmerksamkeit von seinen Kriegstaten ablenken, in der allgemeinen Verwirrung seinen Mammon in Sicherheit bringen, sowie zu den Kriegsgewinnen Revolutionsgewinne häufen. [...] Nicht der Kaiser in Eckartsau ist uns im Wege, sondern die Juden bei der Regierung in Wien, bei allen Ämtern und in allen Zentralen sind uns ein Dorn im Auge. [...] Deshalb schaudert uns von Wien aus regiert zu werden. [...] Los von Wien! Dieser Ruf wird, es ist kein Wunder, Tag für Tag lauter und in weitesten Kreisen erhoben.
Zit. n. Werner Dreier, Vorarlberg und die Anschlußfrage, in: Thomas Albrich/Klaus Eisterer/Rolf Steininger (Hrsg.), Tirol und der Anschluß. Voraussetzungen, Entwicklungen, Rahmenbedingungen (Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 3), Innsbruck 1988, S. 191 f.
Flugblatt: Forderungen des Tiroler Antisemiten-Bundes vom 30. November 1919 in Innsbruck:
Der Tiroler Antisemiten-Bund sieht mit Schmerz auf die entsetzliche, wirtschaftliche und politische Lage unseres deutschen Volkes in Österreich. Er geht von der Überzeugung aus, daß unser Volk nur durch eine gründliche nationale Reinigung und Erhebung einer wahren Selbstbestimmung nach innen und nach außen entgegensehen kann. Der jüdische Zersetzungsgeist wurde im Kriege vom Hinterland an die Front verpflanzt, untergrub das Vertrauen in den Sieg, in die Führung, und führte so die Niederlage und die Katastrophe herbei. Jüdisch-bolschewistische Elemente haben aus der Revolution Nutzen gezogen und haben sich in alle öffentlichen Stellen eingenistet und verbreiten von dort das Gift des Judengeistes. In der Regierung, im Handel, im Gewerbe, in den Universitäten und im Theater und in der Kunst und in der Presse drängt sich das Judentum in der unverschämtesten Weise vor. Das deutsche Volk hat die politische Führung an die Juden verloren und damit seine Selbstbestimmung. Der Tiroler Antisemiten-Bund hat die Absicht, das Volk über seine wahre Lage aufzuklären und ihm jene sittliche Kraft zu geben, geschlossen gegen das glaubens- und rassefremde Element aufzutreten und seinen Machtbereich nur auf die ihm zukommende Zahl einzuschränken. Wir wollen nicht länger zusehen, wie unser Volk von Tag zu Tag immer tiefer sinkt, wie es in seiner schweren Niederlage von der jüdischen Presse belogen, von jüdischen und judenfreundlichen Politikern irre geführt und von jüdischen Händlern ausgesogen wird. Wir sehen die Krankheit der Zeit in dem übermäßigen Einfluß des Judentums und sind entschlossen, gegen diesen Schädling unseres Volkes zu Felde zu ziehen. Als sichtbaren Ausdruck unseres Willens erlauben wir uns, der Regierung einige uns unumgänglich notwendig erscheinende Forderungen der Zeit zu überreichen. Unsere Forderungen lauten:
1. Erklärung der Judenschaft als Nation.
Als Juden rechnen wir alle diejenigen, bei denen auch nur ein Vorfahre in den letzten drei Geschlechterfolgen Jude gewesen ist. Der jüdisch-nationale Abgeordnete Robert Stricker selbst hat in der Nationalversammlung die Forderung nach Erklärung der Judenschaft als Nation aufgestellt. Wir begründen sie damit, daß der Judenschaft als rassefremdem Volke nicht jene Macht und jener Einfluß in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht zukommen darf, den sie gegenwärtig genießt. Die Judenschaft hat nur den Anspruch auf nationale Minderheitsrechte im Staate. Wir verlangen, daß die Erklärung der Juden als Nation bis zu der am 31. Dezember 1919 stattfindenden provisorischen Volkszählung durchgeführt ist. Die Zusammenfassung der Juden als nationale Minderheit erfordert die Aufhebung und Neufassung des im Jahre 1782 erlassenen Judenemanzipations-Gesetzes, das aus der Zeit des Absolutismus stammt.
2. Das strengste Vorgehen bei der Erteilung des Heimatsrechtes an Juden, Überprüfung aller seit August 1914 erteilten Heimatsrechte und strenge Kontrolle der Einreise.
Wir sind von dem stark schädlichen Einfluß des Judentums auf unsere Bevölkerung so überzeugt, daß wir es für notwendig halten, den Juden den Zugang in unser Land mit allen möglichen Mitteln zu verwehren. Wir glauben uns hiezu umsomehr berechtigt, als auch die Engländer, eine der anerkannt größten Kulturnationen, den Deutschen die Einreise nach England verweigern.
In Innsbruck ist es durch die Errichtung einer Warenbörse doppelt geboten, einen drohenden Zustrom von Juden abzuwehren.
3. Verweigerung von Gewerbekonzessionen und Gewerbeberechtigungen, insbesondere des Vieh- und Holzhandels.
Zur Ausschaltung der stets über Hand nehmenden Schmutzkonkurrenz jüdischer Gewerbetreibender und zum Schutze des heimischen Gewerbes ist es notwendig, bei Erteilung neuer Konzessionen und Gewerbeberechtigungen rassefremde Elemente auszuschließen.
4. Unzulässigkeit des Ankaufes von Grund und Boden und Häusern durch Juden, ebenso von Wasserkräften, von Schürf- und Jagdrechten und deren Pachtung durch Schaffung eines Landesgesetzes; ferner Unzulässigkeit jeder Verkaufsvermittlung durch Juden und Unzulässigkeit der Begebung von Hypotheken an Juden. Schaffung einer Vorkaufspflicht der Gemeinden und des Landes.
In allen nationalen Kämpfen ist es die Grundbedingung, den Bestand an nationalem Bodenbesitz unangetastet zu erhalten. Es war, wie die Geschichte in Rußland, Polen und Ungarn zeigt, stets die Gepflogenheit der Juden, sich an die Bauernschaft heranzumachen und ihnen Grund und Boden, Haus und Hof nach und nach abzulisten. Nationaler Bodenschatz ist unsere erste Pflicht in diesen Zeiten der Volksnot. Unsere Losung ist:
Tirol den Tirolern!
Alle an Juden seit 1. August 1914 erfolgten Verkäufe von Grund und Häusern sind im Wege der Enteignung gegen Entschädigung aufzuheben.
5. Verweigerung der Aufnahme von Juden in die neue Armee.
Die neue Armee soll zum Unterschiede von dem ehemaligen k. u. k. Heere mit seinen vielen Völkern eine einheitliche nationale sein. Sie soll die Pflegestätte nationalen Gedankens werden. Hier darf nicht das Gift zersetzender, rassefremder Denkungsart hineingetragen werden. Im Tirolerkontingent darf kein Jude sein! Hier muß alter, heimatstreuer Tirolergeist herrschen.
Insbesondere verwahren wir uns dagegen, daß das Staatssekretariat für Heerwesen durch Herrn Deutsch besetzt ist, einen Angehörigen jener Rasse, die sich im Kriege zwar nicht an der Front bemerkbar machte, wohl aber im Hinterland durch Bereicherung ihrer Taschen.
6. Bekämpfung des jüdischen Einflusses in der Presse.
Es ist allbekannt, daß der Jude in öffentlicher Meinung macht. Wir verlangen, daß die öffentliche Meinung in Tirol vom jüdischen Geiste unbeeinflußt sei und verwahren uns gegen die jüdische Brunnenvergiftung und politische Falschmünzer in der Presse. Juden dürfen weder Zeitungen besitzen, noch Redakteure sein.
7. Einschränkung des jüdischen Elementes im Schul- und Bildungswesen.
Juden dürfen nicht Lehrer der Jugend in den Volks-, Mittel- und Hochschulen sein. Von Juden abgefaßte Lehr- und Schulbücher sind nicht zuzulassen.
Unsere Hochschule im Besonderen soll in erster Linie unseren Landeskindern dienen. Wir verlangen eine arische Hochschule mit arischen Lehrern und arischen Schülern. Für jüdische Hörer verlangen wir einen numerus clausus. Der im Verhältnis zur jüdischen Bevölkerung im Lande zu stehen hat.
8. Alle seit 1. August 1914 vorgenommenen Familiennamensänderungen von Juden sind rückgängig zu machen und für alle Zukunft zu verbieten.
9. Öffentliche Beamte, Advokaten und Ärzte jüdischer Nationalität haben ihrer Anzahl nach im Verhältnis der jüdischen zur arischen zu stehen.
10. Vom Richterstande, von der Staatsanwaltschaft und von der öffentlichen Verwaltung im Staate sind Juden überhaupt auszuschließen. Wir geben uns der sicheren Erwartung hin, daß unsere Forderungen ehestens restlos durchgeführt werden, wenn die Erregung in der Bevölkerung, die bis aufs Blut ausgesogen ist, gedämpft werden soll.
Im Falle die Staatsregierung unseren Forderungen Schwierigkeiten in den Weg legen oder deren Erfüllung hinausziehen sollte, fordern wir den Landtag auf, unsere Belange in eigenem Wirkungskreis zu Durchführung zu bringen. Die Parteien aber rufen wir auf, unsere Forderungen moralisch in jeder Hinsicht zu unterstützen und sich nachdrücklich dafür einzusetzen, denn es handelt sich um Wohl und Wehe unseres Volkes und unseres heißgeliebten Landes Tirol!
Zit. n. Niko Hofinger, "Unsere Losung: Tirol den Tirolern!", Antisemitismus in Tirol 1918-1938 in: Zeitgeschichte 21 (1994), Heft 3/4, S. 83-108, hier S. 88-90.
Hirtenbrief von Bischof Johannes Maria Gföllner, Linz, 23. Jänner 1933 (Auszug).
Zweifellos üben viele gottentfremdete Juden einen überaus schädlichen Einfluß auf fast alle Gebiete des modernen Kulturlebens, Wirtschaft und Handel, Geschäfte und Konkurrenz, Advokaten und Heilpraxis aus, soziale und politische Umwälzungen sind vielfach durchsetzt und zersetzt von materialistischen und liberalen Grundsätzen, die vorwiegend vom Judentum stammen. Presse, Inserate, Theater und Kino sind häufig erfüllt von frivolen und zynischen Tendenzen, die die christliche Volksseele bis ins Innerste vergiften und die ebenso vorwiegend vom Judentum genährt und verbreitet werden. Das entartete Judentum im Bunde mit der Weltfreimaurerei ist auch vorwiegend Träger des mammonistischen Kapitalismus und vorwiegend Begründer und Apostel des Sozialismus und Kommunismus, der Vorboten und Schrittmacher des Bolschewismus. Diesen schädlichen Einfluß des Judentum zu bekämpfen und zu brechen, ist nicht nur gutes Recht, sondern strenge Gewissenspflicht eines jeden überzeugten Christen, und es wäre nur zu wünschen, daß auf arischer und auf christlicher Seite diese Gefahren und Schädigungen durch den jüdischen Geist noch mehr gewürdigt, noch nachhaltiger bekämpft und nicht, offen oder versteckt, gar nachgeahmt und gefördert würden [...] Die moderne Zeit braucht zwar die Juden nicht des Landes zu verweisen, sollte aber in Gesetzgebung und Verwaltung einen starken Damm aufrichten gegen all den geistigen Unrat und die unsittliche Schlammflut, die vorwiegend vom Judentum aus die Welt zu überschwemmen drohen. Dabei sei rückhaltlos zugegeben, daß es auch im Judentum edle Charaktere gibt.
Zit. n. Erika Weinzierl, Prüfstand. Österreichs Katholiken und der Nationalsozialismus, Mödling 1988, S. 234 f.
Bericht des SD-Unterabschnitts Wien vom 18. November 1938 über den Verlauf des Pogroms (Auszug)
Die größeren Aktionen, nämlich gegen die Tempel und Bethäuser, wurden fast ausschließlich durch die SS durchgeführt. Auf besonders gute Tarnung legte man scheinbar keinen besonderen Wert. Der unbefangene Beobachter hatte sofort den Eindruck, daß es sich hier um anbefohlene und organisierte Aktionen handelte.
Die Aktion gegen die Geschäfte und Wohnungen wurde in der Hauptsache von politischen Leitern und SA-Angehörigen durchgeführt, wobei auch die allgemeine SS im Einvernehmen mit den Parteidienststellen vorging. In einigen Bezirken beteiligte sich vereinzelt auch die HJ, welche meistens in roher Weise gegen die Juden vorging, was allgemein sehr ungünstig aufgenommen wurde.
Bei den Tempelzerstörungen war im großen und ganzen ein diszipliniertes Vorgehen festzustellen, wie überhaupt die SS streng ihre Weisungen durchführte. In einigen Fällen wirkte sich das derart aus, daß SS-Angehörige politische Leiter mit vorgehaltener Schußwaffe von Requirierungen und sonstigen Übergriffen zurückhielten. [...]
Jedenfalls würden überraschende Haussuchungen in den SA- und NSKK-Heimen und bei deren Führern Erstaunliches an den Tag bringen. Diese Konfiskationen und sinnlosen Zerstörungen riefen naturgemäß bei der Bevölkerung schärfste Ablehnung hervor.
Die Behandlung der Juden war zum Großteil eine sehr harte und artete meistens in brutale Züchtigung aus.
Das allgemeine Bekanntwerden dieser Einzelheiten wirkte auf die allgemeine Stimmung drückend, wodurch auch die anfänglich günstige Aufnahme der Gesamtaktion gegenwärtig in Mitleidenschaft gezogen wird.
Kurt Pätzold (Hrsg.), Verfolgung, Vertreibung, Vernichtung. Dokumente des faschistischen Antisemitismus 1933 bis 1942, Leipzig 1984, S. 186 f.