Die Kreisky-Ära 1970-1983
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In den demokratischen Staaten Europas gibt es nun seit zehn Jahren eine sich ständig steigernde Hochkonjunktur und Vollbeschäftigung. Diese Prosperität darf uns jedoch nicht die entsetzlichen Wirkungen der schweren Wirtschaftskrise zwischen den beiden Weltkriegen und die Tatsache vergessen lassen, wie machtlos die Regierungen der demokratischen Staaten dieser Entwicklung damals gegenübergestanden sind. Das Unvermögen der damaligen Regierungen, die Probleme der Krise zu meistern, hat in manchen Ländern zum Untergang der Demokratie geführt. Ein richtiges Urteil darüber, ob die moderne Industriegesellschaft tatsächlich eine strukturelle Veränderung gegenüber der rein privatkapitalistischen durchgemacht hat, wird sich letzten Endes erst in einer eventuellen Krisensituation abgeben lassen. Dann wird sich zeigen, ob die politischen Kräfte, die diese Krisenerscheinungen zu überwinden trachten, sich mit ihren Plänen auch durchzusetzen vermögen. Können sie es nicht, würde die Demokratie abermals in ernste Gefahr geraten, eine Gefahr, die durch die fortschreitende wirtschaftliche Integration in Europa um so umfassender und weiterreichend wäre.
Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß Millionen Menschen, die während eines längeren Zeitraumes keine Arbeitsplätze finden können und deren Lebenshaltung sich radikal verschlechtert, mit größter Skepsis ein politisches System beurteilen würden, das außerstande ist, diese Zustände zu ändern. Beschäftigungslose Arbeiter und Angestellte, notleidende Gewerbetreibende und Landwirte würden in einer solchen Situation bald erkennen, daß zum Begriff der Freiheit nicht nur die Summe von Rechten politischer Art gehört, sondern auch die Freiheit von wirtschaftlicher Bedrückung und Not.
Es erscheint mir eine der Voraussetzungen für den Bestand und die Widerstandsfähigkeit der Demokratie zu sein, daß sie jederzeit in der Lage sein muß, alle gesellschaftlichen Kräfte zu mobilisieren, um Krisenerscheinungen erfolgreich zu bekämpfen. Sie muß denen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, und jenen, die fürchten, ihn in Zukunft zu verlieren, die Gewißheit geben, daß die demokratische Ordnung stark genug ist, die Existenz ihrer Bürger sicherzustellen.
Aus diesen Überlegungen läßt sich der Schluß ableiten: die innere Kraft der Demokratie - auf die es in diesem weltpolitischen Polarisationsprozeß vor allem ankommt - ist abhängig von dem Maß an sozialer Gerechtigkeit, das in der modernen Industriegesellschaft verwirklicht werden kann. [...]
Bruno Kreisky, Die Herausforderung. Politik an der Schwelle des Atomzeitalters, Düsseldorf - Wien 1963, S. 177 ff.
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Wäre Hitler siegreich geblieben, so hätte sich, dessen bin ich mir gewiß, der Traum von einer erfolgreichen Revolution gegen den Faschismus auf absehbare Zeit nicht verwirklichen lassen. Ich fürchte, daß sich diese Bewegung weit über ein Jahrhundert an der Macht gehalten hätte. Auch Hitler hätte seine Nomenklatura gehabt, die ihm geholfen hätte, das von ihm geschaffene Reich zusammenzuhalten. Er hätte willige Satelliten gefunden - wahrscheinlich willigere als Stalin -, und er hätte vor allem die Unterstützung eines sich nach seinen Vorstellungen entwickelnden und ihm gefälligen kapitalistischen Personals gefunden.
Ich komme jedenfalls zu dem Schluß, daß Winston Churchill die größte historische Leistung dieses Jahrhunderts vollbracht hat und mit ihm all jene, die, auch in anderen Ländern, auf seiner Seite standen. Das muß ich, der österreichische Sozialdemokrat, zum Ruhme des angelsächsischen Konservativen feststellen: Die Wiedergeburt der Demokratie im Westen Europas ist diesem einen Mann zu danken. Um so erstaunlicher war es für viele, daß das britische Volk nach dem Untergang der deutschen Gewaltherrschaft nicht den Sieger, sondern Attlee gewählt hat, der in allem das Gegenteil von Churchill war. Aber die Briten haben ja nie gewollt, daß jemand zu lange an der Macht bleibt.
Das englische Wort "It's time for a change" formuliert eine große politische Weisheit; an sie erinnerte ich mich, als ich mich im Jahre 1983 zurückgezogen habe. Nicht was die Parteien, aber was die Personen betrifft, muß nach Ablauf einer gewissen Zeit ein Wechsel erfolgen. In meinem Fall waren dreizehn Jahre einfach genug; wer länger in einem demokratischen Staat regiert, muß zwangsläufig in Versuchung geraten, gewisse Grundsätze der Politik - ich sage nicht der Demokratie - zu mißachten, und sei es, daß er sie einfach übersieht. Wenn eine Machtposition zu lange in den Händen eines Mannes ist, nehmen er und das Land Schaden. Ich bin auch froh, daß wir in Österreich nicht das Prinzip "on revient toujours" haben. Nein, wer einmal gegangen ist, sollte nicht immer wieder zurückkommen können, wie das in manchen Ländern der Fall ist. Wenn man für eine gewisse Zeit einen Auftrag gehabt hat, dann soll man, wenn man glaubt ihn erfüllt zu haben, sich zurückziehen. [...]
Wenn ich für irgendein Volk oder für irgendein Land besondere Sympathie hege, dann ist es England, und wäre ich in der Diplomatie geblieben, so hätte ich mir am Ende doch einen Posten in England gewünscht. Auch als sozialdemokratischer Außenminister und später als Regierungschef habe ich zu jeder Regierung in England ein besonderes Verhältnis etabliert, wie es das in Österreich vor mir nicht gegeben hat. Besonders geschätzt habe ich Harold Macmillan, der 1955 einer der Unterzeichner des österreichischen Staatsvertrages war. Aber auch mit seinem Nachfolger im Außenministerium, Selwyn Lloyd, stand ich auf bestem Fuße, und mit Edward Heath bin ich noch heute befreundet. Zu den Führern der Labour Party wie Hugh Gaitskell, den ich 1934 während seiner Studienzeit in Wien kennengelernt hatte, aber auch zu Harold Wilson und James Callaghan hatte ich ein besonderes Nahverhältnis.
Meine Anglophilie hat viele Gründe. Politisch beeindruckte mich der Umstand, daß eine der ersten Arbeiterregierungen Europas die britische war, auch wenn sie nur ein kurzes Leben hatte; auch der schillernde James Ramsay Macdonald, der später die Labour Party des Amtes wegen verließ, beeindruckte mich sehr. Darüber hinaus aber lernte ich bei den Kongressen der Sozialistischen Internationale immer wieder englische Sozialisten kennen, die auf überaus eindrucksvolle Weise für ein menschenwürdiges Leben eingetreten sind. Ich denke zum Beispiel an Philip Noël-Baker. Dazu kam, daß ich schon in meiner Jugend ein großer Bewunderer von George Bernard Shaw war, der, wenn auch als Ire, die eigentümliche Mischung von Humor und Weisheit auf besonders ausgeprägte Art verkörperte. Nicht nur seine Stücke haben es mir sehr angetan, sondern auch seine sehr fundierte Abhandlung über den Weg der Frau zum Sozialismus. Ich bewundere die professionelle Großartigkeit, mit der in England Zeitungen gemacht werden. Den Berichten der "Times", des "Manchester Guardian" und des "Daily Telegraph" verdanke ich viel. Als ich 1936 wegen Hochverrats vor Gericht stand, haben sie mit Sympathie über unseren Prozeß berichtet und der Demokratie in Österreich sehr geholfen. Schon nach dem 12. Februar 1934 hatten englische Quäker die finanzielle Unterstützung derjenigen Schutzbund-Frauen übernommen, deren Männer flüchten mußten oder gefallen waren, und es war das Geld der britischen Gewerkschaften, mit dem Beppo Afritsch im September 1938 mein Ticket nach Kopenhagen und Stockholm zahlte. Drei Monate später wurde ich Mitarbeiter der "Tribune" und bekam die Einladung von Alan Sainsbury, nach London zu kommen und mir dort eine Existenz aufzubauen. Im Krieg schließlich habe ich ein Gefühl der Dankbarkeit für den unnachgiebigen Widerstandswillen der Engländer empfunden - mit einem Wort: Alles, was aus England kam, war für mich hilfreich und menschlich wie politisch eindrucksvoll.
Die politische Kultur, so scheint mir, ist in England stärker und weiter entwickelt als anderswo. Nicht weniger eindrucksvoll finde ich, daß Benjamin Disraeli, der spätere Lord Beaconsfield, trotz seiner jüdischen Herkunft die Möglichkeit hatte, seinem Vaterland zu dienen. Im Auftrag Disraelis schrieb Lionel Rothschild dem Khediven von Ägypten für den Verkauf seiner Suezkanalaktien vier Millionen Pfund gut: Damit hatte Disraeli den Schlüssel für den Ausbau des Empire gefunden. Wie mir Callaghan erzählte, blieb Begin bei seinem Besuch in der Downing Street ganz hingerissen vor dem Bild Disraelis stehen; dies ist auch deshalb interessant, weil Disraeli im Alter von 13 Jahren dem religiösen Judentum den Rücken gekehrt hatte. [...]
Bruno Kreisky, Zwischen den Zeiten. Erinnerungen aus fünf Jahrzehnten, Berlin 1986 (Taschenbuch), S. 443-446.
The President
of the Arab Republic of Egypt
Dear Chancellor Kreisky
Pursuant to the extensive talks we held in your beautiful country and in keeping with the tradition of close consultation and extensive exchange of views among us in the interest of our two people and the cause of peace among nations, I am pleased to put you fully in the picture with respect to the lastest developments of our efforts to bring about a peaceful settlement of the problem of the Middle East.
I trust that you know that Egypt submitted, early this month, new proposals relative to withdrawal from the West Bank and Gaza and security arrangements. The idea behind this move on our part is that Israel should be dissociated from the process of determining the future of the Palestinian people. There only legitimate concern is that related to security. This, we put forward a balanced proposal that deals with the two essential corresponding obligations of the parties, namely: withdrawal from the West Bank and Gaza and security arrangements.
The proposed formula is based on the Israeli withdrawal from the West Bank and Gaza, placing them under the supervision of Jordan and Egypt respectively for a transitional period not to exceed five years. Together with that, certain security arrangements would be agreed upon and guaranteed by the two supervising states beyond the transitional period. Upon agreeing on that general framework, talks shall take to support our just position and sall upon the Israeli Government to heed the vice of reason and moderation.
Best wishes and highest regards.
Truly
Mohamed Anwar El-Sadat
Stiftung Bruno Kreisky-Archiv, Wien.