Der Weg zum Staatsvertrag
1. Dokument
Über die Konferenz mit den österreichischen Botschaftern in London, Moskau, Paris und Washington, am 28. 3. 1955, 16.15 Uhr.
2. Dokument
Memorandum über die Ergebnisse der Besprechung zwischen der Regierungsdelegation der Republik Österreich und der Regierungsdelegation der Sowjetunion, April 1955.
Amtsvermerk
Über die Konferenz mit den österreichischen Botschaftern in London, Moskau, Paris und Washington, am 28. 3. 1955, 16.15 Uhr.
Herr Bundeskanzler,
Herr Vizekanzler
Herr Bundesminister für Ausw. Angelegenheiten
Herr Staatssekretär
Botschafter Bischoff, Botschafter Gruber, Botschafter Schwarzenberg, Botschafter Vollgruber, Herr Generalsekretär und Gesandter Schöner.
Der Herr Bundeskanzler begrüßte die Erschienenen und betont, daß die Einladung der Botschafter unabhängig schon vor den letzten Ereignissen erfolgt ist. Er weist auf den zehnten Jahrestag der österreichischen Befreiung hin und betont, daß die gewissen Pläne von Trauer- und Protestkundgebungen fallengelassen wurden. Der 27. April wird als Erinnerungstag an die erste Regierung in einer Festsitzung gefeiert werden, bei welcher der Herr Bundespräsident und der Herr Bundeskanzler Reden halten werden, allenfalls wird bei diesen Sitzungen neuerlich an die vier Mächte appelliert werden, in Wien zusammenzutreten, um den Staatsvertrag endlich fertigzustellen.
Der Bundeskanzler fragte die Botschafter, wie die Regierungen, bei denen sie beglaubigt sind, eine Einladung zu einer Konferenz aufnehmen würden? Wir sind der Meinung, daß die österreichische Delegation in Moskau keine Abschlüsse machen, sondern sich nur über die russischen Absichten erkundigen und sondieren soll. Des weiteren führte der Bundeskanzler aus:
1. Es ist für uns klar, daß wir die Einladung der russischen Regierung nicht ablehnen können, nachdem bereits den drei anderen Mächten Staatsbesuche abgestattet worden sind.
2. Wir wissen, daß wir der Einladung bald Folge leisten müssen. Wir meinen, daß dies in der Woche nach Ostern geschehen soll. Aufenthalt voraussichtlich zwei bis drei Tage, ohne daß hiebei Abschlüsse getroffen werden. Es müßte klargestellt werden, was sich die russische Regierung unter Garantie vorstellt. Nach der Rückkehr wird in Wien über das Ergebnis beraten werden, insbesonders um festzustellen, ob der schon vorher geplante Appell an die vier Besatzungsmächte anläßlich der Feiern des 27. April erfolgen kann oder nicht.
3. An der Reise sollen der Bundeskanzler selbst, der Vizekanzler, der Außenminister und Staatssekretär Kreisky teilnehmen. Der Bundeskanzler fordert nun die Botschafter zur Stellungsnahme auf. Bischoff: Ich glaube, daß die Vorschläge des Bundeskanzlers in den Rahmen dessen fallen, was sich die Leute in Moskau vorstellen. Selbstverständlich kann nichts geschehen, womit nicht alle vier Mächte und Österreich einverstanden sein werden. Man müsse sich klar darüber werden, welche Garantien verlangt werden. Es geht den Russen wirklich darum, in der Frage vorwärts zu kommen, schon aus sehr naheliegenden Gründen. Es beginnt sich eine transkontinentale Frontlinie von Lübeck bis Triest abzuzeichnen, die durch unser Land geht. Diese Linie wird immer mehr zur Realität und droht unser Land entzweizuschneiden. Die Unterbrechung dieser Linie scheint augenblicklich eine der wichtigsten Aufgaben der russischen Diplomatie zu sein. Deren Ideal ist es, einen Zustand in Europa herbeizuführen, bei dem eine neutrale Zone zustandekommt, ähnlich wie sie im Norden bereits durch Schweden und Finnland repräsentiert wird. Eine derartige Neutralitätszone, umfassend die Schweiz, Österreich und Jugoslawien würde Donaueuropa abschirmen. Sodann weist Bischoff auf gewisse Entwicklungen in Deutschland hin und erinnert an die Haltung der deutschen Beobachter auf der Berliner Konferenz 1954, wo man im Hotel am Zoo frohlockte, als eine Einigung über Österreich nicht zustandekam.
Die Aktion der Sowjetunion stellt primär den Versuch dar, eine weitere neutrale Sicherheitszone zu schaffen. Dies ist nicht nur meine Meinung, sondern auch die vieler anderer Kollegen in Moskau, insbesondere der jugoslawische Botschafter steht ganz auf dieser Linie.
Die russische Aktion, die in Moskau dringlich erscheine, hat eine lange Vorgeschichte. Die ersten Anregungen wurden von mir schon vor fünf Monaten gemacht. Damals wurden sie von russischer Seite nicht aufgenommen. Nun aber mit monatelanger Verspätung wieder hervorgeholt und in der Rede Molotows vom 8. Februar erstmals hinausgestellt. Die russische Initiative ist also nicht ganz spontan vom Himmel gefallen.
Meine drei Gespräche mit Molotow haben dazu geführt, daß die Bundesregierung ihre bekannte Haltung abgab, sie werde "jede wirkungsvolle Garantie unserer Sicherung" begrüßen. Es bestehe daher über den wichtigsten Punkt eine grundsätzliche Einigung, daher sei die Einladung an die Bundesregierung ergangen, um zu beraten, wie diese grundsätzliche Einigung praktisch verwirklicht werden könne.
Den Russen ist um diese Einigung sehr zu tun. Sollte die Einigung nicht zustandekommen, so gäbe es als Alternative nur die Fortdauer eines Zustandes, der sowohl uns wie der Sowjetunion sehr unangenehm ist und der in der Zukunft für uns noch äußerst gefährlich werden könnte. Vor zehn Jahren rückten französische Truppen in Tirol ein, heute stehen amerikanische Soldaten in Tirol, wer aber in zehn Jahren dort stehen wird, wenn es so weiter geht, das weiß ich nicht.
Deutschland ist wieder im Begriff, die erste Militärmacht in Europa zu werden als Verbündeter der USA. Es ist also ganz unrichtig, wenn behauptet wird, die Freiheit werde uns aus fadenscheinigen Vorwänden vorenthalten. Das Jahr 1941 war für die Sowjetunion die größte Katastrophe, die seit Dschingis Khan über Rußland hereinbrach. Gegen eine Wiederholung dieser Katastrophe trachtet sich die Sowjetunion begreiflicherweise mit allen Mitteln zu sichern. Sie kann daher die vorhandene Sicherheit nicht aufgeben. Jeder russische Außenminister, der dies täte, würde am gleichen Tag im Keller der Lubjanka erschossen werden.
Die Engländer haben sich nie wirklich gegen den Anschluß gestellt, standen ihm immer positiv gegenüber, daher genügt ihnen der nichtssagende Artikel 4, nicht aber den Russen. Als Artikel 4 niedergeschrieben wurde, konnte kein Russe ahnen, daß Deutschland wieder aufrüsten werde. Wenn die clausula rebus sic stantibus sogar bei existierenden Verträgen gilt, dann muß sie noch vielmehr für den Entwurf eines noch gar nicht niedergeschriebenen Vertrages gelten.
Ich habe vor meiner Abreise die gleichen Ausführungen gegenüber Herrn Semjonow gemacht, die ich ihnen soeben vorgetragen habe. Ich sagte ihm, er solle sie Molotow weitergeben und mir sagen, wenn daran eine Korrektur gewünscht werde. Daraufhin erfolgte die Einladung.
Herr Bundeskanzler: Ich sehe die realen Gründe der Russen ein. Unsere Skepsis beruht aber auf das [sic!] Verhalten der Russen in den vergangenen Jahren, da die Sowjetunion als Aggressor auftrat. Für uns ergeben sich schwierige Fragen, wenn wir in eine Neutralisierung einsteigen, insbesonders wegen Deutschland. Wer wird dann die Russen aufhalten, wenn sie bis zum Atlantik marschieren wollen. Andererseits können wir die gebotene Hand nicht zurückweisen. Wir wollen aber keine österreichische Unabhängigkeit unter russischem Protektorat.
Bischoff: Die Russen wollen sicherlich den Abschluß des Staatsvertrages und werden daher keine Bedingungen stellen, die weder Österreich noch die Westmächte (nicht [sic]) annehmen könnten.
Gruber: Die Einladung hat bei der amerikanischen Regierung zwar keine Freude ausgelöst. Man sieht aber ein, daß sie von uns angenommen werden muß. Es wäre wichtig, daß die Reise nicht zu groß aufgezogen wird. Man sieht in Washington ein, daß wir keinen militärischen Bündnissen beitreten wollen, doch möchte man, daß wir diesem Punkt keine besondere Prominenz geben. Sollen schließlich die USA allein den Kommunismus ablehnen? Das Wort "Neutralität" sollte möglichst wenig gebraucht werden, selbst wenn es dem Sinn nach zu einer solchen kommen würde. Man sollte diese neue Phase nicht als eine Bindung hinstellen, die Österreich aus dem bisherigen Zusammenhang herausnimmt.
Es ergeben sich nunmehr einige Fragen, wobei man über die Motive der sowjetischen Regierung nur spekulieren kann:
Es gibt Garantien entweder mit Papier oder mit Maßnahmen. Wenn über praktische Maßnahmen verhandelt werden soll, so begeben wir uns auf sehr schwieriges Gebiet. Dulles sprach schon auf der Berliner Konferenz vom deutschen Handel, der sich machtvoll ausbreite. Die Konzeption einer Garantie, die Österreich wirtschaftlich oder handelspolitisch beschränkt, wäre unannehmbar.
2. Frage des Zeitpunktes:
Die Räumung von den Truppen muß derart festgelegt werden, daß es den Russen nicht freisteht, bei guter Gelegenheit wieder zurückzukommen. Für Washington wäre nur eine solche Lösung akzeptabel, bei der bei einem bestimmten Tag kein russischer Soldat mehr in Österreich bleiben kann. Der Termin muß nach den österreichischen Bedürfnissen beurteilt werden. Es darf später nicht von dem Willen der Russen abhängen, Österreich etwa wieder zu besetzen.
3. Allfällige Revision des vorhandenen Staatsvertragstextes: Wir werden klarmachen müssen, in welcher Grenze wir eine Revision des Entwurfes wünschen. Die Russen werden darüber vielleicht mit sich reden lassen.
4. Prozedur:
Die Westmächte sind nicht bereit, zu einer Außenministerkonferenz zu gehen, solange nicht die Ratifizierungsurkunden der Pariser Verträge hinterlegt worden sind. Dann aber werden die USA vielleicht sogar stark auf eine Konferenz drängen. Auch in den USA sind einflußreiche Kreise wegen der steigenden internationalen Spannungen sehr besorgt.
Es wäre kein schlechter Gedanke, zuerst eine Klärung auf anderer Ebene zu versuchen, insbesonders in der Frage der Garantie und der Bündnisfreiheit und des "Timing" der Prozedur. Wenn die Herren der Bundesregierung am 17. April zurück sein sollten, ist man ja schon über den größten Teil des April hiweggekommen.
Sicherlich nicht mit Freude, aber die Generäle entscheiden die amerikanische Politik nicht allein, wenn sie auch Einfluß darauf üben. Wenn eine Lösung gefunden werden sollte, der die österreichische Bundesregierung zustimmen kann, wird man vielleicht auch die Westmächte, insbesonders die Amerikaner, dazu bringen können, sie zu akzeptieren. Die USA könnte es sich schließlich nicht leisten, eine wirkliche und praktische Lösung aus militärischen Gründen im Gegensatz zur Ansicht der Bundesregierung einfach zurückzuweisen.
Vollgruber: Die französische Regierung sieht die russische Aktion - im Gegensatz zu ihrer Ansicht vor vier Wochen - nunmehr als seriös an. Der Quai d'Orsay hat sicherlich nichts dagegen, wenn wir der Einladung nach Moskau Folge leisten. Paris sieht eine "Neutralisierung" nicht gerne, schon wegen der Rückwirkung auf die Verhandlungen und die Entwicklung in Deutschland. Wenn wir uns aber selbst als souveräner Staat für neutral erklärten, dann hätte man sicherlich nichts dagegen.
Das Wort "Fristen" in der letzten russischen Antwort hat in Paris beunruhigt, weil es dort nicht klar erscheint, von welchen Ereignissen diese Fristen abhängig gemacht werden sollen. Man will schon in unserem Interesse nur festen und unveränderlichen Termin.
Die Franzosen sind nach der Ratifizierung bereit, an einer Vierer-Konferenz teilzunehmen, wenn auch vielleicht nicht sofort. Die französische Regierung ist sich noch nicht ganz klar, wie sie sich in den einzelnen Phasen verhalten soll. Schon vor einiger Zeit wurde eine Konferenz der großen Vier vom Quai d'Orsay in Washington und in London inoffiziell angeregt; insbesondere wurde über die Methoden sondiert, um zu einer solchen Konferenz zu gelangen.
Schwarzenberg: Das Foreign Office ist schwer zu einer Präzisierung seines Standpunktes zu bringen. Es hegt große Skepsis gegenüber unserer Einladung nach Moskau. Die Russen haben es bei allen Konferenzen verstanden, immer mehr für sich herauszuschlagen, ohne selbst Konzessionen zu machen. Man fürchtet, daß der Bundesregierung bei ihrer Reise nach Moskau von den Russen eine Reihe von Zugeständnissen versprochen werden, die sie natürlich nicht ablehnen könnte. Warum haben es die Russen plötzlich so eilig? Man fürchtet, daß die Russen wirklich konzessionsbereit sein werden und uns in Moskau in larger Weise in vielen Dingen nachgeben werden. Wenn es dann zu einer Vierer-Konferenz käme, wären die Westmächte in der peinlichen Situation, zu russischen Zugeständnissen vielleicht sogar nein sagen zu müssen. Dies würde dann nach einem Frontwechsel aussehen, wobei Österreich auf Seite der Sowjetunion gegen die drei neinsagenden Westmächte stände. Diese Befürchtung werde noch durch den Umstand verstärkt, daß die Russen praktisch die ganze Bundesregierung nach Moskau haben wollen, wo dann jedes Wort, das dort von der Delegation gesprochen wird, für die ganze Bundesregierung verbindlich wäre.
Die Bundesregierung könnte dann nach der Rückkehr aus Moskau nicht mehr die dort eingenommene Linie abschwächen. Ich habe natürlich erwidert, wenn man "in corpore" fahre, so verhandle man eben. Anders sei es, wenn nur ein oder zwei Regierungsmitglieder "entsendet" würden. Ich glaube aber, wenn die Bundesregierung eine zusätzliche Garantie der österreichischen Unabhängigkeit von England fordern würde, dann bestände doch Aussicht, daß das Foreign Office von seiner bisherigen starren Haltung abgehen könnte.
Gruber: Wenn der Staatsvertrag in Kraft tritt, dann erlischt die Funktion des Alliierten Rates. Wollen wir uns mit einer Botschafter-Konferenz begnügen oder will man nicht Vorschläge wegen Verlängerung des Alliierten Rates, insbesondere zur Sicherung für Wien, machen?
Herr Bundeskanzler: Wenn wir am Staatsvertragstext viel herumarbeiten, könnten wir in Schwierigkeiten geraten. Wegen einer Änderung beziehungsweise Fortsetzung des Kontrollabkommens könnte man entsprechende Erklärungen in einem Protokoll bei der Unterzeichnung des Vertrages oder knapp nachher niederlegen. Es müsse vielleicht ein Protokoll neben dem Staatsvertrag geschaffen werden. (Abzug der Besatzungstruppen, Übergabe der USIA-Betriebe, etc.). Übrig bliebe dann die Ratifikation des Staatsvertrages, auf deren Zeitpunkt wir ja keinen Einfluß haben können.
Gruber: Wenn man wieder beginnt, über den Staatsvertrag zu verhandeln, dann ist kein Ende abzusehen. Neue Verhandlungen geben ja schließlich auch den Westmächten eine erwünschte Gelegenheit, alles ins Endlose hinauszuziehen.
Herr Bundesminister: Wenn auch nur ein Artikel des Entwurfes geändert werden soll, dann kommen wir in unendliche Prozeduren. Der alte Staatsvertrag muß eben mit allfälligen Zusatzprotokollen angenommen werden. Alle Fristen müssen ab Unterzeichnung laufen; solange nur ein alliierter Soldat auf österreichischem Boden steht, muß auch der Alliierte Rat in irgendeiner Form weiter funktionieren.
Herr Staatssekretär: Eine Botschafterkonferenz in Wien würde die Rückkehr zur Situation am Ende der Berliner Konferenz bedeuten. Damals hat man uns gegen unser Versprechen, daß wir gegenüber den Russen festbleiben werden, die Fortsetzung der Verhandlungen auf einer Botschafter-Konferenz zugesagt. Dulles hat dann plötzlich ohne Rücksprache mit den Beteiligten erklärt, daß er die Botschafterkonferenz nicht annehme. Ein Zurückgehen auf den letzten Vorschlag Molotows auf der Berliner Konferenz würde die USA in eine ungünstige Situation bringen. Wir haben gegenüber den Westmächten auch immer eine echte Loyalität bewiesen, auch im Gegensatz zu gewissen Maßnahmen kleinerer Funktionäre. Ist sich der Westen im klaren, daß das gegenwärtige Idyll in Österreich nicht unbedingt andauern muß? Ein vollkommenes Scheitern der Besprechungen mit den Russen könnte Folgen haben, gegen die uns der Westen nicht schützen kann. Wenn der Westen von uns eine energische Haltung verlangt, was geschieht dann in Ostösterreich?
Gruber: Die USA sind ja mit einer Konferenz einverstanden, wenn nur die Ratifizierungsurkunden einmal hinterlegt sind.
Herr Staatssekretär: Bischoff sagte: "Verbale Garantie an sich genüge nicht." Was ist darunter zu verstehen? Wenn wir in Moskau sein werden, können wir dann auch mit den dortigen Vertretern der Westmächte zusammenkommen?
Bischoff: Das wird bestimmt möglich sein, so wie es auch seinerzeit auf der Moskauer Konferenz unter dem damaligen Außenminister Gruber der Fall war.
Herr Staatssekretär: Wir müssen mit Joxe, Bohlen und Hayter zusammenkommen, nicht nur bei den großen offiziellen Empfängen, sondern auch gesondert.
Zu der Bemerkung Botschafter Schwarzenbergs über die Gefahr, daß die Westmächte durch russische Konzessionen in eine unangenehme Lage kommen könnten, muß ich nur sagen, daß wir bei wirklichen Zugeständnissen nicht nein sagen könnten.
Schwarzenberg: Es kann aber doch Konzessionen geben, die eigentlich zu Lasten Dritter gehen. Es handelt sich vielleicht um die moralische Stärkung der russischen Seite. Außerdem besteht die Gefahr, daß die Russen einmal sagen könnten: "Ihr Österreicher habt bei der Erwägung gewisser Dinge ja doch freundlich lächelnd geschwiegen, wenn nicht gar genickt."
Gruber: Ich möchte nochmals betonen, daß eine Außenministerkonferenz vor Hinterlegung der Ratifikationsurkunden des Pariser Abkommens nicht in Frage kommt, schon wegen der Möglichkeit ihrer Ausdehnung auf nicht dazugehörige Dinge. Die Hinterlegung der Urkunden sollte in ein bis zwei Monaten erledigt sein. Ich bin fest überzeugt, daß dann der Weg zu einer Außenministerkonferenz offen steht. Eine solche Konferenz besitzt auch viele Anhänger im amerikanischen Senat. Vielleicht könnte eine Österreichkonferenz in Wien als taktisches Element als eine Art Zwischenstadium eingeschoben werden. Ich bin völlig überzeugt, daß eine Außenministerkonferenz noch in diesem Jahr zustandekommen muß. Es erscheint aber absolut notwendig, in verschiedenen Phasen zu arbeiten. Zuerst werden wir nach Moskau fahren. Dann werden wir auf Grund der dort gemachten Erfahrungen unsere Interessen auch gegenüber den Westmächten vertreten. Dies könnte man zunächst auf diplomatischem Wege versuchen, wobei die Aktionen parallel laufen sollten. Allerdings können wir uns nicht mit den Russen über etwas einigen, was den Westmächten nachher nicht annehmbar wäre. Es muß eben in Moskau getrachtet werden, das Verständnis eines so wichtigen Mannes wie Bohlens zu gewinnen, dessen Berichte in Washington Gewicht haben. Wenn es zu einer Lösung kommt, die wir mit gutem Gewissen vertreten können, dann werden wir sie auch in Amerika und bei den anderen Westmächten durchsetzen. Wir dürfen damit aber nicht zu spät herauskommen.
Herr Bundeskanzler: Es steht jedenfalls fest, daß wir in unserer prinzipiellen Abwehr gegen den Bolschewismus keine politischen Konzessionen machen werden. Ich bitte die bei den Westmächten akkreditierten Botschafter, dies den jeweiligen Regierungen zu versichern. Weisen Sie dabei auch darauf hin, daß andere Staaten weniger brav sind als wir und erheblich intensivere Handelsbeziehungen mit dem Osten haben.
Gruber: Im Westen besteht sicherlich Vertrauen zu uns, aber man muß gewisse selbstverständliche Dinge immer wieder von neuem vorbringen. Nach erfolgter Ratifikation wird man im Westen viel selbstbewußter sein, sodaß man den Westmächten dann auch mehr wird zumuten können.
Schwarzenberg: Die Engländer pflegen leider sehr zu simplifizieren. Sie fragen, was stellen sich die Russen unter Garantie vor, wir Engländer wissen es nicht. Wie stellt ihr Österreicher euch die Garantien vor. Sollte man nicht schon vor der Reise nach Moskau den Westmächten andeuten, wie wir uns mögliche Garantien vorstellen? Das Foreign Office ist bekanntlich sehr besorgt und wir könnten da sehr beruhigend wirken.
Bischoff: Die englische Regierung hat noch keine Gelegenheit vorübergehen lassen, um ihre Besorgnis über den möglichen Abschluß des Staatsvertrages auszudrücken. Habeant sibi! Ich sehe nicht ein, warum wir die Engländer beruhigen müssen durch eine vorherige Erklärung, von der wir gar nicht wissen, ob sie uns später einmal nicht ungelegen kommen wird. Warum sollten wir uns eigentlich festlegen?
Bundesminister Figl verweist auf die Beilage 16 des Dossiers1 und ersucht die Botschafter, dieselbe zu studieren.
Gruber: Es handelt sich bei diesem Schriftstück um typische Verbalgarantien. Bischoff hat damit schon recht. Doch muß ich entgegenhalten, daß wir ohne die Westmächte keinen Staatsvertrag machen können.
Herr Bundeskanzler: Wir sind mit unserer Antwortnote an die Russen, in der wir ausdrücklich "jede wirkungsvolle Sicherung und Garantie" begrüßen, schon sehr weit gegangen. Die Garantien des Staatsvertragsentwurfes müssen die anderen geben, denn unser künftiges Bundesheer allein genügt nicht. Es steht zu hoffen, daß man in der Zukunft auch Deutschland verhalten wird, eine entsprechende Erklärung über die österreichische Unabhängigkeit abzugeben.
Herr Staatssekretär: Wir verstehen unter "wirkungsvollen Garantien" nicht das gleiche wie die Russen. Eine wirklich reale Garantie würde nach Ansicht der Russen die Verewigung des Besatzung bedeuten. Für uns ist aber eine gemeinsame Garantie der vier Mächte die wirkungsvollste Garantie.
Gruber: Es bleibt die Frage, ob man mit gesprochenen oder geschriebenen Worten die Russen überhaupt zufrieden stellen kann. Wenn dies möglich ist, dann wird man wohl auch die Westmächte dazu bringen können. Ob die Russen mehr wollen, wird man nur an Ort und Stelle feststellen können. Die Russen haben in ihrer ersten Note von gewissen Maßnahmen in Deutschland gesprochen. Dieser Passus scheint aber inzwischen fallengelassen worden zu sein.
Herr Bundesminister: Die Herren Botschafter werden morgen bei mir wieder zusammenkommen und auch am Abend zu weiteren Gesprächen bei der Einladung des Herrn Bundeskanzlers Gelegenheit haben. Wir müssen halt Optimisten bleiben. Die Herren Botschafter sollen Freitag mittag zurückfahren und uns über die Reaktionen der Außenminister möglichst bald berichten.
Der Herr Bundeskanzler stellt fest, daß die Reise aller Voraussicht nach in der Zeit vom 11. bis zum 17. April stattfinden werde und fügt hinzu, daß Österreich in keiner Weise dem Kommunismus eine Tür öffnen werde. Es bittet die Botschafter in London, Paris und Washington, das ihren jeweiligen Regierungen nochmals ganz deutlich zu sagen. Diese unsere Haltung sei eine feste Garantie der österreichischen Unabhängigkeit.
Ende 17.55 Uhr.
(1) Dossier und Beilagen sind nicht dem Akt beigeschlossen.
Zit. n. Alfons Schilcher, Österreich und die Großmächte. Dokumente zur österreichischen Politik 1945-1955, Wien - Salzburg 1980, S. 254-264.
Memorandum(1)
über die Ergebnisse der Besprechung zwischen der Regierungsdelegation der Republik Österreich und der Regierungsdelegation der Sowjetunion.
I.
Im Zuge der Besprechungen über den ehesten Abschluß des österreichischen Staatsvertrages in Moskau vom 12.-15. April 1955 wurde zwischen der sowjetischen und der österreichischen Delegation Einverständnis darüber erzielt, daß im Hinblick auf die von den Mitgliedern der sowjetischen Regierung - dem Herrn Stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrates der UdSSR und Außenminister der UdSSR W. M. Molotow und dem Herrn Stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrates der UdSSR A. I. Mikojan - abgegebenen Erklärungen, Herr Bundeskanzler Ing. Julius Raab, Herr Vizekanzler Dr. Adolf Schärf, Herr Außenminister Dr. h. c. Ing. Leopold Figl, Herr Staatssekretär Dr. Bruno Kreisky im Zusammenhang mit dem Abschluß des österreichischen Staatsvertrages für die Herbeiführung folgender Beschlüsse und Maßnahmen der österreichischen Bundesregierung Sorge tragen werden.
1.) Im Sinne der von Österreich bereits auf der Konferenz von Berlin im Jahre 1954 abgegebenen Erklärung, keinen militärischen Bündnissen beizutreten und militärische Stützpunkte auf seinem Gebiet nicht zuzulassen, wird die österreichische Bundesregierung eine Deklaration in einer Form abgeben, die Österreich international dazu verpflichtet, immerwährend eine Neutralität der Art zu üben, wie sie von der Schweiz gehandhabt wird.
2.) Die österreichische Bundesregierung wird diese österreichische Deklaration gemäß den Bestimmungen der Bundesverfassung dem österreichischen Parlament unmittelbar nach Ratifikation des Staatsvertrages zur Beschlußfassung vorlegen.
3.) Die Bundesregierung wird alle zweckdienlichen Schritte unternehmen, um für diese vom österreichischen Parlament bestätigte Deklaration eine internationale Anerkennung zu erlangen.
4.) Die österreichische Bundesregierung wird eine Garantie der Unversehrtheit und Unverletzlichkeit des österreichischen Staatsgebietes durch die vier Großmächte begrüßen.
5.) Die österreichische Bundesregierung wird sich für die Abgabe einer solchen Garantieerklärung durch die vier Großmächte bei den Regierungen Frankreichs, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten von Amerika einsetzen.
6.) Die Bundesregierung wird nach Übergabe der deutschen Vermögenswerte in der sowjetischen Besatzungszone an Österreich Maßnahmen herbeiführen, die eine Überführung dieser Vermögenswerte in das Eigentum ausländischer Staatsangehöriger einschließlich juristischer Personen privaten oder öffentlichen Rechtes ausschließt. Ferner wird sie dafür Sorge tragen, daß gegen die bei den früheren USIA-Betrieben, bei den Betrieben der ehemaligen sowjetischen Mineralölverwaltung, der Aktiengesellschaft OROP und bei der DDSG Beschäftigten keine diskriminierende Maßnahmen ergriffen werden.
II.
Die Herren Stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrates der UdSSR W. M. Molotow und A. I. Mikojan haben namens der Sowjetregierung im Hinblick auf die Erklärungen der österreichischen Regierungsdelegation folgende Erklärung abgegeben:
1.) Die Sowjetunion ist bereit, den österreichischen Staatsvertrag unverzüglich zu unterzeichnen.
2.) Die Sowjetregierung erklärt sich damit einverstanden, daß alle Besatzungstruppen der Vier Mächte nach Inkraftreten des Staatsvertrages, nicht später als am 31. Dezember 1955, aus Österreich abgezogen werden.
3.) Die Sowjetregierung hält die Artikel 6, 11, 15, 16-bis und 36(2) für überholt oder überflüssig und ist bereit, diese Artikel fallenzulassen. Sie ist überdies bereit, auch den Artikel 48-bis(3) bei gleichzeitigem Verzicht Österreichs auf die Forderungen an die Sowjetunion aus den sogenannten "zivilen Besatzungskosten" fallenzulassen. Sie wird überdies die österreichische Regierung in ihren Bemühungen, weitere mögliche Änderungen des Staatsvertragsentwurfes zu erreichen, unterstützen und solchen Änderungen zustimmen. Jedoch besteht Einverständnis darüber, daß durch Vorschläge zur Änderung des Vertrages die Verhandlungen zum Abschluß des Staatsvertrages zwischen den Vier Mächten und Österreich nicht unnötig verzögert werden sollen.
4.) Die Sowjetregierung ist bereit, die Deklaration über die Neutralität Österreichs anzuerkennen.
5.) Die Sowjetregierung ist bereit, an einer Garantie der Unversehrtheit und Unverletzlichkeit des österreichischen Staatsgebietes durch die Vier Großmächte - nach dem Muster der Schweiz - teilzunehmen.
III.
[hier folgen die wirtschaftlichen Abmachungen].
(1) Das "Moskauer Memorandum" wurde später in unterschiedlicher Form veröffentlicht, das hier zitierte war Arbeitsgrundlage des BKA/AA.
(2) Artikel 6, Einbürgerung und Aufenthalt von Deutschen in Österreich. Artikel 11, Kriegsverbrecher. Artikel 15, Wiederherstellung der Archive. Artikel 16-bis, Abtransport von Personen "deutschen Ursprungs".
(3) Artikel 48-bis, Anerkennung der Schulden Österreichs durch Leistungen der Besatzungsmächte seit dem 8. Mai 1945.
Zit. n. Alfons Schilcher, Österreich und die Großmächte. Dokumente zur österreichischen Politik 1945-1955, Wien - Salzburg 1980, S. 284 ff.