... aus­ge­lassenes Betragen ... unge­meine Roh­heit ...

Das Verhältnis von Studenten­zahlen in den einzelnen Fächern zu den Angeboten für eine spätere Berufs­tätigkeit war schon im ausge­henden 18. Jahrhundert Thema. Staatliche Maßnahmen sollten regulierend wirken. Akzeptierten ärmere oder mittellose Studenten den Versuch einer rigiden Steuerung der Studien­wahl entsprechend den Erforder­nissen des Arbeitsmarktes?

Schreiben Polizeidirektion Innsbruck an Rektorat v. 15. Jänner 1817. UAI, Rektorat 1816–1817.
Schreiben Polizeidirektion Innsbruck an Rektorat v. 15. Jänner 1817. UAI, Rektorat 1816–1817.


Transkription:

Die Beschwerden des gesitteten Theiles des Publikums werden rücksichtlich des Betragens der Akademiker täglich größer.

Das ausgelassene Betragen derselben überhaupt, insbesondere aber das achtungslose Benehmen in der Kirche bringet allgemeines Bedauern und allgemeine Klage hervor.

Mit einer ungemeinen Rohheit stellen sich diese Leute in den Kirchen zusammen, kehren den Rücken gegen das Hochwürdige, lachen, scherzen, und necken durch alberne Gebärden die ein- und aus-gehenden Mädchen, und stören die zur Andacht versammelte Gemeinde.

Halbe Tage und Nächte findet man diese Menschen, welche einer edlen hohen Bestimmung wegen von ihren Aeltern hieher gesendet sind, auf dem Billarde in Kafee- und Wirtshäusern, bey Kartenspiel und Saufgelagen unwürdige, Kopf und Herz verderbende Gespräche führend.

Solcher Unfug ist der Aufmerksamkeit des löblichen kk: Rektorates gewiß nicht entgangen, und es werden wohl allgemeine und individuelle Ermahnungen erfolgt seyn.

Allein sie bleiben ohne Folgen, und es werden strengere Maaßregeln eintretten müssen.

Die Polizeydirektion findet sich hierwegen pflichtgemäß aufgefordert, das löbliche kk: Rektorat hierauf aufmerksam zu machen, mit dem Ersuchen, die erforderlichen Maaßregeln einzuleiten, und sie zur [?] und zum gemeinschaftlichen Durchführen anher bekannt zu geben.

Schreiben Polizeidirektion Innsbruck an Rektorat v. 15. Jänner 1817. UAI, Rektorat 1816–1817.

Klagen über die Ungebärdigkeit der Studenten gab es seit Bestehen der Universität. Es stellt sich die Frage, ob es wirklich die Studenten waren, ob nicht vielmehr von einigen wenigen auf alle geschlossen wurde, oder ob es sich letztendlich nur um Beschwerden einiger besonders empfindlicher Mitbürger handelte. Der angeschriebene Rektor Bertholdi meinte, er habe das sittlich-religiöse Betragen seiner Lyzealstudenten in den vergangenen sechs Jahren immer „mit wahrem Vergnügen“ rühmen können und sagte damit auch aus, dass bisher keine Ermahnungen nötig gewesen seien. Das Schreiben der Polizeidirektion treffe ihn zutiefst. Er drohte strenge Strafen bis zu Arrest bei Wasser und Brot und Entlassung an und argumentierte mit dem Erhalt der Ehre des Lyzeums; vor allem aber mit der Tatsache, dass die Studenten zur gebildeten Menschenklasse gehörten, später „Lehrer und Führer des Volks“ würden und sich nicht nur nichts zuschulden kommen lassen dürften, sondern als Vorbilder wirken sollten. Dieses letztere Argument des vorbildhaften Bildungsbürgers war im ausgehenden 17. und 18. Jahrhundert, in einer ständisch strukturierten Gesellschaft, noch kein Thema. 

​(Margret Friedrich)

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