„... so­wohl bei der An­kunft als auch bei Ab­ge­hen die Hände ge­wa­schen ...“

Im Herbst 1831 brach in Europa eine bis dahin unbekannte Krankheit aus, die sich rasch zu einer Epidemie ausweitete, die Cholera. Die Behörden reagierten rasch mit umfassenden Vorsichtsmaßnahmen, die auch an der Universität Innsbruck beachtet werden mussten.

Universitätsarchiv Innsbruck, Akten des Rektorats, 297/R ex 1830/31

Transkription:

Innsbruck am 18. September 1831 Von dem kaiserlich königlichen Landes-Präsidium.
An das kk. Universitätsrektorat.

Von der hohen Zentralsanitätshofkommission in Wien ist mir unterm 31ten vorigen Monats eine Anleitung, welche die Vorsichtsmaßregeln für die Dikasterien und Ämter im Allgemeinen, dann für die öffentlichen Kassen insbesondere im Falle des Eindringens der Cholera in die Haupt- und Residenzstadt Wien behufs der Verwahrung des Amtspersonale gegen Ansteckung umfaßt, mit dem Beisatze zugekommen, daß die durch Lokalitäts- und sonstigen Dienstverhältnisse bedingte Detailausführung dem Ermeßen der einzelnen Behörden überlassen bleibe, und daß in jenem Amtsgebäude, die als Durchgänge benützt werden, der Durchgang während der Dauer der Krankheit zu sperren sey.
Ich theile dem kk. Universitätsrektorat eine Abschrift dieser Anleitung nach ihrem wörtlichen Inhalte in der Anlage mit der Aufforderung mit, das Geeignete zur Ausführung der betreffenden Vorsichtsmaßregeln bei etwa eintretender Cholerakrankheit schon vorläufig einzuleiten.

Anleitung
Ueber die Vorsichtsmaßregeln welche im Falle des Ausbruchs der Cholera in Bezug auf die Fortführung der öffentlichen Geschäfte mit der nöthigen Verwahrung des Amtspersonales gegen Ansteckung zu beobachten sind.

Die diesfällige hat zum Zwecke in der Administration keine nachtheilige Stockung eintreten zu lassen, zugleich aber das Amtspersonale nach Möglichkeit gegen die Gefahr einer Ansteckung zu sichern. Die Vorsichtsmaßregeln welche in dieser Beziehung zu treffen wären theilen sich in jene
A: für die öffentlichen Aemter und Dikasterien im Allgemeinen und
B: in jene für die Kassen insbesondere

A
Vorsichtsmaßregeln für die Dikasterien und Aemter

§ 1
Bei dem Eingangsthore eines jeden Amtsgebäudes ist so nahe als möglich ein eigenes Desinfectionszimmer zu bestimmen.

§ 2
Dieses Zimmer ist täglich früh zu lüften, während des Lüftens ist in demselben Kien- oder Wachholderholz Flammenfeuer zu unterhalten, sodann sind Chlordämpfe darin bis zur Erfüllung des Zimmers zu entwickeln und zu unterhalten.

§ 3
Jeder ankommende Beamte und Amtsdiener ist verbunden, sich in diesem Zimmer wenigsten durch fünf Minuten aufzuhalten.
Von gutem Erfolg wird es sein, wenn jene Beamte, welche für ihre Bureauxgeschäfte eigene Röcke widmen, diese über Nacht in dem Räucherzimmer belassen und sie bei ihrer Ankunft im Amte mit den anhabenden Röcken verwechseln.

§ 4
Die zum Einreichungsprotokolle gelangenden Einlagen müssen vorher der vorschriftsmäßigen Reinigung unterzogen werden. Dieses hat durch Räucherung derselben mit dem Sanitätsrauche, der aus sechs Pfund Kleie ein und ½ Pfund Schwefel und ebenso viel Salpeter besteht, zu geschehen. Diese Reinigung kann nicht in geschlossenen Räumen, sondern muß im Freien vorgenommen werden, weil der mit Schwefel vermengte Pestrauch der Lunge höchst nachtheilig ist.
Zu diesem Behufe ist unweit des Eingangsthores eine Schranke oder Barriere zu errichten, bis zu welcher und nicht weiter die Partheien zu gehen haben. Dort angekommen, legen sie die mitgebrachten Papiere einzeln auseinander genommen, auf den nebenstehenden Tisch; diese Papiere werden von einem Reinigungsdiener mittels metallener Zange gefaßt, durch einige Minuten über die aus einer Gluthpfanne oder aus einer besondern dazu verfertigten Vorrichtung sich entwickelnden Reinigungsdämpfe gehalten, und sodann zur Weiterbeförderung an das Einreichungsprotokoll übernommen.
Wegen Unterrichtung der nöthigen Individuen in dem Reinigungsdienste muß jede Behörde und jedes Amt etwa unter Intervenierung des betreffenden Sektionsarztes die entsprechende Vorsorge selbst treffen.

§ 5
Die Amtsdiener dürfen ihre Livree nur dann tragen, wenn sie wirklich im Dienste sind, und selbe nicht nach Hause mitnehmen.
Bei Eintritte zum Dienste haben sie ihre gewöhnlichen Kleidungsstücke (Rock und Weste) in das Infektionszimmer zu legen, und die Livree in diesem Zimmer wieder aufzuhängen.

§ 6
Partheien oder andern Personen ist der Eintritt in das Amtsgebäude in die Bureaux und Kanzleien nur dann zu gestatten, wenn sie sich früher im Desinfectionszimmer der vorgeschriebenen Reinigung unterzogen haben.

§ 7
Die Bureaux und Kanzleien sind täglich in der früh gehörig zu lüften, dann einmal des Tages mit auf glühende Kohlen gelegten Wachholderspänen oder Beeren zu durchräuchern.
Auch muß in jedem Bureau und in jedem Kanzleizimmer sowohl für die höhern und niedern Beamten als auch für die Amtsdiener ein angemessenes Gefäß mit einer Auflösung von einem Theile Chlorkalk in zehn Theilen Wasser, bereitstehen, damit sich sowohl bei der Ankunft als auch bei Abgehen die Hände gewaschen werden können.

§ 8
Endlich wäre festzusetzen, daß so viel als möglich in den Dikasterien alle jene Amtshandlungen und Verhandlungen zu sistieren wären, bei welchen ein größerer Zusammenfluss von Menschen nicht zu vermeiden ist.

Universitätsarchiv Innsbruck, Akten des Rektorats, 297/R ex 1830/31

Im Sommer 1831 brach in Mitteleuropa eine bis dahin in Europa unbekannte Krankheit aus, die sich rasch zu einer globalen Epidemie entwickelte, die Cholera. Diese äußerte sich durch schweren Durchfall und Erbrechen, sodass bei einem Ausbruch der Krankheit ein Großteil der Betroffenen durch übermäßigen Flüssigkeitsverlust und Austrocknung starb. Auch wenn beim überwiegenden Teil der Bevölkerung die Infektion ohne Symptome (85 %) verlief, war die Sterblichkeitsrate bei den Erkrankten sehr hoch. Die Infektion mit dem Cholera-Bakterium erfolgte meist durch verunreinigtes Trinkwasser.

Die Cholera war bis dahin vor allem lokal auf dem indischen Subkontinent immer wieder ausgebrochen, durch den zunehmenden Welthandel am Beginn des 19. Jahrhunderts und zahlreiche globale militärische Truppenbewegungen verbreitete sich die Cholera schließlich auch in Europa und Nordamerika. Rasch sprach man daher von der „asiatischen Cholera“. Wien erreichte die Cholera im Spätsommer 1831, aus dieser Zeit stammt auch die Quelle aus dem Universitätsarchiv.

Die Behörden in der Reichshauptstadt sahen sich rasch mit zahlreichen Erkrankten und Toten konfrontiert. In den Zeitungen wurden täglich die Zahlen der Erkrankten, Verstorbenen und Genesenen aktualisiert, gleichzeitig ergriffen die Behörden Sicherheitsmaßnahmen. Findige Geschäftsleute schalteten zudem rasch Anzeigen für allerlei Schutzausrüstung wie Choleramäntel, -hauben oder -handschuhe. Die Grenzkontrollen in ganz Europa wurden verschärft, Einreisende mussten ein medizinisches Attest über ihre Gesundheit vorweisen und Quarantänevorschriften wurden erlassen (bis zu 20 Tage). Schulen oder auch die Universitäten wurden allerdings nicht geschlossen. An der Universität Wien wurde indes umgehend eine Vorlesung zur „Verwahrung vor der Asiatischen Cholera“ angeboten. Gleichzeitig erschienen rasch (medizinische) Traktate, die über die unbekannten Erreger und die Ursachen für die neuartige Krankheit berichteten oder spekulierten. Auch wenn sich ein Großteil der kursierenden Theorien als falsch herausstellte, so wurde dennoch rasch ein Zusammenhang von Krankheit und verunreinigtem Wasser hergestellt. Allerdings glaubte man, dass aus dem Wasser Dämpfe (Miasmen) aufsteigen würden, die über die Luft die Krankheit übertrugen.

Diese Annahme wird auch durch die Vorschriften aus dem Universitätsarchiv verdeutlicht, indem dort großer Wert auf die Ausräucherung der Amtszimmer, der Kleidung der Beamten und sogar der in die einzelnen Ämter gelangenden Schriftstücke gelegt wurde. Um die Verwaltung aufrecht zu erhalten, ordnete man außerdem an, den persönlichen Kontakt von Menschen in den Ämtern so gering wie möglich zu halten, Eingänge wurde geschlossen und jeder, der ein Amt betreten wollte, musste sich vorher im „Desinfektionszimmer“ ausräuchern lassen. Außerdem wurden die Beamten aufgefordert sich regelmäßig die Hände zu waschen, wozu ein eigenes Mittel aus Wasser und Chlorkalk zur Verfügung stehen sollte.

Das Tiroler Gubernium und die verschiedenen Landesbehörden bereiteten diese Vorsichtsmaßnahmen zwar vor, zu einem Ausbruch kam es hier jedoch wohl aufgrund eines strengen Sanitätskordons nicht. Es folgten aber noch zahlreiche weitere Anweisungen aus Wien, die unter anderem im Universitätsarchiv erhalten sind und die die teils dramatische Lage und die große Sorge vor einer weiteren Ausbreitung erkennen lassen. Die Vorsichtsmaßnahmen gegen die „morgenländische Brechruhr“ wurden immer eindringlicher eingeschärft, auch finden sich mehrfach Aufforderungen zu Spenden für Betroffene, die vor allem aus sozial niedrigen Schichten stammten, und Spitäler. Ein weiterer Aspekt, der auch die Universität betraf, war die Absage der 10. Jahrestagung der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte, die im September 1831 in Wien hätte stattfinden sollen und zu der auch Innsbrucker Professoren eingeladen waren.

Die Epidemie klang im Frühjahr 1832 in Europa weitgehend ab. In den kommenden Jahren und Jahrzehnten flammte die Cholera teilweise noch viel verheerender auf und traf dann auch Tirol. Erst in den 1880er Jahren konnte man den Cholera-Erreger nachweisen, die Erforschung von Ursachen und Ausbreitung waren wesentlich für die Entwicklung einer modernen epidemiologischen Forschung.

(Christof Aichner)

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