JÖRG GLEI­TER - Apo­ka­lypse und der Auf­schub der Zukunft: 7 The­sen zur Ästhe­tik der Nach­hal­tig­keit

Jörg Gleiter (TU Berlin, Professor for Architecture Theory)

Vor dem Hintergrund der allgegenwärtigen Krisenerscheinungen zeigt sich die Zukunft heute nicht mehr als utopischer Raum unbegrenzter Möglichkeiten, wie dies in der Moderne noch der Fall war. Dieser Zukunftsoptimismus ist zerbrochen. Mit der Klima-, Ressourcen- und Migrationskrise scheint es, als ob dieses Zeitmodell der offenen Zukunft (Agamben) und damit die Moderne an ihr Ende kommen würden.
Wir beobachten, wie die Zukunft sich vor unseren Augen apokalyptisch verschließt. Sie wird zusehends opak, verdunkelt sich und löst Ängste vor dem Ende der Zeit aus. Die Zukunft geht heute wieder eine Verbindung ein, die die Moderne in einem langen Prozess von den religiösen Endzeiterzählungen abgelöst hatte: nämlich die Verbindung von Utopie und Apokalypse.
Die Aufgabe des Bauens kann heute nur dialektisch konzipiert werden: Einerseits als das, was Architektur immer schon war, nämlich utopisches Projekt. Wie andererseits aber auch als Projekt der Verhinderung oder des Aufschubs der Zukunft. Es kehrt mit dem Begriff der Nachhaltigkeit in die Architektur das frühchristliche Modell des Katechon (Vercellone) zurück: Aufschub der Zukunft, damit die Apokalypse nicht oder nicht so schnell eintritt, also das, was die Computersimulationen uns so eindringlich vor Augen führen: Das Ende. 

Prof. Dr.-Ing. Jörg H. Gleiter ist seit 2012 Leiter des Lehrstuhls Architekturtheorie an der TU Berlin. Studium der Architektur in Berlin, Venedig und New York. Gastprofessuren in Tokyo, Venedig, Mailand, Turin, Providence (RI) und Weimar. Er ist Herausgeber der Reihe ArchitekturDenken im Transcript Verlag (Bielefeld).
Forschungsschwerpunkt: Kritische Theorie der Nachhaltigkeit, KI und Post-Anthropozän, Ornament- und Utopietheorie, Semiotik, Ästhetik, Architekturphilosophie und -theorie.

Publikationen: gleiters universum. architektur (Berlin 2023); Architekturtheorie zur Einführung (Hamburg 2022); Architekturtheorie 1863-1938 (Berlin 2018); Ornament Today (Bozen 2012), Friedrich Nietzsche und Architektur (Würzburg 2009); Rückkehr des Verdrängten. Kritische Theorie des Ornaments (Weimar 2002)

 

zurück zur Übersicht



 

Nach oben scrollen