Der Energiekonzern Eni. Baulicher Ausdruck sozialer Visionen in der Ära Mattei

 

Masterarbeit von Kathrin Stanzl und Lukas Stanzl
Betreuer: Dr. phil. Elmar Kossel M.A.

 

Agip Servicestelle in Brindisi, Architekt Mario Bacciochi, online unter: https://www.eni.com/static/longform- enistoria/#/en/card/?disposition=grid&year=1954&decade=1950 (20.03.25)

Architektur als Wegbereiter in die soziale Gleichheit, für die Dauer der Ferien innerhalb des „multinazionale“. Diese Vision hatte Enrico Mattei, einst Präsident des 1953 gegründeten italienischen Energiekonzernes ENI.
Unter seiner Führung entstand in Zusammenarbeit mit Architekt Edoardo Gellner ein einzigartiges „soziales“ Projekt inmitten der Bellunesischen Dolomiten mit einem Feriendorf für ca. 6000 Personen.
Auch andere Projekte des ENI können als Leuchtturm des Aufbruchs für ein sich rasch entwickelndes Land in den 1950er und 1960er Jahren gesehen werden.
Was waren Matteis Motive für seine sozialen Visionen? Dienten in- oder ausländische Unternehmer bzw. Unternehmen als Vorbilder? Inwieweit liegt der Antrieb Matteis in seiner ganz eigenen Biografie und der faschistischen Vergangenheit seines Heimatlandes begründet?

Die soziale Fürsorge von Großkonzernen für ihre Mitarbeiter nahm mit der Zeit der Hochindustrialisierung und dem Aufkommen von gewerkschaftlichen Bewegungen Fahrt auf. Welche Rolle spielte dabei die soziale Ader von Firmenpatriarchen beispielsweise von Firmen wie Krupp oder Ford? Gab es diese soziale Ader oder waren es im Endeffekt handfeste Eigeninteressen, die hinter mehr sozialer Absicherung standen? Wie wirkte etwa der zunehmende Arbeitskräftemangel im Zusammenhang mit der Bildung von Arbeiterbewegungen auf das soziale bauliche Angebot von Unternehmen? Welche Rolle spielte die damit einhergehende Sozialgesetzgebung?

Handelt es sich bei Projekten, wie dem „Villagio ENI“, in erster Linie um soziale Konzepte, welche in der langen Tradition des Wohnbaus von Großkonzernen stehen? Soll es ausschließlich den Zweck verfolgen den Wohlstand und das Wohlbefinden der Belegschaft zu erhöhen? Oder hatte Mattei auch noch andere Motivationen? Zwei Jahrzehnte faschistischer Gesellschaftsordnung haben sicherlich auch ihre Spuren hinterlassen. Um diesen und weiteren Fragen nachzugehen, ist es erforderlich die gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen jener Zeit und zur Zeit des Faschismus zu ergründen.

Besuch der Servicestation in Bari, 1954, Enrico Mattei (2.v.r.), online unter: https://www.eni.com/static/longform-enistoria/#/en/card/?disposition=grid&year=1954&decade=1950 (21.03.25)
Die Ferienanlage des Eni in Corte di Cadore, Archivio Storico Eni, Roma

Das Italien der Nachkriegszeit – 40er, 50er und 60er Jahre – befand sich auf politischer Ebene im Transformationsprozess von faschistischer Diktatur zu westlicher Demokratie. Aus volkswirtschaftlicher Sicht war der Wiederaufbau, sowie die fortschreitende Industrialisierung in Form des „miracolo economico italiano“ von zentraler Bedeutung. Die anfängliche Tendenz einen starken Bruch mit der faschistischen Vergangenheit in allen Bereichen zu erwirken – sei es auf politischem, ökonomischem, als auch auf kulturellem Gebiet – wich zunehmend einer pragmatischen Grundhaltung.

Von welchen Grundüberzeugungen war aber Enrico Mattei getrieben? Rein rational ökonomische Motive – die kühle Kalkulation eines Managers – höhere Produktivität durch höheren Benefit wie beispielsweise in Ansätzen bei Henry Ford? Oder wurden Mattei und seine Architektenschar auch von ideologischen Gesichtspunkten geprägt und beeinflusst – inwieweit waren sie Kinder ihrer Zeit?

Zur Zeit des Faschismus nutzten Konzerne Ferienarchitektur, um Größe, Bedeutung und Modernität des Unternehmens und dadurch auch des Staates darzustellen. Es entstanden zum Teil recht skurrile identitätsstiftende Bauten, welche unter anderem zu Werbezwecken genutzt wurden, wie beispielsweise die „Torre Ballilla“ in Marina di Massa der FIAT.

Warum aber hielt der Trend zur Ferienarchitektur von italienischen Großkonzernen auch noch in der Nachkriegszeit an, obwohl die staatlichen Anstrengungen speziell im Bereich der Ferienkolonien in diesem Bereich mit Kriegsende aufhörten?  

Dies hatte vielleicht ökonomische Gründe. Innerhalb und im Wettbewerb von Unternehmen bildet sich das Entlohnungsniveau der Angestellten und der Arbeiterschaft. Betriebliche Ferieneinrichtungen können als Teil der Entlohnung angesehen werden. Ein einzelnes Unternehmen wird sich in Zeiten des Aufschwungs („miracolo economico italiano“) schwer getan haben einen seit Jahren gewährten Benefit zu streichen, da dadurch der Abgang von knapp werdenden Fachkräften zu befürchten gewesen wäre.

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