Landhäuser und Gärten der Lebensreform
Das Haus Schindler in Innsbruck im Kontext.
1927 beauftragte der Cafébesitzer und Branntweinfabrikant Hugo Schindler (1888-1952) den bekannten Berliner Architekten Hermann Muthesius (1861-1927) mit dem Bau eines Landhauses im englischen Stil am Rennweg 10. Es war eines seiner letzten Bauprojekte. Nach dem „Anschluss“ und der „Arisierung“ seines Cafés in der Maria-Theresien-Straße ist Schindler gezwungen, die Liegenschaft unter Druck und zu einem zu niedrigen Preis an die Sparkasse der Stadt Innsbruck zu verkaufen. Im Sommer 1938 zieht der NSDAP-Kreisleiter Franz Hofer (1902-1975) in die Villa ein, die er als Privatwohnung nutzt und ein Jahr später auch kauft.
1945 beschlagnahmt die amerikanische Besatzungsmacht das Haus. Danach wird es von der französischen Militärregierung übernommen. Hugo Schindler, der den Holocaust in England überlebte, leitete nach dem Krieg ein Restitutionsverfahren ein, woraufhin ihm das Anwesen 1949 zurückgegeben wurde. Seine Witwe Edith (1904-1981) und sein Sohn Kurt (1925-2017) verkaufen das Anwesen 1956. Im Jahr 1990 wurde die Villa von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften erworben, die hier das Institut für Biomedizinische Alternsforschung einrichtete. Im Jahr 2002 wurde eine Generalsanierung durchgeführt - mit umfangreichen Eingriffen in die Fassade und die innere Struktur des Gebäudes. Zusammen mit dem Institut wurde die Liegenschaft 2013 an die Universität Innsbruck übertragen. Die Enkelin Meriel Schindler steht in enger Verbindung zur Universität Innsbruck und beschäftigt sich intensiv mit der Geschichte ihrer Familie.
Spricht man von Lebensreform, spricht man vom Monte Verità in Ascona am Lago Maggiore. Gründer der Kolonie auf dem Monte Verità waren die Brüder Karl (1875-1920) und Gustav Gräser (1879-1958) zusammen mit dem belgischen Fabrikantensohn Henri Oedenkoven (1875-1935) und der Münchner Pianistin Ida Hofmann (1864-1926). Oedenkoven und Hofmann kauften im Herbst 1900 den Monte Monescia oberhalb Asconas, benannten ihn um in Monte Verità (»Berg der Wahrheit«) und gründeten eine »vegetabile Cooperative«.
Sie waren von der Überzeugung beseelt, eine Veränderung der Welt durch die Änderung des eigenen Lebens bewirken zu können. Der Mensch und die Natur waren die zentralen Motive der Lebensreform. Tatsächlich waren nur wenige ihrer Zeitgenossen bereit alle Konventionen über Bord zu werfen. Aber es waren viele, die zumindest einzelne dieser Reformaspekte übernahmen und mit Leidenschaft verfolgten. So etwa in der Kunst und Architektur, ihrer privaten häuslichen Umgebung. Aber gibt es eine genuine Reform- oder Baukunst? Gemeinhin wird der Jugendstil als die Ausdrucksform der Revolte der Jugend und der Lebensreform bezeichnet. In der Ablehnung von Historismus und Nachahmung historischer Stile gilt er als bahnbrechend für die Entwicklung einer modernen Architektur. Dass die Gleichsetzung von Lebensreform und Jugendstil zu pauschal ist, ja zum Teil auch gegensätzlich, ist Gegenstand dieser Tagung.
Einer der wichtigsten Vertreter der Reformarchitektur in Deutschland war der Architekt Hermann Muthesius (1861-1927). Mit seinem letzten „englischen Landhaus“, das er kurz vor seinem Tod, 1927 für den jüdischen Kaufmann Hugo Schindler (1888-1952) in Innsbruck errichtet hatte, stellt Muthesius in der Tagung schließlich die Verbindung zu Tirol her. Das Haus, das seit 2013 der Universität Innsbruck gehört, wird gesondert dargestellt und in einer abschließenden Exkursion vor Ort begangen.
Tagung:
Landhäuser und Gärten der Lebensreform. Im Kontext: das Haus Schindler in Innsbruck
2.-4. April 2025
im Archiv für Bau.Kunst.Geschichte der Universität Innsbruck
in Kooperation mit der philosophisch-historischen Fakultät der Universität Innsbruck
Das Programm und das Plakat können mit nachstehenden Links heruntergeladen werden.
Programm Tagung: Landhäuser und Gärten der Lebensreform
Plakat zur Tagung: Landhäuser und Gärten der Lebensreform
Stadtplan zur Tagung
Die Tagung ist öffentlich und kostenlos.
MITTWOCH 2. APRIL 2025
18:00 Eröffnung der Tagung im Archiv für Bau.Kunst.Geschichte
Begrüßung: Veronika Sexl, Rektorin der Universität Innsbruck
Einführung: Dirk Rupnow, Dekan der Philosophisch-Historischen Fakultät
Impulsvortrag: Christoph Hölz, Archiv für Bau.Kunst.Geschichte
Das Haus Schindler in Innsbruck. Das letzte Haus von Hermann Muthesius
DONNERSTAG, 3. APRIL 2025
09:30 Lebensreform: Historischer Überblick und transnationale Perspektiven
Jörg Albrecht, Universität Leipzig
10:15 Great Britain. The Arts and Crafts Movement from Morris to Mackintosh
Jan Woudstra, University of Sheffield
11:00 Henry van de Velde und die Reformbewegung. Vom 1895 im grünen errichteten eigenen Atelier-Haus Bloemenwerf bis zum Stadthaus für die Familie Wolfers 1928
Priska Schmückle von Minckwitz, Paris
11:30 „… sie setzten sich eines Tages hin und fingen an …“ Richard Riemerschmid und die Stilwende um 1900
Christoph Hölz, Archiv für Bau.Kunst.Geschichte, Universität Innsbruck
14:00 „Anheimelnder Wohngedanke“ im „brauchbaren Typus eines modernen Landhauses“. Josef Hoffmann und die Reformarchitektur in Österreich
Rainald Franz, Museum für angewandte Kunst MAK, Wien
14:30 Hermann Muthesius, „Wie baue ich mein Haus?“
Daniel Resch, Bundesdenkmalamt, Landeskonservatorat Oberösterreich, Linz
15:30 Reformgärten der Lebensreform
Iris Lauterbach, Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München
FREITAG, 4. APRIL 2025
09:00 Treffpunkt: Haus Schindler, Rennweg 10. Führung für die Referent*innen
Birgit Weinberger/Kolleg*innen des Instituts für biomedizinische Altersforschung, Universität Innsbruck
11:00 Life and work at Hvitträsk, Kirkkonummi
Leena Svinhufvud, Design Museum, Helsinki
11:30 Eine Identität für einen Bauherren: Mackay Hugh Baillie-Scott‘s
Landhaus Waldbühl im Kontext der Reformarchitektur von Pfleghard und Haefeli für Bühler in Uzwil
Daniel A. Walser, Fachhochschule Graubünden, Chur und Architekt, Zürich
12:00 Abschlussdiskussion
Die Veranstaltung wird ermöglicht durch die Unterstützung von:
Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Innsbruck
Vizerektorat für Forschung
Fakultät für Architektur der Universität Innsbruck
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