Erfahrungsbericht zum Praktikum im Brenner-Archiv

Zwischen lauter Briefen

Kisten voll schlummernder Geheimnisse. Eine Suche nach Spuren. Das Identifizieren von Personen. Und im Hintergrund eine Bergkulisse.

Foto Annette Steinsiek mit Marina Blum

Beim Lesen dieser stichwortartigen Kurzbeschreibung kommen einem vielleicht andere Assoziationen als die Institution „Archiv“ in den Sinn. Doch mein Praktikum im Brenner-Archiv und meine Mitarbeit beim Erschließen des „Briefbestands Markus Vallazza“ gestaltete sich genau so. An meinem ersten Arbeitstag standen meine Praktikumsbetreuerin Annette Steinsiek und ich vor einem Berg von Schriftstücken – die Briefe steckten alle noch in ihren Kuverts und die Absender*innen waren „wild durcheinander“. Es begann für mich eine Zeit als kulturwissenschaftliche „Detektivin“. Bewaffnet mit Notizblock und Lupe machten wir uns ans Durcharbeiten, Sortieren und Strukturieren. Für mich als ordnungsliebenden und neugierigen Menschen war es das reinste Paradies, denn wir beschäftigten uns immerhin mit noch nie gesichtetem Material. Verlockend war auch das Gefühl, alles oder nichts in diesem Briefbestand finden zu können – Beilagen wie Fotos, die auch Vallazza zeigen, Notizen des Künstlers, die er auf Kuverts festhielt, Liebesbriefe, Post berühmter Schriftsteller*innen usw. Wer hält nicht gerne einmal einen Originalbrief von Friederike Mayröcker, N.C. Kaser oder Peter Handke in den Händen?

Neben diesen Tätigkeiten waren aber vor allem auch die Inhalte der Archivalien reizvoll. Was mich am Arbeitsort „Archiv“ erwartete, damit hatte ich nicht gerechnet. Es waren wahrhaftige Schicksale, persönliche Gedanken, zu Papier gebrachtes Gefühlschaos, denn Markus Vallazza tauschte sich mit seinen Korrespondenzpartner*innen über die Kunst, aber natürlich auch über private Inhalte aus. Die Archivarbeit wurde somit zu einem Eintauchen in das Leben von zahlreichen fremden Persönlichkeiten. Seelen von Verstorbenen bzw. Menschen aus einer anderen Zeit haben darin ihre Stimme behalten und somit eine Tür in die Vergangenheit aufgemacht. Durch die Lektüre der Schriftstücke wurden Personen greifbar, geradezu mit den Sinnen erfassbar. Wenn ich etwa an die unterschiedlichen Gerüche eingelegter Blüten und die Düfte parfümierter Briefe denke oder an Fotos, die in den Kuverts steckten.            

Im Rahmen meiner Mitarbeit habe ich Einblicke in archivalische Abläufe und Fertigkeiten bekommen und viel für meine berufliche Zukunft mitnehmen dürfen. So lernte ich, wie im Archiv geordnet wird, wie die Materialien aufbewahrt werden, wie ein Bestand verzeichnet und mit Signaturen versehen wird. Das Identifizieren von Personen half, die verschiedenen Individuen im Leben des Künstlers einordnen zu können, war oftmals aber gar nicht so leicht. Nicht selten verbrachten wir Zeit mit Tüftelei: zerrissene Schriftstücke wurden aneinandergelegt, Poststempel wurden mit der Lupe untersucht, nach möglichen Vor-und-Nachnamen-Kombinationen oder sogar Spitznamen wurde gesucht und – die gängigste Variante – Handschriften wurden verglichen, wenn ein Kuvert keine Absender*innen-Adresse trug, sondern der Brief nur einen Vornamen als Unterschrift hatte. Mein Lernprozess bezog sich also auch auf (Online-)Recherchen und das Entziffern, Merken und Zuordnen von Handschriften. Wertvoll waren schließlich die Einblicke, die ich durch mein Mitwirken beim Text für „Ins Bild gerückt“ dieses Newsletters erhielt, der ja mit einem kurzen Bericht über den Bestand beginnt. 

Was ich als besonders faszinierend beim Arbeiten am „Briefbestand Markus Vallazza“ empfand: das Kennenlernen eines mir unbekannten Menschen, eines angesehenen Künstlers, und das durch die Augen anderer mir unbekannter Personen; also zu erfahren, was schriftliche Überreste einfangen und wie sie die Persönlichkeit von einem Individuum in zukünftige Zeiten weitertragen können.

Marina Blum

 

Marina Blum hat in den Monaten Februar bis April 2022 ein unbezahltes Praktikum als Wahlfach Praxis im Forschungsinstitut Brenner-Archiv im Umfang von 120 Stunden absolviert.

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