Wer war Franz Tumler?
Kurzbiographie
Besonders geprägt wird Franz Ernest Aubert Tumler durch die Vaterheimat Südtirol, in der er selbst nur sein erstes Lebensjahr verbracht hat. Die Mutter übersiedelt nach dem Tod des Vaters, Franz Tumler sen., nach Linz, wo Tumler die Schule besucht und von seinem Stiefvater, der auch Lehrer ist, dazu angehalten wird, Erfahrungen genau zu beobachten und zu beschreiben. Der Großvater Josef Fridrich war Buchdrucker in Ried i. I. und später in Linz, was Tumler zusätzlich ein enges Verhältnis zu Gedrucktem ermöglicht. Neben A. Th. Sonnleitners „Höhlenkindern“ liest Tumler in frühen Jahren vor allem Adalbert Stifter. Mit 14 Jahren besucht er das erste Mal die Verwandten in Laas, Schlanders und Bozen. Südtirol beeindruckt ihn nachhaltig, was sich schon in seiner ersten großen Erzählung „Das Tal von Lausa und Duron“ niederschlägt. Das Zusammentreffen der Italiener, Deutschen und Ladiner im Ersten Weltkrieg wird anhand eines Dorfes und konkret an einer Familie demonstriert. Das Scheitern der Heimatfindung bestimmt diese Erzählung, deren Veröffentlichung durch Paul Alverdes im „Inneren Reich“ dem Autor einen großen Erfolg beschert und schließlich den Weg für sein weiteres literarisches Schaffen ebnet. Als Soldat und erfolgreicher Schriftsteller im Dritten Reich lässt er sich zum Teil auf die Ideologie der Zeit ein. Es sind dabei vor allem nichtfiktionale Texte (Österreich ist ein Land des Deutschen Reiches) und Auftragsarbeiten, in denen er sich klar zum Nationalsozialismus bekennt. Neben Paul Alverdes sind es namentlich Gertrud Fussenegger, Graf von Thun Hohenstein, Bruno Brehm, Sepp Keller, Jürgen Eggebrecht und Josef Weinheber, mit denen er in der Kriegs- und vielfach auch in der Nachkriegs-Zeit engen Kontakt pflegt.
1941 hat sich Tumler freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet; nach der Rückkehr aus Krieg und Gefangenschaft, die er in seinem Roman „Heimfahrt“ aufarbeitet, siedelt er sich in Hagenberg (OÖ) an. Erst mit dem Roman „Der alte Herr Lorenz“ (1949) kann er literarisch wieder Fuß fassen. Wichtig für seine weitere Karriere sind aber vor allem „Ein Schloß in Österreich“ (1953) und „Der Schritt hinüber“ (1956) sowie „Der Mantel“ (1959). Mit letzterem beginnt auch ein neuer Abschnitt im Schreiben Tumlers.
Tumlers dritte Heimat wird Berlin. Dort schließt er Freundschaft mit Gottfried Benn, und er wird zu Treffen der Gruppe 47 eingeladen. Er wird Mitglied und in den 60er Jahren Leiter der Abt. Literatur der Berliner Akademie der Künste. Immer wieder besucht er Südtirol und Oberösterreich. In Südtirol entwickelt sich Tumler zu einer Schlüsselfigur der Literaturszene. Norbert C. Kaser: „Ich habe zwar etwas gegen Betitelungen, aber er ist der Vater unserer Literatur und unseres Erkennens.“
Mit seiner „Aufschreibung aus Trient“ schafft Tumler eine breite Diskussionsbasis für die politischen Probleme rund um den Konflikt zwischen Deutschsprachigen und Italienern in Italien. Nach seinem Schlaganfall 1973 kann er nur mehr Gedichte schreiben, und er stirbt schließlich 1998 in Berlin.
Sein Schreiben mutet oft wie ein Beschreiben an. Er konzentriert sich auf Ausdruck und Sprache, reflektiert in den Texten den Schreibprozess selbst und findet zu einer Art Metasprache. Als Höhepunkt in diesem Zusammenhang kann „Volterra. Wie entsteht Prosa?“ (1962) bezeichnet werden. Durch die Entwicklung neuer Schreibformen – vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg – distanziert sich Tumler ganz entschieden vom Schreiben im Nationalsozialismus, und er wird heute zu Recht als Autor der Moderne bezeichnet. Besonders bemerkenswert sind die Erzählhaltung in „Der Mantel“ und das Prosagedicht „Sätze von der Donau“. Der Erzähler ist selbst so unsicher, dass er dem Leser keine Chance bietet, sich eine Identifikationsfigur zu suchen. Ständig werden Wissen und Erkenntnisse in Frage gestellt.
Immer wieder arbeitet Tumler mit Verweisen auf Stifter. Vor allem Stifters Rückzug auf die Genauigkeit und die Langsamkeit nimmt sich Tumler zu Herzen.
Sein Werk trägt stark autobiographische Züge. Tumler muss, so scheint es, immer wieder aufs Neue heimisch werden. Es verwundert also wenig, dass er in seinen Texten beharrlich auf die sein Leben bestimmenden Landschaften: auf Südtirol, auf Oberösterreich und auf Berlin zu sprechen kommt.
Biographische Daten
Der Vater, Dr. Franz Tumler (1878-1913), ist Professor am k.k. Staats-Reform-
Realgymnasium in Bozen.
Die Familie mütterlicherseits stammt aus Wien, der Großvater betreibt eine Druckerei in Oberösterreich. Mutter Ernestine (geb. Fridrich) zieht 1913 mit dem einjährigen Franz und dessen Schwester Erna nach Oberösterreich.
A | B |
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1918 | Volksschule in Linz und der Bürgerschule in Lambach |
1926 | 1. Besuch in Südtirol (Familie Muther/Laas, Familie Schaller/Bozen) 4 Jahre bischöfliche Lehrerbildungsanstalt in Linz (Reifeprüfung 1930) |
1928 | 1. Veröffentlichungen im „Linzer Tagblatt“ |
1930 | Lehrer in Stadl-Paura und Buchkirchen bei Wels |
1932/33 | in Südtirol |
1934 | Mitarbeit bei der „Alpenländischen Morgen-Zeitung“ (später „Zeitung am Morgen“).Diese wurde zum Teil zensuriert und später eingestellt (24. 2. 1934 als „Alpenländische Morgen-Zeitung“ bzw. 20. 3. 1934 als „Zeitung am Morgen“)Teilnahme an den Lagern der „Reichsjugendführung“ (Lusen/Bayrischer Wald) bis 1938 |
1937 | Fahrt nach Wien, Bekanntschaft mit Graf von Thun-Hohenstein, Wittgenstein, Weinheber |
1938 | Ausscheiden aus dem Schuldienst Freier Schriftsteller Mitglied bei der SA, Gast auf dem Ersten Großdeutschen Dichtertreffen“ in Weimar |
1939 | Heirat mit Susanne Lühr (spätere Scheidung, aus der Ehe geht ein Sohn hervor) |
1940 | Teilnahme an der „Salzburger Dichterwoche“ |
1941 | freiwillige Meldung zum Kriegsdienst, Marineartillerie, zahlreiche NS-Literaturpreise |
1945 | Rückkehr nach Oberösterreich, lebt in Hagenberg bei Linz, später in Altmünster am Traunsee und Linz |
1952 | zunehmender Aufenthalt in Berlin Freundschaft mit Gottfried Benn |
1955 | Gast bei der 16. Tagung der Gruppe 47 in Berlin (auch 1957 u. 1962) |
1956 | Autor im Suhrkamp-Verlag |
1959 | Mitglied der Akademie der Künste |
1960 | Mitglied der Bayerische Akademie der schönen Künste |
1967-70 | (stellvertretender) Direktor der Abteilung Literatur der Akademie der Künste |
1972 | gehört dem PEN-Zentrum der BRD an Professor, e.h. der Republik Österreich |
1973 | Schlaganfall; Tumler kann danach nur noch kurze Texte bzw. Gedichte verfassen. In den folgenden Jahren viele Reisen und Heirat mit Sigrid John |
1998 | Beisetzung in Berlin unter Laaser Marmor |
Preise
A | B |
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1940 | Dichterpreis der Reichshauptstadt (Berlin) |
1942 | Sudetendeutscher Schrifttumspreis (Karlsbad) |
1956 | Charles-Veillon-Preis (Lausanne, für „Der Schritt hinüber“) |
1961 | Ehrenpreis des Bundesverbandes der deutschen Industrie (Köln) |
1967 | Literaturpreis der Bayrischen Akademie der Künste (München) |
1969 | Adalbert-Stifter-Medaille des Österreichischen Staatspreises (Wien) |
1970 | Arbeitsstipendium, Villa Serpentara (Rom) |
1971 | Adalbert-Stifter-Preis (Linz) |
1982 | Andreas-Gryphius-Preis (Düsseldorf) Würdigungspreis für Literatur des Landes Tirol (Innsbruck) |
1985 | Walther-von-der-Vogelweide-Preis (Bozen) Verdienstkreuz des Landes Tirol (Bozen) |
1992 | Kunstwürdigungspreis der Stadt Linz |
Wer war Franz Tumler?
Ziele:
Die wesentlichen Ziele des FWF-Projekts sind:
A | B |
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a) | die inhaltliche, literaturwissenschaftliche Auswertung des erhobenen empirischen Datenmaterials (der Archivalien), das heißt Prüfung der verschiedenen Fassungen der Primärliteratur, der biografischen und zeitgeschichtliche Kontexte, sowie Zusammenschau aller werk- bzw. literaturgeschichtlichen Studien zu Franz Tumler; |
b) | die Kommentierung des Romans Der Schritt hinüber, ferner der Texte, die poetologische Fragestellungen betreffen, und der zahlreichen Erzählungen, die oft unter verschiedensten Titeln und in den verschiedensten Medien veröffentlicht worden sind; |
c) | die Transkription ausgewählter Materialien aus dem Nachlass, soweit dies für die wissenschaftliche Arbeit relevant ist; |
d) | die Feinordnung und Datierung der relevanten Nachlassmaterialien aus dem im Brenner-Archiv befindlichen Nachlass Hermann Stuppäck; |
e) | Recherchearbeiten zu editionswissenschaftlich relevanten Punkten, sei es zur Textgenese, zu Namens- bzw. Ortsfragen sowie zu historischen, psychologischen, philosophischen usf. Hintergründen; |
f) | Publikationen der wichtigsten Erträge dieser Forschungsarbeiten. |
Tumlers Werk und seine Beurteilung
Heinz Ohff, lange Jahre Feuilletonchef des Berliner Tagesspiegels und Präsident der deutschen Sektion des Internationalen Kunstkritikerverbandes Association Internationale des Critiques d'Art, hat Tumler schon in den sechziger Jahren direkt neben Uwe Johnson und Günter Grass gestellt. Es gebe keinen Zweifel mehr, schreibt Ohff, die große Nachprüfung, die eines Tages kommen und schließlich bestimmen werde, was bleibt, was also aus dem unüberschaubaren Belletristik-Angebot der deutschen Verlagshäuser einmal in den Kanon der deutschsprachigen Literatur aufzunehmen wäre, diese Nachprüfung werde sich auch mit Tumlers Werk befassen und ihm einen Platz in der Mittelloge zuweisen müssen. Denn Tumler hat, so begründet Ohff seine Beurteilung, wohnhaft in einem Zwischenreich zwischen Adalbert Stifter und Hans Magnus Enzensberger, im deutschen Sprachraum als einer der ersten, wenn nicht als erster, einen literarischen Ausdruck entwickelt, der sich mit der dominanten Tonart des technischen Zeitalters getroffen und unter der schlichten Genrebezeichnung Text rasch eingebürgert habe.
Die Geschichten, die Tumler seit den späten fünfziger Jahren erzählt hat, sind tatsächlich immer zugleich Reflexionen über die Kunst des Erzählens, besser gesagt: über die Strategien des Erzählens nach dem Ende aller großen Erzählungen.
Der Nachlass
Der Nachlass Franz Tumlers liegt zum Großteil im Deutschen Literaturarchiv in Marbach am Neckar. Dorthin gab der Autor die meisten seiner Schriften schon zu Lebzeiten. Daneben befinden sich noch kleinere Teile in der Dokumentationsstelle für neuere Südtiroler Literatur (Bozen), bei Privatpersonen und im Brenner-Archiv.
Das Brenner-Archiv verfügt über Briefe Tumlers und über Manuskripte. Am umfangreichsten ist das Konvolut Franz Tumler an Hermann Stuppäck, das von dem ersten erhaltenen Brief vom 8. September 1948 bis zum letzten vom 2. März 1983 reicht. Neben Briefen und Postkarten Tumlers an Stuppäck liegen Durchschläge von Briefen Stuppäcks an Tumler vor. Interessant ist der Briefwechsel vor allem, weil Hermann Stuppäck lange Zeit Tumler als Lektor betreute – dementsprechend aufschlussreich sind die Vorschläge, aufschlussreich ist es auch zu beobachten, ob und wie sie Berücksichtigung gefunden haben. Davon betroffen sind u. a.: Landschaften eines Heimgekehrten, Der alte Herr Lorenz, Die Heimfahrt, Ein Schloß in Österreich. Es handelt sich bei den Briefen um 4 Mappen mit ca. 120 Blatt. Dazu kommen noch zwei Typoskripte mit zahlreichen handschriftlichen Verbesserungen – nämlich Der Schritt hinüber und Erinnerungen an Aichet.
Eine Manuskriptseite von Der Schritt hinüber. (FIBA 164/13.a)
Projektleitung
Johann Holzner, Forschungsinstitut Brenner-Archiv
Projektmitarbeiterin
Barbara Hoiß, Forschungsinstitut Brenner-Archiv
In Kooperation mit:
Toni Bernhart, Freie Universität Berlin
Sieglinde Klettenhammer, Institut für deutsche Sprache, Literatur und Literaturkritik
Jochen Meyer, Deutsches Literaturarchiv Marbach a. N.