Sommerfrische!
Eine virtuelle Ausstellung des Forschungsinstituts Brenner-Archiv mit Beiträgen von Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Lehrveranstaltung „Quellenkritik“, Wintersemester 2020/2021
In der Corona-Pandemie war und ist es uns nur eingeschränkt möglich, in den Urlaub zu fahren. Als Verschönerung eines Urlaubs zu Hause laden wir Sie ein, mit uns historisch zu verreisen: in die Sommerfrische. Nicht so wie früher, als die gesamte Familie mit einem Großteil des Hausrats aufs Land übersiedelte und sich so auf Sommerfrische begab – die Sommerfrische kommt hier und jetzt zu Ihnen. Steigen Sie in den virtuellen Zug ein und erkunden Sie Aspekte des Urlaubs, wie man ihn im gehobenen städtischen Bürgertum im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert kannte.
Sommerfrische ist nicht nur ein Wort, sondern auch ein Gefühl: Die schnelllebige, moderne, graue Stadt verlassen, in eine Welt eintauchen, die ein Zurück zum Ursprung, einen Lebensgeist und die Natur repräsentiert, eine Welt, die zum Entspannen und Träumen einlädt.
Wir schreiben das Jahr 1800. Die Stadt Wien zählt rund 230.000 Einwohner*innen, Innsbruck zirka 9000. Viele Menschen klagen über die in den Städten herrschenden Lebensbedingungen: Staub, schlechte Luft, der penetrante Gestank der Kanalisation sowie Lärm durch klappernde Pferdehufe und polternde Wägen lassen den Wunsch nach Erholung auf dem Land heranwachsen. Mit dem Aufstieg des Bürgertums ist die Flucht vor der sommerlichen städtischen Hitze nicht mehr einzig und allein dem Adel – für den es schon weit früher üblich war, den Sommer auf einem Landsitz zu verbringen – vorbehalten: Es etabliert sich das bürgerliche Ritual der „Sommerfrische“. So wird der ursprünglich vom italienischen „frescura“ abgeleitete Begriff um 1900, der Hochphase des Phänomens Sommerfrische, im Grimmschen Wörterbuch als ein „Erholungsaufenthalt der Städter auf dem Lande zur Sommerszeit“ definiert. Auf diese Weise kommt es zur Herausbildung klassischer Sommerfrischeorte, wovon Sie einige kennen lernen werden.
Die Sommerfrische ist nicht, wie vielleicht vorschnell vermutet wird, mit dem heutigen Sommerurlaub zu vergleichen. Sommerfrische war Tradition und Statussymbol und brachte eine ganz eigene Kultur mit sich, die die Sommerfrischler*innen in eine Art Parallelwelt entführte. In eine Welt, in der Verpflichtungen und Zwänge der Stadt nicht bestanden; in eine Welt, in der man sich den Freuden des Lebens hingab, wie dem Musizieren, gemeinsamen Theaterabenden oder dem Wandern – je nachdem, welche Vorzüge der Sommerfrischeort zu bieten hatte. Typischerweise verbrachte man die Sommerfrische eher wenig aktiv; man spazierte oder spielte vielleicht ein gemütliches Match Tennis oder - man las. Im Unterscheid zum heute vorherrschenden Urlaub in den Bergen, der sich zumeist durch eine Vielzahl von Möglichkeiten sportlicher Aktivität auszeichnet, die mit Intensität betrieben werden, galt die Sommerfrische also früher als eine Zeit der Ruhe und Zurückgezogenheit.
Aber nicht nur die Sommerfrischler*innen profitierten von dieser Zeit des Luftschnappens und Zurruhekommens, sondern auch die einheimische Landbevölkerung zog daraus Vorteile, denn die Städter*innen schufen Arbeit und steckten Geld in die Erhaltung und Verschönerung des Ortes, weshalb heute noch Parkbänke, Wanderwege und Freibäder auf die Zeit der Sommerfrische zurückgehen.
Für Künstlerinnen und Künstler war die Sommerfrische aber auch eine Zeit des kreativen Schaffens in der Natur. Gleichermaßen finden sich zahlreiche Darstellungen der Sommerfrische in literarischen Texten.
Tauchen Sie mit uns in die Welt der Sommerfrische ein und nehmen Sie anhand der ausgewählten Exponate Einblicke in eine andere Art des Urlaubs. Lassen Sie sich von dem breiten Spektrum der Aspekte der Sommerfrische überraschen und begeben Sie sich mit uns auf die Reise.
Der Sommerfrische-Express bringt Sie an verschiedenste Orte – von geheimnisvollen Gärten zum Träumen unter Magnolienbäumen, prachtvollen Sommervillen mit Apfelkuchengeruch in der Luft, dem kleinen Haus am See bis hin zu schwindelerregenden Abenteuern in den Bergen. Diverse Dokumente führen Sie zu Sommerfrische-Destinationen vor allem im historischen Tirol (Tirol, Südtirol, Trentino) und in Oberbayern. Ausgehend von Quellen des Forschungsinstituts Brenner-Archivs erwartet Sie eine außergewöhnliche Zeitreise in die Vergangenheit. Steigen Sie ein...!
Sarah-Sophie Engl, Celina Kerle, Norbert Gerhold, Anna-Dorothea Nussbaumer, Julia Ofer, Janine Zumtobel
Literatur (Auswahl)
Felix Czeike: Landpartien und Sommeraufenthalte. Die Entwicklung vom ausgehenden 17. Jahrhundert bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. In: Wiener Geschichtsblätter, 43, 1988, H.2, 41–64.
Silke Götsch: Sommerfrische. Zur Etablierung einer Gegenwelt am Ende des 19. Jahrhunderts. In: Schweizerisches Archiv für Volkskunde, Bd. 98, 2002, 9–15. Online lesen
Hanns Haas: Die Sommerfrische – Ort der Bürgerlichkeit. In: Hannes Stekl u.a. (Hg.): ‚Durch Arbeit, Besitz, Wissen und Gerechtigkeit‘. Zur Geschichte des Bürgertums der Habsburgermonarchie, Bd. 2. Wien: Böhlau 1992, 364–377.
Peter Payer: Sommerfrische. Ein bürgerliches Ritual als Sehnsucht nach antiurbanen Sinnesreizen. In: Ferdinand Opll, Martin Scheutz (Hg.): Fernweh und Stadt. Tourismus als städtisches Phänomen. Innsbruck, Wien, Bozen: StudienVerlag 2018, 77–107.
Beda Weber: Handbuch für Reisende in Tirol in einem Bande. Nach dem größeren Werke Das Land Tirol, vielfach verbessert und berichtigt. Innsbruck: Wagner 1842.
Abbildung des Koffers: Hallwyl Museum, Foto: Jens Mohr. Wikicommons, CC BY-SA. Link
Abbildung der Lokomotive: GWR broad gauge locomotive 4-2-2 Rover Class Inkermann (built 1878; withdrawn 1892) passing under Moor Lane Bridge at Worle Junction on the Bristol to Taunton line; looking towards Bristol. The National Archives, RAIL 1014/19 vol. 2 no.51, Foto: Reverend A.H. Malan. Wikicommons. Link
Zu dieser Ausstellung
Diese Ausstellung ist ein Ergebnis der Lehrveranstaltung „Literaturwissenschaftliche Quellenkritik an Beispielen aus dem Forschungsinstitut Brenner-Archiv“ (Institut für Germanistik, Universität Innsbruck).
Das Wintersemester 2020/2021 fand aufgrund der Corona-Pandemie zur Gänze virtuell statt. Die Herausforderung bestand einerseits darin, die Arbeit mit Quellen im Literaturarchiv wenigstens so gut wie möglich zu simulieren, weil es unmöglich war, die Materialien im Archiv tatsächlich in die Hand zu nehmen; andererseits, ein Thema zu finden, das dem depressiven, klaustrophobischen Charakter der Gegenwart etwas Imaginäres entgegensetzen konnte. Ich ging mit der Idee einer Ausstellung zur „Sommerfrische“ in die erste Lehrveranstaltungseinheit. Das Konzept ging auf. Für die Studierenden und für mich war es eine spannende und anregende Zeit.
Im Laufe der Erarbeitung der Ausstellung zeigte sich, dass das Thema der „Sommerfrische“ auch an anderen Stellen wieder aufgegriffen wird – sei es in „realen“ Ausstellungen (wie im Stadtmuseum in Hall in Tirol) oder als Werbesujet („Erfrischend wohltemperiert. Sommerfrische in Niederösterreich“). Die „rückwärtsgewandte Utopie“ einer heilen Welt auf dem Lande ist wohl nicht nur für uns in der Lehrveranstaltung ein erholsamer Gegenentwurf zum Alltag (vielleicht nicht nur) in der Pandemie gewesen.
Die Ergebnisse der Arbeiten konnten sich durchwegs sehen lassen – die schon von Beginn an für die Ausstellung gedachten Texte (sie waren Teile der umfangreichereren Seminararbeiten) mussten an einigen Stellen sprachlich und inhaltlich redigiert werden, schon um der Einheitlichkeit willen. Die jeweilige Autorin, der jeweilige Autor ist bei jedem Exponat genannt. Nur drei Arbeiten wurden nicht abgegeben, hier findet sich eine kurze Skizze zur „Station“ – denn die „Route“ war ja gemeinsam ausgearbeitet worden, wie überhaupt das Ausstellungskonzept mit dem imaginierten „Ausstellungsexpress“. Nicht alle Ideen konnten umgesetzt werden – so hat sich die Lehrveranstaltungsleiterin, die danach zur Kuratorin der Ausstellung wurde, schweren Herzens entschlossen, die geplanten (und reizenden!) Bahnhofsansagen-Audios zu den Stationen entfallen zu lassen. Der Einleitungstext ist eine Kompilation aus unterschiedlichen vorgelegten Einleitungen – die Auswahl erfolgte dabei auch im Hinblick auf die sprachliche Kombinierbarkeit, es hätte noch etliche weitere gute Einleitungen zur Auswahl gegeben!
Dank ergeht nicht nur an die Teilnehmer*innen der Lehrveranstaltung, die ein schwieriges Semester durchstanden, mit Ideen und Kritik das Konzept verfeinerten und durchführten und nun „ihre“ Exponate vorstellen; sondern auch an Rania Abbas-Ragab, Barbara Halder und Tanja Hofer, die für die Lehrveranstaltung immer wieder und gelegentlich spontan umfangreiche Digitalisierungsarbeiten erledigten. Dank an Rania Abbas-Ragab, Tanja Hofer und vor allem Dr. Annette Steinsiek fürs Korrektorat. Und – last but not least – geht mein Dank an Mag. Andreas Hupfauf, der als Webmaster die Umsetzung möglich gemacht hat und der gemeinsam mit mir als Kuratorin die visuelle Gestaltung verantwortet.
Ursula A. Schneider (im August 2021)