Mit Karl Schönherr in Telfs – aber nur bei gutem Wetter
Der Dramatiker und Arzt Karl Schönherr wurde 1867 in Axams geboren und wuchs auch in Tirol auf. Zum Studium der Medizin ging er nach Wien, wo er bis zu seinem Tod 1943 lebte. Vor der Hitze der Großstadt floh er über die Sommermonate regelmäßig nach Telfs im Oberinntal, das sein Sommerfrische-Domizil wurde. Diese Zeit war für Schönherr aber nicht nur eine Erholungsphase, sondern auch Inspirationsquelle und Recherchemöglichkeit für sein literarisches Schaffen. Seine Aufenthalte in Telfs regten ihn zum Schreiben an, und viele Kontakte und Begebenheiten, unter anderen aus den Wirtshäusern, in denen der junge Schriftsteller viele Tage und Nächte musizierend und Karten spielend verbrachte, flossen als Figuren und Motive in seine Bühnenwerke ein. Häufig verbrachte er Stunden damit, im Kaufmannsladen auf einem Salzfass zu sitzen und die Menschen zu beobachten, die ein- und ausgingen. Er soll jedes Detail über die Kund*innen des Ladens auf einen Notizblock notiert haben. Er habe, so wird berichtet, die so gesammelten Redewendungen und die Kraftausdrücke der Bevölkerung für seine naturalistischen Dramen verwendet.
Adressatin der vorliegenden Karte – sie ist wohl aus einem Kartenbüchlein gerissen worden – ist die Wiener Society-Lady Alice Epstein, Stieftochter des österreichischen Komponisten Johann Strauss Sohn. Mit ihr war Schönherr über einige Jahre in brieflicher und persönlicher Verbindung. Die Vorderseite präsentiert eine Fotografie des damals noch kleinen Ortes Telfs am Fuße der Hohen Munde. Der Schwatz über den Gartenzaun ist wohl idealtypisch für die gesellige Muße der Sommerfrische. Das abgebildete "Rinnerbad" gibt es nicht mehr; das Gebäude ließ sich als der Gasthof Föhrenhof identifizieren, so dass es naheliegt, dass die "Wannenbäder und ein kleines offenes Schwimmbecken [darin] heilkundige Kräuterfrauen Alpenkräuterbäder bereitet haben" (Potocnik-Paulitsch), sich im oder neben dem Gasthof befanden. Heute sind an dieser Stelle Privathäuser und ein Pfarrzentrum zu finden.
Anna Füreder
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Karl Schönherr war in jungen Jahren mit Rudolf Greinz befreundet – siehe Station 8: Rudolf Greinz in Aldrans
Eine Ansichtskarte als Exponat findet sich unter anderem in Station 17: Toblach
Etwas weiter als nach Telfs reiste Ernst von Glasersfeld: siehe Station 22
Literatur
Karl Schönherr an Alice Strauß, 29.9.1908. Forschungsinstitut Brenner-Archiv, Slg. Karl Schönherr, Sig. 139-01-01-004.
Karl Schönherr, Foto des Autors: Fotograf: Wenzl Weis. Gemeinfrei, Copyright Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv Austria, Inventenarnr. Pf 4863:C(3).
Vinzenz K. Chiavacci: Karl Schönherr und seine Zeit. In: Karl Schönherr: Gesamtausgabe. Lyrik und Prosa, hg. v. Vinzenz K. Chiavacci, Wien: Kremayr & Scheriau 1969, 7–45.
Stefan Dietrich: 100 Jahre Marktgemeinde Telfs 1908–2008. Gemeinsam die Zukunft gestalten. Telfs: Marktgemeinde Telfs 2008.
Anne Potocnik-Paulitsch: ... nimm Dein kleines Schwesterlein. Frauen in der Badekultur. In: Panoptica. frauen. kultur. tirol 2021, 60-67. (Zitat: S. 66)
Annette Steinsiek: Ein „Kriegsgedicht“? Der Brief von Karl Schönherr an Alice Epstein vom 12.3.1915 und sein Drama „Volk in Not“. In: Mitteilungen aus dem Brenner-Archiv 33/2014, Dossier Erster Weltkrieg. Attraktion und Trauma, 69–74. Online lesen