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Credit: Brenner-Archiv

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Markus Ender: Liebesgaben eines Dichters – Kuriosa im Nachlass Hermann von Gilm zu Roseneck

Liebesgaben eines Dichters – Kuriosa im Nachlass Hermann von Gilm zu Roseneck *

Liebesbrief Gilm. © Brenner-Archiv

„Ergreif mein Herz, du süße Liebespein, / die Du vom Tau der Hoffnung schmachtend lebst“: Die Liebespein, die Goethe seinem „Faust“ in den Mund legt, kann mitunter in eigenwillige Handlungen münden, die von Verliebten unternommen werden, sie macht vor Standesschranken nicht Halt, wenige sind davor gefeit – so fiel ihr auch der Tiroler Literat Hermann von Gilm zum Opfer, und das gleich mehrfach.

Hermann Rudolf Heinrich von Gilm zu Roseneck wurde am 1. November 1812 in Innsbruck als Sohn eines Stadtgerichtsassessors geboren. Er inskribierte 1830 in Innsbruck und entschied sich nach den philosophischen Studien für die Rechtswissenschaft. Anders als beispielsweise Gilms Zeitgenosse Adalbert Stifter, der aus Selbstzweifeln nicht in der Lage war, seine rechtswissenschaftlichen Studien zu beenden, weil er einen entscheidenden Prüfungstermin verstreichen ließ, schloss Gilm sein Jurastudium ab. Ab 1836 war er Rechtspraktikant, ab 1838 als unbesoldeter Konzeptspraktikant bei der Tiroler Statthalterei und ab 1840 im Staatsdienst in Schwaz, Bruneck (1842)  und Rovereto (1847) tätig, bis er als Hofkanzleikonzeptspraktikant nach Wien wechselte. 1854 wurde Gilm zum Statthalterkreissekretär befördert und lebte fortan bis zu seinem Tod am 31. Mai 1864 in Linz. Die Entscheidung für den Beruf des Beamten war eher pragmatischer Natur und geschah, um dem Wunsch des Vaters zu genügen; zeitlebens machte Gilm die Kluft zwischen der relativen Freiheit, die er in der Poesie fand, und der regulativen Profanität des Juristenberufes in der biedermeierlichen Monarchie schwer zu schaffen. Gilm gehört heute wohl mit großer Wahrscheinlichkeit zu den weitgehend Vergessenen unter den österreichischen Literaten des 19. Jahrhunderts. Nur wenige aktuelle Literaturgeschichten verweisen auf sein Leben und Oevre; für die Zukunft mag in Plattformen wie der Literaturlandkarte Tirol[1] einiges an Potenzial verborgen liegen, auch jene DichterInnen, die im Begriff sind, vergessen zu werden, wieder in das Bewusstsein einer interessierten Öffentlichkeit zu heben.

Wie das Andenken an den Dichter erscheint auch sein Nachlass eher unscheinbar und nur im Hintergrund präsent, wenngleich er einige Schätze birgt. Als Leihgabe des Landesmuseums Ferdinandeum ist Gilms Nachlass im Innsbrucker Brenner-Archiv als Kryptonachlass in den Bestand Ludwig von Hörmann eingegliedert. Unter den Korrespondenzstücken und Archivalien findet sich die eine oder andere Besonderheit, so z.B. die Gussform des Bronze-Lorbeers auf Gilms Grab, sein Siegel und ein vollständiges

Liebesgaben eines Dichters – Kuriosa im Nachlass Hermann von Gilm zu Roseneck. © Brenner-Archiv

Schachspiel. Zwischen den Briefen und Gedichtmanuskripten liegen überdies, eingehüllt in ein Stück ordinäres Packpapier, ein Paar zierliche Morgenschuhe, die von Hand mit Schmetterlingen und floralen Mustern bestickt sind.[2] An die Schuhe ist eine handgeschriebene Karte geheftet, die einen Blick auf die Umstände freigibt, unter denen die Archivalie entstanden ist:

Morgenschuhe
welche Dichter Hermann
v Gilm
seiner ersten Jugendliebe Josefine Kogler, unter Anleitung seiner Schwester Catton selbst gestickt u. überbracht hat.
Innsbruck 1837.[3]

Gilm hatte die zwanzigjährige Josefine Kogler, jenes „blondgelockte Innsbrucker Kind“[4], das ihm in Folge in den eingangs beschriebenen faustischen Zustand zwischen Hoffnung und Liebespein versetzen sollte, im Fasching 1836 bei einer Tanzveranstaltung in Innsbruck kennengelernt und in den folgenden Monaten und Jahren heftig umworben. Der erste erhaltene Brief der Korrespondenz, die von 1837 bis 1841 reicht, entstand wahrscheinlich, nachdem Josefine am 1. Mai 1837 ihre Zuneigung gegenüber dem Dichter bekundet hatte. Er wurde von Gilm mit den Initialen seiner Geliebten versehen, die er aus Vergissmeinnicht-Blüten verfertigte.[5] Im Zuge seines Werbens bewies der Dichter auch außerhalb des Schriftverkehrs Kreativität; um Josefine von sich zu überzeugen, war die Idee mit den bestickten Morgenschuhen entstanden und Gilm hatte sich, mangels praktischer Kenntnisse, an seine Schwester Katharina (von ihm als Caton bzw Catton bezeichnet) um Hilfestellung bei der Umsetzung gewandt und die Arbeit somit beenden können.

Das Besticken von Schuhen stellte dazumals beileibe kein alltägliches Geschäft für junge Männer dar: In gesellschaftlich reaktionärer Atmosphäre, in der es sich für junge Frauen nicht schickte, sich mit Literatur zu beschäftigen (weil die landläufige Meinung darin bestand, dass das Romanlesen den Charakter verdürbe), geschweige denn, höhere Bildung zu erwerben – und erst recht den verbotenen Schiller zu lesen, wie es Gilm Kogler nahelegte! – erscheint es umso verwunderlicher, dass ein junger Mann, der für eine Laufbahn im beamtischen Dienst der Monarchie vorgesehen war, Zeit und Muße für das Besticken von Leinenschuhen und für die geistige Förderung seiner Liebsten aufzuwenden gewillt war.

Die Mühen, mit denen die ungewöhnliche Liebesgaben hergestellt wurden, zeitigten jedoch nicht die erwünschte Wirkung. Die Liebesgeschichte zwischen dem Dichter und seiner „Pepi“ nahm vielmehr einen unglücklichen Verlauf und endete mit einer räumlichen wie geistigen Trennung; es war den beiden nicht vergönnt, dass sich eine tragfähige Beziehung zwischen den beiden Charakteren entwickeln konnte. Von Anfang an zeigte sich das Verhältnis vor allem von der unsteten Wesensart Gilms belastet; auf dieselbe Weise, wie er zwischen dem Beamtentum seines Berufes und der Kunstproduktion seiner Berufung hin- und hergerissen war, schwankte er zwar nicht im ideellen Bekenntnis zu seiner „Pepi“, wohl aber in einer endgültigen Entscheidung, da er sich immer wieder verunsichert zeigte. Diese Zerrissenheit, die auch in Gilms späteren zumeist unglücklichen Liebschaften zutage trat, blieb den Zeitgenossen wie nachfolgenden RezipientInnen nicht verborgen; so charakterisierte ihn Franz Kranewitter, indem er konstatierte: „Den weichen, melodischen ja oft saloppen Versen entspricht die ebenso weiche Natur des Dichters; schäumendes Aufbrausen und elegisches Klagen liegen der Zeit nach dicht neben einander.“[6]

Beide Charaktere waren zu unterschiedlich, und die emotionalen Differenzen zwischen dem Dichter, „feurig und voll von poetischer Empfindung und Überschwenglichkeit“[7], und seiner Angebeteten, „einfach in ihrem ganzen Wesen, besonnen und sogar ein wenig bürgerlich nüchtern, häuslich und praktisch“[8], dürften von Anfang an ein Problem dargestellt und maßgeblich dazu beigetragen haben, dass die Liaison schließlich kein glückliches Ende fand. Erschwerend kamen die unsichere Berufssituation Gilms als unbezahlter Praktikant, die ihn bei der Familie der Umworbenen in ungünstigem Licht erscheinen ließ (Josefines Vater war der Polizeipräsident von Innsbruck), sowie letztlich auch eine Art intellektuelles Gefälle hinzu, das sich bis in Gilms Lyrik hinein verfolgen lässt. So finden sich im handschriftlich überlieferten Gedicht „Josephine“ in der dritten Strophe folgende Zeilen:

Und Sie ist mein, sie lebte in den Träumen
Arabiens, und in Petrarkas Lied;
Ich sah das Meer um Ihre Hüften schäumen
In Kaschmir schlief Sie unter Lottosbäumen,
In Andalusien liebte Sie der Cid.[9]

Es ist davon auszugehen, dass das solcherart verehrte „einfache Wesen“ nicht viel mit diesen Anspielungen, die auf bildungsbürgerliche Inhalte referierten, anzufangen wusste, wenngleich Gilm später in den Gedichten, die er Josefine unter dem Titel „Sommerfrischlieder aus Natters“ zueignete, damit zu beeindrucken wusste, „wie leicht und glücklich [er sich] in die scheue Denkart eines jungen Mädchen hineinzusetzen vermochte, und die Innigkeit der Darstellung erklärt schon damals den frauenhaften Reiz, der so viele seiner späteren Liebeslieder bezeichnet“[10] – so zumindest im Urteil von Hermann Greinz. In Folge verflachte auch die Korrespondenz, die Briefe Josefines wurden distanzierter. Gilm beschrieb am 11. November 1840 seine Situation nach der Übersiedlung an seine neue Wirkungsstätte in Schwaz als trist: „Liebe Peppi! Hu, das ist kalt! Da sitz ich in meinem Schlafrock, eine lange Pfeife im Mund, spät in der Nacht, und kann mich nicht erwärmen. Dein Brief ist kalt, hat aber nicht einmal die Natur eines Sorbets, nach dessen Genuß man warm wird….“[11] Wenige Monate später wurde der endgültige Trennstrich gezogen, nicht zuletzt deswegen, weil sich der Dichter in Schwaz schon eine andere Muse auserkoren hatte, der er seine Verehrung angedeihen ließ.

Auf den Umstand, dass Gilms Liebeswerbungen, die in annähernd allen Fällen unglücklich verliefen, durchaus für seine dichterische Produktion von Bedeutung waren, hat schon die zeitgenössische Rezeption kurz nach seinem Tod hervorgehoben. Josefine Kogler wird dabei neben den anderen, in der Öffentlichkeit wesentlich präsenteren von Gilm verehrten Damen – Theodolinde von Gasteiger in Schwaz, Katharina Kirchberger und Sophie Petter in Bruneck, Valerie Gräfin Festi in Rovereto – allerdings erst um die Jahrhundertwende erwähnt. Zum einen tauchten die Werbungsbriefe Gilms erst spät auf, zum anderen war der Zusammenhang zwischen den Liedern der Zyklen „Märzenveilchen“ (1836) und „Sommerfrischlieder in Natters“ (1839) nicht so leicht herzustellen wie im Fall der „Sophien-Lieder“, die Gilm 1844 der jungen Sophie Petter gewidmet hatte. Geheiratet hat Gilm erst 1861, als er in Linz beruflich abgesichert war. Ab diesem Zeitpunkt war ihm auch vergönnt, nach so vielen unglücklichen Liebesgeschichten mit seiner Frau Marie noch einigermaßen glücklich zu werden.
  

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[1]   http://literaturtirol.at/literaturlandkarte (30.6.2018)
[2]   FIBA, Nachlass Hermann von Gilm, Sign. 9/9.10.11.
[3]   Ebenda.
[4]   Anonymus: Allerseelen. In: Anzeiger für die Bezirke Bludenz und Montafon, Nr. 44, 1.11.1924, S. 1.
[5]   Brief Hermann von Gilms an Josefine Kogler, 2.5.1837. FIBA, Nachlass Hermann von Gilm, Sign. 9/9.6.10.
[6]   Franz Kranewitter: Hermann v. Gilm. In: Innsbrucker Nachrichten, 18.7.1884, S. 3331–3332; hier S. 3331.
[7]  S[imon]. M. Prem: Gilms Jugendliebe. Nach ungedruckten Briefen und Gedichten. In: Zeitschrift des Ferdinandeums für Tirol und Vorarlberg. 3. Folge, 48. Heft 1904, S. 287.
[8]   Ebenda.
[9]   Herman von Gilm: „Josephine“. Gedichtmanuskript. FIBA, Nachlass Hermann von Gilm, Sign. 9/9.6.10.
[10] Hermann Greinz: Eine neue Gilm-Ausgabe. In: Innsbrucker Nachrichten, 9.12.1902, S. 1–3, hier S. 1.
[11] Brief Hermann von Gilms an Josephine Kogler, 11.11.1840. FIBA, Nachlass Hermann von Gilm, Sign. 9/9.6.11.

 

* Die Exponate sind im Brenner-Archiv bis 30. 9. 2018 in der Vitrinenausstellung "Schätze. Kuriositäten. Besonderheiten" zu sehen.

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