Maria Piok: Otto Grünmandl lernt Englisch
„Meine liebe Betty!“, „Liebste Pips!“, „Mein liebes Betterl!“, „Liebste Bettsch!“ – oder eben „Dear Betty“: So beginnen die unzähligen Briefe, die die Familie Grünmandl an die Tochter bzw. Schwester schrieb. Betty, die ältere Schwester von Otto Grünmandl, war die einzige, die noch vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs nach England emigrieren konnte. Seit 1939 lebte sie als Dienstmädchen bei Familie Copley-Smith in Wilmslow, einer kleinen, wohlhabenderen Stadt in der Nähe von Manchester. „Die Gegend ist hier für englische Begriffe schön aber für mich furchtbar langweilig“, schrieb die Einundzwanzigjährige an ihre Mutter. „Alles so einförmig und kalt und die Ziegelsteinhäuser ohne jeden Verputz mit den zwei riesengroßen Schornsteinen an jeder Seite die passen gerade dazu.“ Obschon von ihrer Gastfamilie wohlwollend aufgenommen, plagte sie das Heimweh: „Hier ist alles ganz anders und als ich gestern ein Ei gegessen habe wunderte es mich weil es gleich schmeckte die Hennen lassen sich also auch hier nicht dreinpfuschen.“[1]
Wesentlich schlimmer aber erging es ihren in Hall verbliebenen Eltern und Geschwistern, die wegen der jüdischen Abstammung des Vaters mit Verfolgung und Verhaftung rechnen mussten. Der Gefahr war man sich durchaus bewusst, weshalb auch die übrigen Familienmitglieder die Flucht nach England vorbereiteten. Betty unternahm vor allem Anstrengungen, ihren jüngeren Bruder nachzuholen: „Ottos Bild habe ich gestern abgegeben und es besteht die Möglichkeit, daß er nach Wilmslow kommen kann was mich ungemein freuen würde“,[2] schrieb sie, musste aber wenig später einlenken: „Die Sache für Otto läuft zwar aber es wird schon noch eine Weile dauern das beste ist für Ihn wirklich fleißig englisch zu lernen denn es ist ohne dem ziemlich schwierig“.[3] Tatsächlich folgte Otto Grünmandl – damals 15 Jahre jung und, wie seine Schulzeugnisse aus dem Nachlass verraten, kein besonders eifriger Schüler – ihrem Ratschlag. Von nun an versuchte er sich als englischer Briefschreiber, und trotz rudimentärer Fremdsprachenkenntnisse gelang es ihm, seinen größten Wunsch kundzutun: „You don’t make a idea how merre i will be, when there is a letter from Vienna.“
Der ersehnte Brief, der die notwendigen Papiere für die Ausreise enthalten sollte, traf schließlich tatsächlich ein; zu einem Wiedersehen mit der Schwester in England kam es aber dennoch nicht: Der Ausbruch des Krieges bedingte die Schließung aller Grenzen und machte eine Flucht unmöglich.[4] In Hall wurde der elterliche Betrieb arisiert und Vater Alfred im „Arbeitserziehungslager Reichenau“ interniert, aus dem er – wohl aufgrund seines extrem schlechten Gesundheitszustandes[5] – nach vier Wochen als schwerkranker Mann entlassen wurde. Otto Grünmandl selbst musste noch 1944 als Zwangsarbeiter nach Thüringen in die Braunkohlewerke von Rositz, von wo er erst nach Kriegsende – mit dem Fahrrad! – nach Hause zurückkehrte.
Die Korrespondenz zwischen Betty Grünmandl und ihrer Familie ist beredtes Zeugnis einer repräsentativen Familiengeschichte: Sie gibt Aufschluss über Formen und Folgen antisemitischer Verfolgung, über die Nöte des Exils, im Besonderen auch über die Hoffnungen der Dagebliebenen, für die auch Otto Grünmandls briefliche Englischübungen stehen. „Sometimes me go out the patience“, heißt es dort, „but I think me awhile Otto you have waited a year you can wait four week“.
Zeilen dieser Art – die freilich vor allem wegen der sprachlichen Interfenzen belustigen – verraten aber nicht nur die Tragik, sondern auch die Komik der Grünmandls: Immer wieder wird versucht, die Empfänger der Briefe, die mitunter scherzhaft mit Anreden wie „Euer Gnaden!“[6] begrüßt werden, trotz der schlimmen Situation zum Lachen zu bringen und zu trösten. In diesem Dienst stehen wohl auch Verse wie „It is going me good / I go with papa in the wood“ des jungen Otto Grünmandl, der bereits damals und ungeachtet seiner Sprachschwierigkeiten das Dichten nicht lassen wollte. Mag sein, dass der späte Otto Grünmandl manchmal an seine Anfänge im Englischen zurückdenken musste, wenn er den Sprecher in Fußbad im Schwarzen Meer räsonieren ließ:
Are there any english or american people inside of you, who understand english very well? Please send your attention to me on the stage. […] Bathing my feed, I take this labor which we call in Austria “Lawoorr” […] and mix the hot and the cool water here in the “Lawoorrr” for the right temperature, which we in Austria call Temperatur. And if the is extremly high or low we call the temperature “Faden”. In that case, we say: heut hats vielleicht einen Faden, which means in English today it has propably a Fääden.[7]
Es mag aber durchaus auch sein, dass Otto Grünmandl bei Zeilen wie „Ich weiß auch nicht, ob es die Juden waren, die dem Toten Meer seinen mir unverständlichen Namen gegeben haben. Vorstellen könnte ich es mir“[8] an seine Jugendzeit gedacht hat – auf jeden Fall lassen sich seine Texte, kennt man die Geschichte der Familie, trotz aller Komik nur mehr schwer als harmlose Valentinade lesen. Vielmehr eröffnet sich mitunter eine beinahe schon schaurige Dimension: „Der Mensch… Ärgern tu ich mich deshalb schon lange nicht mehr. Fürchten, ja, das könnte schon sein.“[9]
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[1] Betty Grünmandl an Familie Grünmandl, Wilmslow, 11.–14.02.[1939]. Forschungsinstitut Brenner-Archiv, Nachlass Grünmandl Nachtrag, Korrespondenzen.
[2] Betty Grünmandl an Familie Grünmandl, Wilmslow, 16.02.1939. Forschungsinstitut Brenner-Archiv, Nachlass Grünmandl, Nachtrag, Korrespondenzen.
[3] Betty Grünmandl an Familie Grünmandl, Wilmslow, 23.02.[1939]. Forschungsinstitut Brenner-Archiv, Nachlass Grünmandl, Nachtrag, Korrespondenzen.
[4] Vgl. Verena Sauermann: Alfred Grünmandl. Ein jüdischer Migrant in Tirol. In: Mitteilungen aus dem Brenner-Archiv 35, 2016. S. 123–144, hier S. 128.
[5] Vgl. ärztliches Zeugnis von Dr. Victor Schuhmacher für Alfred Grünmandl, 12.01.1946, Forschungsinstitut Brenner-Archiv, Nachlass Grünmandl, Nachtrag, Lebensdokumente.
[6] Betty Grünmandl an Ludwig Grünmandl, Wilmslow, 20.02.[1939]. Forschungsinstitut Brenner-Archiv, Nachlass Grünmandl Nachtrag, Korrespondenzen.
[7] Otto Grünmandl, Ein Fußbad im Schwarzen Meer. Typoskript, Forschungsinstitut Brenner-Archiv, Nachlass Grünmandl. Signatur 228.14.17.
[8] Ebenda.
[9] Ebenda.
Im Rahmen von Grünmandls Zimmertheater finden im Stromboli in Hall auch diesen Herbst wieder Veranstaltungen statt:
- http://www.stromboli.at/index.php/spielplan/578-do-08-11-18-20-00-die-drei-haxn-d
- http://www.stromboli.at/index.php/spielplan/547-fr-23-11-18-20-00-das-ei-ist-hart