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Credit: Brenner-Archiv

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Markus Ender, Anton Unterkircher: Ludwig von Ficker als Taufpate von Heinrich von Trott

Ludwig von Ficker als Taufpate von Heinrich von Trott

 

© Brenner-Archiv. Nachlass Heinrich von Trott zu Solz

Am 28. Oktober 1942 wurde laut dem hier abgebildeten Protokoll Heinrich von Trott (1918–2009) in Innsbruck katholisch getauft. Als Zeugen fungierten Ludwig von Ficker und Werner von Trott (1902–1965), der ältere Bruder von Heinrich.

Dazu gibt es eine längere Vorgeschichte, die mit der Brenner-Lektüre von Wilhelm Kütemeyer (1904–1972) beginnt, der 1926 Mitarbeiter dieser Zeitschrift werden wollte. Er war eng befreundet mit Werner von Trott und war zum Brenner wegen seines Interesses an Kierkegaard gekommen, der in der Zeitschrift von Theodor Haecker übersetzt und vermittelt wurde. Aber der Brenner entwickelte sich eigentlich schon seit der Konversion von Haecker zum Katholizismus im Jahre 1921 aus der Sicht dieser jungen Intellektuellen nicht in die von ihnen gewünschte Richtung. 1932 brachte Kütemeyer – seit 1931 ebenso wie Werner von Trott der Kommunistischen Partei Deutschlands beigetreten – in Berlin als ‚Gegen-Brenner‘ die Zeitschrift Der Sumpf heraus, die gegen den heraufkommenden Nationalsozialismus ankämpfte. Nur vier Nummern erschienen, die Doppelnummer 5/6 wurde im März 1933 von der SA eingestampft, der Herausgeber Kütemeyer kurzfristig verhaftet. An dieser Zeitschrift wirkten auch die vom Brenner abgesprungenen Tiroler Schriftsteller Carl Dallago, Josef Leitgeb, Friedrich Punt, Karl Röck sowie der aus Hannover stammende Bibliothekar Werner Kraft mit. Der Brenner erschien – mit Unterbrechungen – bis 1934 weiter, dann scheiterten mehrere Anläufe Fickers, eine weitere Nummer herauszubringen. 1940 wurde die Zeitschrift von der Reichsschrifttumskammer verboten.

Der 1918 in Kassel geborene und evangelisch getaufte Heinrich von Trott hatte zunächst aber einen anderen Weg eingeschlagen. Er gründete in der evangelischen Klosterschule von Ilfeld im Harz 1932 einen illegalen NS-Schülerbund, in dem er sich ‚gegen das Spießertum‘ engagieren wollte. 1934/35 ging er – wie man aus Tagebuchstellen deutlich sieht – Schritt für Schritt auf Distanz zum nationalsozialistischen Regime und trat aus der Hitlerjugend aus. Heinrich von Trott orientierte sich von nun an stärker an seinem älteren Bruder Werner und machte sich in Verbindung mit Kütemeyer auf die Suche nach Verbündeten gegen den Nationalsozialismus. Eine Zeitschrift zu gründen (eine Art Fortsetzung des Sumpf) gelang 1938 ebenso wenig, wie Ignatio Silone und Ernst Jünger als Mitarbeiter dafür zu gewinnen. Trotts nächtlicher Besuch bei Jünger spiegelt sich in Jüngers Buch Auf den Marmorklippen (1939). Ein Jahr später kam er mehrmals mit seinem Bruder Werner, aber auch allein nach Tirol, um Ficker und Dallago zu besuchen. Am 29. Oktober berichtet er seinem Bruder Werner davon u.a.:

„Natürlich überragt die Fahrt nach Innsbruck und der Besuch bei Ficker und Dallago alles. Ich hatte von Ficker einen ganz außerordentlich starken Eindruck. Er war dabei sehr freundlich zu mir und hat sich sehr mit mir eingelassen. Ich war dreimal mit ihm an zwei Tagen zusammen, zweimal in seiner Wohnung und bei Koreth, wo ich wohnte, und dann haben wir uns noch in einem Café getroffen. Er ließ Dich besonders herzlich grüßen. Gern würde ich Dir – und viel besser wäre das – mündlich berichten. Für das, was ich ihm erzählte zeigte er großes Verständnis. Es sei gut, wenn man in diesen Jahren sich eine Burg gebaut und einen festen Panzer geschmiedet habe, und es sei die schönste Aufgabe beider die härtesten Stöße von außen abzufangen. Mit sehr großer Zuversicht blickt er in die Zukunft und es sei die Unscheinbarkeit, meint er, in der das Herrlichste in Bewegung käme in ihr bereite sich Großes vor, von dort würde eine derartig gestaltende Kraft ausgehen, daß es sich lohne, abwartend sich ganz darauf zu stellen. In dem Gefühl unserer Untätigkeit und Ohnmacht bilde sich ein solcher Schwung, daß er das erste Anzeichen unserer Berufung sei. Wir würden von der Situation gerufen werden. Das faule Morsche am alten Europa breche zusammen, um das neue – und eigentlich christliche offenbar werden zu lassen. Auch die Kirche müsse erst zerschlagen werden um wieder aufblühen zu können. Als ich ihm sagte, ich käme mir vor wie ein Don Quixote der nach seinem wesentlichen Mißerfolg umgekehrt aufs Neue ausreite, – was mir aber nun möglich schiene mit der ganzen Tüchtigkeit und Erinnerung früher bewiesener Waffenkunst – da fand er das sehr schön: heute könne man nur sein Fell zu Markte tragen, es gäbe keinen Panzer mehr.“

Seit Ende 1939 stand Heinrich von Trott im Briefwechsel mit Ficker. 1940 machte er den Vorschlag, den Brenner als Widerstandzeitschrift zu reaktivieren, aber Ficker wollte das Unternehmen nicht aus der Hand geben und berief sich auf das Walten der göttlichen Vorsehung. Insgesamt machte Fickers im katholischen Glauben gefestigte Persönlichkeit – er war 1933 zum Katholizismus rekonvertiert – und die Art und Weise, wie er mit Menschen umging, einen tiefen Eindruck auf den jungen Intellektuellen.

Am 30. September 1942 erhielt Ficker ein Schreiben von Heinrich von Trott, der sich in Russland an der Front befand, in dem es heißt: „Wird es möglich sein, daß ich in Ihrer Nähe und mit Ihrer Hilfe nun ausdrücklich darum bitte in die Kirche zurückkehren zu dürfen? Wird es möglich sein in der kurzen Zeit des Fronturlaubs? Sie werden die Ansprüche der Meinen auf mich verstehen! Aber zu Ihnen komme ich auf jeden Fall!“ Ficker antwortete erfreut am 12. Oktober 1942: „Sie können sich meine Freude vorstellen, aber auch meine Ergriffenheit über Ihren Entschluß und Ihre Bitte, in die Kirche aufgenommen werden zu dürfen. Wie muß ich Ihnen dafür danken, daß Sie zu mir kommen wollen, diesen Schritt zu vollziehen!“

Heinrich von Trotts Tagebücher aus dieser Zeit kreisen angesichts der Greuel des Krieges im Wesentlichen um das Glaubensproblem. Am 9. August 1942 notiert er: „Und zwar nicht in der dumpfen Nacht der Verzweiflung, der Ausschweifung und dem Rausch, den zerfließenden Strom der Freuden und des Leides, sondern in der Wundergewalt der Hoffnung und des Gehorsams, in der heiligen katholischen Kirche, in der alle Jammerlaute der Verzweiflung und alle Jubeltöne der Freude der sonst verlorenen Kreatur in Liebe erhört werden und ihren beherzten Zusammenklang und Einklang finden.“ Trott hatte Ficker seine Tagebücher geschickt und dieser unter dem Titel „Besinnung zwischen den Schlachten“ (Paralleltitel „Memento auf verlorenem Posten“) die Einträge vom 18. Juni bis 10. August 1942 von Hand abgeschrieben. Es ist anzunehmen, dass dieser Text, von Ficker bereits redaktionell bearbeitet, für einen späteren Brenner gedacht war. Diese Abschrift wurde später aufgrund ihres Stils und der für ein Tagebuch eigentümlichen Gedankenführung nicht von ungefähr unter der Kategorie „Essay“ im Brenner-Archiv archiviert. In einem späteren Eintrag vom 14. September 1942 heißt es:

„Das Verhängnis, dem die heutigen Vertreter des Protestantismus und Katholizismus immer wieder erliegen, ist es vielleicht, daß diese – im politischen Katholizismus – sich eingebildet haben wenn sie handelten immer unmittelbar im Namen Gottes zu handeln, so z.B. Autobahnen im Namen Gottes zu bauen und wenn dieses Handeln fehlschlug sich resigniert vom politischen Schauplatz, von der Welt überhaupt zurückzogen und jene beginnend gleichsam schon als enttäuschte Politiker sich in die Welt und ihren Zustand fügten mit der Scheinheiligkeit des „Sola fide“ und auf das Handeln überhaupt verzichteten, sich um die Welt überhaupt nur noch im theologischen Bereich bekümmern wollten und so schlossen sie die Pforten vor ihrem eigenen Heiligtum zu, von dessen zartem Geheimnis, welches die Gegenwart des Leidens ist. Aber in diesem allein ist doch der Bogen gespannt von der christlichen actio zur christlichen passio. Fast niemand weiß mehr etwas von einer Berufung.“

Heinrich von Trott fühlte sich offensichtlich „berufen“.

Bei dem hier vorgestellten Dokument handelt es sich keineswegs bloß um einen lapidaren Taufschein. Im Gegenteil: Um es in seiner ganzen Tragweite einschätzen zu können, bedarf es einer intensiven Erforschung des gesamten Nachlasses von Heinrich von Trott, der 2017 von der Familie von Trott dem Brenner-Archiv geschenksweise übergeben worden ist. Darüber hinaus ist eine intensive Beschäftigung mit der Geschichte der Familie von Trott, besonders jene der Brüder Adam und Werner, erforderlich. Dazu braucht es nicht nur literaturwissenschaftliche und historische Kompetenzen, sondern auch jene von Kulturwissenschaftlern, Politikwissenschaftlern und Theologen. Denn gerade in Sachen des Glaubens – zumal in der Ausgesetztheit des Krieges – stellt dieses Protokoll, wie insgesamt der Nachlass von Trott, ein spannendes Forschungsfeld dar, das eine Vielzahl von komplexen Fragen aufwirft. Warum spielt Ficker mit seinem zunehmend stärker katholizistisch ausgerichteten Zeitschriftenunternehmen da eine so wichtige Rolle? Und wie hängt die bei Heinrich von Trott so dominante Glaubensfrage mit dem Widerstand zusammen, in dem die Brüder von Trott aktiv waren, wie verträgt sich damit die adelig-konservative Herkunft der von Trotts, wie geht das Alles mit dem Liebäugeln mit dem Sozialismus zusammen? Welche Rolle spielt dabei der einstmals überzeugte Kommunist Werner von Trott, der 1942 ebenfalls zum Katholizismus konvertierte?

Heinrich von Trott schwieg, wie viele seiner Generation, lange über die Zeit des Nationalsozialismus und den Holocaust. Erst in den 1980er Jahren begann er, seine Lebensgeschichte zu erzählen. Damit setzte er schließlich etwas um, das er bei Ludwig von Ficker erfahren hatte: den Wert des persönlichen Gesprächs. Diese Gesprächsaufzeichnungen müssen erst gesichtet werden. So sollen die vorhandenen Dokumente und Zeugnisse von Zeitzeugen der späten Erinnerung gegenübergestellt werden. Religiöse und weltanschauliche Diskurse des an Schicksalen so reichen 20. Jahrhunderts, die Verwicklungen von Religion mit der Politik sowie ein Blick auf Widerstand und Erinnerungskultur werden wichtige Fragen sein, die einem derzeit in Planung befindlichem Forschungsprojekt zugrunde liegen.

 

Digitalisierungsprojekt Nachlass Heinrich von Trott

Bestandsverzeichnis Heinrich von Trott

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