Seit 2011 befindet sich der Teilnachlass von Franz Glück (1899-1981) im Forschungsinstitut Brenner-Archiv, der nicht nur die umfangreiche Korrespondenz mit Ludwig von Ficker enthält, sondern u. a. auch jene mit Max Stefl (1888-1973).
Am 28. November 1940 schickt Max Stefl eine Bildpostkarte an Franz Glück mit der Nachricht: „Zu mehr hab ich heute keinen Kopf: mein guter Rizi ist tot, u. mit ihm ein Stück meines Lebens – seit 14 Jahren – dahin, das mir mehr bedeutet hat, als Sie ahnen. Im Brief, in ein paar Tagen, mehr.“[1] Dass Stefl die Nachricht vom Tod seines geliebten Hundes auf dieser Postkarte übermittelt, die Marie von Ebner-Eschenbach als „größte Dichterin des Sudetenraumes“ abbildet, erscheint bei genauerem Hinsehen mehr als stimmig, gilt doch ihre meisterhafte Erzählung „Krambambuli“ als Inbegriff der unverbrüchlichen Treue eines Hundes zu seinem ‚Herrn‘ über den Tod hinaus.
Aus den „paar Tagen“ wurden zwei Wochen, bis es Stefl gelang, seine Trauer brieflich zu formulieren:
Seien Sie mir nicht böse, dass ich so lange geschwiegen habe. Es sind jetzt 14 Tage, dass mein guter Hund starb, u. ich komme aus der Bedrückung u. Niedergeschlagenheit nicht heraus. Überall fehlt er mir, sein leeres Plätzchen zuhause macht mir die Wohnung öd u. trostlos; wenn ich in die Stadt gehe, wo er mich so oft begleitet hat u. neben u. vor mir getappelt ist, erinnert mich jeder Weg an ihn, oder abends im Caféhaus, wenn er bei mir lag, er störte mich nicht, wie viele Menschen, ich arbeitete u. schrieb Briefe, u. doch hatte ich eine Ansprache, wenn ich wollte u.s.w. u.s.w. ich merke erst jetzt, was mir der Gute, Sanfte alles war. 13 Jahre lang der treue Hausgenosse u. Wegbegleiter, das ist eine lange Zeit, ein ganzes Stück Leben, dem nun ein wesentlicher Teil fehlt. Nun weiss ich, warum ich schon seit 1, 2 Jahren immer vor diesem Augenblick bangte. Aber es ist schlimmer, als ich dachte, u. die schönsten u. vernünftigsten Überlegungen – er hat ja 14 Jahre, mehr als den meisten Hunden sonst gegönnt ist, erreicht, es ist ihm gut gegangen u.s.w. – all das hilft nichts gegen meinen Kummer, der nicht kleiner werden will, im Gegenteil. Es ist schon nicht mehr ganz normal, das fühle ich, u. doch – mein Dasein hat einen Riss bekommen, der nicht mehr zu flicken ist. Ein Trost ist mir freilich zu teil geworden: ich hätte es nicht ertragen können, wenn sein toter Körper in die Vernichtungsanstalt gekommen wäre (wie es die Vorschrift ist), ich fand einen letzten Ruheplatz für ihn durch die Güte von Mechtilde Lichnowsky. Ich besuchte sie am Tag von Rizis Tod, u. sie bot mir ein Plätzchen in ihrem, d.h. ihrer Schwester u. ihres Schwagers Gf. Harrachs Garten an. Wir suchten u. wählten zusammen eine Stelle unter einem schönen Baum, u. als ich am nächsten Tag mit meiner kleinen Last ankam, hatte die Fürstin rührender Weise schon mit eigenen Händen die kleine Grube gegraben, die meinen alten Kameraden nun birgt. So liegt er nun wenigstens im mütterlichen Erdreich, unter dem Rasen u. unter dem weissen Schnee – das alles hat er ja geliebt u. das war sein Element u. dazu ist er nun zurückgekehrt. Und er liegt in ihrer Nähe, in der Nähe u. in der Hut dieser wunderbaren verehrungswürdigen Frau, deren Herzen alle Tiere u. besonders die guten Hunde immer so nahe waren. Verzeihen Sie mir, lieber Doktor, dass ich so „sentimental“ geworden bin; es ist eben doch keine blosse Sentimentalität, das was mich bedrückt, ist mehr, sie werden’s verstehen.[2]
Mit dieser Niederschrift scheint Stefl aber auch wieder einigermaßen seine Fassung gefunden zu haben, denn der Brief wird insgesamt acht eng beschriebene Seiten lang – gespickt mit Berichten von Leseerfahrungen und persönlichen Begegnungen. Ein Schwerpunkt in diesem Brief bildet – wie auch in anderen Briefen der umfangreichen Korrespondenz mit Franz Glück – seine Arbeit an der Stifter-Ausgabe im Insel-Verlag. In nur diesem Brief finden sich insgesamt rund vierzig mit Rotstift hervorgehobene Themen. Als Abschluss des Briefes hat Stefl ein Foto von Rizi aufgeklebt. Auch in den Briefen vom 13.12. und 18.12. ist seine Stimmung immer noch sehr gedrückt, auch wenn Fragen zur Fahnenkorrektur von Stifters „Witiko“ wieder im Vordergrund stehen; Franz Glück hat übrigens an der Stifter-Ausgabe intensiv mitgewirkt, ohne je als Mitherausgeber aufzuscheinen.
Vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs könnte man Stefls „Hundetrauer“ vorschnell als „Sentimentalität“ abtun. Aber der Bibliothekar und Philologe Max Stefl hatte schon 1933 seine Stelle an der Bayerischen Staatsbibliothek in München wegen seiner hitlerkritischen Haltung verloren und musste sich seither mit Gelegenheitsarbeiten durchschlagen. Immerhin scheint er wenigstens gute Kontakte gehabt zu haben, denn er ordnete und katalogisierte in dieser Zeit manche Schlossbibliothek. Franz Glück hatte als Österreicher jüdischer Abstammung seine Arbeitsstelle beim Schroll-Verlag in Wien offiziell verloren, durfte aber – die näheren Umstände wären erst noch zu klären – als ‚U-Boot‘ trotzdem dort weiterarbeiten, während sein Vater, der Kunsthistoriker Gustav Glück nach Amerika emigrieren musste. Glück wie Stefl standen in engem freundschaftlichen Kontakt mit Ludwig von Ficker, dessen „Brenner“ am 30. Mai 1940 von der Reichsschrifttumskammer verboten worden war.
Am Schluss seines Briefes an Ficker vom 15.4.1941 berichtet Stefl, dass er den Tod seines Hundes immer noch nicht verschmerzen könne. Doch dem gehen Zeilen voraus, die belegen, wie intensiv und kritisch er das Zeitgeschehen im Auge hatte:
Die Zeit ist ja dem Briefschreiben nicht günstig. Das Grauen des organisierten Weltuntergangs, dem wir täglich ausgesetzt sind, verschlägt einem Atem u. Stimme. Sich im Geiste einig zu wissen mit vielen guten Freunden aus alter Zeit – wie viele davon sind unerrreichbar! –, muss einem zumeist genügen. Gut, dass mir meine stille Herausgeberarbeit (vor allem der noch im Erscheinen begriffene 7 bändige Stifter für den Insel-Verlag) die nötige Ablenkung verschafft. Eine besondere Freude seit einiger Zeit sind öftere Besuche bei Mechthild Lichnowsky, die seit 1¾ Jahren meist hier lebt. Eine wunderbare, verehrungswürdige Frau u. eine Dichterin von Gottes Gnaden. Grund genug, dass sich der Bildungspöbel um sie u. ihre Bücher nicht kümmert. Kürzlich hatten wir die besondere Freude, dass sie bei mir vor einem kleinen Kreis von Freunden u. Bekannten aus ihrem neuen Manuskript las: einem Buch über die Sprache („Worte über Wörter“), in dem sie mit unvergleichlichem Geist u. Witz der Legion von heutigen Sprachalbernheiten, Schlampereien u. sonstigem Sprachunrat auf den Leib rückt. Wir konnten uns gar nicht satt hören.[3]
Mechtilde Lichnowsky (1879-1958), selbst Hundeliebhaberin und Verfasserin des Hunde-Romans „An der Leine“ (1930), kam 1939 als englische Staatsbürgerin nach München, wurde dort interniert und unter Polizeiaufsicht gestellt. Sie konnte ihre Karl Kraus gewidmete Kritik an der Sprache („Worte über Wörter“), insbesondere auch an jener des Nationalsozialismus, naturgemäß erst nach dem Krieg 1949 veröffentlichen.
Anton Unterkircher
Abbildungen:
Max Stefl an Franz Glück, 28.11.1940 (Vorderseite). Sign. 217-3-9.
Max Stefl an Franz Glück, 11.12.1940 (1. Seite). 217-3-9.
Max Stefl mit Rizi, 20.11.1940, Teilnachlass Franz Glück. Sign. 217-4-27.
Mechtilde Lichnowsky: Foto mit Hund und Katze, um 1917, Sammlung Friedrich Pfäfflin, noch ohne Signatur.
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[1] Max Stefl an Franz Glück, 28.11.1940, Teilnachlass Franz Glück, Sign. 217-3-9.
[2] Max Stefl an Franz Glück, 11.12.1940, Teilnachlass Franz Glück, Sign. 217-3-9.
[3] Zit. nach Ludwig von Ficker: Gesamtbriefwechsel (https://edition.ficker-gesamtbriefwechsel.net).