Kann Recht verständlicher dargestellt werden?
Kann eine Disziplin wie die Linguistik durch den Einsatz ihrer Methoden einer anderen Disziplin wie der Rechtswissenschaft dazu beitragen, bestehende Problembereiche aus der Praxis durch konkrete Lösungsansätze zu verringern?
Die Antwort ist ja. Eine erfolgreiche fachübergreifende Verbindung aus Theorie und Praxis ist möglich. Gerade eine solche Anwendung linguistischer Methoden und Erkenntnisse aus der linguistischen Grundlagenforschung zur Klärung sprachbezogener Probleme wie z.B. der Frage nach der „richtigen“ Sprache im Justizbereich, ermöglicht die Entwicklung und Förderung von kritischem und sowohl inter- als auch transdisziplinärem Denken als Schlüsselkompetenz.
Warum?
Inter- und transdisziplinäres Denken als Schlüsselkompetenz
Die » Angewandte Sprachwissenschaft ist keineswegs als homogener Teilbereich der Linguistik zu verstehen, vielmehr subsumiert sie die Teildisziplinen, die sich in erster Linie nicht mit Sprache als abstraktem System befassen, sondern die Sprache im Zusammenhang mit ihrer „realen“ Umwelt sehen, sich also der tatsächlich angewendeten Sprache widmen. Sie operiert vor allem transdisziplinär, da sie problemlösungsorientiert ist und es wird zusätzlich noch der praktische Anwendungsaspekt betont. Innerhalb der angewandten Linguistik bewegen wir uns also in einem problemorientierten Forschungsparadigma, in welchem die Förderung von kritischem, disziplinenübergreifendem Denken als wichtige Schlüsselkompetenz in unserer heutigen Wissensgesellschaft an der Tagesordnung steht.
Die Kritik an der Unverständlichkeit der Rechtssprache ist bereits uralt und kann bis in die Antike zurückverfolgt werden. Während es dabei in der Vergangenheit aber großteils um sprachpflegerische Aspekte ging, sind es aus heutiger Sicht vielmehr sprachökonomische Gründe, die zur Kritik an der modernen Gesetzessprache führen.
Die Optimierung des Informationstransfers zu LeserInnen und AnwenderInnen eines Gesetzes wird vermehrt als wichtig angesehen. Unsere moderne Wissensgesellschaft ist durch eine zunehmende Verrechtlichung vieler Lebensbereiche gekennzeichnet, welche von der Schule über den Verbraucherschutz bis hin zum beruflichen Alltag reichen. Es gibt demnach zum ersten schwerwiegende ökonomische Argumente für das Bestreben der Maximierung von Verständlichkeit: Verständliche Rechtstexte sind gesellschaftlich wichtige Themen, die im Zuge der Ökonomisierung der Wissensgesellschaft ein hohes Potential zur Optimierung mit sich bringen. Schwer verständliche rechtlich relevante Texte sind im Wirtschaftsleben ein wichtiger Kostenfaktor geworden, angetrieben durch die steigende sachliche Komplexität sowie durch die Internationalisierung. Undurchschaubare, unnötig komplexe Überregulierungen behindern das Wirtschaftsleben, und das wird bereits seit vielen Jahren von öffentlichen Institutionen und GesetzgeberInnen als relevantes Thema erkannt.
Zum zweiten geht es hierbei auch um demokratiepolitische Anliegen, denn das Recht zu verstehen sollte nicht nur Fachleuten vorbehalten sein, sondern es sollte vielmehr ein universales Bürgerrecht sein. Jedem Mitglied unserer Gesellschaft sollte die Möglichkeit offen stehen, sich in seine eigenen Angelegenheiten einmischen zu können.
Projektanbahnung
Im österreichischen Bundesministerium für Justiz konnte Linda Prossliner, MA, zum einen mit guten (ökonomischen, demokratiepolitischen) Argumenten für die Wichtigkeit der Anstrebung eines höheren Maßes von Verständlichkeit überzeugen. Zum anderen traf sie aber vor allem durch die Vorführung von konkreten Umformulierungen an zuvor von ihr bearbeiteten juristischen Textbausteinen auf große Zustimmung bei ihrem Publikum. Das österreichische Ministerium für Justiz beauftragte die Dissertantin Frau Prossliner, MA, in der Folge mit der sprachwissenschaftlichen Bearbeitung von juristischen Texten, welche sie in ihrem Auftrag zu verständlicheren Versionen umformulieren wird. Linda Prossliner, MA, wird dieses Korpus an Texten in der Folge auchals Basis für ihre Dissertation mit dem Titel „Wege, Möglichkeiten,Vorschläge und Grenzen derVerständlichmachung von Rechtstexten“ verwenden, in welcher sie ein selbsterstelltes Modell zur Maximierung von Verständlichkeit aus angewandt-linguistischer Perspektive präsentieren möchte. Zudem hat sie während ihres Vortrag im Ministerium auch den Vorschlag unterbreitet, einen Leitfaden für die sprachliche Gestaltung von juristischen Texten aus angewandt-linguistischer Perspektive zu erstellen, welchen sie nun auch im Auftrag des Ministeriums abfassen wird. Dieser soll in der Folge als Basis für die Aus- und Fortbildung von Justizbediensteten, RichterInnen, StaatsanwältInnen, RichteramtsanwärterInnen, RechtspflegerInnen und BezirksanwältInnen Verwendung finden.
Zu den Personen
Linda Prossliner, MA, Dissertantin am Institut für Sprachen und Literaturen (Bereich Sprachwissenschaft) der Universität Innsbruck, durfte im Oktober 2016, gemeinsam mit ihrem Professor o. Univ.-Prof. Mag. Dr. Manfred Kienpointner, dem Bereichsleiter der Sprachwissenschaft Innsbruck, und dem Vizepräsidenten des Oberlandesgerichtes Innsbruck, Dr. Zimmermann, nach Wien reisen, um dort im österreichischen Justizministerium vor einer Kommission von mehreren AbteilungsleiterInnen, RichterInnen und StaatsanwältInnen des Ministeriums einen Vortrag aus linguistischer Sicht zum Problem der Unverständlichkeit der Rechtssprache zu halten.
Dr. Wigbert Zimmermann, Vizepräsident des Oberlandesgerichts Innsbruck fokussiert diese Problematik schon seit langer Zeit.
Aus diesem Grund setzte er sich tatkräftig für das Zustandekommen eines interdisziplinären Forschungsprojekts in Zusammenarbeit mit dem Institut für Sprachen und Literaturen (Bereich Sprachwissenschaft) ein.
"Die Sprache ist eines der wichtigsten Werkzeuge im Richteramt. Schon die Geschäftsordnung der Gerichte schreibt vor, dass die Ausdrucksweise des Gerichts klar und kurz sein muss, damit das gesprochene und das geschriebene Wort von den Beteiligten verstanden wird. Die Realität sieht bedauerlicherweise anders aus. Mir geht es um eine Sensibilisierung der Richterinnen und Richter dafür, dass bei entsprechendem Bemühen auch komplexe Sachverhalte und schwierige Rechtsfragen verständlich erklärt und gut lesbar dargestellt werden können. Der im Rahmen des Forschungsprojekts zu erstellende Leitfaden für eine verständliche Sprache wird in die richterliche Aus- und Fortbildung Eingang finden."
Aucho. Univ.- Prof. Mag. Dr. Manfred Kienpointnerspricht sich klar für das Projekt und dessen Wichtigkeit aus, da es einen wertvollen Beitrag dazu leisten kann, Sprachbarrieren, die durch die Rechtssprache entstehen, zumindest teilweise zu überwinden:
„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“. Dieser berühmte Ausspruch von Ludwig Wittgenstein (Traktat, 5.6) kann auch dahingehend gedeutet werden, dass Sprachbarrieren Menschen von Teilen der Welt ausschließen. Dies kann folgenschwere Einschränkungen für die Wahrung ihrer persönlichen Rechte bedeuten. Solche Sprachbarrieren können in der Rechtssprache zwar nie vollständig überwunden werden, da präzise Definitionen von Rechtstermini im Rahmen der juristischen Terminologie unverzichtbar sind. Diese Definitionen weichen dabei aber oft von der Alltagssprache ab.
Umso mehr sollte angestrebt werden, vermeidbare Barrieren der Verständlichkeit von Rechtstexten zu überwinden. Das von Frau Mag.a Prossliner verfolgte Projekt kann dazu einen sinnvollen Beitrag leisten."