Zukunft Forschung

Ausgabe 02 | 24

Interview mit Karl Lamprecht "Fokussierung als Erfolgsfaktor"

Karl Lamprecht, Vorstandsvorsitzender der ZEISS Gruppe und Alumnus der Universität Innsbruck, über seinen Weg an die Spitze eines Technologiekonzerns, den Forschungsstandort Tirol und die Bedeutung von Zukunftstechnologien.

 

ZUKUNFT: Wie hat sie das Studium in Innsbruck auf Ihre Karriere vorbereitet?

KARL LAMPRECHT: Ich habe zunächst die HTL Anichstraße in Innsbruck besucht. Das ist eine sehr gute Schule und ich habe dort wirklich viel gelernt. Ich fühle mich ihr nach wie vor stark verbunden. Nach dem Abschluss stand ich dann vor der Entscheidung, arbeiten zu gehen oder zu studieren. Mit dem HTL-Abschluss hatte ich ja bereits eine Berufsausbildung in der Tasche, doch letztlich habe ich mich fürs Studium entschieden. Diese Entscheidung wurde auch von meinem Vater beeinflusst. Er war Teil der Kriegsgeneration, und obwohl er ein sehr guter Schüler war, musste er die Schule abbrechen und in den Krieg ziehen. Diese Erfahrung war für ihn eine tiefe Zäsur, denn das Lernen war ihm immer sehr wichtig. Deshalb sind wir – als ich etwa sechs Jahre alt war – von Zell am See nach Innsbruck gezogen, damit wir Kinder eine bessere Schulbildung bekommen konnten.

 

ZUKUNFT: Und warum zog es Sie dann zur Physik?

KARL LAMPRECHT: Innsbruck ist meine Heimatstadt, und ich wollte zunächst hierbleiben. Die Frage war also: „Was soll ich studieren?“ Letztlich entschied ich mich für Physik, weil mich das Fach am meisten interessierte. Rückblickend bin ich sehr froh über diese Wahl, denn das Physikstudium ermöglicht ein tiefes Verständnis der Naturwissenschaften und ihrer fundamentalen Theorien. Es ist ein wunderschönes Fach, das mich immer noch begeistert.

 

ZUKUNFT: Warum haben Sie dann auf Wirtschaft gewechselt?

KARL LAMPRECHT: Im Laufe der Zeit habe ich gemerkt, dass ich gerne mehr mit Menschen arbeiten wollte. Ich bin eigentlich ein sehr extrovertierter Mensch, auch wenn ich das erst spät begriffen habe. Als Assistent hatte ich zwar gerne unterrichtet, aber die meiste Zeit verbrachte ich allein im Labor oder in kleinen Teams. Wir haben Grundlagenforschung betrieben, was natürlich unglaublich wichtig ist, aber manchmal auch einsam sein kann. Es gab nur wenige Menschen auf der Welt, die verstanden, woran wir genau arbeiteten, und das hat mir auf Dauer nicht so viel Freude bereitet. Nach einigen Jahren und durch verschiedene Impulse kam ich schließlich auf die Idee, mich den Wirtschaftswissenschaften zuzuwenden. Dort kann man viel mehr mit Menschen arbeiten, was mir sehr entgegenkommt.

 

ZUKUNFT: Im Frühjahr haben Sie eine Delegation der Universität Innsbruck in der Konzernzentrale von Zeiss empfangen. Wie sehen Sie die Universität Innsbruck heute?

KARL LAMPRECHT: Die Universität hat mittlerweile fast 30.000 Studierende, und ungefähr ein Drittel davon studiert in den Naturwissenschaften. Diesen enormen Zuwachs und diese Entwicklung der Universität begeistern mich sehr. Was ich besonders beeindruckend finde, ist die Entwicklung, die ich in den 1990er Jahren miterleben durfte, als man begonnen hat, Forschungsschwerpunkte gezielt zu definieren. Statt an jeder österreichischen Universität alles anzubieten, begann man, Cluster zu bilden. Die Festkörperphysik, die früher an der Uni Innsbruck vertreten war, wurden beispielsweise nach Wien verlagert. Gleichzeitig kam die Quantenoptik nach Innsbruck. Diese Fokussierung war meiner Meinung nach ein entscheidender Erfolgsfaktor, weil Österreich einfach nicht groß genug ist, um überall alles in der ganzen Breite anzubieten. Der gezielte Aufbau von Schwerpunkten hat die Stärke der Forschung in bestimmten Bereichen enorm gefördert. Besonders in der Physik sieht man heute die herausragenden Ergebnisse.

 

ZUKUNFT: Welche Bedeutung hat die Zusammenarbeit von Universitäten und Unternehmen?

KARL LAMPRECHT: Auch aus unternehmerischer Sicht ist diese Fokussierung extrem wichtig. Die Zeiss Gruppe ist mittlerweile ein Unternehmen mit einem Umsatz von über 10 Milliarden Euro, und wir investieren rund 1,5 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung. Wir arbeiten intensiv in Netzwerken, sowohl mit privaten Forschungseinrichtungen als auch mit Universitäten, darunter auch die Universität Innsbruck. Diese Zusammenarbeit ist für uns von großer Bedeutung.

 

ZUKUNFT: Welche Ziele verfolgen Sie dabei?

KARL LAMPRECHTFür uns sind immer drei Aspekte wichtig: Erstens sehen wir Universitäten als Talente-Pool, um Nachwuchskräfte zu rekrutieren. Zweitens nutzen wir die Zusammenarbeit zur Innovationsförderung, um Kompetenzlücken zu schließen und Entwicklungsprozesse zu beschleunigen. Und drittens betrachten wir Universitäten auch als Marktchance, um in einem Markt lokal Fuß zu fassen. Für Innsbruck haben wir uns auf die ersten beiden Aspekte konzentriert: Talente und Innovation. Besonders in den Bereichen Quantenoptik und Spektroskopie, Photonik sowie Mikroelektronik und implantierbare Systeme arbeiten wir eng zusammen. Diese Kooperationen haben wir im letzten Jahr intensiviert und ich erwarte, dass daraus sehr viel Gutes entstehen wird.
Für uns ist es unerlässlich, die besten Talente zu gewinnen. Zeiss beschäftigt über 6.000 Menschen in der Forschung und Entwicklung, die meisten davon mit Doktortiteln – viele davon Physiker, aber natürlich auch Techniker und Ingenieure. Es ist uns wichtig, stets den Kontakt zur Spitzenforschung zu halten, weil das, was heute im Labor entwickelt wird, in einigen Jahren zu den Lösungen und Geräten führen kann, die wir auf den Markt bringen.

 

ZUKUNFT: Wie sehen Sie die europäischen Universitäten im globalen Wettbewerb?

KARL LAMPRECHTWenn man sich die internationalen Rankings anschaut, sieht man natürlich, dass viele asiatische und amerikanische Universitäten vorne liegen, besonders in den MINT-Fächern. Aber auch in Europa, vor allem in Deutschland und Österreich, sind wir mit den Exzellenzuniversitäten sehr gut aufgestellt. Speziell die Quantentechnologien, wie sie in Innsbruck betrieben werden, sind Weltklasse. Innsbruck hat zwar nicht die Größe wie manche internationalen Universitäten, aber in bestimmten Bereichen gehört man hier zur Weltspitze.

Natürlich gibt es auch immer wieder Diskussionen um die Ergebnisse der PISA-Tests, in denen Österreich manchmal nicht so gut abschneidet. Aber was uns wirklich interessiert, sind Spitzenforscher und hochqualifizierte Absolventen, und davon gibt es hier genug. Wir müssen uns auf unsere Stärken konzentrieren, und das haben wir in den 1990er-Jahren, als diese Fokussierung auf bestimmte Forschungsfelder begann, sehr gut gemacht. Diese Konzentration auf Exzellenz in bestimmten Bereichen war entscheidend für die Entwicklung der Universitätslandschaft in Österreich.

 

ZUKUNFT: Wie steht Tirol in dieser Hinsicht da?

KARL LAMPRECHTWenn man die Bildungslandschaft in Tirol betrachtet, beginnt die exzellente Ausbildung nicht erst an der Universität. Schon die HTLs leisten großartige Arbeit. Das Konzept der berufsbildenden Schulen ist einzigartig in Österreich, und ich mache überall Werbung dafür. Es bietet eine hervorragende Grundlage, auf der dann die Universitäten und Fachhochschulen aufbauen können. Das System in Tirol ist gut austariert: Wir haben die Universität Innsbruck als Spitzeninstitut, das MCI als praxisorientierte Top-Hochschule und die Fachhochschulen, die ebenfalls einen wichtigen Beitrag zur beruflichen Ausbildung leisten. Insgesamt ist die Bildungslandschaft hier sehr gut aufgestellt, und auch die Spitzenforschung, insbesondere in der Quantenoptik, ist hervorragend aufgestellt.

Wenn man dann noch einen Blick auf die Unternehmen in Tirol wirft, sieht man, dass viele der großen Unternehmen stark auf den MINT-Bereich ausgerichtet sind. Von den 30 größten Unternehmen in Tirol – das größte ist die D. Swarovski KG mit einem Umsatz von etwa 2,5 Milliarden Euro – sind ein Drittel MINT-lastig. Das zeigt, wie gut der Wirtschaftsstandort Tirol in diesen Bereichen aufgestellt ist. Beeindruckend finde ich, wie stark Unternehmen wie Sandoz im Bereich Life Sciences sind, was ja auch ein wichtiges Cluster hier in der Region ist. Daneben gibt es Firmen wie Plansee oder Swarco, und auch Med-El – ein tolles Unternehmen, das sich in Innsbruck entwickelt hat. Tyrolit und auch Innio mit ihrer hochentwickelten Energietechnologie sind ebenfalls erwähnenswert. Die Industriestruktur in Tirol ist natürlich mittelständisch geprägt, aber man darf deren Innovationskraft nicht unterschätzen.

 

ZUKUNFT: Ist Region damit global wettbewerbsfähig?

KARL LAMPRECHT: Auch wenn wir keine Firmen haben, die Umsätze von 10 Milliarden Euro oder mehr machen, so sind diese Unternehmen in Nischenmärkten doch enorm erfolgreich. Zeiss, zum Beispiel, bedient auch viele Nischen. Unsere Mikroskopie-Sparte macht etwa eine Milliarde Umsatz, und wenn man in einzelne Bereiche wie Life Science-Mikroskopie, Materialwissenschaften oder Röntgenstrahl-Mikroskopie geht, dann sind das jeweils Nischen von etwa 200 Millionen Euro. Ähnlich verhält es sich Unternehmen wie Med-El, das mit seinen Cochlea-Implantaten über 300 Millionen Euro Umsatz macht und global zu den führenden Anbietern gehört. Das ist ein wunderbares Beispiel dafür, was aus einer Universität heraus entstehen kann – etwas, das in Innsbruck aufgebaut wurde und weltweit Anerkennung findet.

 

ZUKUNFT: Wie kann diese Entwicklung weiter unterstützt werden?

KARL LAMPRECHT: Was Förderungen betrifft, sowohl auf EU- als auch auf nationaler Ebene, ist es wichtig, professionell aufgestellt zu sein. Die Beantragung solcher Fördermittel ist oft mit viel Bürokratie verbunden, und ohne entsprechende Expertise kann man hier leicht ins Hintertreffen geraten. Da braucht es Leute, die genau wissen, wie man solche Anträge stellt. Ich habe mit Freude gesehen, dass die Drittmittelförderung an der Universität Innsbruck steigt, was ein positives Zeichen ist. Solche Mittel sind entscheidend, um die Forschungslandschaft weiter voranzubringen.

 

ZUKUNFT: Sie haben die Quantenphysik schon angesprochen. Welchen Stellenwert messen Sie den neuen Quantentechnologien bei?

KARL LAMPRECHT: In Bezug auf die Quantenforschung, die in Innsbruck besonders stark ist, sehe ich große Fortschritte. Einerseits gibt es die Quantencomputerforschung, etwa durch das Spin-off Alpine Quantum Technologies, das aus der Universität Innsbruck hervorgegangen ist. Quantencomputer eröffnen völlig neue Möglichkeiten, bestimmte Problemklassen zu lösen, die mit heutigen Computerarchitekturen nicht zu bewältigen sind. Andererseits spielt die Quantensensorik eine wichtige Rolle, gerade für uns bei Zeiss, da wir stark im Bereich Messtechnik tätig sind und auf hochpräzise Sensoren angewiesen sind. Wir investieren in diesen Bereich und arbeiten eng mit Start-ups zusammen, die beachtliche Fortschritte machen. Die Herausforderung besteht jetzt darin, diese Technologien kompakter und einsatzbereiter zu machen. Aber ich bin optimistisch, dass sich diese Entwicklungen in den kommenden Jahren stark weiterentwickeln werden. In der Forschung und in der Industrie, gerade in Bereichen wie der Chemie mit den Molekülsimulationen, werden diese Technologien bahnbrechende Fortschritte ermöglichen.

 

ZUKUNFT: Wie sieht es mit dem Einsatz von KI aus?

KARL LAMPRECHT: Zeiss selbst spielt eine weltweit führende Rolle in der Lithografie, gemeinsam mit ASML. Unsere Optiken tragen also entscheidend dazu bei, dass die Elektronik immer kleiner und leistungsfähiger wird, was auch eine Voraussetzung für Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz ist. Auch bei Zeiss setzen wir KI in vielen Bereichen ein, um unsere Innovationen voranzutreiben. Software spielt heute in nahezu allen Produkten eine zentrale Rolle, und wir generieren riesige Mengen an Daten, insbesondere durch seine Messgeräte. Um diese Daten zu verarbeiten, ist der Einsatz von Künstlicher Intelligenz entscheidend, beispielsweise zur Mustererkennung in der Augenheilkunde, etwa bei der Diagnose von Netzhauterkrankungen. KI wird zudem in internen Prozessen sowie in der Kundeninteraktion genutzt. Zeiss hat bereits vor sechs bis sieben Jahren begonnen, KI in seine Strategie zu integrieren, um als Technologiefirma zukunftssicher zu bleiben und nicht von disruptiven Entwicklungen überholt zu werden.

 

ZUKUNFT: Im kommenden Jahr werden sie als CEO von Zeiss abtreten. Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?

KARL LAMPRECHTNoch bin ich voll aktiv und viel unterwegs. Heute fliege ich zum Beispiel noch zu Kunden nach Korea, es treibt mich also weiterhin in alle möglichen Länder. Aber ich habe 30 Jahre lang gelernt und nun 30 Jahre gearbeitet. Meine Pläne für die Zukunft sind, mehr Zeit für das Private zu haben – vor allem mehr mit meiner Frau zu reisen. Ich habe viele Hobbys und Sportarten, die ich gerne ausübe, und Tirol ist für mich einer der schönsten Orte dafür. Vom Skifahren bis zum Surfen am Achensee – ich genieße die Vielfalt sehr. Ich lebe in einem wunderschönen Dorf und möchte die Lebensqualität hier noch mehr auskosten.

Vielleicht werde ich irgendwann auch wieder unterrichten, falls jemand Interesse an meinen Erfahrungen hat. Auch ein Engagement in der Wirtschaft kann ich mir vorstellen, aber auf einem moderateren Niveau, bei weitem nicht so intensiv wie jetzt, wo mich das Unternehmen komplett in Anspruch nimmt. Konkrete Pläne gibt es noch nicht, aber ich freue mich darauf, mehr Zeit in Innsbruck zu verbringen, Kaffee zu trinken und alte Freunde zu treffen.

 

ZUR PERSON
Karl Lamprecht (*1964 in Zell am See) studierte Physik an der Universität Innsbruck und promovierte 1993 unter dem Festkörperphysiker Ralph Höpfel. Sein MBA-Studium an der Graduate School of Business der University of Chicago, USA, schloss er 1995 ab. Seit 2020 ist Karl Lamprecht Vorstandsvorsitzender der ZEISS Gruppe und betreut dort die Bereiche Strategic Development, Brand, Communications and Public Affairs, Research & Technology und Ventures. Außerdem ist er für die Vertriebsregionen Australasien, China, Indien und Südostasien zuständig. Neben seinem Mandat als Aufsichtsratsvorsitzender der Carl Zeiss Meditec AG ist Lamprecht auch Mitglied im Aufsichtsrat der Körber AG, Hamburg.

 

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