Zukunft Forschung

Ausgabe 01 | 24

Interview mit Elisabeth Smits "Freudvolle Knochenarbeit"

Forschungs-Attachée Elisabeth Smits über ihre Arbeit in Brüssel, aktuelle forschungspolitische Fragen auf EU-Ebene, Simplification beim nächsten Rahmenprogramm und die Performance heimischer Universitäten in europäischen Forschungsprogrammen.

 

ZUKUNFT: Was sind eigentlich die Aufgaben einer Forschungs-Attachée in Brüssel?

ELISABETH SMITS: Ich arbeite für das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung an der Ständigen Vertretung Österreichs bei der Europäischen Union. Jedes Ministerium hat Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort, meine Aufgabe ist es, Österreich bei Verhandlungen zu Forschungsthemen auf europäischer Ebene zu vertreten. Forschung ist eine zwischen der EU und den Mitgliedstaaten geteilte Kompetenz, es ist vertraglich geregelt, dass es Programme gibt, um die Zusammenarbeit mit und zwischen Unternehmen, Forschungszentren und Hochschulen zu fördern. Diese Programme müssen ausverhandelt werden. Dazu gibt es eine Ratsarbeitsgruppe – mit den 27 Mitgliedstaaten, der Europäischen Kommission und zum Teil auch Expertinnen und Experten –, in der ganz konkret Rechtstexte auf Basis von Kommissionsvorschlägen verhandelt werden. So ist etwa das EU-Forschungsrahmenprogramm Horizon Europe über unseren Tisch gegangen. Wir verhandeln auch Schlussfolgerungen, die nicht rechtlich bindend, sondern politische Standpunkte zu wichtigen Themen sind. Wir treffen uns ein- bis zweimal pro Woche und bereiten alles für die nächsten Ebenen vor, zunächst die Botschafterinnen und Botschafter in deren Gremium und dann die zuständigen Ministerinnen und Minister im Rat. Wenn im Rat Wettbewerbsfähigkeit/Forschung in Brüssel etwas beschlossen wird, hat es unsere Arbeitsgruppe vorbereitet.

 

ZUKUNFT: Das klingt nach der harten Knochenarbeit vor politischen Entscheidungen.

ELISABETH SMITS: Ja, aber es ist sehr freudvolle Knochenarbeit – wir verhandeln und gestalten von Anfang an mit. Wichtig bei den Verhandlungen ist, dass man Verbündete hat. Zu meinen Aufgaben zählt daher auch, den Kontakt zu den anderen Mitgliedstaaten und in die Kommission zu pflegen, um rechtzeitig Entwicklungen zu erfahren und Partner zu finden. Das bedeutet auch, dass ich bei Veranstaltungen bin und mich mit Stakeholdern treffe – meine Antennen sind immer auf Empfang gestellt. Zudem betreue ich österreichische Delegationen, sei es vom Ministerium, von Universitäten oder Forschungseinrichtungen. Wir haben auch ein Netzwerk von Österreicherinnen und Österreichern, die in Brüssel im Bereich Bildung, Wissenschaft und Forschung arbeiten, die wir regelmäßig bei unserem Runden Tisch Forschung zusammenbringen.

 

ZUKUNFT: Klassisches Networking also…

ELISABETH SMITS: Ja. Wir sind bekanntlich nicht der größte Mitgliedstaat, zeigen aber trotzdem eine starke Performance – gerade in der Forschung. Umso wichtiger ist es, sich Verbündete zu suchen und Netzwerke zu knüpfen.

 

ZUKUNFT: Sie haben mögliche Entwicklungen erwähnt – welche wissenschafts- und forschungspolitischen Fragen werden in Brüssel aktuell diskutiert?

ELISABETH SMITS: Wissenschaft und Forschung sind immer mehr in „übergeordneten“ Themen zu Hause. Jahrelang war der Green Deal das Schlagwort, nun ist die Wettbewerbsfähigkeit on everybody's lips. Wobei die zwei Themen sich nicht ausschließen oder ablösen, sondern Hand in Hand gehen sollen. Da kommt die Forschung ins Spiel, sie kann die Brücke zu ambitionierten Klimazielen bauen – mit innovativen Technologien sollte es gelingen, dass die Industrie grün werden und wettbewerbsfähig bleiben kann. Ein weiteres übergeordnetes Thema ist die offene strategische Autonomie. Die russische Invasion in der Ukraine und die Corona-Pandemie waren zwei deutliche Weckrufe, dass wir in vielen Bereichen abhängig sind und nun unabhängiger werden wollen, zum Beispiel im Bereich der Halbleitertechnologie.

 

ZUKUNFT: Gibt es Themen, die speziell den Bereich Forschung betreffen?

ELISABETH SMITS: Das wäre zum einen die Research Security, also Forschungssicherheit. Das EU-Forschungsrahmenprogramm Horizon 2020 (2014 – 2020) hatte noch das Motto „open to the world“. Man ist nun vorsichtiger geworden, da es internationale Partner im Bereich Forschung und Innovation nicht automatisch gut mit einem meinen. Man muss sorgsam abwägen, mit wem man in welchen Bereichen kooperiert.  Es ist ein schmaler Grat zwischen naiv und paranoid, denn gerade die Wissenschaft lebt von Offenheit und internationaler Zusammenarbeit, dennoch muss man sich internationale Partner genau aussuchen. Zum anderen wird das Thema Dual-Use diskutiert. Bislang ist es so, dass Horizon Europe rein zivile Forschung fördert. Im Zuge der geopolitischen Entwicklungen ist man aber aufmerksam geworden, dass viele Technologien, die für die wirtschaftliche Sicherheit bedeutend sind, mitunter auch militärisch genutzt werden können – sei es Quantentechnologie, Robotik oder Künstliche Intelligenz. Das ist eine sehr sensible Thematik. Es gibt dazu eine öffentliche Konsultation, bei der die Mitgliedstaaten und Stakeholder aufgerufen sind, ihre Sichtweise einzubringen. Ebenso Thema ist die Knowledge Valorisation. Europa ist sehr gut in exzellenter Forschung, hat aber noch Potenzial, dies mehr auf den Markt zu bringen. Es gibt einen aktuellen Bericht führender Ökonomen, die warnen, dass die EU im globalen Innovationswettlauf verliert und dass man qualitativ sowie quantitativ mehr tun muss, um Forschungsergebnisse auf den Markt zu bringen. In diesem Zusammenhang sind auch die Karrieren von Forschenden ein Thema: Wie gelingt es uns, exzellente Leute in Europa zu halten, sie nach Europa zu holen oder zurückzuholen? Und schließlich spielt auch das Thema Künstliche Intelligenz eine Rolle. Wie gehen Forschende, Forschungseinrichtungen und Universitäten damit um, wenn Studierende und Forschende z.B. KI für ihre Arbeiten heranziehen? Dazu wurden gerade Leitlinien erarbeitet, wobei man darauf achten muss, dass man mit der rasanten Entwicklung im Bereich KI mithält.

 

ZUKUNFT: In der letzten Ausgabe von ZUKUNFT FORSCHUNG hat der Rektor der ETH Zürich, Günther Dissertori, den fehlenden Zugang der Schweiz zu EU-Programmen beklagt. Gibt es dazu Neuigkeiten?

ELISABETH SMITS: Ja, da gibt es zum Glück Bewegung! Man hat mit Verhandlungen begonnen und wir hoffen, dass diese so abgeschlossen werden können, dass sich die Schweiz ab 2025 wieder an europäischen Forschungsprogrammen beteiligen kann. Gerade Österreich mit der geografischen Nähe zur Schweiz hat hier ein großes Interesse und auch in den vergangenen Monaten eine unterstützende Rolle eingenommen.

 

ZUKUNFT: Die Forschungsrahmenprogramme der EU sind die maßgeblichsten Instrumente der Forschungsförderung auf europäischer Ebene. Wie schneiden Österreichs Universitäten ab, wenn es um das Einwerben von Mitteln aus EU-Programmen geht?

ELISABETH SMITS: Grundsätzlich sind Forschende und Unternehmen aus Österreich sehr erfolgreich beim Einwerben: In Horizon 2020 war Österreich in den Top 3 unter den EU-Mitgliedstaaten. Auch in Horizon Europe ist Österreich gut unterwegs, zu diesem Abschneiden tragen die Universitäten maßgeblich bei. Seit dem Start von Horizon Europe haben die Universitäten rund 330 Millionen Euro eingeworben, das ist rund ein Drittel der Horizon-Europe-Gelder, die nach Österreich geflossen sind. Diese Verteilung entspricht auch dem europäischen Schnitt.

 

ZUKUNFT: Wie sind die Top 3 zu verstehen?

ELISABETH SMITS: Österreich zählte in Horizon 2020 zu den Top 3, wenn man die Erfolgsquote bei den Beteiligungen an Projekten als Maßstab heranzieht.

 

ZUKUNFT: Und wie schaut es mit der Universität Innsbruck aus?

ELISABETH SMITS: Auch hier gibt es natürlich viele Kriterien: Wie viel Fördergeld erhält sie, wie viele Projektbeteiligungen und wie viele – prestigeträchtige – Projektkoordinationen hat sie. Wie man es aber dreht und wendet, die Universität Innsbruck ist ein Top-Player, sie hat das Beteiligungsprofil und die Beteiligungszahlen deutlich gestärkt. Vergleicht man etwa die österreichischen Universitäten nach Fördermitteln pro 100 Forschenden, war die Universität Innsbruck bei Horizon 2020 auf Platz acht, bei Horizon Europe bisher auf Platz drei. Das ist beachtlich!

 

ZUKUNFT: Luft nach oben besteht immer – wie kann das Potenzial besser ausgeschöpft werden?

ELISABETH SMITS: Zufriedenheit ist sicher nichts, was der Forschung innewohnt. Sie will immer besser werden. In Vorarlberg sagen wir „Vo nüt kut nüt“ – das sieht man auch an der Universität Innsbruck. Diese oben angesprochene Steigerung kommt nicht von ungefähr. Die Universität Innsbruck unterstützt junge Forschende sehr professionell und ermutigt sie, sich an den europäischen Programmen zu beteiligen. Einrichtungen wie das projekt.service.büro sind in diesem Zusammenhang Gold wert, im besten Sinne des Wortes sogar Geld wert und viel mehr: Es geht um den Zugang zu Know-how und neuen Märkten, den Austausch von Wissen, die Vernetzung, Benchmarks etc. Die Universität Innsbruck erntet nun die Früchte dieser gezielten Unterstützung. Bei all den Forschungsprogrammen ist es vor allem wichtig, dass man weiß, wann man wo sein muss, wann in welchem Programm eine Ausschreibung öffnet, in die ein Projekt passt. Diese Guidance zu geben, ist ganz entscheidend. Und wenn man seinen Platz gefunden hat, ist Unterstützung beim Schreiben des Antrags, bei der Vorbereitung z.B. auf ein Interview, bei der Projektumsetzung und der Abrechnung von Vorteil. Für all das gibt es Profis, in Innsbruck im projekt.service.büro sowie auf nationaler Ebene bei der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG). Das wirkt.

 

ZUKUNFT: Forscher:innen klagen oft über den großen Aufwand, der mit dem Schreiben von Anträgen für EU-Projekte verbunden ist. Wie sehen Sie das?

ELISABETH SMITS: Sie sprechen das Thema der Simplification an, das immer hoch auf der Agenda steht. Horizon 2020 wurde evaluiert, ein Output war, dass es Vereinfachungen braucht. Weiters hat sich eine deutliche Überzeichnung gezeigt: Qualitativ hochwertige Projekte in Höhe von 159 Milliarden Euro konnten nicht gefördert werden. Das entspricht zig Anträgen, die mit viel Engagement und Akribie geschrieben wurden und nicht zum Zug gekommen sind. Ich sehe beide Seiten: Es handelt sich um viel öffentliches Steuergeld. Horizon Europe ist mit 95 Milliarden Euro das weltweit größte transnationale Programm – diese Mittel können nicht freihändig vergeben werden. Es braucht klare und überprüfbare Kriterien, und ja: das ist ein Aufwand. Auf der anderen Seite verstehe ich die Forschenden, die forschen und nicht in Formalitäten ertrinken wollen. Daher wird Simplification beim nächsten Rahmenprogramm auf der Agenda stehen, damit Forschende tun können, was sie am besten können: forschen. Es gibt z.B. in Horizon Europe das Pilotprogramm „Lump Sum“. Das ist ein neues, vereinfachtes Förderinstrument, bei dem Forschende nicht jede Arbeitsstunde dokumentieren und jeden Bleistift abrechnen müssen. Es gibt dafür einen Pauschalbetrag – daher der Name Lump Sum –, was vieles vereinfachen soll. Aber auch hier zeigt sich, dass Simplification kompliziert sein kann: Der Europäische Rechnungshof sucht bei Prüfungen nach Indikatoren, ein Pauschalbetrag ist schwierig zu überprüfen.

 

ZUKUNFT: Das EU-Forschungsrahmenprogramm Horizon Europe hat sozusagen Halbzeit. Gibt es schon Überlegungen zu einem Nachfolgeprogramm?

ELISABETH SMITS: Das Nachfolgeprogramm, derzeit noch FP10 genannt, wird mit 2028 starten. Das klingt weit weg, es biegt aber schon um die Ecke. Um etwas weiterzuentwickeln, muss man natürlich zunächst wissen, wo man steht, was funktioniert und was nicht. Daher gibt es eine umfassende Evaluierung zu Horizon 2020, zu Horizon Europe gibt es kommendes Jahr eine Zwischenevaluierung. Inhaltliche Überlegungen zu FP10 gibt es auf mehreren Ebenen: Zum einen in den Mitgliedstaaten, die sich selbst auf nationaler Ebene vorbereiten und sich auch untereinander in einem Gremium der Generaldirektorinnen und Generaldirektoren austauschen und eine Stellungnahme erarbeiten. Den Vorsitz dieses European Research Area and Innovation Committee (ERAC) führen die Europäische Kommission und ein Mitgliedstaat gemeinsam – das ist Österreich, vertreten durch Sektionsleiterin Barbara Weitgruber aus dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung. Eine ERAC-Untergruppe setzt sich explizit mit FP10 auseinander. Zum anderen laufen natürlich die Vorbereitungen in der Europäischen Kommission auf Hochtouren, die schlussendlich den Vorschlag für FP10 vorlegen wird. Sie hat zudem eine Gruppe an Expertinnen und Experten eingerichtet, unter den 15 Mitgliedern ist Heinz Faßmann, der ehemalige Wissenschaftsminister und aktuelle Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Diese Gruppe soll im Herbst einen Bericht vorlegen. Es gibt noch einen weiteren aktiven Player, das Europäische Parlament, dazu kommen zahlreiche universitäre und außeruniversitäre Interessenvertretungen, die Positionspapiere verfassen. Denn jetzt ist sicherlich die Zeit, um gehört zu werden.

 

ZUKUNFT: Wie schätzen Sie den Zeitplan ein?

ELISABETH SMITS: Wir erwarten, dass Mitte 2025 ein erster Vorschlag für FP10 auf dem Tisch liegen wird. Dann beginnen die Verhandlungen und Gespräche mit den Mitgliedstaaten, mit dem Parlament, mit den Interessenvertretungen. Mit 1. Jänner 2028 soll das neue Forschungsrahmenprogramm in Kraft treten.

 

ZUKUNFT: Die Namensfindung wird dabei das geringste Problem sein.

ELISABETH SMITS: Ich denke, dass man mit einem Namen auch viel ausdrücken kann – es ist aber wohl eher die Kür als die Pflicht.

 

 

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