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Die Urbanisierung des ländlichen Raumes. Wie antike Wohntrends in verstädterten Siedlungen des 4. und 3. Jh. v. Chr. adaptiert wurden

In der modernen globalisierten Welt des 21. Jh. verbreiten sich aktuelle Wohntrends rasant über die gesamte Welt. Aber wie wurden in dörflichen Landschaften der Antike griechische Wohntrends übernommen? Am Beispiel von Peristylbauten kann nachgezeichnet werden, wie kulturfremde städtische Elemente an die eigenen Bedürfnisse angepasst und mit einer neuen Funktion versehen werden konnten.

Ähnlich wie die moderne Stadt, in der Baustellen das Stadtbild prägen, durchlief auch die antike Stadt ständige Prozesse der Veränderung. Denn bereits damals entwickelte sich Architektur nicht nur entlang einer funktionalen Ebene. Neuerrichtungen oder Umbauten mussten nicht immer einem bestimmten Zweck wie der zusätzlichen Raumgewinnung für wachsende Familien dienen. Heute wie damals antwortet Architektur auch auf rein ästhetische und repräsentative Bedürfnisse.

Peristylarchitektur in Griechenland

Die architektonischen Veränderungen, die sich im spätklassischen Griechenland ab dem Ende des 5. Jh. v. Chr. vollzogen haben, erfüllten sowohl neue funktionale Anforderungen wie auch repräsentative Bedürfnisse. Theater als Orte der Unterhaltung, Gymnasien für sportliche Aktivitäten und Bildung, Bouleuteria und Prytaneia als Orte der politischen Machtausübung sowie Marktgebäude stellten neue architektonische Ausformungen dar, die bereits bekannte soziale Praktiken in einen neuen monumentalen Rahmen überführten. Als eine der prägendsten Neuerungen stellte sich das Peristyle Bauschema hervor, d. h. die Ausstattung von Gebäuden mit Innenhöfen, die auf allen vier Seiten von einer Säulenstellung oder Säulenhalle umgeben waren. In den nachfolgenden Jahrhunderten wurde der Peristylhof zur architektonischen Signatur monumentaler Baukunst und damit des Stadtbildes hellenistischer Zeit (3.-1. Jh. v. Chr.), welches ab dem 4. Jh. v. Chr. selbst in entfernten dörflich geprägten Regionen Anwendung fand.

In den öffentlichen Bereichen der Stadt, bspw. auf der Agora – dem wirtschaftlichen und politischen Zentrum der Stadt – fanden von hellenistischer Zeit bis zur Zeit des Römischen Reiches Peristyle in immer exzessiver ausfallendem Prunk Verwendung. Neben dem Einsatz in der öffentlichen Architektur hielt das Peristyl zu Beginn des 4. Jh. v. Chr. auch Einzug in die Privatarchitektur. Der in den Häusern der Eliten anzutreffende Peristylhof erfüllte nicht nur eine Verteilerfunktion für die um den Hof angeordneten Räume. Er verlieh diesen Wohnhäusern einen stark repräsentativen Charakter. Dieser ging mit einer luxuriösen Ausgestaltung der Böden und Wanddekorationen einher. Wie sich anhand der sog. Palastanlagen in Makedonien feststellen lässt, konnten Peristylhöfe in solchen Residenzen aber auch allein durch ihre Größe Status und soziales Prestige symbolisieren.

Bei den meisten Häusern offenbarte sich die repräsentative Wirkung der nach außen hin abgeschlossenen Bauten allerdings nur jenen, die Zugang in das Innere des Gebäudes erhielten. Dadurch konnte eine gewisse Exklusivität geschaffen werden, die sowohl das soziale Ansehen des Besitzers, aber auch derer, denen Zugang in die prächtig gestalteten Wohnbauten gewährt wurde, steigerte.

Die Verbreitung des griechischen Wohnluxus im Mittelmeerraum

Die Beliebtheit eines von Säulen umgebenen Hofes beschränkte sich nicht allein auf das griechische Mutterland. Seit Beginn der sog. Großen Kolonisation, die eine Vielzahl an Neugründungen von griechischen Siedlungen (Apoikien) entlang der Mittelmeerküste hervorbrachte, entwickelten sich immer dichtere Beziehungs- und Handelsnetzwerke zwischen den Mutterstädten und ihren Apoikien1. Jede Apoikia musste jedoch auch über ihr eigenes lokales Handelsnetzwerk verfügen, um an die benötigten Rohstoffe wie Holz, Stein, Metalle und Ton zu gelangen. Als Gegenleistung für diese Tauschgeschäfte mit der lokal ansässigen Bevölkerung dienten exklusive Güter und Technologien aus dem Mutterland. Dadurch drangen aktuelle Trends des griechischen Festlandes über die Zwischenstation der griechischen Apoikien auch in die ländlich geprägten Regionen des Hinter- und Binnenlandes einheimischer Bevölkerungsgruppen vor.

Das Urbanisierungsphänomen nach griechischem Vorbild

Durch die Netzwerke zwischen Mutterstädten und Apoikien schien sich über die Zeit die griechische Lebensart weit verbreitet und zu einem erstrebenswerten Lebensstandard entwickelt zu haben. Nur so lässt sich erklären, warum sich im 4. u. 3. Jh. v. Chr. auch in den dörflich geprägten Landschaften, in denen man noch in Stammesgesellschaften und zerstreut in kleinen Weilern lebte, die regionale Bevölkerung zu einem Leben in größeren Siedlungen zusammenschloss. Bei diesen Neugründungen von Zentralorten orientierte man sich an der Gestaltung griechischer Städte. Oftmals beschränkte man sich aber nicht nur auf das Städtebauliche. Griechischer Lebensstandard lässt sich in dieser Zeit bis hin zur Keramik in ihrem alltäglichen Gebrauch feststellen. Stellte die schwarz gefirnisste griechische Keramik im 7. - 5. Jh. v. Chr. in diesen Regionen noch ein rares Luxusgut dar, so avancierte sie im 4. Jh. zur Alltagsware, die auch in zahlreichen lokalen Produktionsstätten hergestellt wurde.

Orte wie die Siedlung Iaitas auf dem Monte Iato im westsizilischen Binnenland lassen erahnen, dass diese Entwicklung zu einem griechischen Stadtbild keineswegs schlagartig erfolgte, sondern sich in Etappen vollzog. Typische architektonische Elemente des frühen Hellenismus wie ein Theater und ein zweistöckiger Peristylbau traten hier im 3. Jh. v. Chr. neben einer bäuerlichen Lebensweise in kleinen zerstreuten Gehöften in Erscheinung. Erst ab dem 2. Jh. v. Chr. wurden diese Gehöfte und Weiler zugunsten des Wohnens in monumentalen Peristylhäusern, die zu dieser Zeit auf dem Monte Iato neu errichtet wurden, aufgelassen. Zur gleichen Zeit wurde die Agora weiter ausgebaut, mit Säulenhallen umgeben und mit einem Prytaneion ausgestattet. Von einem rechtwinkeligen Straßensystem, wie man es aus vielen anderen griechischen Städten kennt und infolge des Urbanisierungsprozesses auch auf dem Monte Iato zu erwarten gewesen wäre, fehlt dagegen jede Spur.2

Ganz anders stellt sich die Situation in der nordwestgriechischen Stadt Kassope dar. Bei dieser Siedlung im antiken Epirus handelt es sich um eine im 4. Jh. v. Chr. gegründete Stadt, die sich in ihrem städtebaulichen Erscheinungsbild kaum von den griechischen Apoikien unterscheidet. Durch inschriftliche Überlieferungen ist jedoch bekannt, dass Kassope eine durch Synoikismos (Zusammenschluss verschiedener kleiner Siedlungen zu einer gemeinsamen Stadt) gegründete Stadt der einheimischen Bevölkerung war. Unter der Annahme, dass dies auf freiwilliger Basis der Bevölkerung geschah, musste in ihren früheren Siedlungen bereits der Urbanisierungsprozess eingesetzt haben, damit die Bewohner_innen die Kenntnis und das Know-how zur Gründung einer derartigen Stadt besitzen konnten.

In vielen größeren Siedlungen Süditaliens wie Cersosimo, Pomarico Vecchio oder Roccagloriosa wurden hingegen nur ausgewählte Elemente hellenistischer Architektur wie das Peristylhaus, regelmäßig angeordnete Straßen oder das Einteilungsprinzip des Siedlungsareals nach unterschiedlichen funktionalen Bereichen übernommen. Die Übernahme von Bautypen wie dem Theater oder der Agora konnte hier bislang nicht nachgewiesen werden.

Insgesamt lassen sich für die ländlichen Regionen der hellenistischen Welt des 3. Jh. v. Chr. gänzlich unterschiedliche Aneignungsgrade griechischer Architektur- und Strukturelemente fassen, die im Hinter- und Binnenland Siziliens, Süditaliens und Nordgriechenlands zu einer stärker oder weniger stark ausgeprägten Urbanisierung der dort ansässigen einheimischen Bevölkerung geführt haben.

Verwendung der Peristylhäuser in ländlichen Siedlungen

Trotz dieser markanten Unterschiede zwischen den Strukturen der Siedlungen des 4. und 3. Jh. v. Chr. zeigt sich eine Gemeinsamkeit: In vielen Siedlungen, die in ihrer umstrukturierenden Phase offen für neue Einflüsse aus dem griechischen Raum waren, lassen sich Peristylhäuser finden. Einzelne, wie das Peristylhaus in Arpi (Daunien), sind besonders früh um 350 v. Chr. zu datieren. Anders verhält es sich bei den Wohnbauten in Kassope, wo die Übernahme des Peristylhauses erst für das 2. Jh. v. Chr. nachgewiesen ist, obwohl die Stadtgründung bereits im Verlauf des 4. Jh. v. Chr. vollständig nach griechischem Vorbild erfolgte.

Die oftmals geringe Anzahl von meist nur einem Peristylhaus innerhalb solcher Siedlungen in ländlichen Regionen (sofern diese Feststellung nicht allein durch den bisher unzureichenden Forschungsstand bedingt ist), ihre zentrale Lokalisation im Siedlungsareal sowie ihre Ausstattung lassen zunehmend Zweifel aufkommen, ob diese frühen Peristylhäuser tatsächlich allein als luxuriöse Wohnhäuser zu deuten sind. Vielmehr schien man mit diesen Bauten in nur wenig urbanisierten Regionen zwar die Form des Wohnhauses zu übernehmen, diese wurden aber in eine andere Funktion überführt, bspw. als Versammlungshaus der Eliten, als Bankettbau, als Verwaltungszentrum öffentlicher Angelegenheiten etc. Wie B. Emme in seiner 2013 veröffentlichten Dissertation3 aufzeigen konnte, gab es selbst im griechischen Raum des 4. und 3. Jh. v. Chr. noch keine feststehenden Bautypen für Prytaneia, Banketthäuser etc. Entsprechend des Konzepts von Adaption und Aneignung, wie es bspw. von H. P. Hahn4 vorgestellt wurde, erscheint es nicht sonderlich abwegig, dass Akteure aus einer kulturell nicht dem Griechischen zugehörigen Welt, die jedoch die griechische Lebensart anstrebten, zwar das Grundprinzip des Peristylmotivs als ein exklusives Element für ausgewählte Personen, nicht jedoch die Funktion von Peristylhäusern als luxuriöse Wohnhäuser der Elite begriffen und demnach nicht mitübernommen haben. Erst wenn sich auch in diesen ländlichen Regionen eine umfassendere Urbanisierung nach dem Vorbild der griechischen Polis ergeben hatte, kam es auch zu einer Nutzung dieses monumentalen Gebäudetypus zum Wohnen der lokalen Elite nach dem Vorbild der griechischen Aristokratie.

 

[1] I. Malkin, Small Greek World (London 2011)

[2] Bislang unpublizierter Forschungsstand des FWF Projektes „Die ländliche Stadt am Hellenistischen Monte Iato und die Welt jenseits des Peristylhauses 1“ (https://www.uibk.ac.at/projects/monte-iato/fwf/laendliche-stadt-monte-lato/). Damit zusammenhängend s. Tagungsbericht: Die „Ländliche Stadt“: Lokalisierungsformen von Urbanität im Hinter- und Binnenland, 15.11.2021 – 17.11.2021 Innsbruck, in: H-Soz-Kult, 22.03.2022

[3] B. Emme, Peristyl und Polis. Entwicklung und Funktion öffentlicher griechischer Hofanlagen (Berlin 2013)

[4] H. P. Hahn, Materielle Kultur. Eine Einführung (Berlin 2005)


(Jessika Armbrüster)


Jessika Armbrüster studierte in Innsbruck Classica et Orientalia und Archäologien mit den Schwerpunkten Klassische Archäologie, Vorderasiatische Archäologie und Altorientalische Philologie. Neben dem Doktoratsstudium ist sie gegenwärtig Sprecherin der Doktorand_innen des Doktoratskollegs Entangled Antiquities. Seit 2017 nimmt sie an den Ausgrabungen auf dem Monte Iato (Sizilien) teil und ist dort seit 2021 im Rahmen des hellenistischen Monte Iato Projektes als wissenschaftliche Projektmitarbeiterin tätig. 

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