In Gesprächen über Konversionen zum Islam kommt man nicht daran vorbei, über einen Aspekt zu diskutieren: die Konversionsmotive. Konvertiert jemand in Österreich zum Islam, dann stellt sich die Frage, warum jemand, der hier aufgewachsen ist, sich zu dieser Religion bekennen und sich immer mehr ihren Normen anpassen sollte? Dabei schwingen bereits ein sehr spezifisches Islambild, das einem aufgeklärten, modernen Westen entgegengesetzt wird, und die Vermutung mit, dass es doch einen logisch erklärbaren und nachvollziehbaren Grund für die Konversion geben müsse. Ein Dauerbrenner unter den Konversionsmotiven ist Liebe: Eine Frau konvertiert wegen eines Mannes, ein Mann konvertiert wegen einer Frau. Die Liebe und die daraus resultierende Beziehung werden zum zentralen Beweggrund für die Konversion stilisiert. Dieser Beitrag führt in die akademischen Forschungen zu Konversionsmotiven ein und beachtet dabei insbesondere die Rolle von Beziehungen. Vor der Darstellung des wissenschaftlichen Diskurses wird in der Einführung ein Einblick in die Biographie einer österreichischen Konvertitin gegeben. Dabei liegt der Fokus insbesondere auf ihrem Weg zum Islam sowie auf der Rolle ihres Mannes.
Hatice1 lernte ihren Mann Mohammed vor circa fünf Jahren kennen. Damals nannte sie sich noch Sandra. Sie war 30 Jahre alt und arbeitete in einem Sekretariat. Eines Tages begegnete sie einem Mann, mit dem sie ins Gespräch kam. Besonders faszinierend fand Hatice die vielen Parallelen, die zwischen ihrer christlichen Sozialisation und seiner Religion, dem Islam, sichtbar wurden. Als er ihr über Abraham und dessen Bereitschaft, seinen Sohn zu opfern, erzählte, stellte sie fest: „Hey, die Geschichte kenn ich doch vom [...] Religionsunterricht." Die beiden lernten sich besser kennen. Bereits nach wenigen Wochen entwickelte sich zwischen ihnen eine romantische Beziehung. Vier Jahre später beschloss Hatice, zum Islam zu konvertieren. Sie vereinbarte einen Termin mit einem Imam, ihr Partner Mohammed begleitete sie. Vor dem Imam und einer in der Gemeinde engagierten Muslima sollte Hatice die Schahāda, das islamische Glaubensbekenntnis, sprechen, um durch dieses durch die Anwesenden bezeugte Bekenntnis offiziell zum Islam zu konvertieren. Doch bevor Hatice die Schahāda aussprach und damit konvertierte, äußerte sie den Wunsch nach einer Erklärung: „Nämlich dass ich eben seit meinem dreizehnten Lebensjahr das schon hatte, und eben so dankbar bin, dass ich durch meinen dann später Ehemann dazu eben noch mehr erfahren hab. Also es hätte bei mir vielleicht noch länger gedauert, aber irgendwo hatte ich dann auch mehr Mut.“
Hatice ist es wichtig zu betonen, dass sie nicht wegen Mohammed konvertiert, sondern dass sie diesen Weg bereits in ihrer Jugend begonnen hat. Bereits im frühen Jugendalter war ihr „Herz […] nicht einverstanden“ mit dem Christentum, sodass sie sich bereits damals immer weniger mit ihrer Ausgangsreligion identifizierte. Doch erst durch die Begegnung mit dem Islam konnte sie einen Ausdruck sowie einen Namen für den Glauben finden, den sie bis dahin nur in ihrem im Herzen trug, aber nicht benennen konnte. Hatice weist darauf hin, dass ihr Partner den Prozess möglicherweise beschleunigte, sie aber die Entscheidung zu konvertieren unabhängig von ihm traf, „[…] weil ich eben immer wieder den Eindruck hatte, dass manche glauben, ich mach das wegen diesem Mann.“
Warum Menschen wie Hatice konvertieren, ist eine Frage, die sich die Konversionsforschung stellt. Deren Anfänge werden im beginnenden 20. Jahrhundert verortet. Der Religionspsychologe William James stellte 1902 Bekehrungen in seiner Vorlesung zur Vielfalt religiöser Erfahrungen als „normales Phänomen der Adoleszenz“ (James 1997: 219) dar. In einer durchweg krisenhaften Lebensphase führe ein Wechsel des religiösen Bekenntnisses zu mehr Stabilität und festige das Selbst (James 1997: 217). Dabei versteht James Konversionen als plötzliche, dramatische Erlebnisse, die dem Leben eine neue Wendung geben. Diese Deutung von Konversion änderte sich, als in den 1960ern mehr Aufmerksamkeit auf die Beschreibung von Konversionsabläufen gelegt wurde.
Seither wurde der Fokus verstärkt auf Bedingungen, Motive und Beweggründe gelegt. Der amerikanische Soziologe John Lofland veröffentlichte in den 1960ern das Buch Doomsday Cult, in dem er sich mit Konversionen zu einer christlich-apokalyptischen Bewegung in Amerika befasste. In der Folge entwickelte er mit anderen Forschern mehrere Modelle und Typologien, um Konversionen besser einordnen zu können (Lofland und Stark 1965; Lofland und Skonovd 1981). In ihrer Forschung weisen die Wissenschaftler auf die Bedeutung von Beziehungen bei Konversionen hin, die neben der Frustration mit dem bisherigen Leben sowie der Tendenz, Probleme religiös zu erklären, eine wichtige Bedingung für Konversionen sind. Doch nicht nur affektive Beziehungen zu Mitgliedern der neuen religiösen Gemeinschaft beeinflussen den Konversionsverlauf, sondern auch nicht oder kaum vorhandene Beziehungen zu Personen außerhalb der Gemeinschaft. Die Forscher stellten fest, dass zu konvertieren in gewisser Weise bedeutet, die Ansichten seiner neuen Freund:innen anzunehmen (Lofland und Stark 1965: 871). Lofland nahm dabei insbesondere religiöse Sondergemeinschaften in den Blick, wobei er Konvertit:innen eher als passiv und die Konversion als eine Konsequenz verschiedener Voraussetzungen und Bedingungen beschrieb. Dadurch machte er sichtbar, dass Beziehungen – die vorhandenen und die nicht vorhandenen – immer eine Rolle im Prozess der Konversion spielten. Der Religionspsychologe Lewis Rambo machte dies auch deutlich, indem er die Mitglieder einer religiösen Gemeinschaft als „advocates“ (Rambo 1993: 66-86) bezeichnete, die häufig Freund:innen der potenziellen Konvertit:innen sind und diese somit in die Gruppe einführen. Die Forschung zu Konversionsmotiven und die Differenzierungen zur Bedeutung von Beziehungen in diesem Zusammenhang zeigen, dass insbesondere affektive Bindungen zu Gemeinschaftsmitgliedern den Konversionsverlauf beeinflussen können.
Mit Beziehungen als Motive für Konversionen zum Islam befassten sich unter anderem Ali Köse und Kate Loewenthal in ihrer 2000 veröffentlichten Studie. In dieser übertrugen sie die Typologie von Konversionsmotiven von Lofland und Skonovd (1981) auf britische Konvertit:innen zum Islam. Sie stellten fest, dass viele der Konversionen affektiv motiviert waren, womit die Forscher:innen unter anderem Partnerschaft und Liebe assoziierten. Auch der italienische Soziologe Stefano Allievi untersuchte, was die Anziehungskraft des Islams für Menschen in Europa ausmacht und bemerkte, dass Begegnungen mit muslimischen Einzelpersonen oder Gemeinschaften beinahe immer eine Rolle spielen (Allievi 2002: 26f). Er unterscheidet in seiner Ausarbeitung rationale und relationale Konversionen: Erstere sind die Folge einer intellektuellen Auseinandersetzung und Recherche, zweitere resultieren aus Beziehungen und Begegnungen mit Muslim:innen (Allievi 1998: 93-145).
Im Fall von Hatice lässt sich von einer affektiv motivierten bzw. relationalen Konversion sprechen. Die Verflochtenheit ihrer Konversionsgeschichte mit der Begegnung und Beziehung mit Mohammed ist augenscheinlich. Sie lernt einen fremden Mann kennen, verliebt sich in ihn, konvertiert zum Islam und heiratet ihn anschließend. Die Frage, ob sie ohne diese Bekanntschaft überhaupt zum Islam konvertiert wäre, kann nicht beantwortet werden. Aus der Perspektive von Hatices Familie ist es Mohammed, der sie dazu gebracht hat, zu konvertieren. Hatice aber betont stets die Unabhängigkeit ihrer Entscheidung von ihrer Beziehung. Sie konstruiert im Interview retrospektiv ihre Biografie auf ihre Konversion zum Islam hin, indem sie die Kontinuität in ihrer religiösen Biographie seit dem Jugendalter darstellt und die Kohärenz ihrer religiösen Identität unterstreicht. Gleichzeitig wird deutlich, dass Hatice die Liebe und Anerkennung ihres Partners wichtig sind, wenn sie von seiner Reaktion auf ihre Konversion erzählt: „Ja, und natürlich, dass mein Mann dann nachher mit den Tränen in die Augen gemeint hat, auf der Straße ‚Du hast es jetzt gut. [...] Du bist jetzt rein durch dieses Glaubensbekenntnis den Stand wieder auf null.‘ [..] Das war so rührend dann nachher. Weil das hat ihn so sehr berührt.“
Die Analyse von Hatices Interview zeigt eine Spannung zwischen ihrer Eigenwahrnehmung als selbstbestimmte Akteurin im Prozess der Konversion und dem Vorwurf ihres Umfeldes fremdbestimmt zu sein. Die wiederkehrende Präsenz ihres Mannes bei entscheidenden Wenden in ihrer Biographie legt die Vermutung nahe, dass ein Zusammenhang zwischen der Beziehung von Hatice und Mohammed sowie ihrer Entscheidung zu konvertieren besteht. Die Einblicke in den wissenschaftlichen Diskurs machten deutlich, dass der Einfluss einer Beziehung auf die Entscheidung zur Konversion keinesfalls unüblich ist, sondern sogar als eine Vorbedingung von Konversionen verstanden wird. Die Annahme ihres Umfeldes, dass sie sich ausschließlich wegen Mohammed verändert und die Religion gewechselt habe, belastete Hatice. Auch deswegen kommt es zu Spannungen sowie Beziehungsabbrüchen mit ihrer Familie und in ihrem Freundeskreis. Wie sehr die Beziehung zu Mohammed Hatices Konversionsverlauf beeinflusst hat, bleibt offen. Ihre Schilderungen sind letztlich nicht eindeutig, sondern haben viele Facetten. Hatices Darstellung des Prozesses ihrer Konversion wehrt sich gegen den Vorwurf, sie sei für oder wegen ihres Mannes konvertiert. Sie zeichnet das Bild einer Entwicklung, die in ihrer Jugend begann und macht so der Interviewerin deutlich, dass die Beziehung zu Mohammed keine ausschlaggebende Rolle bei ihrer Konversion spielte. Gegenüber den Theorien, die auf die Bedeutung von Beziehungen hinweisen, geht Hatices biographische Erzählung tiefer und zeigt, dass die Rolle von Beziehungen bei einer Konversion eine komplexe ist. Ein Geflecht von Interaktion und Kommunikation, das durch unterschiedlichste Beziehungen in Hatices Biographie entsteht, wird sichtbar. Entsprechend Hatices Deutung ihrer eigenen Geschichte ist ihre Konversion ein Prozess, den sie aktiv sowie selbstbestimmt gestaltet und in welchem nicht eine Einzelperson sie maßgeblich prägt, sondern ein ganzes Geflecht von Beziehungen.
Literatur
Allievi, Stefano (2002): Converts and the Making of European Islam. In: ISIM Newsletter (11), 26–27.
James, William (1997, Erstaufl. 1902): Die Vielfalt religiöser Erfahrung. Eine Studie über die menschliche Natur. Frankfurt am Main: Insel.
Lofland, John / Rodney Stark (1965): Becoming a World-Saver: A Theory of Conversion to a Deviant Perspective. In: American Sociological Review 30 (6), 862–875.
Lofland, John (1980): Doomsday Cult. A Study of Conversion, Proselytization, and Maintenance of Faith. New York: Irvington.
Lofland, John / Norman Skonovd (1981): Conversion Motifs. In: Journal for the Scientific Study of Religion 20 (4), 373–385.
Köse, Ali &/ Kate Loewenthal (2000): Conversion Motifs Among British Converts to Islam. The International Journal for the Psychology of Religion 10 (2), 101–110.
Rambo, Lewis R. (1993): Understanding Religious Conversion. New Haven: Yale University Press.
1Das Interview mit Hatice fand 2020 statt. Alle Namen wurden anonymisiert.
(Julia Eitzinger)
Zur Person
Julia Eitzinger studierte von 2013 bis 2017 katholische Fachtheologie an der Universität Innsbruck und machte von 2017 bis 2020 die Ausbildung zur diplomierten Sozialpädagogin in Stams, Tirol. Seit 2018 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Islamische Theologie und Religionspädagogik. In ihrem Dissertationsprojekt im Bereich der Islamischen Religionspädagogik befasst sie sich mit Konversionen zum Islam in Österreich. Zu ihren Forschungsinteressen zählt neben der muslimischen Gemeindepädagogik und der Konversionsforschung auch die interreligiöse Religionspädagogik. Sie engagiert sich außerdem ehrenamtlich im Vorstand des Vereins Islamisches Forum Innsbruck.