Religiös geprägte Sprache und Metaphorik
Alle Religionen bzw. religiösen und spirituellen Kulte stehen vor der gleichen Herausforderung: Sie müssen Entitäten beschreiben, die nicht sichtbar sind (wie zum Beispiel Gott), und Situationen, Phänomene oder Ereignisse (wie beispielsweise Auferstehung, Leben nach dem Tod etc.) sowie Gefühle (wie Nächstenliebe, Hoffnung etc.) zugänglich und verständlich machen, die an sich schwer zu begreifen sind, wozu sich der Gebrauch von Metaphern eignet. Gerade die im religiösen Kontext verwendete Sprache zeigt, dass metaphorische Konzepte sich nicht nur in bewusst eingesetzten sprachlichen Mitteln manifestieren, sondern viel zentralere, sehr häufig anzutreffende Elemente sind, die oft unbewusst aktiviert werden. In meiner Dissertation untersuche ich speziell diejenigen Metaphern, die in der religiös geprägten Sprache des römisch-katholischen Diskurses vorzufinden sind.
Um zu verstehen, welche metaphorischen Konzepte im römisch-katholischen Kontext Verwendung finden, um bestimmte religiöse und weltliche Themen zu vermitteln, analysiere ich die Enzykliken von Papst Benedikt XVI. und Papst Franziskus in italienischer Sprache, also der zweiten Amtssprache des Vatikans. Ursprünglich wurden Enzykliken auf Latein verfasst. Mittlerweile sind die meisten Enzykliken, beginnend mit jenen von Pius XI., in zahlreichen Sprachen online auf der Website des Vatikans abrufbar. Da ich in meiner Dissertation speziell die religiös geprägte italienische Sprache fokussiere, stellen die italienischsprachigen Versionen der Enzykliken den Ausgangspunkt meiner Arbeit dar, die ich als Beitrag zur Theolinguistik sehe, einem jungen, vielfach noch unergründeten Forschungsbereich, der an der Schnittstelle von Linguistik und Theologie zu verorten ist.
Metaphorische Konzepte
In der Rhetorik gilt die Metapher als dekorative Figur, als Ornament (vgl. Jäkel 2003, S. 21). Diese Einschätzung von Metaphern änderte sich unter anderem durch die kognitive Theorie, die vor allem von Lakoff, Johnson, Turner und Sweetser seit den 1980ern geprägt wird. Laut Lakoff und Johnson ist die Metapher nicht nur ein bewusst eingesetztes rhetorisches Mittel, sondern durchdringt im Alltag sowohl unsere Sprache als auch unser Denken und Handeln. Demnach strukturieren wir unsere Welt innerhalb eines konzeptuellen Systems, das allgemein metaphorische und nicht metaphorische Konzepte beinhaltet. Die metaphorischen Konzepte sind kognitiv verinnerlicht und als solche allgegenwärtig, werden häufig unbewusst gebraucht und kommen durch Sprache zum Ausdruck.
Bei der Analyse metaphorischer Konzepte ist die Wahrnehmung der beiden unterschiedlichen Ebenen, also der sprachlichen und der kognitiv-konzeptuellen, zentral. Eine unangenehme Debatte, die man mit einer anderen Person hatte, könnte beispielsweise folgendermaßen beschrieben werden: „Meine Gegnerin brachte vernichtende Argumente vor. Ich verteidigte meine Aussagen, doch sie griff mich verbal an und war dabei sehr verletzend.“ (G.G.) Das Beispiel enthält auf sprachlicher Ebene zahlreiche metaphorische Ausdrücke, die allesamt auf die gleiche konzeptuelle Metapher ARGUMENTIEREN = KAMPF auf kognitiv-konzeptueller Ebene hinweisen. Diese übergeordnete Denkmetapher prägt entscheidend unser Verständnis von Argumentation und unser diesbezügliches Handeln: „Das Konzept ist metaphorisch strukturiert, die Handlung ist metaphorisch strukturiert, und folglich ist die Sprache metaphorisch strukturiert.“ (Lakoff / Johnson 2018, S. 13)
Die allgemeine Form einer konzeptuellen Metapher, wie ARGUMENTIEREN = KAMPF, ist X = Y. Die Verbindung der beiden Konzepte, ‚cross-domain mapping‘ genannt, verknüpft das Konzept X aus der Zieldomäne mit dem Konzept Y aus der Quelldomäne (vgl. Lakoff 1993, S. 206 f.). Letztere wird herangezogen, um die Zieldomäne zu strukturieren und sie verständlich zu machen. Dementsprechend ist X häufig ein abstraktes Konzept, das mit einem konkreteren (Y) verknüpft wird. Eine konzeptuelle Metapher wird stets durch Großbuchstaben gekennzeichnet.
Genauso wie Metaphorik unsere alltägliche Sprache und unser alltägliches Denken und Handeln prägt, spielt sie für die im religiösen Kontext vorzufindenden Diskurse ebenfalls eine entscheidende Rolle. Auch in diesem Bereich prägt sie nicht nur die Sprache, sondern zugleich unsere religiösen Vorstellungen. Durch den Rückgriff auf konzeptuelle Metaphern können abstrakte Entitäten wie Jesus näher beschrieben werden. Gleichzeitig kann durch den Einsatz von Metaphorik eine ganz bestimmte Vorstellung vom Sohn Gottes vermittelt werden: Findet sich auf sprachlicher Ebene eine Aussage wie „Gesù è la nostra stella nel buio.“ („Jesus ist unser Stern im Dunkeln.“) (G.G.), so findet sich auf konzeptueller Ebene das metaphorische Konzept GESÙ = STELLA, d.h. JESUS = STERN. Damit wird der Sohn Gottes nicht nur näher beschrieben. Er wird vor allem als Hoffnungsträger und Orientierungspunkt für die Gläubigen konzipiert, der ihnen auch in schwierigen Zeiten den Weg weist.
Warum der Fokus auf die Enzykliken dieser beiden Päpste?
Seit 2013 ist die Katholische Kirche nicht nur durch einen amtierenden, sondern auch durch einen emeritierten Papst vertreten. Beide müssen, wie ihre Vorgänger, den Gläubigen den katholischen Glauben vermitteln und in der Lage sein, das „Unfassbare fassbar“ zu machen, also abstrakte Begriffe wie „Gott“ etc. verständlich zu erklären und die Gläubigen dadurch zu einem entsprechend christlichen Verhalten und Leben zu motivieren. Gleichzeitig sind diese beiden Päpste dazu veranlasst, sich zu aktuellen weltlichen Themen zu äußern, die vor ihrer Amtszeit keine zentralen Bestandteile des kirchenpolitischen Diskurses waren, wie beispielsweise zu der Infragestellung des Zölibats, der Flüchtlingsthematik oder dem Klimawandel.
Ziel dieser Dissertation ist es, herauszufinden, wie der Gebrauch von Metaphorik einerseits die päpstliche Vermittlung von Glaubensinhalten und andererseits die päpstlichen Äußerungen zu aktuellen Themen prägt. Da die Enzykliken von Papst Benedikt XVI. und Papst Franziskus sowohl theologische als auch relevante weltliche Fragestellungen thematisieren, eignen sich diese päpstlichen Rundschreiben als Untersuchungskorpus, um beide Themenbereiche im Hinblick auf die evozierten konzeptuellen Metaphern zu analysieren. Im Besonderen soll dabei auch festgestellt werden, welche Unterschiede sich im Gebrauch der metaphorischen Konzepte zwischen den beiden Päpsten identifizieren lassen. Damit zusammenhängend wird überprüft, ob das Image von Papst Benedikt XVI. als einem eher theologisch-konservativ eingestellten Heiligen Vater und von Papst Franziskus als reformanstrebendem, dynamischem Oberhaupt der Katholischen Kirche auf kognitiv-linguistischer Ebene bestätigt und entsprechend untermauert werden kann.
In meiner Analyse werden vor allem vier Metapherngruppen näher beleuchtet, nämlich die REISE-, die KAMPF-, die PFLANZEN- und die WASSER-Metaphorik. Jede Gruppe besteht ihrerseits aus einem Netz an Unter-Metaphern, die unter dem jeweiligen Oberbegriff subsumiert und in dessen Rahmen untersucht werden können.
Kleiner Einblick in die Analyse der WASSER-Metaphorik: Beispiel DIO = FONTE ULTIMA
In „Caritas in veritate“ stellt Papst Benedikt XVI. fest, dass Wahrheit und Liebe vom Menschen nicht produziert, sondern lediglich weitergegeben und empfangen werden können. Er geht in diesem Zusammenhang folgendermaßen auf den eigentlichen Ursprung der Wahrheit und der Liebe ein:
La verità e l’amore […] non si possono produrre, si possono solo accogliere. La loro fonte ultima non è, né può essere, l’uomo, ma Dio […]. (CIV 52; Unterstreichung: G.G.)
Der Satzteil „La loro fonte ultima non è […] l’uomo, ma Dio“ verweist auf die metaphorischen Konzepte UOMO ≠ FONTE ULTIMA DI AMORE E DI VERITÀ und DIO = FONTE ULTIMA DI AMORE E DI VERITÀ. Die LETZTE QUELLE, also der endgültige Ursprung von Wahrheit und Liebe, kann laut Ratzingers Aussage also nicht der Mensch, sondern definitiv nur Gott sein. Dementsprechend ist der Mensch auch nicht in der Lage, „verità“ und „amore“ selbst zu erschaffen. Er kann diese lediglich aus der FONTE ULTIMA, aus der LETZTEN QUELLE, schöpfen, also von Gott empfangen, und daraufhin weitergeben.
Eine ähnliche Argumentation findet sich auch in Papst Franziskus’ Enzyklika „Laudato sì“:
Il Padre è la fonte ultima di tutto, fondamento amoroso e comunicativo di quanto esiste. (LS 238; Unterstreichung: G.G.)
Auch in Bergoglios Aussage wird somit Gott, im Zitat als „Padre“ bezeichnet, als FONTE ULTIMA, als LETZTE QUELLE, dargestellt. Gott wird durch diese metaphorische Konzeptualisierung als der letzte Ursprung von allem beschrieben. Er allein ist laut Papst Franziskus Grund für alles, was existiert. Beide Päpste betonen durch das metaphorische Konzept DIO = FONTE ULTIMA, dass Gott als alleiniger Schöpfer und als Ursprung von allem anzusehen ist. Der Mensch kann ihrer Ansicht nach in keinem Fall diese Schöpferrolle einnehmen. Er kann das, was Gott den Menschen zur Verfügung stellt, lediglich empfangen und verantwortlich nutzen bzw. weitergeben, aber keinesfalls selbst erschaffen.
Wie dieser kurze Einblick in die Detailanalyse zeigt, werden in den Enzykliken metaphorische Konzepte bedient, um komplexe Themen verständlich zu erklären und greifbarer zu machen. Außerdem können dadurch bestimmte Vorstellungen und Ansichten zu einzelnen Themen vermittelt werden. Der Rückgriff auf Metaphorik spielt in den Enzykliken von Papst Benedikt XVI. und Papst Franziskus insgesamt eine entscheidende Rolle in der Glaubens- und Themenvermittlung und stellt daher den Dreh- und Angelpunkt meiner Dissertation dar.
Literatur
Olaf Jäkel (2003): Wie Metaphern Wissen schaffen. Die kognitive Metapherntheorie und ihre Anwendung in Modell-Analysen der Diskursbereiche Geistestätigkeit, Wirtschaft, Wissenschaft und Religion. Hamburg: Kovač.
Moiken Jessen, Johan Blomberg, Jörg Roche (2018): Kognitive Linguistik. Tübingen: Narr Francke Attempto.
George Lakoff, Mark Johnson (92018): Leben in Metaphern. Heidelberg: Carl-Auer (Original: George Lakoff, Mark Johnson (1980): Metaphors we live by. Chicago: University of Chicago Press).
George Lakoff (1993): The Contemporary Theory of Metaphor, in: Ortony, Andrew (ed.): Metaphor and thought. Cambridge: Cambridge University Press, 202–251.
(Giulia Gritsch)
Zur Person
Giulia Gritsch wurde 1993 in Augsburg geboren. Sie absolvierte den Bachelor- und Masterstudiengang Italienisch an der Universität Innsbruck und verbrachte jeweils ein Semester an der Università degli Studi di Padova und an der Universität Konstanz. 2018 begann sie ihr Doktorat im Bereich Sprach- und Medienwissenschaften am Institut für Romanistik. Seit 2019 ist sie Mitglied des Doktoratskollegs „Grenzen, Grenzverschiebungen und Grenzüberschreitungen in Sprache, Literatur, Medien“. Während ihrer Studienzeit war sie Stipendiatin der Begabtenförderung der Hanns-Seidel-Stiftung. Seit 2019 erhält sie ein Vollstipendium der Stiftung im Rahmen der Promotionsförderung.