Welche Waffe könnte wohl ritterlicher sein als das Schwert? Diese Waffe, die aus heutiger Sicht fast schon stellvertretend für diesen Stand steht, fasziniert die Menschen bis heute ungebrochen. Das Schwert als Metapher wird immer noch in vielen Redensarten verwendet, etwa wenn von einem „zweischneidigen Schwert“ die Rede ist oder davon gesprochen wird, dass „die Feder mächtiger als das Schwert“ sei. Auch in der Belletristik bleibt die Begeisterung für dieses Thema bis heute ungebrochen, nicht nur in Mantel- und Degenromanen, sondern vor allem in Fantasy: Zuhauf findet sich das Schwert in Titeln populärer Romane, etwa „A Storm of Swords“ von George R. R. Martin, dem Schöpfer von „Game of Thrones“, oder „Sword of Truth“ von Terry Goodkind. So stammt auch der Titel dieses Beitrages aus dem literarischen Werk von George Martin.
Obwohl das Schwert tief in der Vorstellungswelt der Menschen verankert ist, erscheint es eigenartig, dass sich im Tiroler Raum noch niemand wissenschaftlich mit diesen Waffen befasst hat. Diese Lücke zu schließen ist das Ziel meiner archäologischen Dissertation, die sich mit Schwertern aus dem Großraum Alttirol befasst. In meinem Vorhaben untersuche ich alle in diesem Gebiet noch vorhandenen Schwerter des Hoch- bis Spätmittelalters (10. bis 15. Jahrhundert). So liegt ein Reiz der Dissertation bereits darin, Waffen aus drei Staaten zu begutachten, da die ehemalige Grafschaft Tirol sich über Teile des heutigen Österreichs (Bundesland Tirol), Italiens (Südtirol, Trentino und Teile des Belluno) und der Schweiz (Engadin) erstreckte. Mein Fokus liegt auf der ganzheitlichen Darstellung des Schwertes als eines Glanzstücks der Schmiedekunst. Denn ein Schwert ist nicht einfach ein Metallstab, sondern vielmehr ein ausgefeiltes und oft gar schönes Instrument, das weit über die Bedeutung als reine Waffe hinausgeht.
Was sich im Land so findet
Überraschenderweise ist die Anzahl der erhaltenen Schwerter im Untersuchungsraum nicht allzu groß und dürfte hundert vollständige Exemplare nicht überschreiten. Das verwundert durchaus, denn im Untersuchungszeitraum von knapp 600 Jahren waren mit Sicherheit zehntausende Waffen im Umlauf. Dies könnte daran liegen, dass das Schwert als Waffe an Bedeutung verlor und man sicherlich viele der obsoleten Waffen recycelte und nur bedeutende Stücke aufbewahrte. Zudem verschwanden im 19. Jahrhundert viele Waffen in den Galerien privater Sammler aus aller Welt. Nichtsdestoweniger bietet die Schwertlandschaft Tirols einen bemerkenswerten Querschnitt durch das Hoch- und Spätmittelalter und weist einige besonders interessante Exemplare auf.
Vom Leben verstaubter Museumsrelikte
Schwerter aus dem Mittelalter findet man heutzutage hauptsächlich in Museumsvitrinen. Die dortigen Exemplare sind aufgrund oft nachlässiger Pflege über die Jahrhunderte meist in kläglicher Verfassung. Beim Anblick dieser Waffen kann man sich kaum vorstellen, dass sie überhaupt effektive Kriegswerkzeuge darstellten, zumal die heute noch gut erhaltenen Waffen zumeist vom höchsten Adel stammen und deren Klingen im Gegensatz zum Kriegsinstrument oft aufwendig verziert sind, sodass ihr militärischer Wert weitgehend unsichtbar ist.
Einen Eindruck richtiger Kampfschwerter scheinen moderne Replikate mittelalterlicher Waffen zu vermitteln. Diese sind zwar scharf, haben außer der Form aber häufig nicht viel mit mittelalterlichen Schwertern gemeinsam. Denn die meisten Hersteller moderner Schwerter imitieren einfach alte Formen, ohne ihre „Seele“ zu erfassen. Das Schmieden eines Schwertes ist ein überaus vielschichtiger Prozess, der mit der Wahl des richtigen Metalls beginnt. Modern aufbereiteter homogener Stahl unterscheidet sich dabei nicht nur in der Zusammensetzung von solchem aus mittelalterlichen Rennöfen, sondern er besitzt auch andere physikalische und optische Eigenschaften. Ein fähiger Schmied formte die Klinge nach den Bedürfnissen des Kunden und passte grundlegende Eigenschaften wie Gewichtsverteilung, Schwerpunkt und Schnelligkeit individuell an. Mit der Anbringung von eingravierten Segenswünschen und anderen Symbolen erhielt die Waffe oft noch eine zusätzliche metaphysische Komponente. Jedes authentische Schwert war deshalb ein Einzelstück und es entstand eine persönliche Beziehung zwischen der Waffe und ihrem Träger. Mit der optimalen Anpassung eines hochwertigen Schwertes war ein Kämpfer oft in der Lage, spektakuläre Bewegungen auszuführen, die in Sage und Legende eingingen. Nicht umsonst wimmelt es in mittelalterlicher Literatur von Schwertern, denen eine Persönlichkeit zugeschrieben wurde, wie etwa der „Balmung“ Siegfrieds oder „Excalibur“ von König Artus.
Aus diesem Grund arbeite ich eng mit international renommierten Schwertschmieden zusammen, mit denen ich auch historisch korrekt rekonstruierte Schwerter entwerfe und teste. Die Erfahrungen fließen dabei auch in meine Arbeit als Reenactor ein, wobei wir in der Gruppe das mittelalterliche Leben und kriegerische Geschehen möglichst authentisch nachstellen.
Glücksfälle der Archäologie
Manchmal erblicken Schwerter überraschend nach Jahrhunderten wieder das Tageslicht, sei es bei Zufallsfunden oder bei archäologischen Grabungen. So etwa 2013 bei den Grabungen in der Pfarrkirche von Landeck: Das Schwert stammt aus einem Grab mit einer Bestattung, die wohl mit Oswald von Schrofenstein (+1497), dem Stifter der Kirche, zu verbinden ist. Da das Skelett keine identifizierenden Beigaben besaß, basierte die Zuordnung vor allem auf meiner Datierung des Schwertes, das sich gegen Ende des 15. Jahrhunderts einordnen lässt und somit perfekt zu Oswalds Sterbedatum passen würde. Diese Waffe ist ein besonders gut erhaltenes Beispiel eines spätmittelalterlichen Langschwertes, das möglicherweise sogar in Tirol gefertigt wurde. In meiner Dissertation werde ich auch diese neuentdeckten Schwerter untersuchen, da sie oft einen direkten Einblick in die mittelalterliche Gedankenwelt bieten. Hierbei wird die Waffe im Kontext ihrer Fundumstände betrachtet: Mit der Beigabe eines Schwertes in einer Bestattung oder der Niederlegung einer Waffe an einem Passübergang verbanden die Hinterbliebenen bestimmte Vorstellungen, die uns heute oft verborgen bleiben. Hier kann man, in Verbindung mit Schrift- und Bildquellen, oft überraschende Resultate erzielen und die Geschichte eines konkreten Objektes zum Leben erwecken.
Eine Detektivgeschichte aus Osttirol
Zuweilen gerät die wissenschaftliche Arbeit an meiner Dissertation auch zu einer spannenden Detektivgeschichte, wie etwa bei einem Schwert aus Osttirol: Zu Beginn stand eine kurze Passage aus dem Dorfbuch von Obertilliach, die den Fund eines „überlangen“ Schwertes vor über zweihundert Jahren vermerkte. Angesichts der dürftigen Informationen war die Hoffnung auf eine Klärung des Falles zunächst nicht besonders groß, denn die Notizen aus dem 19. Jahrhundert waren zu allgemein, um sie einer konkreten Waffe zuzuordnen. Dank meiner umfangreichen Untersuchung der Schwertsammlung im Zeughaus von Innsbruck und einiger glücklicher Zufälle konnte dieses archäologische Rätsel aber gelüftet werden: Bei der Aufarbeitung der Sammlung stieß ich auf ein sehr gut erhaltenes Langschwert, das ohne genaue Fundumstände aufbewahrt wurde. Mit aufwendiger Recherche konnte ich rekonstruieren, dass die Waffe im Zuge der Venezianerkriege des späten 15. Jahrhundert auf einer Alm in Obertilliach auf über 2.200 m Meereshöhe deponiert wurde. Die genauen Umstände der Niederlegungen bleiben im Dunkeln der Geschichte verborgen, es könnte sich um eine Grabbeigabe, eine „Weihegabe“ nach einer überstandenen Schlacht oder vielleicht auch um ein frühes Beispiel von Waffenschmuggel handeln. Erst dank dieser Geschichte konnte dem Schwert aus dem Zeughaus neues Leben eingehaucht werden, um eine verstaubte Antiquität in ein Stück belebter Tiroler Geschichte zu verwandeln.
Genau dieses Einhauchen einer Geschichte ist ein Ziel meiner Dissertation: Die Schwerter sollen nicht nur rein statistisch aufgenommen und registriert werden, um ihr Dasein in einer staubigen Datei zu fristen, sondern als Zeugnis der Vergangenheit in Erscheinung treten. Die multidisziplinäre Herangehensweise zur Untersuchung der Schwerter umfasst dabei die Methoden verschiedener Wissenschaftszweige, wie etwa Archäologie, Geschichte, Kunst- und Rechtsgeschichte, sowie Handwerk und Reenactment. Die Untersuchungen sind nicht invasiv und setzen sich aus optischen, haptischen und mikroskopischen Methoden zusammen. Damit sollen die folgenden Fragestellungen beantwortet werden: Welche Schwerter haben sich erhalten und was kann man daraus ableiten? Kann man eine Veränderung der Fertigungstechnik und der Formen beobachten? Welchen Stellenwert besaß das Schwert in der Gesellschaft und wie änderte sich dessen Wahrnehmung? Wie lässt sich die Schwertlandschaft Tirols in den europäischen Kontext einordnen? Das Hauptziel der Arbeit liegt letztlich darin, das mittelalterliche Schwert als „ganzheitliches“ historisches Objekt zu beschreiben.
(Florian Messner)
Zur Person
Florian Messner ist derzeit freier wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Archäologien, Fachbereich Mittelalter- und Neuzeitarchäologie. Er studierte Geschichte und Archäologie mit einem Schwerpunkt auf Konfliktgeschichte und -archäologie von der Steinzeit bis zum Zweiten Weltkrieg. Seit 2014 hielt er mehrere Vorlesungen an der Universität Innsbruck zum Thema Archäologie und Geschichte in Mittelalter und Neuzeit. Er leitete zudem die Ausgrabung eines 1944 abgestürzten Jagdfliegers in Hohenthurn (Kärnten), aber auch jene der Burganlage Sachsenburg (Kärnten), des Galgenbühels Kufstein und der Befestigungsanlage Zeller Berg (Kufstein). Außerdem ist er seit 2011 freier Autor mit inzwischen über hundert Artikeln und zwei Monografien zu geschichtlich-archäologischen Themen.