Am 7. Juli 2017 stellt sich in Hamburg ein Mann vor ein Polizeifahrzeug, um dessen Weiterfahrt zu verhindern. Er ist nicht der erste und einzige. Die Kreuzung, auf der er steht, ist umgeben von Fahrradfahrern und Passanten. Eine Reihe von Polizeifahrzeugen versucht im Schritttempo die Kreuzung zu überqueren, wird jedoch mehrmals gestoppt, weil Personen betont langsam die Straße überqueren und so die Fahrzeuge zum Anhalten zwingen. Polizist*innen steigen aus und schieben die Personen immer wieder von der Straße. Auch der Mann ist bereits mehrfach von der Straße geschoben worden. Als er zum wiederholten Mal nun vor einem Wagen der Polizei steht, steigt ein behelmter Polizist aus, geht auf den Mann zu und schlägt ihm unvermittelt mit der Faust ins Gesicht.
Es handelt sich um eine Situation, die am Rande der Critical-Mass-Fahrraddemo im Zuge der G20-Gegenproteste stattfand, von einem Beobachter gefilmt und anschließend auf Twitter unter dem Kommentar „Einem Polizisten platzt der Kragen“ veröffentlicht wurde. Die nachfolgenden Tweets rahmen die Handlung als eine Reaktion, die zwar „übertrieben“ sei, aber „verständlich“. Die Szenerie wird in der Folge auch im breiteren medialen Diskurs heftig diskutiert – vor allem im Kontext der fehlenden Aufarbeitung um polizeiliche Übergriffe und Polizeigewalt während des G20-Gipfels. Auch in Österreich riefen die Faustschläge eines Beamten der Wiener Polizei gegen eine Person, die auf dem Boden bereits von anderen Beamten fixiert wurde, im Juni dieses Jahres eine Debatte um Polizeigewalt hervor. Wenngleich beide Situationen unterschiedlich anmuten – sowohl hinsichtlich der Dauer der Schläge wie auch der Situation, in der sich die betroffene Person befand –, ist ihnen doch die Faust des (männlichen) Polizisten gemein.
In diesen wie auch anderen Fällen ist die Diskussion von einer Erörterung um die Verhältnismäßigkeit der polizeilichen Gewaltanwendung und – daran anschließend – um deren strafrechtliche Relevanz geprägt. Die Frage nach der Funktionalität und der rechtlichen Einbettung einer Praktik ist zwar wichtig, jedoch nicht ausreichend, um deren soziale Komplexität erfassen zu können. Es ist nicht nur zu fragen, wie viel Gewalt wann, gegen wen und aus welchem Grund angewendet wird, sondern vielmehr, wie dies geschieht. So ist es nicht nur rechtlich und hinsichtlich der körperlichen wie psychischen Folgen ein Unterschied, ob die Person mit einem Tonfa – der derzeit üblichen Schlagwaffe in der deutschen wie österreichischen Polizei – oder der Faust geschlagen wird. Der Unterschied des Wie besteht auch noch auf einer anderen Ebene. So sind Praktiken des Schlagens durch kulturelle Codes strukturiert, die auf eine implizite (soziale) Ordnung verweisen und so bestimmte Verhaltensweisen ermöglichen, während andere undenkbar sind. Dies betrifft auch die Ausbildung von Affektstrukturen und Emotionalitäten. Um die Bedeutung des Faustschlages erfassen zu können, stellt sich also die Frage danach, innerhalb welcher kulturellen Ordnungen und organisationalen Rahmungen sich Polizist*innen bewegen.
Der polizeiliche Habitus – Gewalt ohne Eskalation
Polizist*innen üben Gewalt aus. Es ist ihnen nicht nur erlaubt, (körperliche) Gewalt auszuüben, vielmehr ist ihnen die staatliche Verantwortung übertragen worden, Gewalt in bestimmten Situationen anwenden zu müssen. Damit wird die Gewalt(-ausübung) nicht nur zu einer alltäglichen Notwendigkeit, sondern auch zur Arbeit, die nicht zuletzt aufgrund der dadurch herausgehobenen gesellschaftlichen Position der Polizist*innen mit einer besonderen Verantwortung einhergeht, diese Gewalt „maßvoll“, „rechtmäßig“ und „objektiv“ auszuüben. Dies betrifft auch die Emotionalität der Beamt*innen. Die Polizei gilt nach Max Weber als eine bürokratische Organisation, deren Idealtypus gekennzeichnet ist durch „Rationalität und Sachlichkeit, Unpersönlichkeit, Verlässlichkeit sowie Berechenbarkeit“. Diese grundlegend professionelle Distanz als Ideal geht auch mit dem Training einer affektiven Neutralität einher, sodass die Beamt*innen ihren Beruf „ohne Zorn und Eingenommenheit“ (Weber, 523) ausüben sollen. Zugleich jedoch ist es im polizeilichen Alltag – taktisch oder menschlich – geboten, „in bestimmten dienstlichen Situationen funktional aus einem Baukasten von Emotionen die passenden anzuwenden“ (Schöne, 345). Die Fähigkeit zum empathischen Verhalten gegenüber Betroffenen gehört ebenso dazu wie die (Selbst-)Kontrolle der eigenen Angst oder auch die Disziplinierung der eigenen Wut, um so spontane Reflexe der Flucht oder auch unkontrollierte und eskalative Gewalt zu verhindern. Mit der institutionellen Hemmung, die durch das Training „maßvoller“ Gewaltanwendung habitualisiert wird, mit dem kontrollierten Einsatz von Aggressionen und der damit einhergehenden Disziplinierung des Körpers soll die Enthemmung des Individuums verhindert werden. Die Gewaltanwendung der Beamt*innen selbst soll also emotionslos aber effektiv geschehen – sie soll eben Arbeit sein und keine Strafe.
Objekte der Gewalt – das staatliche Schlagen
Eine der unmittelbarsten und alltäglichsten Formen der physischen Gewalt stellt das Schlagen dar – nicht nur für Polizist*innen. Innerhalb der Polizei ist das bekannteste und häufig ikonographisch inszenierte Einsatzmittel hierfür der polizeiliche Schlagstock. Seit er in Deutschland nach 1945 die sogenannten Blankwaffen wie den Säbel abgelöst hat, ist er eng verbunden mit der Vorstellung einer „wehrhaften Demokratie“. Waren die Blankwaffen noch eng mit militärischer Gewalt verknüpft, sollten die Gummiknüppel, die in Preußen bereits seit 1924 „auf der Straße“ Einsatz fanden, die polizeiliche Gewalt demokratisieren, indem die Auswirkungen polizeilicher Gewaltanwendung minimiert wurden (Sturm, 97ff). Ab den 1980er Jahren wurde die Polizei mit dem heute verbreiteten Tonfa (polizeilich als Mehrzweckeinsatzstock (MES) bezeichnet) ausgestattet, der auf einem Viertel der Länge über einen Griff verfügt und so im Unterschied zu konventionellen Schlagstöcken nicht nur das Schlagen, sondern auch effektive Hebel und bessere Abblocktechniken ermöglicht. Trotz der von Polizeiausbilder*innen betonten defensiven Eigenschaften gilt er in Deutschland und Österreich als Waffe und unterliegt daher strengen Aus- und Fortbildungsvorschriften. Dies liegt auch daran, dass durch den Griff Drehschläge ermöglicht werden, die tödliche Verletzungen nach sich ziehen können. Neben der Schusswaffe ist auch der Schlagstock „inkorporierte Gewalt und symbolische Gewalt in einem“ (Sofsky, 29). Beide Waffen demonstrieren die Macht der staatlichen Gewalt, werden zu ihrem Symbol und sind damit auch deren Artefakte. Das Schlagen mit dem Tonfa ist also ein staatliches – auf der Symbolebene schlägt der Staat, nicht der oder die Beamt*in. Anders ist dies bei dem Faustschlag.
Der Faustschlag als Praktik der Wut
Der Faustschlag ist unmittelbar. Zwischen der Faust des Beamt*in und dem Körper des Betroffenen befindet sich nichts als ein Handschuh – und manchmal nicht mal der. Die Faust der Beamt*in trifft den Körper also wortwörtlich hautnah. Dabei ist der Faustschlag (anders als beispielsweise Blendschläge, die mit dem Handrücken oder der flachen Hand gegen Nase oder Ohren gerichtet werden) keine reguläre Einsatzpraktik des sogenannten unmittelbaren Zwangs. Im Gegenteil gilt seine Anwendung in der Polizei als „höchst unprofessionell“ (Polizeibeamt*in). Aufgrund der hohen Verletzungsgefahr (nicht zuletzt aus „Eigensicherungsgründen“ der Beamt*innen) gilt er maximal in Gemenge- oder absoluten Notlagen als legitim. Im Faustschlag macht sich der Mensch selbst zur Waffe (Sofsky, 31). Der Schlagende muss nicht das Handwerk im Umgang mit der Faust gelernt haben, die Hand muss nicht beherrscht werden und er muss nicht Polizist*in sein. Anders als beim Boxen, bei dem der Faustschlag Teil eines strukturierten, rhythmisierten und routinierten Trainings ist, steht er im Kontext einer Gewalt der Plötzlichkeit, die keinen Rahmen eines gleichwertigen (Faust-)Kampfes eröffnet, sondern die Beseitigung eines Hindernisses zum Ziel hat. Nach dem Faustschlag kommt nichts mehr und soll auch nichts mehr kommen (eben anders als im Boxrhythmus). Keine Diskussion, keine Verhandlungen. Der Faustschlag setzt einen (symbolischen) Punkt unter die Situation.
Dass der Faustschlag, wenngleich er nicht als unmittelbare Zwangsmaßnahme angekündigt wurde, ein (polizeiliches) Ziel verfolgt, macht ihn dennoch nicht weniger zu einer Praktik der Wut. Dabei ist die Wut nicht als ein körperlicher Affekt zu verstehen, der jemanden überkommt und dem man sich nicht erwehren kann – vielmehr ist Wut eingebunden in soziale und kulturelle Gegebenheiten und prägt sich auch habituell aus. Emotionen sind „Urteile über die Welt, über Menschen und unsere Stellung in der Welt“ (Solomon, 239) und sind handlungsleitend. Eine Hauptfunktion der Wut besteht darin, die soziale Ordnung aufrechtzuerhalten, und zwar durch ihre moralisierenden Implikationen, wie man sich benehmen soll. Ein Verhalten, das als ungerecht gelesen wird, kann zu emotionalen Reaktionen wie Wut oder Zorn gegenüber dem Normverletzenden führen. Im Gegensatz zur rein funktionalen Aggression verweist die Wut damit auf eine Involviertheit in der Situation und auf eine Beziehung zum Gegenüber. Somit strukturiert die Wut nicht nur soziales Handeln und soziale Ordnungen, indem sie normative Grenzüberschreitungen markiert, sondern hat zudem eine Sanktionsfunktion (von Scheve, 221). Der Polizist im Video sanktioniert, unbestreitbar, die Person, welche die Polizeiautos stoppt und am Weiterfahren hindert. Der Polizist beendet die für ihn als ungerecht empfundene Situation mit dem Faustschlag, der zeitlich und körperlich unmittelbar wirkt. Die Praktik des Faustschlages verweist damit auf eine emotionale Involvierung, die Gewaltanwendung nicht mehr als Arbeit versteht, sondern der strafenden Wut den Vorrang lässt.
Fazit
Der Faustschlag als Wutpraktik bricht mit einem organisationalen Habitus, der in der Polizei hergestellt und gesellschaftlich eingefordert wird. Der Anspruch an polizeiliches Handeln ist jener eines bürokratischen, emotionslosen und damit als objektiv verstandenen Gewalthandelns – der sogenannten „Anwendung unmittelbaren Zwangs“. Schlagen – aus welchen Gründen auch immer – darf legitimer Weise (außer in Notsituationen) nicht der Einzelne, sondern nur der Staat. Der Staat wird repräsentiert durch handelnde Polizist*innen, die Aggressionen als Ressource und taktisches Mittel einsetzen, zugleich aber im Anspruch stehen, aus einem nicht-emotionalen Subjekt heraus in situ Aggressionen zu produzieren, diese einzusetzen und sie danach abzustellen – ohne tatsächlich emotional involviert zu sein. Die persönliche und emotionale Distanz des einzelnen Polizeibeamt*in wird nicht nur durch die Einprägung bestimmter routinierter Handlungen, sondern auch (symbolisch) durch den Einsatz von Artefakten wie dem Schlagstock hergestellt. Der Faustschlag aber lässt die konflikthafte Gleichzeitigkeit von dem privaten Individuum (dem Emotionen zugestanden werden) und dem polizeilichen Subjekt (das emotionslos bürokratisch agieren muss) aufscheinen. Er ist damit eine Praktik des privaten Individuums und liegt außerhalb der Rahmung polizeilicher Subjekte. Recht und Gesetz durchzusetzen, wird persönliches Interesse des Individuums und ist nicht mehr nur bürokratisch durchgeführte Arbeit. Aus dem Recht wird die Gerechtigkeit als handlungsleitende Norm. Die Frage nach den emotionalen Praktiken in der Polizei ist also zugleich auch die Frage nach der Herstellung eines polizeilichen Subjekts – nach seinen Bedingungen, emotionalen Prägungen und vor allem auch seinem Scheitern. Speziell die emotionalen Praktiken der Wut und der Aggression stehen im Zentrum meiner Dissertation, die unter dem Titel „Policing the Anger. Eine ethnographische Studie über Aggressionen im polizeilichen Alltag“ am Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie durchgeführt wird. Den Datenkern der Studie bilden teilnehmende Beobachtungen und insgesamt über 40 qualitative Interviews in der Streifenpolizei in Berlin-Neukölln und in geschlossenen Einheiten der deutschen Bereitschaftspolizei, die über einen Zeitraum von drei Jahren erhoben wurden.
Literatur
Schöne, Marcel (2011): Pierre Bourdieu und das Feld Polizei. Frankfurt am Main: Verlag für Polizeiwissenschaft.
Sofsky, Wolfgang (2005): Traktat über die Gewalt, Frankfurt am Main: Fischer Verlag.
Solomon, Robert C. (1981): Emotionen und Anthropologie. Die Logik emotionaler Weltbilder, in: Kahle, Gerd (Hg.): Logik des Herzens. Die soziale Dimension der Gefühle, suhrkamp, S. 233–253.
Sturm, Michael (2006): „Der knackt jeden Schädel“. Überlegungen zur Verwendung des Polizeischlagstocks, in: WerkstattGeschichte 43, Essen, S. 96–108.
von Scheve, Christian (2011): Die soziale Konstitution und Funktion von Emotion. Akteur, Gruppe, normative Ordnung, in: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 14, S. 207–222.
Weber, Max (1972): Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. Tübingen: Mohr.
(Stephanie Schmidt)
Zur Person
Stephanie Schmidt ist derzeit Universitätsassistentin am Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie. Sie erwarb ihren Magister am Institut für Volkskunde/Kulturgeschichte in Jena und war anschließend dort als wissenschaftliche Mitarbeiterin beschäftigt. Sie war Leiterin des Forschungsmoduls „Polizei beim G20“ im Forschungsprojekt Mapping #NoG20 u.a. des Hamburger Instituts für Sozialforschung, des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung Berlin und dem Zentrum Technik und Gesellschaft der TU Berlin. Sie ist außerdem Kollegiatin des Doktoratskollegs „Dynamiken von Ungleichheit und Differenz im Zeitalter der Globalisierung“.