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Philipp Umek

Gemeindewahlen in Österreich: Hohe Wahlbeteiligung und starke Unterschiede

Die Gemeindewahlen in Österreich sind vielfältig und die Wahlbeteiligung unterscheidet sich stark. Doch warum sind Wahlbeteiligung, Gemeinderats- und BürgermeisterInnenwahlen überhaupt untersuchenswert? Mit Hilfe der vergleichenden Wahlforschung und besonderem Blick auf die kleinen Gemeinden können wir noch vieles über das Verhalten der WählerInnen in Erfahrung bringen.

Die Gemeindewahlen in Österreich sind sehr vielfältig. Sie unterscheiden sich stark in den einzelnen Bundesländern und bilden ein wichtiges Fundament unserer Demokratie auf der kleinsten Ebene. Da die meisten Gemeinden relativ klein sind, genießen diese Wahlen oft weniger Aufmerksamkeit und werden als nachrangig bezeichnet. Es stimmt zwar, dass die bundesweiten Wahlen zum österreichischen Nationalrat und deren Ausgang sehr viel mehr Einfluss auf unsere Gesellschaft nehmen. Dennoch können Gemeindewahlen und lokale Politik allgemein stark beeinflussen, wie wir als BürgerInnen Politik verstehen und wahrnehmen. Die Gemeindeebene ist sehr viel näher an den Menschen, die meisten von uns kennen die BürgermeisterInnen oder andere GemeindepolitikerInnen persönlich und somit haben wir einen sehr viel stärkeren Bezug dazu. Auch ist die Gemeindepolitik oft sehr viel greifbarer für uns, da sie sich mit konkreten Problemen und Vorhaben in unserem unmittelbaren Umfeld beschäftigt und wir die Sachverhalte und Personen selbst erleben und nicht nur über Medien vermittelt wahrnehmen.

Die bisher wenig beachtete Nische

Auch in der Forschung spielen die Gemeindewahlen oft eine untergeordnete Rolle, obwohl sie einige sehr interessante Eigenschaften mitbringen, die sie zu einem ausgezeichneten Forschungsfeld machen: Wir haben auf dieser Ebene eine sehr hohe Anzahl an Wahlen zu beobachten, die in den einzelnen Bundesländern unter verschiedenen Vorzeichen stattfinden. Beinahe in jedem Jahr wird in einem der Bundesländer gewählt. Nehmen wir noch die regionale Ebene der Landtagswahlen dazu, wird wie im Superwahljahr 2015 in sieben der neun Bundesländer unterschiedlich gewählt. Diese Wahlen und somit das Wahlverhalten der BürgerInnen ist dennoch gut vergleichbar, da sie in einem einheitlichen Kontext, dem politischen System der Republik Österreich, stattfinden. Die lokale Ebene in die gut etablierte Wahlforschung in Österreich mehr miteinzubeziehen klingt vielversprechend, immerhin können wir hier tausende einzelne Wahlgänge in den letzten Jahren mit statistischen Methoden ausgezeichnet untersuchen. Das ist umso wichtiger, da in Österreich eine lange Tradition der lokalen Gemeindepolitik gepflegt wird. Die lokale Autonomie wurde von Beginn der Ersten Republik an in der Verfassung verankert und sie wird in relativ kleinen Gemeinden ausgeübt. Die Mehrheit der insgesamt 2.095 österreichischen Gemeinden hat weniger als 2.000 EinwohnerInnen, was im internationalen Vergleich sehr wenig ist.

Ein genauer Blick auf die Wahlbeteiligung

Der zentrale Untersuchungsgegenstand meiner Forschung ist allerdings die Wahlbeteiligung. Die Teilnahme an Wahlen ist eine der wichtigsten Formen der politischen Teilhabe der Mehrheit aller BürgerInnen. Mittels Wahlen entscheiden wir, wen wir stellvertretend in politische Gremien wie Gemeinderat, Landtag oder Parlament entsenden und welche RepräsentantInnen für uns (mit)entscheiden. Dies ist der Kern der repräsentativen Demokratie in Österreich und verleiht unserem politischen System seine Legitimität. Wenn sich mehr Menschen aktiv an Wahlen beteiligen, stärkt dies unbestritten die Legitimität der regierenden PolitikerInnen und gleichzeitig drückt dies eine gewisse Zustimmung zum politischen System im Allgemeinen aus. Im Gegensatz dazu kann eine niedrige Wahlbeteiligung einerseits als implizite Zustimmung für die aktuelle politische Führung gelesen werden, jedoch genauso als Apathie, Indifferenz oder Protest gegenüber den antretenden KandidatInnen (de George 2014: 52). Hier ist es die Aufgabe der Wahlforschung, die Motive der WählerInnen gründlich zu hinterfragen. Der Befund, dass alleinig eine hohe Wahlbeteiligung gut für die Demokratie sei, eine niedrige Wahlbeteiligung hingegen immer schlecht, ist keine zeitgemäße Vereinfachung mehr. Einerseits gibt es einen scheinbar natürlichen Trend hin zu sinkenden Wahlbeteiligungen in konsolidierten westlichen Demokratien (Mair 2013), ohne dass dies mit einer Verschlechterung der Demokratie einhergehen muss. Andererseits stellt sich immer auch die Frage, wem oder welcher Partei eine hohe Mobilisierung besonders nützt oder schadet. Dennoch dient die Wahlbeteiligung als exzellenter Indikator für die „Qualität von Demokratie“ (Lijphart 2012: 283): Erstens zeigt sie das Interesse der BürgerInnen an ihren RepräsentantInnen, zweitens steigt die Bereitschaft zur Wahlbeteiligung mit höherer Bildung und Einkommen und ist somit indirekt ein Indikator für soziale und politische Un(Gleichheit).

Aus der bisherigen Forschung wissen wir, dass die Wahlbeteiligung von vielen verschiedenen Einflüssen abhängen kann (Cancela und Geys 2016). Drei Kategorien springen besonders ins Auge: institutionelle Faktoren, individuelle Einstellungen und kontextabhängige Erklärungen. Das Wahlsystem, wie Mehrheitswahl (bei der Bürgermeisterwahl) oder Verhältniswahl (für den Gemeinderat), oder eine eventuelle Wahlpflicht (wie früher in einigen Bundesländern) sind Beispiele für institutionelle Faktoren. Individuelle Einstellungen unterscheiden sich danach, ob die einzelnen WählerInnen die Teilnahme an einer bestimmten Wahl für sich selbst wichtiger oder weniger wichtig einschätzen. Die Wahlen zum Europäischen Parlament werden von einigen als nachrangig oder weniger wichtig angesehen, andere hingegen sehen in der Ausübung ihres Wahlrechts die Erfüllung ihrer BürgerInnenpflicht. Kontextabhängige Erklärungen hingegen beziehen sich darauf, ob beispielsweise in einer kleinen Gemeinde oder einer größeren Stadt gewählt wird oder wie das Wetter am Wahltag ist. Kleine Gemeinden weisen tatsächlich eine höhere Wahlbeteiligung auf und allzu schlechtes Wetter veranlasst die Menschen, eher nicht den Weg zur Wahlkabine anzutreten.

Daten als Grundlage der Wissenschaft

Meine Forschung blickt in diesem Zusammenhang das erste Mal genauer auf die bisher etwas vernachlässigte Gemeindeebene und versucht, die unterschiedlichen Wahlbeteiligungen mit Hilfe von statistischen Methoden zu erklären. Dazu habe ich die Daten für alle Gemeinderats- und BürgermeisterInnenwahlen seit 1998 in den Bundesländern erhoben. Diese Sammlung von mehr als 10.000 einzelnen Wahlgängen über diesen Zeitraum wird auch in weiterer Folge auf der eigens dafür angelegten Webseite zugänglich sein, sodass sich interessierte WählerInnen über die Gemeindewahlen in ihrer Heimatgemeinde zusätzlich informieren können. Weiters wird der Datensatz auch für alle KollegInnen in der Wissenschaft aufbereitet und im AUSSDA – dem österreichischen Archiv für Daten aus den Sozialwissenschaften – veröffentlicht, um weitere Forschung zu vereinfachen.

Die Gemeindewahlen in Österreich sind deshalb sehr besonders, da es große Unterschiede zwischen den Bundesländern gibt. Grundsätzlich haben wir in Österreich mit 70-80% eine im internationalen Vergleich sehr hohe Wahlbeteiligung, auch bei den vermeintlich nachrangigen Gemeindewahlen. Wir beobachten aber auch ein starkes Ost-West Gefälle: Vorarlberg und Tirol haben durchschnittlich die niedrigsten Wahlbeteiligungen (seit der Abschaffung der Wahlpflicht), das Burgenland und Niederösterreich weisen die höchsten Beteiligungsraten auf. In den meisten Bundesländern werden seit den 1990er-Jahren die BürgermeisterInnen direkt gewählt, also mit einem zweiten Stimmzettel neben der Wahl zum Gemeinderat. Dies mobilisiert zusätzlich und wirkte dem Trend von allgemein fallender Wahlbeteiligung entgegen. Nur in den flächenmäßig größten Bundesländern Niederösterreich und Steiermark gibt es keine Direktwahl, hier wählt der Gemeinderat den Ortsvorstand aus seiner Mitte. In Wien gibt es ebenso keine direkte Wahl, da Wien nicht nur eine Gemeinde, sondern auch gleichzeitig ein Bundesland ist. Der Bürgermeister Wiens ist somit auch der Landeshauptmann, der Gemeinderat gleichzeitig der Landtag. Meine Forschung konzentriert sich aber in erster Linie auf die große Mehrheit an kleinen und mittleren Gemeinden, und wie sich die Wahlbeteiligung dort entsprechend verschiedener Einflüsse verhält.

Erste Forschungsergebnisse

Ein zentrales Ergebnis meiner Studien zeigt, dass die Wahlbeteiligung stark vom politischen Wettbewerb abhängig ist. In jenen Gemeinden, in denen mehr Listen zur Gemeinderatswahl antreten oder mehr KandidatInnen zur BürgermeisterInnenwahl antreten, ist die Wahlbeteiligung signifikant höher. Mehr Wettbewerb, und somit mehr Wahlmöglichkeiten, veranlassen tatsächlich mehr Menschen dazu, ihre Stimme abzugeben. Dies ist insbesondere in größeren Gemeinden der Fall. Dort können zusätzliche KandidatInnen noch einmal mehr Menschen an die Wahlurne bringen. Weiters war auch dann die Wahlbeteiligung höher, je knapper ein Wahlergebnis entschieden wurde, wenn beispielsweise zwei ungefähr gleich starke Listen zu einer Wahl antraten. Wahlen ohne jeden Wettbewerb, in denen also nur eine Einheitsliste oder nur eine Person für das BürgermeisterInnenamt antritt, mobilisieren erwartungsgemäß die wenigsten WählerInnen bei oftmals mehr ungültigen Stimmen als üblich. Besonders dieses Ergebnis scheint nun sehr intuitiv zu sein, dennoch ist es die Aufgabe der Wissenschaft, ebenso diese erwartbaren Umstände klar anhand von Zahlen und Fakten zu überprüfen und somit einen empirischen Beleg zu liefern. Dies gilt vor allem dann, wenn es wie in meiner Forschung mit über 20 Jahren einen großen Zeitabschnitt und doch recht unterschiedliche Bundesländer zu vergleichen gilt. Somit stellt sich der Anspruch, aus der Untersuchung des Wahlverhaltens auf Gemeindeebene noch mehr über das Verhalten der WählerInnen allgemein zu lernen.

Literatur

Cancela, João und Geys, B. (2016), ‘Explaining voter turnout: A meta-analysis of national and subnational elections’, Electoral Studies 42, 264–275.
de George, R. T. (2014), Democracy as a social myth, in S. J. Cudd, Ann E. und Scholz, ed., ‘Philosophical Perspectives on Democracy in the 21st Century’, Springer International Publishing, Cham, pp. 43–56.
Lijphart, A. (2012), Patterns of Democracy: Government forms and performance in thirty-six countries, 2nd ed. edn, Yale University Press, New Haven.
Mair, P. (2013), Ruling the void: The hollowing of western democracy, Verso, London, New York.

(Philipp Umek)


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Philipp Umek studiert an der Universität Innsbruck im Doktoratsstudium Politikwissenschaft und arbeitet seit 2019 an seinem Dissertationsprojekt zur Wahlbeteiligung bei lokalen Wahlen in Österreich. Er leitet ergänzend ein Projekt zum Aufbau einer einheitlichen Datenbank für Gemeinderats- und BürgermeisterInnenwahlen in Österreich (www.gemeindewahlen.co.at), finanziert durch den Tiroler Wissenschaftsfond (TWF) der Tiroler Landesregierung. Er ist Mitglied des ICER (Innsbruck Center for European Research), des interdisziplinären Forschungsschwerpunkts EPoS (Economy, Politics & Society) und unterrichtet Statistische Datenanalyse.

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