Der Titel dieses Textes klingt wie die Einleitung zu einem Witz, beschreibt aber gut die Situation, wie sie uns an einer typischen österreichischen Hochschule entgegentritt: Universitäten sind durch Mobilität gekennzeichnet, Sprecher/innen aus unterschiedlichen Regionen des In- und Auslandes treffen aufeinander, als Studierende und Lehrende. Sie bringen dabei verschiedene Sprachen und Varietäten, also Sprechweisen einer Sprache wie beispielsweise Dialekte, mit. Daraus resultiert ein Problem: Welche Sprache(n) und welche Varietät(en) wählt man, um miteinander zu kommunizieren, um zu lehren und zu lernen? Je nachdem, wie diese Frage entschieden wird, hat das Folgen: Schließlich beherrscht niemand alle Sprachen und Varietäten – und erst recht nicht gleich gut. Derlei Probleme bedürfen dauerhafter Lösungen – soziale Normen stellen solche dar. Als Sprachgebrauchsnormen regeln sie in sozial verbindlicher Form, wie miteinander zu sprechen ist, also etwa, welche Sprachen und Varietäten jemand wählen darf/soll/nicht darf.
Das Ziel meines inzwischen abgeschlossenen Dissertationsprojektes war es, herauszufinden, ob es Normen zur Sprach- und Varietätenwahl an österreichischen Hochschulen gibt (exemplarisch für die Universität Salzburg) und falls ja, um welche Normen es sich dabei handelt. Untersuchen wollte ich Normen zur inneren und äußeren Mehrsprachigkeit. Unter ‚äußerer‘ Mehrsprachigkeit wird verstanden, was klassischerweise unter Mehrsprachigkeit gefasst wird: Das Sprechen und die Beherrschung unterschiedlicher Sprachen wie Deutsch, Englisch oder Türkisch. Weil aber Einzelsprachen niemals homogen sind, sondern sehr unterschiedliche Sprachformen bündeln, spricht man von ‚innerer‘ Mehrsprachigkeit, um beispielsweise die Variation zwischen den Dialekten und der Hochsprache zu erfassen.
Wie kann man Normen erforschen?
Ich wollte Normen zur inneren und äußeren Mehrsprachigkeit empirisch untersuchen – d.h. meine Fragestellung sollte anhand der Daten realer Sprecher/innen an der Hochschule beantwortet werden. Einen Zugang zu entsprechenden Daten erlangte ich über das Projekt VAMUS, bei dem ich mitarbeiten durfte. Geleitet von Monika Dannerer (Universität Innsbruck) und Peter Mauser (Universität Salzburg) analysierte das Forschungsprojekt die innere und äußere Mehrsprachigkeit an der Hochschule exemplarisch an der Paris-Lodron-Universität Salzburg. Im Rahmen von VAMUS entstand ein großes Datenkorpus: Einerseits eine breit angelegte Fragebogen- und Interviewerhebung (1.026 ausgefüllte Fragebögen und 123 geführte Interviews) zu verschiedenen auf Mehrsprachigkeit bezogenen Themen, andererseits wurden aber auch Aufnahmen von universitären Interaktionen erstellt, darunter mehr als ein Duzend Videoaufnahmen von Lehrveranstaltungen.
Eine große Herausforderung ist es, ausgehend von konkretem Datenmaterial einen Zugriff auf Normen zu erlangen: Normen können schließlich nicht unmittelbar beobachtet werden, allenfalls aus Beobachtetem interpretativ erschlossen werden. Überhaupt ist der Normbegriff – so eingängig er intuitiv auch sein mag – bei näherer Betrachtung nicht leicht zu fassen. In der Sprachwissenschaft bestehen im Wesentlichen zwei konkurrierende Zugänge zu Normen: Die einen meinen, Normen seien die Regeln, denen der Sprachgebrauch folgt. Da der Sprachgebrauch notwendigerweise regelgeleitet ist, seien Normen schlicht aus den Regelmäßigkeiten im Sprachgebrauch zu folgern. Andere betonen, dass Normen weniger auf das Sprechen selbst als vielmehr auf das Sprechen über das Sprechen verweisen – v.a. auf die Erwartungen dazu, wie man sprechen soll, und die Bewertungen von Sprachverhalten.
Da mich keiner dieser Ansätze vollends überzeugen konnte, habe ich eine Normkonzeption entwickelt, die beide Herangehensweisen kombiniert: Ich verstehe Normen als regelmäßiges Sprachverhalten, das durch das Bestehen von Wertungen und Erwartungen hervorgebracht wird. Anders gesagt gehe ich davon aus, dass Sprecher/innen sich auf eine gewisse Weise sprachlich verhalten, weil sie denken, dass das erwartet und entsprechend bewertet wird. Um Normen empirisch untersuchen zu können, muss demnach nachgewiesen werden, dass es regelmäßiges Sprachverhalten gibt und zugleich Wertungen/Erwartungen bestehen, die ein solches Sprachverhalten fordern. Einen solchen Nachweis habe ich für den von mir untersuchten Bereich zu erbringen versucht.
Um Bewertungen und Erwartungen zu erschließen, habe ich die Fragebogen- und Interviewdaten von VAMUS analysiert und, um zu überprüfen, ob tatsächlich diesen Wertungen/Erwartungen entsprechend gehandelt wird, habe ich die von VAMUS aufgezeichneten Lehrveranstaltungen näher beleuchtet. Bei Letzterem habe ich mich auf die innere Mehrsprachigkeit, auf das Variieren zwischen Dialekt und Standard vor allem im Bereich der Aussprache fokussiert.
Erwartet werden Deutsch, Englisch und die Anpassung ans Gegenüber
Es ist kaum möglich, an dieser Stelle auch nur die wichtigsten Ergebnisse der 600-seitigen Arbeit zusammenzufassen; ich will mich daher auf einige wenige Schlaglichter beschränken: So konnte ich zeigen, dass es sowohl bei der inneren wie auch bei der äußeren Mehrsprachigkeit Normen dazu gibt, wann welche Sprachen und Varietäten vorkommen sollen.
Bei der äußeren Mehrsprachigkeit wird neben dem Deutschen v.a. das Englische favorisiert, u.a., weil englische Lehre dem Englischerwerb der Studierenden dienlich ist und Englisch als eine Schlüsselkompetenz für das berufliche Fortkommen gilt. Auch sei Englisch in vielen Fachrichtungen – vor allem in den Naturwissenschaften – unverzichtbar geworden. Von erstaunlich vielen Personen wird Englisch überdies als leichte Sprache wahrgenommen. Die Erwartungen zum Englischen sind unter den Untersuchungsteilnehmer/inne/n aber durchaus strittig, v.a. in den Geisteswissenschaften: So manch einer sieht in englischer Lehre eine überflüssige Mehrbelastung, die „von oben“ per Zwang verordnet wird und eine echte Mehrsprachigkeit, die auch andere Sprachen einschließen würde, verhindert.
Andere Sprachen werden von der Mehrheit jedoch kaum gewollt. Das betrifft klassische Fremdsprachen wie Französisch oder Spanisch genauso wie primär migrationsbedingt mitgebrachte Minderheitensprachen, etwa Türkisch. Deutsch und Englisch reichten aus; andere Sprachen außerhalb der jeweiligen Sprachinstitute zu fördern, sei nicht die Aufgabe der Universität, so der Tenor zu diesem Thema. Was die konkrete Sprachwahl angeht, scheinen unter anderem die jeweils Anwesenden bedeutsam zu sein: Man soll, so wird erwartet, vor allem eine Sprache wählen, die das Gegenüber verstehen kann. Mit Fremdsprachigen, die nicht gut Deutsch sprechen, müsse man deshalb etwa englisch sprechen – das denken selbst Proband/inne/n, die dem Englischen ansonsten skeptisch begegnen. Dem Gegenüber nicht entgegenzukommen, werten (fast) alle als unhöflich.
Dialekt ist erlaubt … aber nicht immer
Die Erwartung, sich an das Gegenüber anzupassen, besteht auch bei der inneren Mehrsprachigkeit: Zu starker, verständnishemmender Dialektgebrauch wird nicht toleriert. Weil die eigene Sprechweise verständlich sein soll, sollte man vor allem im Umgang mit Fremdsprachigen nicht Dialekt, sondern Hochdeutsch gebrauchen. In den aufgezeichneten Lehrveranstaltungen wird dies tatsächlich umgesetzt: In Gegenwart fremdsprachiger Studierender realisieren die dokumentierten Studierenden mehr Hochdeutsch. Auffälligerweise ist das mit Bundesdeutschen anders; zwar gehen auch hier viele davon aus, dass diese keinen Dialekt verstehen, nichtsdestoweniger wird mit ihnen durchaus Dialekt gesprochen – man könne von ihnen schließlich erwarten, dass sie sich anpassen und den österreichischen Dialekt verstehen lernen, rechtfertigen das etliche österreichische Proband/inn/en.
Überhaupt ist überraschend, dass an der Universität nicht nur das Hochdeutsche erwartet und verwendet wird: Weil Hochdeutschsprechen ein Zeichen von Bildung und Formalität sei, wird es zwar bei Lehrenden allgemein und auch bei studentischen Referaten präferiert – zumindest bei spontanen Wortmeldungen dürfe seitens der Studierenden aber auch der Dialekt genutzt werden. Begründet wird das damit, dass er ein Ausdruck von Authentizität und Natürlichkeit sei und zur Identität Österreichs gehöre. Dialektpräferenzen zeigen dabei vor allem Sprecher/innen aus dem süddeutschen Raum (am deutlichsten solche aus Oberösterreich), wobei sich kaum Unterschiede zwischen den untersuchten Fachrichtungen bemerkbar machen (untersucht wurden Sprecher/innen der Geistes- und Naturwissenschaften, außerdem Theolog/inn/en und Rechtswissenschaftler/innen). Auch männliche und weibliche Sprecher/innen divergieren kaum. Tiroler/innen verwenden übrigens, entgegen manch einem Stereotyp, verhältnismäßig wenig Dialekt an der Universität Salzburg.
Mehrsprachigkeit als Herausforderung
Meine Forschung dokumentiert: Nicht jede Sprache und Varietät ist an der Universität gleichermaßen erwünscht. Soziale Normen beschränken, wer in welcher Situation wie zu sprechen hat. Diese Situation hat Vor-, aber natürlich auch Nachteile: Einerseits wird die Koordination der Sprecher/innen erleichtert, wenn jeder weiß, was von ihm/ihr erwartet wird; zugleich beschränkt es die Handlungsfreiheit der Sprecher/innen. Gerade die im Bereich der äußeren Mehrsprachigkeit beobachtbare Engführung auf eine Deutsch-Englisch-Zweisprachigkeit kann negative Folgen haben: Obgleich die weltweite Dominanz des Englischen nicht einfach ignoriert werden kann, verlieren sprachliche Ressourcen abseits von Deutsch und Englisch im deutschsprachigen Raum zunehmend an Wert. Für die Sprecher/innen anderer Sprachen ergeben sich daraus handfeste Nachteile. Es bräuchte eine beherzte Sprachenpolitik, um hier noch gegenzusteuern.
Im Bereich der inneren Mehrsprachigkeit ist die Situation weniger gravierend: Vielfalt wird durchaus geschätzt, der Dialekt nicht unbedingt als „Sprachbarriere“ empfunden und aus der Hochschule verbannt. Nichtsdestoweniger ist auch er nicht in jeder Situation erwünscht – die situationsabhängige Akzeptanz der Dialektverwendung kann für genuine Dialektsprecher/innen Probleme bereithalten. Da die Verwendung der Hochsprache in gewissen Situationen unverzichtbar scheint – beispielsweise in der Kommunikation mit Deutschlerner/inne/n – müsste versucht werden, ein stärkeres Verständnis für unterschiedliche Sprachgebrauchsnormen zu schaffen.
(Philip Vergeiner)
Zur Person
Philip Vergeiner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Salzburg beim Sonderforschungsbereich „Deutsch in Österreich“. Zuvor war er Mitarbeiter der Universität Innsbruck im Rahmen des Projekts VAMUS. Im Zuge dieser Projekttätigkeit entstand eine Masterarbeit zur Dialekt-/Standardvariation in der Universitätsverwaltung („Kookkurrenz – Kovariation – Kontrast: Formen und Funktionen individueller Dialekt-/Standardvariation in universitären Beratungsgesprächen“), die 2019 in der Reihe „Schriften zur deutschen Sprache in Österreich“ im Peter Lang Verlag erscheinen wird. Auch seine im Jänner 2019 fertig gestellte Dissertation „Bewertungen – Erwartungen – Gebrauch: Sprachgebrauchsnormen zur äußeren und inneren Mehrsprachigkeit an der Universität“ entstand im Rahmen dieser Projekttätigkeit. Daneben lehrt Philip Vergeiner an der Universität Salzburg, der Universität Innsbruck und dem MCI Innsbruck.