Worum geht es?
Das „African center for Technology Studies“ (ACTS) plant in Zusammenarbeit mit der Universität Innsbruck (UIBK) und der Universität für Bodenkultur (BOKU) ein Sammelbandprojekt, das im Routledge-Verlag erscheinen wird und sich an eine interdisziplinäre Leserschaft richtet. Mit diesem Projekt wollen wir alternative Denkansätze und Perspektiven fördern, die nicht von westlichen Paradigmen dominiert sind. Es umfasst eine breite Palette von Themen und dient als aufschlussreiche Ressource für verschiedene Forschungsmethoden, Schreibstile und Formate, da die Autorinnen und Autoren aus verschiedenen Disziplinen stammen. Es ist für mich eine besondere Ehre, als Autorin aus dem Doktoratskolleg „Dynamiken von Ungleichheit und Differenz im Zeitalter der Globalisierung“ des Forschungsschwerpunkts „Kulturelle Begegnungen – Kulturelle Konflikte“ in Zusammenarbeit mit dem Institut für Soziologie der Universität Innsbruck sowie mit hochqualifizierten Wissenschaftler:innen aus anderen Universitäten und Ländern an diesem Projekt teilnehmen zu dürfen. Der vorläufige Titel des Sammelbands lautet „Decoloniality Pathways“, der Fokus aller Beiträge liegt auf konkreten Strategien und Techniken der Dekolonisierung. Dieser Zwischenbericht behandelt meinen persönlichen Beitrag zu diesem Projekt, nämlich Restitution als Beispiel für (De-)Kolonisierung.
Was bedeutet (De-)Kolonisierung und warum wird sie so geschrieben?
Dekolonisierung bezieht sich auf den Prozess der Aufhebung kolonialer Strukturen, Einflüsse und Praktiken. Dies umfasst in der Regel politische, wirtschaftliche und kulturelle Veränderungen, mit dem Ziel, eine ehemalige Kolonie oder Gesellschaft unabhängiger und selbstbestimmter zu machen. Wie auch bei anderen geisteswissenschaftlichen Themen gibt es auch hier aus verschiedenen Blickwinkeln und Perspektiven Kritik. Dies ist einer der Gründe für die spezifische Schreibweise des Begriffs, um dessen Komplexität und Widersprüchlichkeit darzustellen. Unser Buchprojekt befasst sich besonders mit der sogenannten epistemischen Dekolonisierung, einem Prozess, der darauf abzielt, koloniale Einflüsse und Machtstrukturen im Bereich des Wissens und der Erkenntnisgewinnung zu beseitigen. Dieser Ansatz strebt an, alternative Wissenssysteme anzuerkennen, die während der Kolonialisierung unterdrückt oder marginalisiert wurden.
Was hat Dekolonisierung mit Restitution zu tun?
Restitution ist wahrscheinlich nicht das erste und einzige Beispiel, das einem einfällt, wenn man über Dekolonisierungsprozesse nachdenkt. Lassen Sie mich zunächst klarstellen, was damit gemeint ist. Restitution bezieht sich auf die Rückgabe von zu Unrecht entzogenem Besitz, insbesondere kulturellen Gütern oder Artefakten, an ihre ursprünglichen Eigentümer- oder Herkunftsgemeinschaften. Dies kann im Kontext von Diebstahl, Beschlagnahmung während Kriegen oder kolonialer Enteignung geschehen sein. Die erste Restitutionsbewegung begann im Zusammenhang mit Kunst und Kulturgütern nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Interesse an der Rückführung von während der Nazi-Ära geraubten Kunstwerken führte zu internationalen Bemühungen um Restitution. In den letzten Jahren gab es auch in Nigeria und Benin und auch in anderen Teilen der Welt, wie in Südamerika und Asien, verstärkte Forderungen nach Rückgabe von Kulturgütern, die während der Kolonialzeit entwendet wurden. Dies hat zu intensiven Diskussionen und Initiativen um die Rückgabe gestohlener oder unrechtmäßig erworbener Artefakte geführt. Als Beispiel kann man Bénédicte Savoy nennen, die sich für die sogenannte „Rückgabe der Kulturgüter[1]“ engagiert. Was hat das nun mit epistemischer Dekolonisierung zu tun und was (wenn überhaupt etwas) ist an Restitution falsch?
Ich habe mich insbesondere mit der Analyse des ethnologischen Museums als wissenschaftliche Institution und seiner polit-ökonomischen Wirkungsweise beschäftigt. Die westlich-zentrierten Epistemologien und die fehlende Anerkennung anderer Kulturen in Bezug auf unterschiedliche Wege der Wissensproduktion und -übermittlung zählen meiner Meinung nach zu den zentralsten Problemen unseres Zeitalters. Daher habe ich mich entschieden, dies aus einer weiten und breiten philosophischen Perspektive zu untersuchen.
Restitution verdeutlicht tatsächlich einen äußerst bedeutsamen Aspekt epistemologischer Fragestellungen. Schon die Theorien von Michel Foucault haben uns gezeigt, dass alles in dieser Welt zwei Dimensionen hat, Foucault nennt diese das Diskursive und das Nicht-Diskursive. Beim Sprechen über afrikanische Kulturgüter beziehen wir uns beispielsweise nicht nur auf materielle Objekte, sondern auch auf das Immaterielle. Diese Dualität führt häufig zu unpräzisen Interpretationen in dekolonialen Diskursen, insbesondere im Zusammenhang mit Restitution, weil eine gründliche und ausreichende Auseinandersetzung mit komplexen Begriffen, hier speziell der westlichen Subjekt-Objekt-Dualität, oft den Fortschritt des Projekts behindern könnte.
Restitution kann nun materielle Objekte betreffen, die Dimension des Diskursiven, d.h. das akkumulierte Wissen im Verhältnis zu den Raubkunstwerken und Gebeinen, bleibt dabei unberührt. Die alleinige Rückgabe von Gütern kann dies also nicht wiederherstellen. Wie dies dennoch im Kontext von Restitutionsprozessen gelingen kann, erörtere ich in meinem Beitrag für unseren Sammelband. Das Sammelbandprojekt befindet sich in der Endphase und wird demnächst veröffentlicht. Zudem möchte ich mich herzlich bei Frau Dr. Teresa Millesi, der FSP-Koordinatorin und auch Frau Prof.in Dr. Bettina Mahlert, für die Unterstützung bei der Verfassung dieses Berichts bedanken.
[1] Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy über Raubkunst & Kolonialismus - Folge 514 - Jung & Naiv (jungundnaiv.de). 10.12.2023. 16:12
(Shaghayegh Bandpey)
Biografische Notiz
Shaghayegh Bandpey ist Doktorandin an der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Innsbruck und Mitglied des Doktoratskollegs „Dynamiken von Ungleichheit und Differenz im Zeitalter der Globalisierung“