Was ist ein Fest? Nicht nur ‚wann‘, sondern auch ‚warum‘ wird es gefeiert? Wozu dient es, welches Ziel hat es: der Strukturierung der Vergangenheit und Orientierung in der Gegenwart; dem Bedürfnis nach Distanzierung zum Alltag durch das Konstrukt einer Ausnahmesituation; der Einpassung in eine Erinnerungskultur, die zur Instrumentalisierung der Vergangenheit wird; der Selbstdarstellung und Selbstvergewisserung der Institution? Wie feiert man ein Fest? Mit welchen Sprachen, Riten und weiträumigen Inszenierungen werden Partys, Feierlichkeiten zu Festen? Wie wird ein Jubiläum, das nicht Teil eines der das Menschenleben oder den Jahresverlauf gliedernden Ereignisse ist, zum Fest? Die Feiern von Menschen sind uns geläufig, wir feiern einen anderen in der Gemeinschaft und freuen uns dabei. Was feiern wir aber, wenn eine Institution, ‚unsere‘ Institution ein Fest begeht?
Auf alle gestellten Fragen, gibt es vielfältige Antworten. Unabhängig, wie diese ausfallen – es ist von grundlegender Bedeutung zu reflektieren, in welcher Weise wir in die Feier ‚unserer Universität‘ eingebunden sind, ob wir das sein wollen oder eben nicht. Wir meinen, dass der FSP wie geschaffen dafür ist, darüber nachzudenken, andere als die ‚offiziellen‘ Blicke zu wagen, die verschiedensten Facetten von Verhaltensformen unter die Lupe zu nehmen. Wofür steht die Forderung nach der Dekonstruktion des Festes und seiner Entmythologisierung? Ist das mehr als der bloße Aufbau einer Projektionsfläche für eine nicht weiter definierte oder definierbare Unbehaglichkeit über die Teilnahme der Universität am Wettbewerb um die öffentliche Aufmerksamkeit – einer Institution, der wir uns zugehörig fühlen und von der wir auch leben, aber nicht so? Oder dürfen wir uns darüber freuen, wofür die Universität und wir als Teil davon in diesem Land und weltweit stehen? Was ist nötig, damit das Feiern ein Fest wird, das uns freut, und nicht als eine Inszenierung wahrgenommen wird, die wir nur ertragen (können)? Mit solchem Nachdenken gewinnen wir die Chance, selbst ein Thema zu setzen – auch im konstruktiven Dialog mit der Öffentlichkeit.
Tagung
Donnerstag, 3. Oktober 2019
Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Museumstraße 15
Das Programm und das Plakat der Tagung zum Download.
Moderation: Doris Eibl und Niels Grüne
09:30–11:00 Uhr | Begrüßung und Einführung
Timo Heimerdinger mit Studierenden*: Präsentation des europäisch-ethnologischen Studienprojekts „Uni-Jubiläum“
Eröffnungsstatements von Andreas Oberprantacher, Roman Siebenrock und Christoph Ulf
11:00–11:30 Uhr | Kaffeepause
11:30–12:50 Uhr | Sakralisierte Erinnerungen
Jayandra Soni: Die große Salbung des Hauptes: Bāhubalī in Śravaṇa Beḷgoḷa, Karnataka, Indien
Die monolithische 17 Meter hohe Statue des mythischen Helden Bāhubalī wurde im 10. Jahrhundert aus Granit gehauen. Bāhubalī war gemäß der Jaina-Tradition ein Prinz, der mit seinem Bruder um die Herrschaft kämpfte, ihn im Zweikampf besiegte, dann aber den Sieg über sich selbst errang und auf die weltliche Macht verzichtete. In Abständen von 12 Jahren wird an der Statue ein Gerüst errichtet und die riesige Gestalt gesalbt, mit verschiedenen Wassern (Milch, Zuckerrohr, Gelbwurz, etc.) übergossen. Das Großereignis zieht Millionen von Pilgern und Besuchern an und feiert den Sieg von Gewaltlosigkeit, Gleichmut und Verzicht auf Herrschaft. Die Präsentation versucht auf Aspekte der Größe hinzuweisen: die physische Gestalt, die Entscheidung zu unbedingter Weltentsagung und die Menschenmenge, die das feiert.
Reinhard Meßner: Das Fest und die Toten. Am Beispiel der ältesten römischen Märtyrerliste im Chronographen von 354
Die Gedenkfeiern für die Märtyrer waren die populärsten Feste des spätantiken Christentums. Die älteste erhaltene Liste für die Feier von Märtyrern stammt aus Rom und ist vielleicht im Jahr 336 entstanden. In ihr werden die Grundkoordinaten der Märtyrerverehrung angegeben: der Tag des Festes als „Geburtstag“ (natale) des Märtyrers und das Grab als Ort des Festes. In physischer Nähe zum bestatteten Leichnam wird im Märtyrerfest die Gemeinschaft der Lebenden mit dem toten Märtyrer begangen in der Form des Totenmahls, das in seiner christlichen Realisierung nicht bloß das Gedächtnis der Vergangenheit, sondern die Präsenz und die Mahlgemeinschaft mit dem Märtyrer, der nach seit dem 2. Jahrhundert verbreiteter Auffassung schon im Himmel ist, inszeniert. Das Totenmahl in seinen von den Christen rezipierten antiken Formen wird dann durch die Eucharistiefeier am Grab ergänzt, schließlich ersetzt. Der Märtyrer ist als Patron der Gemeinde gegenwärtig, an den sich seine Klienten – wie viele Graffiti zeigen, sehr handfest – mit ihren Anliegen wenden. Die Liste gibt auch die Anfänge der Ausweitung der Märtyrerfeste über die Lokalität des Grabes hinaus zu erkennen, da neben den römischen auch drei afrikanische Märtyrer genannt sind, die nicht in Rom bestattet sind.
12:50–14:20 Uhr | Mittagspause
14:20–15:40 Uhr | Festmahl
Torsten Voß: Das Gastmahl als Schlachtfest: Inszenierungsformen eines Missbrauchs der Festkultur bei Seneca, Shakespeare und Peter Greenaway
Sowohl in Senecas Tragödie „Thyestes“ und Shakespeares Römerdrama „Titus Andronicus“ als auch in Peter Greenaways opulenter filmischer Rache-Kulinaristik „The cook, the thief, his wife and her lover“ von 1989 finden sich Episoden, in denen Gäste getäuscht werden und Einladungen zu Festgesellschaften ausgesprochen werden, um beim Geladenen Zustände des Vertrauens und damit des Ausgeliefertseins zu erreichen, diese schamlos auszunutzen und in der Täuschung einen Akt der Rache an dem sogenannten Gast vollführen zu können. Senecas, am Tantalus-Mythos orientierte, Tragödie speist sich allein aus diesem Sachverhalt. Auch bei Shakespeare trägt die heuchlerische Einladung der blutrünstigen Gotenkönigin Tamora durch den sinistren Titus diesen eklatanten Regelverstoß gegenüber dem Gastrecht in sich. Atreus und Titus vermitteln ihren Gästen Thyestes und Tamora ein Gefühl von Sicherheit, selbst im Haus und an der Festtafel des Feindes. Ergo: Die Getäuschten glauben fest an den Stellenwert der Gesetze der Gastfreundschaft und der Festkultur und dieser Glaube an eine kultische, rituelle, soziale und anthropologische Konstante bildet die Voraussetzung für deren Demontage. Gerade durch Instrumentalisierung der Gastlichkeit – den Gegner als vertrauten Gast auf einem Fest zu empfangen, das Festmahl als Versöhnung zu propagieren, nur um die sich in Sicherheit wiegenden Gäste zu ermorden bzw. ihnen die eigenen Kinder zur Einverleibung vorzusetzen – wird eine Dekonstruktion des Festmahls und seine Entmythologisierung zum Schlachtfest vollzogen. Dass dabei von den Autoren selbst auf Modi des Mythos zugegriffen wird, erweist sich als ironischer Twist innerhalb der Selbstaufhebung sozio-kultureller Strukturen bzw. der Verdeutlichung ihrer Fragilität, bis hin zur intermedialen Aufbereitung durch Greenaways Film. Der Vortrag will diesen drei Varianten einer synchron vollzogenen Inszenierung und Aufhebung kulinarischer Festkulturen nachspüren, um daran Strukturgesetze für die besondere Dramaturgie der Stücke von Seneca, Shakespeare und Greenaway festzumachen.
Liborius Lumma: Die andere Seite des Festes: Fastenpraktiken zwischen Religion und Wellness
Damit ein Fest überhaupt als solches erlebt werden kann, muss es sich vom ‚Nicht-Fest‘ unterscheiden. ‚Nicht-Feste‘ können komplementär zum Fest verstanden werden, also als ‚Alltag‘. Es kann aber auch eine dem Fest konträre dritte Kategorie hinzutreten: Der Alltag steht dann in der Mitte der Skala, das eine Extrem bildet das Fest, das andere Extrem ist demnach ein ‚Anti-Fest‘. Dieses Phänomen des ‚Anti-Festes‘ findet sich besonders ausgeprägt in religiösen Kulturen, nämlich in Form des Fastens. Der Vortrag soll zeigen, in welchen Formen in verschiedenen Religionen gefastet wird, wie die Erfahrung des Fastens beschrieben wird, welche Auswirkungen das Fasten auf das Erleben des Festes hat, woran es liegen könnte, dass Fasten mittlerweile ein positiv konnotiertes Schlagwort in der Werbung geworden ist, das mit Wellness und Gesundheit assoziiert wird – und inwiefern auch im Rahmen eines Universitätsjubiläums so etwas wie Fasten denkbar sein könnte.
15:40–17:40 Uhr | Fest und Macht
Erwin Pokorny: Das erinnerte Fest in den Kunstprojekten Kaiser Maximilians I.
Maximilian war von der burgundisch-höfischen Festkultur des 15. Jh. nachhaltig beeindruckt. Das macht sich in vielen seiner Kunstprojekte bemerkbar. Wenngleich sie meist Torso blieben, dokumentieren sie anschaulich, wie der Kaiser seine Taten und Talente für die Nachwelt überliefert wissen wollte. Besonders stolz war er auf seine Kreativität in der Gestaltung von Tanz- und Maskenfesten, seinen Mummereien. Damit sie nicht vergessen würden, beauftragte er seinen Innsbrucker Hofschneider Martin Trummer, Zeichnungen davon anfertigen zu lassen. Das geplante Buch kam zwar nicht zustande, doch fanden die Entwürfe Eingang in die Miniaturen zum Freydal, einem Turnierbuch, das nie realisiert wurde. Da sich der Kaiser nicht immer fürstliche Feste leisten konnte, ihm jedoch hervorragende Maler, Formschneider und Drucker zur Verfügung standen, legte er zunehmend mehr Wert auf die Darstellung von Festen als auf die damit verbundene Verschwendung selbst. Ein Bild nimmt der dargestellten Freude ihre Vergänglichkeit, es friert Momente ein und hilft sich daran zu erinnern, oder es erzeugt scheinbare Erinnerungen, Idealvorstellung, die sich in der historischen Distanz mit realen Begebenheiten verschmelzen oder sie ersetzen. Das Fest, das seit jeher dem vorübergehend bis zum Exzess erlaubten Genuss dient, wusste Maximilian in einzigartiger Weise seinem Nachruhm nutzbar zu machen.
Andrea Zink: Vom Volksfest zur Demonstration imperialer Macht: Die Feiern zum 9. Mai in Russland
Folgt in Kürze.
Dirk Rupnow: Feiern – und Gedenken. Reflexionen anlässlich des Innsbrucker Universitätsjubiläums
Die LFU feiert ihr 350jähriges Jubiläum. Nicht alles an diesen 350 Jahren ist allerdings aus heutiger Sicht rühmlich und feierwürdig. Dementsprechend hat sich die Universität dazu entschlossen, im Rahmen der Erarbeitung einer neuen Universitätsgeschichte einen besonderen Akzent auf die Widersprüche und „dunklen“, bisher gerne verdrängten Aspekte zu legen – und auch ganz konkrete Schritte zu setzen, etwa im Umgang mit problematischen Ehrungen während der Nachkriegszeit usw. Dies reflektiert die Entwicklungen in der allgemeinen Erinnerungskultur und Gedenklandschaft in den vergangenen Jahrzehnten. Der Vortrag versucht dies aus der Sicht eines beteiligten Akteurs zu reflektieren: Wie geht eine Institution wie die Universität mit ihrer Geschichte um, wenn es nicht nur erfreuliche Geschehnisse zu erinnern gibt – oder wie sollte sie es nach heutigen Maßstäben tun? In welches Umfeld – gesamtgesellschaftlich, erinnerungskulturell, medial – ist das eingebettet? Was bedeutet das für die Institution und für das „Fest“?
* An dem Lehrforschungsprojekt nahmen Nadine Blaas, Katharina Furtner, Enya Gabes, Melanie Haberl, Karin Kohla, Susanna Krepper, Nora Platzgummer, Nikoletta Popadiyna, Markus Seewald, Jana Walch und Markus Wechner teil.
Poetry-Slam und Ausklang
Theologische Fakultät, Karl-Rahner-Platz 1, Arkadenhof
Bei Schlechtwetter: Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Museumstraße 15
18:00–19:30 Uhr | Poetry-Slam mit Stefan Abermann und Gästen
Ab 19:30 Uhr | Grillfest