Tobias Töpfer
Dissertation
"Wem gehört der öffentliche Raum? Aufwertungs- und Verdrängungsprozesse im Zuge von Innenstadterneuerung in São Paulo"
Töpfer, Tobias (2017):Wem gehört der öffentliche Raum? Aufwertungs- und Verdrängungsprozesse im Zuge von Innenstadterneuerung in São Paulo. (= Megacities and Global Change / Megastädte und globaler Wandel, 21). Stuttgart: Franz Steiner Verlag. [In der eLibrary des Franz Steiner Verlags: https://elibrary.steiner-verlag.de/book/99.105010/9783515117746]
Zusammenfassung
Metropolen weltweit unterliegen einem wechselseitigen Konkurrenzdruck um als Standorte für die Wirtschaft attraktiv zu bleiben. Um sich behaupten zu können, bedarf es Alleinstellungsmerkmalen. Ein solches Merkmal kann das Zentrum einer Metropole darstellen. Vormals wenig beachtet, rücken Innenstädte so seit einiger Zeit wieder in das Blickfeld der Stadtplaner und -politiker. Dies gilt für Metropolen des Globalen Nordens, seit jüngerer Zeit aber auch für solche im Globalen Süden.
Auch in Brasilien mit seinem hohen Verstädterungsgrad wird der Fokus wieder stärker auf die Innenstädte gelegt, nachdem diese über einige Jahrzehnte zugunsten neuer Zentrumsfragmente weniger beachtet wurden. Mit Maßnahmen der Innenstadterneuerung soll die Attraktivität dieser zentralen Räume gesteigert werden. Angesichts der in brasilianischen Städten zu beobachtenden sozioökonomischen Disparitäten, sind die Konsequenzen dieser Entwicklung für bestimmte Bevölkerungsschichten unterschiedlich.
Die Maßnahmen fokussieren oft auf bauliche Maßnahmen wie Gebäudesanierungen ebenso aber auch auf den öffentlichen Raum. Dieser bietet der öffentlichen Hand unmittelbar die Möglichkeit initiativ zu werden. Auch hierbei kann es sich um physische Instandsetzungsmaßnahmen beispielsweise von Plätzen handeln. Eine große Rolle spielen aber auch institutionelle Neuerungen die den Zugang und die Nutzung der öffentlichen Räume betreffen.
In São Paulo sind in jüngerer Vergangenheit verschiedene Erneuerungsmaßnahmen im öffentlichen Raum erfolgt. Dabei steht dessen Aufwertung im Vordergrund. Ziel der Interventionen war es, Bewohner primär der Mittelschicht wieder für den öffentlichen Raum des Zentrums zu interessieren. Dafür wurden sowohl bauliche Maßnahmen umgesetzt, als auch Regelungen für die Nutzung erlassen. Diese gehen oft indirekt oder direkt zu Lasten benachteiligter Zentrumsnutzer wie Obdachlose, (informelle) Straßenhändler und Recyclingmaterialsammler.
Neben der Stadtverwaltung gibt es eine Vielzahl von Organisationen, die sich mit Fragen der Innenstadterneuerung und/oder des öffentlichen Raums implizit oder explizit auseinandersetzen. Zum einem gibt es die, den Unternehmen und der Mittelschicht im Zentrum nahestehen und sich hauptsächlich für die Aufwertung engagieren. Zum anderen gibt es aber auch solche, die sich für die benachteiligten Bevölkerungsgruppen und für die Möglichkeit ihres Verbleibs im Zentrum einsetzen sowie soziale Bewegungen der Betroffenen selbst, die versuchen den Verdrängungsprozessen Widerstand entgegen zu setzen.
In der Arbeit wird gezeigt, dass die Versuche, öffentliche Räume für gewisse meist sozioökonomisch schlechter gestellte Akteure zu negieren, sowohl für die unmittelbar betroffenen Akteure zu teilweise massiven Benachteiligungen führen können, als auch für den Fortbestand des liberalen Selbstverständnisses darüber, was öffentlicher Raum bedeutet, eine Gefahr darstellen können. Gleichzeitig bietet dieses umfassende Selbstverständnis und die Rückbesinnung darauf wiederum die Chance, die tatsächlichen Nutzungen und Aneignungen neuerlich daran zu orientieren und damit die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit öffentlichen Raums zu verringern.
Summary
To whom does public space belong? Upgrading and displacement processes in the course of downtown renewal in São Paulo
Metropolises around the world are subject to mutual competitive pressure to remain their attractiveness for the economy. In order to hold one’s ground, unique selling propositions are needed. The center of a metropolis may be considered such a feature. Downtown areas previously received little attention, but for some time urban planners and -politicians are paying increased attention to this topic again. This applies to cities of the Global North, but recently it also becomes relevant for those in the Global South.
In Brazil, with its high degree of urbanization, the focus lies once again on the inner cities, after having received less attention over several decades in favor of new center-fragments. Measures of downtown renewal should raise the attractiveness of these central areas. Given the socio-economic disparities observed in Brazilian cities, the implications of these trends for determined population groups are different.
The measures often focus on structural interventions such as building renovations, but also on the public space. It directly provides the public authorities the ability to take the initiative. Again, physical rehabilitation measures of places, for example, may be part of these initiatives. However, concerning the access and use of public spaces, institutional innovations play an important role as well.
In the recent past and mainly for upgrading purposes, various renovation measures have been carried out in São Paulo’s public space. The aim of those interventions was to re-establish resident’s – primarily the middle class’ – interest in the public space of the city center. For this purpose structural measures were implemented, as well as forms of use regulated. These often indirectly or directly provoke problems for disadvantaged users such as homeless, (informal) street traders and recycling material collectors.
In addition to the city government, there are a number of organizations which implicitly or explicitly deal with questions concerning inner-city urban renewal and public space. On the one hand, there are businesses and the middle class organizations, mostly committed to upgrading. On the other hand, there are those working for disadvantaged groups and their possibilities to stay in the center. Furthermore, social movements of people affected by the displacement processes try to resist negative change.
This work shows that the efforts to negate public spaces for certain – mostly socio-economically worse off – actors can partially lead to massive disadvantages for both the actors concerned as well as for the existence of liberal self-understanding of what public space means. At the same time, this comprehensive self-understanding of public space offers the chance to orient the actual forms of use and appropriation, which could help to reduce the discrepancy between expectations and reality in public space.