Die interdisziplinäre Forschungsgruppe Care: Relations, Rights & Policies problematisiert bei der Tagung ausgewählte Ambivalenzen von Care aus feministisch gesellschaftskritischer Perspektive unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen.
Eine der spannungsreichen Ambivalenzen von Care ist jene der Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, des Sichtbarmachens und Unsichtbarmachens von Sorge, Sorgearbeit und Sorgearbeitenden auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen – jene der Mittel und Ressourcen, der Institutionen und der sozialen Beziehungs- und Verteilungsverhältnisse. Sichtbarkeit ist eine Voraussetzung von Anerkennungs- und Verteilungsgerechtigkeit und damit eine maßgebliche politische Kategorie, jedoch mit vielen Amivalenzen. Gefragt wird nach Prozessen des Sichtbar- und Unsichtbarmachens, der Be- und Entwertung feminisierter Care Arbeit, des Ausblendens und der Naturalisierung weiblicher Produktivität, Sorge und Sorgearbeit, der selektiven Unaufmerksamkeit gegenüber geschlechtertypisierenden Ungleichheiten und den paradoxen Effekten weiblicher Sichtbarkeit. Gefragt wird, wie diese Ambivalenzen von (Un)Sichtbarkeit gestaltet und dabei in gesellschaftlichen Machtverhältnisse eingebunden werden. Wann und wo, von wem mit wem, wie und wozu (Un)Sichtbarkeit von Care hergestellt wird.
Die auf dem Band „Starke Ordnungen und das schwache Geschlecht: Herstellung weiblicher Unsichtbarkeit“ (Sorgo 2023, Juventa) basierenden Beiträge und Diskussionen fokussieren dabei zum einen auf die Kritik der Geschlechterordnung und -verhältnisse und deren Beharrlichkeit. Zum anderen fokussieren sie auf die Analyse von Strategien und Mechanismen der Verdeckung(en), mit welchen maßgebliche Bestandteile der soziokulturellen (Care-)Architektonik unsichtbar, unsagbar und undenkbar werden.
Programm
09:30-10:00
Begrüßung und Einleitung: Maria Wolf
10:00-12:00
(1) Weibliche Produktivität und postödipale Gesellschaften
Katharina Lux widmet sich der Analyse und Kritik der Verunsichtbarung weiblicher Produktivität, die von Seiten der 2. Frauenbewegung der 70er und 80er Jahre bereits in einem gesellschaftstheoretischen Konzept ausgearbeitet wurde und diskutiert diese vor dem Hintergrund aktueller Debatten. Tove Soiland widmet sich dem Fortbestehen patriarchaler Mechanismen in neopatriarchalen Strukturen, die trotz des Verschwindens von offenen Formen patriarchaler Herrschaft existieren. Mit Bezug auf psychoanalytische Theorien zeigt sie, dass im Zentrum der heutigen post-ödipalen Gegenwartsgesellschaft noch immer das Phantasma des immer zugänglichen mütterlichen Körpers steht.
Moderation: Bernhard Weicht
12:00 – 13:30 Mittagessen
13:30 – 15:30
(2) Doppelte Unsichtbarkeit von Care im Feld der Bildung
Gabriele Sorge analysiert Prozesse der (Un-)Sichtbarkeit und (Un-)Sichtbarmachung, sowie von Abhängigkeit und Sorgearbeit in den diskursiven Arenen von Lehrwerken im schulischen Feld. Zudem diskutiert sie bildungsbezogene Anrufungen von Müttern und Elternschaft, im Feld der Bildung
Maria Wolf analysiert die symbolische Gewalt in der bildungsbezogenen Anrufung von Elternschaft und die darin durchgesetzte De-Thematisierung der Erziehungs- und Bildungsarbeit von Müttern im Privathaushalt.
Moderation: Flavia Guerrini
16:00 – 18:00
(3) Weibliche Agency im Spannungsfeld von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit
Geritt Höfferer arbeitet zum heutigen Umgang von Künstler*innen und Aktivistinnen mit der Unsichtbarmachung weiblicher Agency im Feld der Kunst am Beispiel des Hyperimage. Andrea Bramberger befasst sich mit der Infragestellung von weiblicher (Un)Sichtbarkeit in Forschungspraxis und Theorie, wissenschaftlicher Wissensproduktion (in der Erziehungswissenschaft) und deren Wissenstransfer. Sie erörtert dies am Beispiel der unkonventionellen wie umstrittenen Forschungs- und Theoriearbeiten von Mathilde Vaerting, 1923 erste Ordinaria für Pädagogik und erste ordentliche Professorin an einer deutschen Universität und stellt vor diesem Hintergrund die Frage, ob wir uns nicht davon verabschieden müssen, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit als eine Variante zu denken, Wissen neu zu ordnen und stattdessen den wissenschaftlichen Blick auf eine Offenheit für das immer Neue hin öffnen müssen.
Moderation: Michael Ian Rasell