87. Inns­bru­cker Gen­der Lec­ture mit Sophie Lewis und Frie­de­rike Beier (13. März 2025)

18:00 Uhr, Ort wird noch bekanntgegeben
Imagine otherwise: Rethinking and reinventing care.
Podiumsgespräch mit Sophie Lewis, unabhängige Wissenschaftlerin und Friederike Beier, Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft, Freie Universität Berlin
Moderation: Laura Voggler, Center für Interdisziplinäre Geschlechterforschung, Universität Innsbruck

Schwarz weiß Bild, auf dem Arm steht Care work der den Rücken der sichtbaren Person umarmt

Podiumsgespräch

„Imagine otherwise: Rethinking and reinventing care“

mit Sophie Lewis und Friederike Beier

In dieser Diskussion werden Konzepte von Fürsorge hinterfragt und im gemeinsamen Gespräch überlegt, wie diese inklusiver und gerechter gestaltet werden können, um einer auf Solidarität und kollektiver Verantwortung basierenden Zukunft der gemeinsamen Fürsorge entgegenzusteuern.

Sophie Lewis liefert in ihrem 2022 erschienenen Buch „Abolish the Family“ (dt. „Die Familie abschaffen“) eine feministische Kritik des idealisierten Konzepts der Familie. Als Lösung für die sogenannte ‚Care-Krise‘ plädiert sie für die Abschaffung der Familie. Diese Überlegungen greift Sophie Lewis auch in weiteren Texten auf. Der Artikel „Maybe we could be each other’s moms“ stellt traditionelle Vorstellungen von Intimität und Fürsorge infrage. Lewis betont unter Bezugnahme auf die Serie Sex Education, dass die Gen Z eine auf Asexualität und einem trauma-informierten und sorgenden Ansatz basierende Vorstellung von Intimität und Fürsorge entwickelt. Diese Vorstellungen erlauben, “that we develop norms around taking time off from sex […] or expanding non-genital vistas of intimacy” (Lewis, 2022b). Diese Perspektive kann mit Lewis als utopischer Schritt verstanden werden, der auf „mutual comradely mothering“ (‚wechselseitiger kameradschaftlicher Bemutterung‘) basiert und uns erlaubt, intime Beziehungen neu zu gestalten. Im Artikel „A marriage abolitionist says: ‘I… do?’“ (2023) wirft Lewis kritische Schlaglichter auf die herkömmlichen Konzepte von Fürsorge, die durch die Institution der Ehe und die Privatisierung des Haushalts aufrechterhalten werden. Diese Strukturen begrenzen Fürsorge auf den privaten Bereich und erlauben es nur, innerhalb der eigenen Familie Sorge zu leisten und zu erwarten, während sie andere Lebens- und Liebensweisen marginalisieren. Lewis schlägt vor, diese traditionellen Konzepte zu transformieren, indem wir uns auf die Deprivatisierung der Fürsorge konzentrieren, durch öffentliche Küchen, gemeinsame Wohnräume und kollektive Unterstützungsnetzwerke, um inklusive Fürsorge zu ermöglichen.

Friederike Beier greift in dem von ihr veröffentlichten Sammelband „Materialistischer Queerfeminismus“ (2023) die Verflechtung von Geschlecht, Sexualität und Kapitalismus auf. Beier argumentiert, dass die Krisen der Ökonomie, Gesundheit und Ökologie vergeschlechtlichte und intersektionale Ungleichheiten verstärken. Um autoritären, antifeministischen Rückschlägen entgegenzuwirken, müssen vermeintliche Differenzen überwunden und nach Gemeinsamkeiten gesucht werden. Der Sammelband vereint Texte zu historischen und aktuellen Debatten des materialistischen Feminismus und der Queer-Theorie. Zentral ist dabei die Frage, wie Patriarchat, Heterosexismus und Kapitalismus miteinander verzahnt sind und wie feministische Theorie und Praxis ökonomische Bedingungen sowie Geschlecht und Sexualität überwinden können. Im Artikel „Kinder, Küche, COVID“ (2022) analysiert Beier die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Care-Arbeit aus einer materialistisch-feministischen staatstheoretischen Perspektive. Sie zeigt auf, dass staatliche Maßnahmen die bestehende Care-Krise verschärfen und die Lasten der Care-Arbeit weiter ins Private verlagern. Diese Tendenzen verlangen nach einer Neuorganisation der Care-Arbeit, weg von der Privatisierung hin zu kollektiven und öffentlich finanzierten Lösungen, um eine gerechtere Verteilung und Anerkennung von Sorgearbeit zu erreichen.

Durch die Beiträge von Lewis und Beier wird deutlich, dass feministische Utopien der Fürsorge nicht nur theoretische Visionen sind, sondern politische und gesellschaftliche Veränderungen erfordern. Beide betonen die Notwendigkeit, Fürsorge von traditionellen, patriarchalen Strukturen zu lösen und kollektive, solidarische Netzwerke zu fördern. Indem sie die Materialität von Geschlecht und Sexualität sowie deren Einbettung in kapitalistische Strukturen thematisieren, tragen ihre Überlegungen zur Dekonstruktion bestehender hierarchisierender Ein- und Ausschlüsse bei.

Im Gespräch gehen wir den Fragen nach, wie Fürsorge solidarischer und gerechter gestaltet und zwischen individueller Autonomie und kollektiver Fürsorge neu gedacht werden kann, aber auch, welche Schwierigkeiten, Herausforderungen und Widerstände bei der Umsetzung neuer Fürsorgepraktiken existieren.

Beier, 2022, Kinder, Küche, COVID – Materialistisch-feministische staatstheoretische Perspektiven auf die Regierung von Care-Arbeit in der Pandemie, in: Femina Politica

Beier, 2023, Materialistischer Queerfeminismus, Unrast Verlag

Lewis, 2022a, Abolish the Family: A Manifesto for Care and Liberation, Verso Books

Lewis, 2022b, [https://www.dissentmagazine.org/article/maybe-we-could-be-each-others-moms/].

Lewis, 2023, [https://www.redpepper.org.uk/society/lgbtqplus/a-marriage-abolitionist-says-i-do/].

Kurzbiographien

Portrait Sophie Lewis

Sophie Lewis ist Autorin und unabhängige Wissenschaftlerin. Sie lehrt soziale und kritische Theorie am Brooklyn Institute for Social Research und ist Gastdozentin am Feminist, Queer and Transgender Studies Center der Universität von Pennsylvania. Ihre Texte erscheinen in der „Boston Review“, der „New York Times“, der „Feminist Theory“ und der „London Review of Books“. Abolish the Family erschien wie ihr erstes Buch, Full Surrogacy Now, bei Verso Books, die deutsche Übersetzung von Lucy Duggan (Die Familie abschaffen.Wie wir Care-Arbeit und Verwandtschaft neu erfinden) erschien bei S. Fischer. Sophie Lewis lebt in Philadelphia.

Portrait Friederike Beier

Dr. Friederike Beier (sie/ihr) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Arbeitsbereich Gender und Diversity am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin. In ihrer Forschung und Lehre beschäftigt sie sich mit feministischer Staatstheorie, Zeittheorien und Zeitpolitik, reproduktiver Ungerechtigkeit und dem Zusammendenken von queertheoretischen, dekolonialen und materialistischen feministischen Theorien. Sie ist Mitherausgeberin der femina politica - Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft und gibt bei Unrast Bücher zu den Theorien und Kämpfen sozialer Reproduktion sowie zu materialistischem Feminismus heraus.

Zuletzt (2023) ist von ihr erschienen der Band materialistischer Queerfeminismus. Theorien zu Geschlecht und Sexualität im Kapitalismus erschienen.


Konzept und Organisation
Denise Bergold-Caldwell, Laura Voggler, Julia Tschuggnall


Kassette

Archiv der Inns­bru­cker Gen­der Lec­tu­res

Die Innsbrucker Gender Lectures gibt es bereits seit 2009 und davon wurden die meisten aufgezeichnet. Im Archiv können sie nachgehört werden.

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