Kinder sind lange Zeit angewiesen auf die Versorgung und Unterstützung von Älteren. In allen Gesellschaften wurden Elternschaft und Verwandtschaft institutionalisiert, um die Zuständigkeit von Älteren für Jüngere zu organisieren. Im Laufe der Geschichte werden diese Aufgaben auch für andere und neu hinzukommende Institutionen geöffnet. Die Innsbrucker Gender Lectures fokussieren vor diesem Hintergrund einerseits auf die Fragen, wie und wozu Elternschaft im Wandel der modernen, westlichen Gesellschaft vergeschlechtlicht wird, welchen und wessen Interessen die Zuweisung von geschlechterpolarisierenden Zuständigkeiten maßgeblich und nachhaltig dienen und welche Akteurskonstellationen entscheidende Definitionsmacht über den Sinn einer geschlechtlich differenzierten Elternschaft erringen und deren Anrufung beherrschen. Andererseits werden eben diese Fragen auch hinsichtlich der Egalisierung von Elternschaft gestellt. Die Beiträge der Vortragsreihe werden aus interdisziplinär feministischer Perspektive sowohl geschlechterbezogene Differenzierungs- wie Angleichungsstrategien im Transformationsprozess der modernen Elternschaft analysieren sowie deren Auslassungen und Idealisierungen diskutieren.
Gesellschaften können nur darüber Generationenfolgen sicherstellen, dass Menschen Eltern werden. So folgt die Institutionalisierung von Elternschaft einem eminent öffentlichen Interesse. Elternschaft ist, entgegen der modernen gesellschaftspolitischen Grenzziehung zwischen Öffentlichkeit und Privatheit, eine öffentliche Angelegenheit, die dem privaten Lebensraum zugewiesen ist und mit einer geschlechtertypisierenden Teilung gesellschaftlich notwendiger Arbeit einhergeht. Ein beständiges Ordnen sozialer Prozesse und Praxen, sozialer Diskurse und rechtlicher Regelungen sowie zeitlicher und räumlicher Strukturen mündet in einer relativ stabilen Ordnungsbildung von Elternschaft. Diese wird aufgrund unterschiedlicher und widersprüchlicher Erwartungen anderer Institutionen, Organisationen und Anspruchsgruppen auf das Kindeswohl immer wieder herausgefordert. Die daraus hervorgehenden Erwartungen an Elternschaft stehen wiederum in Zusammenhang mit gesellschaftlichen Ereignissen, Entwicklungen und Dynamiken, welche durch fortlaufende, manchmal auch zeitgleiche öffentliche Interventionen zur Legitimierung und Delegitimierung von Elternschaft beantwortet werden. Die Innsbrucker Gender Lectures machen es sich zum Ziel, die in diese Ordnungsprozesse eingeflochtenen Geschlechterkonzepte zu hinterfragen, indem die Akteurskonstellationen, die Interessen und die historischen Umstände ihrer Produktion, Interpretation und praktischen Umsetzungen sichtbar gemacht werden.
Programm
79. Innsbrucker Gender Lecture mit Bettina Bock von Wülfingen (24. Oktober 2023)
18:00 Uhr, Online Vortrag/Hybridveranstaltung, Hörsaal 1/ SOWI, Universitätsstraße 15
Zeugung unter dem Mikroskop 1850er bis 1900: Wie zwischen Biologie und Bürgerlichem Gesetzbuch die moderne Kleinfamilie entstand und das Problem der Erbschaft löste - Bettina Bock von Wülfingen, HU Berlin
Kommentar: Flavia Guerrini, Institut für Erziehungswissenschaften, Universität Innsbruck
Moderation: Ina Friedmann, Institut für Zeitgeschichte, Universität Innsbruck
80. Innsbrucker Gender Lecture mit Susanne Schultz (28. November 2023)
18:00 Uhr, Kleiner Hörsaal, Ágnes-Heller-Haus, Innrain 52a
Die Politik des Kinderkriegens. Feministische Perspektiven auf demografische Krisennarrative und dis/reproduktive Technologien - Susanne Schultz, Goethe Universität Frankfurt
Kommentar: Gundula Ludwig, Center für Interdisziplinäre Geschlechterforschung Innsbruck (CGI), Universität Innsbruck
Moderation: Monika Schamschula, DK Geschlecht und Geschlechterverhältnisse in Transformation, Universität Innsbruck
81. Innsbrucker Gender Lecture mit Karin Neuwirth (9. Januar 2024)
18:00 Uhr, Hörsaal 6, GEIWI, Innrain 52e
De- und Re-Institutionalisierung von Elternschaft im Recht im 20. /21. Jahrhundert in Österreich - Karin Neuwirth, Institut für Legal Gender Studies, Johannes Kepler Universität Linz
Kommentar: Caroline Voithofer, Institut für Theorie und Zukunft des Rechts, Universität Innsbruck
Moderation: Monika Niedermayr, Institut für Zivilrecht, Universität Innsbruck
82. Innsbrucker Gender Lecture mit Helga Krüger-Kirn (19. März 2024)
18:00 Uhr, Hörsaal 1/SOWI, Universitätsstraße 15
Mütterlichkeit braucht kein Geschlecht. Elternschaft und Gender Trouble - Helga Krüger-Kirn, Universität Marburg
Kommentar: Monika Schamschula, MA, Doktoratskolleg Geschlecht und Geschlechterverhältnisse in Transformation, Universität Innsbruck
Moderation: Marion Näser-Lather, Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie, Universität Innsbruck
83. Innsbrucker Gender Lecture mit Mona Motakef (16. April 2024)
18:00 Uhr, Hörsaal 7, GEIWI, Innrain 52e
„Queering the family?“ Elternschaft und Familie jenseits von Heteronormativität und Zweigeschlechtlichkeit - Mona Motakef, TU Dortmund
Kommentar: Paul Scheibelhofer, Institut für Erziehungswissenschaften, Universität Innsbruck
Moderation: Christine Baur LL.M, Stellvertretende Vorsitzende des Universitätsrats, Universität Innsbruck
84. Innsbrucker Gender Lecture mit Tatjana Takševa (22. Mai 2024)
18:00 Uhr, Hörsaal 5, GEIWI, Innrain 52e
Tracing the Maternal through a Transnational Feminist Perspective - Tatjana Takševa, Saint Mary’s University, Canada
Kommentar: Sandra Tausel, PhD Candidate & University Assistant, Department of American Studies, University of Innsbruck
Moderation: Flavia Guerrini, Institut für Erziehungswissenschaft, Universität Innsbruck
Konzept und Organisation
Maria Wolf, Flavia Guerrini, Mona Schamschula, Paul Scheibelhofer und Julia Tschuggnall
Kontakt
Julia Tschuggnall julia.tschuggnall@uibk.ac.at +43 512 507-39862
Veranstaltet von
CGI - Center Interdisziplinäre Geschlechterforschung Innsbruck, Universität Innsbruck
In Kooperation mit
Freies Radio Innsbruck – FREIRAD
Archiv der Innsbrucker Gender Lectures
Die Innsbrucker Gender Lectures gibt es bereits seit 2009 und davon wurden die meisten aufgezeichnet. Im Archiv können sie nachgehört werden.