Die Geschlechtsidentität eines Menschen soll, nach der psychotherapeutischen Lehre eindeutig und in sich konsistent sein. Zugeschrieben wird den Menschen sogar ein elementares Bedürfnis sich fraglos einem der beiden Geschlechter zugehörig zu fühlen. Aus diesem Raster fallen aber immer mehr Menschen heraus, weil sie sich, aus welchen Gründen auch immer, entschlossen haben, in den Zwischenräumen des binären Geschlechterverhältnisses zu leben. Solche Lebensentwürfe werden von der klinischen Diagnose „Geschlechtsidentitätsstörung“ zumindest als fragwürdig angesehen, wenn nicht offen pathologisiert. Von dieser Diagnose und ihrem normativen Gehalt werden aber auch sexuelle Entwicklungen erfasst, die mit nicht geschlechtskonformem Verhalten einhergehen, wie die von prähomosexuellen Jungen. In meinem Vortrag werde ich der Frage nachgehen, ob die Annahme einer in sich konsistenten Geschlechtsidentität nicht systematisch die Brüche und Konflikte ausblendet, die mit jedweder Geschlechtsidentität einhergehen. Auseinandersetzen werde ich mit auch mit der psychoanalytischen Auffassung, der zufolge die Geschlechtsidentität des Mannes problematischer ist als die der Frau.
Kurzbiographie:
Martin Dannecker, der zuerst als Industriekaufmann und für kurze Zeit als Schauspieler arbeitete, hat nach diesen Tätigkeiten Philosophie, Soziologie und Psychoanalyse an der Frankfurter Universität studiert. Noch während seiner Studienzeit führte er gemeinsam mit Reimut Reiche eine empirische Studie über homosexuelle Männer durch. Diese 1974 unter dem Titel "Der gewöhnliche Homosexuelle" publizierte Studie gilt inzwischen als Standardwerk. Nach Abschluss seiner Promotion trat er als wissenschaftlicher Mitarbeiter in die Abteilung für Sexualwissenschaft im Fachbereich Medizin der J.W. Goethe-Universität, Frankfurt am Main, ein. Dort hat er sich auch für das Fach Sexualwissenschaft habilitiert. Bis zu seinem Ausscheiden aus der Universität im Jahr 2005 war er Professor und
stellvertretender Direktor.
Seine Forschungsschwerpunkte waren und sind: Männliche Homosexualität, sexuelle Minderheiten, HIV/AIDS.
Zu diesen Themen liegen zahlreiche Publikationen von ihm vor. Er war Gründungsherausgeber und lange Zeit Redakteur der "Zeitschrift für Sexualforschung" und ist Mitherausgeber der "Beiträge zur Sexualforschung". Er war in verschiedenen Funktionen im Vorstand der "Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung", dem er nach längerer Pause gegenwärtig wieder als Mitglied angehört.
Neben seiner publizistischen Aktivitäten hat er sich in den letzten Jahren stärker in der sexualtherapeutischen Fortbildung als Dozent und Lehrtherapeut engagiert.