Im Rahmen der Vortragsreihe „Aktuelle Probleme des italienischen Verfassungsrechts“ von Frau Univ.-Prof. Esther Happacher konnten wir Studierende auch heuer wieder zwei namhaften Referenten begegnen – wenngleich nur auf virtuellem Wege: dem Abgeordneten zum italienischen Parlament und Vorsitzenden der gemischten Fraktion, Manfred Schullian und Jens Woelk, Professor für vergleichendes Verfassungsrecht an der Universität Trient.
Manfred Schullian erläuterte die Verfassungsreform zur Reduzierung der italienischen Parlamentarier: 200 statt 315 Senatssitze und 400 statt 630 Abgeordnete sollen in Zukunft das Volk vertreten. Das Verfassungsgesetz muss im Herbst 2020 noch einem Referendum unterzogen werden, um in Kraft zu treten. Der Vortragende schaffte es, den Studierenden auf anschauliche Art und Weise und ohne sich ein Blatt vor den Mund zu nehmen aufzuzeigen, dass eine bloße Reduzierung der Sitze ohne eine Reform des Zweikammersystems nicht den gewünschten Erfolg bringen kann. Die Reform – so Schullian – führe nicht unbedingt zu einer “effektiveren und schnelleren Arbeit im Parlament“, sondern sogar zu einem möglichen Anstieg der Belastung der einzelnen Parlamentarier, was wiederum zu einer Verlangsamung des bestehenden Systems führen könnte. Scherzhaft meinte er, dass man von einem „perfekten“ Zweikammersystem meilenweit entfernt sei. Wichtig sei, dass bei einer Reduktion der Parlamentarier das Recht auf Vertretung im Parlament, vor allem der sprachlichen Minderheiten, nicht verletzt werde.
Professor Jens Woelk sprach in seinem Vortrag „Das Rechtsstaatsprinzip in vergleichender Perspektive“ unter anderem darüber, wie die Rechtsstaatlichkeit in den einzelnen Verfassungen ausgewählter Staaten verankert ist. Erstaunlich ist, dass das Rechtsstaatlichkeitsprinzip in der italienischen Verfassung, im Unterschied zu anderen Verfassungen wie Serbien, Deutschland oder Schweiz nicht explizit verankert ist. Die Verfassung enthält jedoch eine – so Woelk – „Zusammenfassung“ der einzelnen Prinzipien, die den Rechtsstaat ausmachen, wie etwa die Gewaltenteilung, das Legalitätsprinzip, die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit sowie den Schutz der Grundrechte und den Gleichheitsgrundsatz. Ebenfalls spannend war der Einblick, den Prof. Woelk in seine Tätigkeit als „Senior International Legal Expert“ für EU-Integrationsangelegenheiten beim Hohen Justizrat von Bosnien und Herzegowina gab. Dazu muss man wissen, dass sich die einzigartige föderale Struktur des Landes in seiner dezentralisierten Justiz widerspiegelt, die aus vier verschiedenen Justizsystemen ohne Obersten Gerichtshof besteht. Der Hohe Justizrat ist, ähnlich dem Obersten Rat der Gerichtsbarkeit in Italien, für die Koordinierung, Ernennung und Beförderung von Richtern und Staatsanwälten sowie für die Durchführung von Disziplinarverfahren und die Einleitung von Justizreformen zuständig. Auch dieser interessante Vortrag bot uns Studierenden einen Blick hinter die Kulissen und zugleich über den Tellerrand hinaus.
(Hannes Happacher, Daniel Sigmund)