Die Vortragsreihe „Aktuelles zur Südtiroler Autonomie“ im Rahmen der Vorlesung von Prof. Esther Happacher bot den Studierenden auch in diesem Jahr die Gelegenheit, sich mit hochkarätigen Referent*innen auszutauschen. Die Themen reichten von der Finanzautonomie über den differenzierten Regionalismus hin zur Autonomie im Gesundheitswesen und der Bedeutung der Bildung für sprachliche Minderheiten vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um die Schule in Südtirol.
Die erste Gastvorlesung hielten am 10.10.2024 Gianfranco Postal, Lehrbeauftragter für öffentliche Finanzen an der Universität Udine und Mitglied der 12er-Kommission und Alice Valdesalici, Senior Researcherin am Institut für Vergleichende Föderalismusforschung der Eurac im Bereich des Fiskalföderalismus. Sie behandelten das Thema „Die Finanzverfassung von Südtirol im Gleichgewicht zwischen Autonomie und finanzieller Koordination“. Gianfranco Postal analysierte die Entwicklung der Finanzautonomie der Autonomen Provinz Bozen von 1948 bis 2009, wobei er die gesetzlichen und statutarischen Änderungen, das System der Beteiligung an den Staatssteuern, die gesetzgeberischen Kompetenzen im Finanzbereich und die wichtigsten Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs vertiefte. Alice Valdesalici konzentrierte sich in ihrem Beitrag auf die Einnahmen- und Ausgabenautonomie. Es wurden zentrale Aspekte diskutiert, wobei der Schwerpunkt auf dem notwendigen Gleichgewicht zwischen finanzieller Autonomie und öffentlicher Koordination lag.
Am 07.11.2024 fand der Gastvortrag von Michael Mayr, Ressortdirektor des Landes Südtirol im Bereich Gesundheitsvorsorge und Gesundheit, zum Thema „Autonomie im Alltag am Beispiel des Südtiroler Gesundheitswesens – Die Verwaltungspraxis des Südtiroler Gesundheitssystems im Spannungsfeld zwischen staatlichen Vorgaben und lokalen Erfordernissen“ statt. Der Vortragende erläuterte das Südtiroler Gesundheitssystem vor dem Hintergrund des mit dem Gesetz Nr. 833 von 1978 eingeführten Systems der steuerlichen Finanzierung, bei dem ein Teil der Steuereinnahmen für die Finanzierung der Gesundheitsausgaben verwendet wird – im Gegensatz zum sogenannten „Krankenversicherungssystem“ in Österreich, bei dem das Gesundheitssystem durch Beiträge zur Krankenversicherung finanziert wird. Michael Mayr wies darauf hin, dass Südtirol nicht am nationalen Gesundheitsfonds teilnimmt, da das Gesetz Nr. 724 von 1994 die Selbstfinanzierung des Südtiroler Gesundheitssystems festgelegt hat. Anhand verschiedener Beispiele wurden die Spannungen zwischen staatlichen Anforderungen und lokalen Bedürfnissen in der Verwaltungspraxis des Südtiroler Gesundheitssystems illustriert, wobei auch auf die „Höhen und Tiefen“ der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung und deren Auswirkungen auf das Südtiroler Gesundheitssystem eingegangen wurde.
Der dritte Referent war Senator Meinhard Durnwalder, auch Mitglied der 6er und 12er Kommission. Er hielt am 11.11.2024 einen Vortrag über das Verhältnis der Sonderautonomie und des differenzierten Regionalismus. Er behandelte das komplexe Verhältnis zwischen der Sonderautonomie gemäß Artikel 116 Absatz 1 der italienischen Verfassung und dem differenzierten Regionalismus gemäß Artikel 116 Absatz 3 der italienischen Verfassung. Dabei ging er auch auf die besondere Situation Südtirols ein, insbesondere im Hinblick auf die aktuellen Reformbemühungen zum Autonomiestatut. In diesem Zusammenhang gab er den Anwesenden ein kurzes Update über den aktuellen Stand der Verhandlungen und erläuterte das laufende Verfahren sowie die damit verbundenen Schwierigkeiten.
Die Vortragsreihe wurde am 15.11.2024 von Professorin Emma Lantschner von der Universität Graz als Expertin für Minderheiten- und Antidiskriminierungsrecht abgeschlossen. Sie war von 2020 bis 2024 Mitglied des Beratenden Ausschusses der Rahmenkonvention zum Schutz der nationalen Minderheiten und dessen Vizepräsidentin von 2022 bis 2024. Ihre Präsentation konzentrierte sich auf Bildung als wesentliches Instrument zur Entwicklung der persönlichen Identität und zum Aufbau eines sprachlichen Repertoires, das für die Kommunikation und soziale Interaktion der sprachlichen Minderheiten notwendig ist. Sie betonte, dass der Zugang zu Bildung ein fundamentales Recht für alle Mitglieder sprachlicher Minderheiten ist. Anhand des kürzlich veröffentlichten Kommentars zur Bildung in der Rahmenkonvention des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten erklärte sie, wie Bildung in diesem Kontext interpretiert wird. Zudem analysierte sie, wie die rechtliche Situation und die jüngsten Entwicklungen in Südtirol in diesem Rahmen einzuordnen sind, wofür sie das Beispiel der Goethe-Volksschule in Bozen heranzog.
Auch in diesem Semester haben die Referent*innen den Studierenden interessante und tiefergehende Einblicke in zentrale Bereiche der Südtirol-Autonomie ermöglicht und durch ihre Gastvorträge zum Verständnis dieser besonderen Autonomie beigetragen.
Esther Happacher/ Amy Bugnoli/ Nora Gamper/ Valentina Pichler