Zeit: Donnerstag, 17:15-18:45
Ort: Campus Innrain, Hörsaal 7 (EG)
Ausnahme: Mittwoch, 07. Dezember 2022, 17:15-18:45 im Hörsaal 1 (Josef-Möller-Haus, 1. Stock)
lfu:online (Anmeldefenster am Seitenende): LV-Beschreibung & Anmeldung
Programm
Do, 06. Oktober 2022
17:15-18:45, HS 7 Innrain
Einführung
Gundula Ludwig
Do, 13. Oktober 2022
17:15-18:45, HS 7 Innrain
Abstract:
Sparta wird wie kaum eine andere Polis im antiken Griechenland als die Verkörperung eines männlichen Kriegerideals überliefert. Die Bürgerschaft mit all ihren politischen Verpflichtungen scheint einzig auf den Krieg ausgerichtet gewesen zu sein. Bereits die antike Literatur weist auf die strenge Disziplinierung des männlichen Körpers/des Bürgers in diesem Zusammenhang hin.
Im Vortrag wird die Geschichte der spartanischen Kriegergemeinschaft dekonstruiert, indem verschiedene Relationen thematisiert werden, wie etwa das Verhältnis zwischen der Etablierung der Polis als politische Organisationseinheit und der Demokratisierung des Kriegswesens im antiken Griechenland (Frage: Inwiefern unterscheidet sich Sparta von anderen Poleis?) oder das Verhältnis zwischen der Norm, die in den antiken Texten überliefert ist, und der Lebenswirklichkeit (Frage: Was geschah mit versehrten Menschen?). Der Blick wird ebenso auf die Geschlechterverhältnisse gelenkt. Denn die Frauen aus der Elite waren ebenfalls politischen Regulierungen unterworfen (Frage: Was war die soziale Funktion der Frauen in der Polis Sparta?).
Die Überlegungen erfolgen aus einer geschlechterhistorischen Perspektive. Ebenso werden Aspekte aus der kritischen Männlichkeitsgeschichte aufgegriffen.
Zur Person:
Kordula Schnegg ist assoziierte Professorin am Institut für Alte Geschichte und Altorientalistik und Mitglied der FP CGI (Forschungsgruppe Theorizing the Body). Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen: Geschlechter- und Körpergeschichte (Schwerpunkt: griechische und römische Antike), Geschichte der Römischen Republik, antike Historiographie, Rezeptionsgeschichte.
Kordula Schnegg
Do, 20. Oktober 2022
17:15-18:45, HS 7 Innrain
Abstract:
In seinem Buch „Schwarze Haut, weiße Masken“ diskutiert Frantz Fanon (2008) die unterschiedlichen Bedeutungen für Schwarze Menschen, wenn sie sich selbst durch den „weißen Blick“ wahrnehmen. Der weiße Blick ist dabei ein normalisierender und hierarchischer Blick, der taxiert und den Schwarzen Körper in erster Linie durch seine Devianz wahrnimmt. Du Bois sprach bereits Anfang des 20. Jhdt. von einer „Double Consciousness“ die Schwarze Menschen im Anbetracht der kolonial-rassistischen Gesellschaft haben: Sie betrachten sich selbst durch die Augen der weißen Anderen, um vorwegzunehmen, was beanstandet werden könnte. Der Vortrag widmet sich diesen Theorien und arbeitet dabei auch (queer-)feministische und dekoloniale Perspektiven heraus.
Zur Person:
Denise Bergold-Caldwell, Dr. (phil.) ist Universitätsassistentin (Post-Doc) am Center Interdisziplinäre Geschlechterforschung der Universität Innsbruck. Sie promovierte in den Erziehungswissenschaften an der Philipps-Universität Marburg bei Susanne Maurer und war bis April 2022 die Referentin der Geschäftsführung am Zentrum für Gender Studies und feministische Zukunftsforschung der Philipps-Universität Marburg. Sie interessiert sich für Schwarze Feministische Theorie, kritische post- und dekoloniale Theorien, sowie für Bildungstheorie(n) in diesen Kontexten.
Denise Bergold-Caldwell
27. Oktober 2022
17:15-18:45, HS 7 Innrain
ABGESAGT
Abstract:
Körper nehmen in der Politik eine eigentümliche Rolle ein: sie sind abwesend und anwesend zugleich. So zieht sich einerseits durch die gesamte politische Theorie ebenso wie durch die Politik selbst die Vorstellung, dass politisches Handeln nichts mit Körpern zu tun hätte. Andererseits aber sind Körper für Staat und Politik von zentraler Bedeutung: als politische Körper in der Konstruktion der politischen Ordnung und als leibliche Körper, über die politische Ein- und Ausschlüsse legitimiert werden. Vor diesem Hintergrund möchte ich in dem Vortrag aufzeigen, dass Körper nicht obwohl, sondern gerade weil sie in der Politik als (vermeintlich) ‚naturgegeben‘ und präpolitisch gelten, eine gewichtige Rolle einnehmen. Aus feministischer, queerer, rassismuskritischer, dekolonialer und ability-zentrismus-kritischer Perspektive werde ich unterschiedliche Dimensionen des Zusammenspiels von Körpern und staatlicher Macht sowie politischer Ordnung aufzeigen: Erstens werde ich darlegen, wie vergeschlechtlichte, heteronormative, rassifizierte und ability-zentrierte Imaginationen des Körpers eine bestimmte Vorstellung von Staat und Nation mit hervorbringen. Zweitens werde ich darlegen, wie über Körper festgelegt wird, wer als politisches Subjekt und was als Politik gilt. Drittens werde ich zeigen, wie der Staat gesellschaftliche Ungleichheiten über vielfältige Körperpolitiken – wie etwa Abtreibungspolitiken, racial profiling oder Seuchenpolitiken – aufrechterhält und wie sich staatliche Macht auf diese Weise auch in Körper einschreibt.
Zur Person:
Gundula Ludwig ist Professor*in für Sozialwissenschaftliche Theorien der Geschlechterverhältnisse und Leiter*in der Forschungsplattform Center Interdisziplinäre Geschlechterforschung Innsbruck. Davor forschte und lehrte sie an den Universitäten Wien, Marburg, Bremen, der HU und FU Berlin sowie an der University of Minnesota. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u.a. Staats- und Demokratietheorie aus queer-feministischer Perspektive, Körpergeschichte, Medizingeschichte und Biopolitik.
der Vortrag muss krankheitsbedingt leider abgesagt werden
Gundula Ludwig
03. November 2022
17:15-18:45, HS 7 Innrain
Abstract:
Die moderne Medizin hat die Möglichkeiten des Austauschs von Körperzellen und Körperteilen in lange nicht vorstellbarer Weise erweitert. Die Einführung der Blutkonservierung in den 1940er-Jahren führte zur Etablierung des heute nicht mehr wegzudenkende Blutspendewesen mit Hilfe von Blutbanken. Seit den 1970er-Jahren ist die Transplantation von Stammzellen – gewonnen aus dem Knochenmark, dem Blut oder der Nabelschnur von Spender:innen – zur Behandlung von Erkrankungen des blutbildenden (hämatopoetischen) Systems möglich. Die Transplantation von Haut lässt sich nach Alt-Indien ca 2.500 Jahre zurückverfolgen und erreichte Europa im 16. Jahrhundert. Seit dem 19. Jahrhundert wurde mit der Transplantation von Organen experimentiert. Der Beginn des modernen Transplantationswesens (mit Organen sowohl von verstorbenen als auch von lebenden Spender:innen) wird in die 1950er-Jahre datiert. In den letzten 20 Jahren wurden auch Hände, Gesicht und Uterus (Vascularized Composite Allografts (VCA)) transplantiert. Mit der Entwicklung der Reproduktionsmedizin seit den 1970er-Jahren zählen heute auch Eizell-, Samen- und Embryonenspende, sowie die zeitlich begrenzte Überlassung des eigenen Körpers im Rahmen der Leihmutterschaft zum medizinischen Repertoire. Dabei sind Samenbanken schon vor längerer Zeit entstanden, Eizellbanken hingegen nur in jenen Ländern, in denen die Eizellspende schon länger erlaubt ist, beispielsweise den Niederlanden. All diese körperlichen, medizinisch verwertbaren „Materialien“ werden einerseits über streng regulierte Institutionen im Rahmen einer medizinischen Behandlung mit entsprechender Indikation verteilt, andererseits gab und gibt es mehr oder weniger regulierte Märkte, auf denen diese nicht nur gespendet, sondern auch legal oder illegal verkauft bzw. erworben werden können. In unserem Beitrag gehen wir der Bedeutung von Körper als Quelle medizinisch verwertbaren „Materials“ in seiner Funktion als Spende und als Ware nach. Dabei setzen wir uns auch mit Genderperspektiven auseinander und wie diese den Wert von Spende und Ware beeinflussen.
Zu den Personen:
Gabriele Werner-Felmayer ist außerordentliche Professorin für Medizinische Biochemie am Institut für Biologische Chemie der Medizinischen Universität Innsbruck. Ihre derzeitigen Forschungsinteressen konzentrieren sich auf bioethische Fragen in den Bereichen Genetik/Genomik/Omics, Reproduktion, regenerative Medizin, Organtransplantation und daten-intensive Medizin. Sie leitet das interdisziplinäre Bioethik-Netzwerk ethucation und ist u.a. seit 2017 Mitglied der Bioethik-Kommission im Bundeskanzleramt.
Magdalena Flatscher-Thöni ist Assistenzprofessorin für Medizin- und Gesundheitsrecht an der UMIT TIROL. Ihre Forschungsinteressen konzentrieren sich zum einen auf die rechtliche Bewertung des menschlichen Lebens und zum anderen auf rechtliche und ethische Aspekte der Reproduktionsmedizin. Sie beschäftigt sich aktuell in einem Forschungsprojekt mit dem Thema Uterustransplantation.
Andreas Exenberger ist assoziierter Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Fakultät für Volkswirtschaft und Statistik der Universität Innsbruck. Seine Forschungsinteressen kreisen um globale Ungleichgewichte und Verteilungsfragen, insbesondere in ihrer strukturellen Genese und speziell aus globalhistorischer und institutionenökonomischer Perspektive. In diesem Zusammenhang spielen auch ethische Fragestellungen immer wieder eine Rolle. Er engagiert sich auch für mehrere gemeinnützige Vereine und leitet derzeit das von der FFG geförderte Laura-Bassi-Projekt-Konsortium „Ein digitaler Sozialroutenplan für Westösterreich“.
Gabriele Werner-Felmayer, Magdalena Flatscher-Thöni, Andreas Exenberger
10. November 2022
17:15-18:45, HS 7 Innrain
Abstract:
Das Recht ist zentral in die Normierung von Körpern involviert. So können etwa Heteronormativität (zB im Familienrecht) und die Binarität der Geschlechterordnung (zB im Personenstandsrecht) über Rechtsnormen (re)produziert aber auch emanzipatorisch aufgebrochen werden.
Um diese grundlegenden Zusammenhänge zu veranschaulichen, widmen wir uns in der Einheit zu „Recht & Körper“ einem konkreten Lebenssachverhalt und nehmen die Regulierungen von Schwangerschaft mit einem Fokus auf Schwangerschaftsabbrüche in Europa in den Blick. Damit zeigen wir, wie Recht mit Körpern umgeht. Die staatlichen Normierungen rund um Schwangerschaft und Geburt finden sich eingebettet – oder besser eingezwängt – im Sozialversicherungs-, Arbeits-, Straf- und Eherecht. Bei Schwangerschaftsabbrüchen handelt sich um ein Thema, das traditionell innerhalb feministischer Kämpfe einen zentralen Platz eingenommen hat und nach wie vor mit Blick auf jüngste Entwicklungen – etwa in den USA mit der anstehenden Judikaturwende (Stichwort Roe vs Wade) aber auch mit Blick auf Polen – zeigt, dass das Grundanliegen „Mein Bauch gehört mir“ als feministischer Kampfslogan einerseits noch nicht voll im Recht umgesetzt ist, andererseits aber auch dort, wo ihm bereits Rechnung getragen wurde, fragil und prekär und ständig der potentiellen Hinterfragungen ausgesetzt ist. Eine kritische Betrachtung der Normgenese zeigt zudem, dass die Androzentrismuskritik nach wie vor berechtigt ist, denn nicht einmal dieser "ureigenste" weibliche* Lebenssachverhalt wird von Normen geprägt, die überwiegend für Frauen* von Frauen* geschaffen wurden. Im Detail nehmen wir das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland sowie die Diskussion um Straffreiheit oder Rechtsmäßigkeit des Schwangerschaftsabbruchs in Österreich sowie die fragwürdigen Grenzziehungen zwischen „erhöht schützenswerten Embryonen“ und „weniger schützenswerten Embryonen“ (Stichwort behinderungsindizierter Abbruch versus Vernichtung von Embryonen in vitro) in den Blick. Ebenso behandeln wir, wann eine Person im Recht als schwanger gilt und wofür diese Festlegung relevant ist.
Zu den Personen:
Caroline Voithofer arbeitet am Institut für Theorie und Zukunft des Rechts an der Universität Innsbruck und schreibt dort an ihrer Habilitationsschrift mit dem Arbeitstitel „Zulässigkeitsgrenzen von Rechtsgeschäften bezogen auf den Körper“.
Christine Baur ist Lehrbeauftragte für Gender Law an der LFU. Sie lehrt dieses Fach seit bald 30 Jahren und war V-Ass am Institut für Arbeits- und Sozialrecht sowie am Institut für öffentliches Recht an der Uni Innsbruck. Ihre Dissertation schrieb sie über "weibliche Lebenssachverhalte im österreichischen Sozialversicherungsrecht". Christine Baur war 10 Jahre als Gleichbehandlungsanswältin tätig.
Christine Baur, Caroline Voithofer
17. November 2022
17:15-18:45, HS 7 Innrain
ABGESAGT
Abstract:
Lateinamerika ist eine der gewalttätigsten Regionen der Welt, mit einer der höchsten Rate an Morden, Entführungen und genderspezifischer Gewalt (allein in Mexiko wurden 2021 mehr als 1000 Frauen ermordet); gleichzeitig ist Lateinamerika einer der Orte, an denen sich am konsequentesten ein neues radikalfeministisches Denken durchsetzt, das versucht, die zugrundeliegenden Strukturen patriarchalisch-kolonialer Gewalt aufzubrechen und neue soziale und symbolische Ordnungen zu entwerfen.
Dieser Vortrag befasst sich mit den Texten der argentinischen Anthropologin Rita Segato über die "Expressivität der Gewalt", die als eine Pädagogik der Grausamkeit gegenüber feminisierten, rassifizierten Körpern und subalternen Gruppen funktioniert (wir werden mit Auszügen aus ihren ins Deutsche übersetzten Büchern arbeiten: Wider die Grausamkeit. Für einen feministischen und dekolonialen Weg, 2021; Femizid. Der Frauenkörper als Territorium des Krieges, 2022).
Im Zusammenhang mit dem Verschwinden und der Verletzung von Körpern wird auch die Rolle der Kunst und das Aufkommen einer neuen forensischen Ästhetik (Weizmann) erörtert, die zur Ermittlung von Gewaltverbrechen und zur Ausübung einer Art symbolischer Gerechtigkeit für die Gesellschaft dient.
Zur Person:
Estefanía Bournot ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin (Post-Doc) am Institut für Romanistik der Universität Innsbruck und Mitglied des CGI, wo sie die Konferenzreihe “La nueva marea feminista: Kunst, Literatur und Aktivismus in Lateinamerika” geleitet und organisiert hat. Seit November 2022 leitet sie das Projekt “Forgotten Routes across the Atlantic. Cultural Trasfers between Africa and Latin America (1969-1990)”, gefördert von der ÖAW. Ihre Spezialgebiete sind lateinamerikanische Kunst und Literatur, Intellektuelle Geschichte und materielle Kulturen des globalen Südens sowie Gender-Theorie und dekoloniale Feminismen. Sie ist Autorin der Monografie Giros topográficos: (re) escrituras del espacio en la narrativa contemporánea de América Latina (Verlag Uni Potsdam, 2022) und mehrerer wissenschaftlicher Artikel.
der Vortrag muss krankheitsbedingt leider abgesagt werden
Estefanía Bournot
24. November 2022
17:15-18:45, HS 7 Innrain
Abstract:
Neben dem Wissen um symbolische Ordnungen und soziale Ungleichheit bleiben leibgebundende Gefühle und Affekte über die Lebensspanne hinweg für die Ausbildung von Handlungsfähigkeit von grundlegender Bedeutung. Ein Verständnis von Körpern und ihren leiblichen Erfahrungen in Auseinandersetzung mit Erwartungen, Zuschreibungen, Kategorien bereichert die machtanalytische Subjektforschung mit ihrer Kritik an hierarchischen Gesellschaftsordnungen. Viele Körpertheorien scheitern jedoch am Phänomen Behinderung, da sie das historische und soziale Entwicklungspotential von behinderten Körpern als Beeinträchtigung missverstehen. Ihr Ausgangspunkt ist ein Normkörper, der vorausgesetzt wird, aber häufig dethematisiert bleibt. Wie aber können Erfahrungen der Behinderung in Körpertheorien gedacht werden? Im Beitrag sollen Kriterien für eine nicht-ableistische Körpertheorie entwickelt werden. Phänomenologische Ansätze versuchen das leibliche Empfinden als Quelle von unter anderem Lust und Schmerz zu erkunden und Körper von Innen zu beschreiben; mit ihnen lässt sich fragen, wie behinderte Körper sich empfinden. Sozialwissenschaftliche Ansätze befassen sich mit behinderten Körpern von Außen, also ihrer Anordnung in Zeit und Raum, ihrer repräsentativen und performativen Wirkung. In den Disability Studies wird zwischen Behinderung und Beeinträchtigung differenziert und eine wechselseitige Konstitution beider Phänomene argumentiert. Um behinderte Körper als historische, soziale und erfahrungsmäßige Gegenstände zu rekonstruieren, greifen wir auf kulturanthropologische und wissenssoziologische Zugänge zurück, um zu verstehen, wann ein Körper zum Subjekt wird. Mit Lindemann (2018) betrachten wir Subjekte als im Raum ausgedehnte und symbolisch aufgeladene Körper, die sozial, rechtlich und politisch bestimmt werden. Am Beispiel der Behindertenrechtskonvention, die ‚Körperindividuen’ als diverse, entwicklungs- und verletzungsoffene Einheiten entwirft, und auf die Gleichheit der Menschen sowie auf die Besonderheit von Körpern eingeht, soll im Beitrag ein menschenrechtliches Verständnis des Körpers skizziert werden. Das Recht auf Würde und Freiheit der Subjekte stehen dabei im Zentrum. Wie bringen Individuen, um als Subjekte Anerkennung zu erlangen, ihre Körper und Erfahrungen in Einklang mit normativen Vorstellungen des Menschlichen?
Zu den Personen:
Lisa Pfahl ist Universitäts-Professorin für Disability Studies und Inklusive Bildung. Sie beschäftigt sich mit Wissen, Ungleichheit, Menschenrecht, Behinderung und Subjektivierung. Sie ist Mitherausgeberin der open access Zeitschrift für Disability Studies (ZDS) zds-online.org und leitet die digitale Bibliothek bidokbib.at (behinderung – inklusion- dokumentation).
Rouven Seebo, MA Bildungswissenschaft ist Universitätsassistent am Lehr- und Forschungsbereich Disability Studies und Inklusive Pädagogik am Institut für Erziehungswissenschaft. In seinem Dissertationsprojekt forscht er zu Selbstdarstellungen behinderter Menschen in Social Media.
Lisa Pfahl, Rouven Seebo
Do, 01. Dezember 2022
17:15-18:45, HS 7 Innrain
Abstract:
„Whatever she is, the trans woman is always not herself; she is a representation of gender trouble writ large“ schreiben Jules Joanne Gleeson und Elle O’Rourke in der Einleitung von Transgender Marxism.
Ihre Diagnose, trans*feminine Personen fungierten in der nordatlantischen Moderne als Allegorien gesellschaftlicher Widersprüche, Sehnsüchte und Ängste, greife ich auf, um ihre_unsere Lage in postfordistischer Lohnarbeit zu begreifen. Marginalisierung und Zurichtung trans*femininer Personen in bezahlter Arbeit, so argumentiere ich, kann nur über die Untrennbarkeit affektiver und materieller Ökonomien im Postfordismus begriffen werden.
Denn teils widersprüchliche Überlappungen geschlechtlicher Tropen von Trans*feminität und trans*femininen Subjekten bestimmen, unter welchen Bedingungen sich trans*feminine Subjekte als produktive Lohnarbeiter:innen konstituieren können. Kulturell_ökonomische Bilder trans*femininer verkörperter Subjekte schreiben sich in die „affektiven Ökonomien“ (Ahmed) postfordistischer Lohnarbeit ein und produzieren Verwerfungen von und Anrufungen an trans*feminine Subjekte. Dabei unterliegen Verkörperungen im postfordistischen Akkumulationsregime intensivierter Aufmerksamkeit. Zugleich forcieren neoliberale Sozialpolitiken und Anerkennungsregime Lohnarbeit als einzige Weise, ein lebbares und anerkennbares Leben zu führen.
Lohnarbeit schreibt sich daher in trans*feminine Verkörperungen und die Verhältnisse trans*femininer Subjekte zu diesen, sowie wie sich trans*feminine Subjekte hinsichtlich ihrer Körper gegenüber Kolleg:innen, Vorgesetzten und Kund:innen positionieren müssen, ein. Dies diskutiere ich anhand von Interviews mit trans*femininen Personen in Österreich. Deren Aussagen lese ich im Spannungsfeld zwischen Reproduktion, kritischer Analyse und Distanzierung zu den Anrufungen und Drohungen postfordistischer Lohnarbeit und neoliberaler politischer Verhältnisse. Anstelle Gleesons und O‘Rourkes universeller Figur der trans Frau treten dabei multiple diskursive Figuren – differenziert entlang von Race, Klasse und Zweigeschlechtlichkeit – die gesellschaftlich verschieden positionierten trans*feminine Personen unterschiedlich verfolgen und an ihnen „haften“ (Ahmed). Ich markiere die intersektionale Gewalt dieser Einschreibungen. Zugleich gehe ich den widerständigen Bewegungen nach, in denen sich trans*feminine Subjekte diesen Drohungen und Anrufungen entziehen, sie umarbeiten und sich somit auch von der Norm der Lohnarbeit absetzen.
Zur Person:
Zoe* Steinsberger (sie*/ihr*) ist Studienassistent:in (Prae Doc) am Center Interdisziplinäre Geschlechterforschung Innsbruck und trans*feministische Aktivist:in. Für ihre* Dissertation forscht sie* zu trans*femininer Prekarisierung durch postfordistische Lohnarbeit. Sie ist Mitherausgeber:in des Hefts „Trans* Politiken, Politiken um Trans* und Kritiken cis- und transnormativer politischer Verhältnisse“ der Femina Politica, das 2023 erscheint.
Zoe* Steinsberger
Mi, 07. Dezember 2022
17:15-18:45, HS 1,
Josef-Möller-Haus
Abstract:
In der Psychiatrie des 19. Jahrhunderts wurde zwar die jahrhundertealte Verknüpfung von ‚Hysterie‘ mit Weiblichkeit und weiblicher Sexualität als Krankheit der Gebärmutter zugunsten einer des Gehirns aufgegeben, gleichzeitig wurde diese Zuschreibung aber durch die Annahme einer angeblich besonderen Affinität des weiblichen Geschlechts zu hysterischen Exzessen bekräftigt. Im Konzept der Hysterie lebten auf diese Weise frühneuzeitliche medizinische Lehren von den Einbildungen, Betrügereien und Simulati onen weiter fort. Für Foucault stellte die „Hysterisierung des weiblichen Körpers“ einen der vier strategischen Komplexe von normalisierenden Wissens- und Machtdispositiven dar (neben der Pädagogisierung der kindlichen Sexualität, der Sozialisierung des Fortpflanzungsverhaltens und der Psychiatrisierung der perversen Lust). Soweit die Theorie. In unserem Beitrag gehen wir diesen Zusammenhängen exemplarisch anhand von Krankenakten in zwei unterschiedlichen zeiträumlichen Kontexten nach, nämlich der frühen Anstaltspsychiatrie um 1850 einerseits und der psychiatrischen Klinik um 1900 anderseits, in der mit dem Hysteriekomplex sowohl das unsichere Geschlecht, wie die prekäre Sexualität und die sogenannt gefährliche Klasse der Jahrhundertwende thematisiert wurden. Durch einen solchen Zugang können wir auf Kontinuitäten und Brüche in psychiatrischen Normalisierungsnarrativen aufmerksam machen und auch die subversiven Stimmen der ‚eigensinnigen‘ und ‚hysterischen‘ Patientinnen besser zu Gehör bringen.
Zu den Personen:
Maria Heidegger ist Senior Scientist am Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie mit Forschungsschwerpunkten in der Psychiatrie- und Medizingeschichte, Körper- und Emotionsgeschichte. Sie leitet das Forschungsprojekt „Patients and Passions“ zur Schmerzgeschichte des Katholizismus im 19. Jahrhundert und ist Mitherausgeberin des Medical Humanities-Journals „Revisit. Humanities & Medicine in Dialogue“. Ihre Habilitationsschrift befasst sich mit Psychiatrie, Wahn und Religion in Tirol im Vormärz.
Michaela Ralser ist Professorin am Institut für Erziehungswissenshaft mit dem Schwerpunkt: Theorie und Geschichte öffentlicher Erziehung und Epistemologie des Subjekts. Seit längerem befasst sie sich auch mit der Geschichte der Psychiatrie und der Fürsorgeheimerziehung. Sie leitet zur Zeit das Projekt „Negotiating Educational Spaces in Residential Child Care 1970-1990“, welches sich – verschieden Wohlfahrtsregionen vergleichend - mit dem Wandel der gewaltvollen Heimerziehung an dieser Schwellenzeit auseinandersetzt. Ihre Habilitationsschrift befasste sich mit dem „Subjekt der Normalität“ (Wilhelm Fink, 2010).
Maria Heidegger, Michaela Ralser
Do, 15. Dezember 2022
17:15-18:45, HS 7 Innrain
Abstract:
Prekäre Wohn- und Lebensverhältnisse stellen nicht erst seit der Coronapandemie eine dringende politische Herausforderung dar. Exorbitante Mietpreissteigerungen, zunehmende Wohnungslosigkeit und ungesicherte Wohnverhältnisse aber auch Phänomene wie Gentrifizierung und Privatisierung des öffentlichen Raums sind nur wenige Beispiele für eine globale Entwicklung, die seit geraumer Zeit unter dem Schlagwort der „Wohnraumkrise“ verhandelt wird. Dabei haben Prekarisierungsprozesse und die daraus hervorgehenden Gefährdungslagen weitreichende soziale Folgen, insofern sie die Sichtbarkeit, Anerkennbarkeit und schließlich auch die Überlebensfähigkeit von Subjekten bedrohen.
Vor dem Hintergrund dieser Konfliktlinien wird es in diesem Vortrag darum gehen, solchen Formen zivilgesellschaftlichen Protests Rechnung zu tragen, die von Subjekten geführt werden, die aus prekären Wohn- und Lebenslagen heraus agieren und sich trotz allem noch politisch artikulieren. Nicht zuletzt am Beispiel der 2021 in Kreuzberg uraufgeführten und 2022 wieder auf die Straße gebrachte Berliner Protestoper „Wem gehört Lauratibor?“ sollen Geschichten der Verdrängung und Momente des Widerstands verhandelt werden, indem danach gefragt wird, 1) wie sich diese und weitere Sozialproteste räumlich und zeitlich konfigurieren und konstituieren, 2) wie politische Akteur:innenschaft in körperliche Praktiken eingelassen ist und diese formt resp. hervorbringt und 3) wie sich das Verhältnis von politischem Protest und prekärer Zugehörigkeit ausgestalten und theoretisch beschreiben lässt. Auf dieser Grundlage soll ausblickend eine Verständigung darüber folgen, welche Rückschlüsse aus solchen prekären Sozialprotesten für die Bedingungen politischen Handelns und Streitens zu ziehen sind.
Zur Person:
Michaela Bstieler ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Philosophie der Universität Innsbruck. Sie hat Philosophie sowie Erziehungs- und Bildungswissenschaften an der Universität Innsbruck und an der Hebrew University of Jerusalem (Rothberg International School) studiert. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Sozialphilosophie und der politischen Philosophie.
Michaela Bstieler
Do, 12. Januar 2023
17:15-18:45, HS 7 Innrain
ABGESAGT
Abstract:
Als Schriftstellerin und Künstlerin, die mit einer atemberaubenden Vielfalt von Medien experimentierte - darunter Malerei, Bildhauerei, Textilien, Kino, Theater, Poesie, Prosa und Kochen – kann Leonora Carrington (1917-2011) als eine der interessantesten und oft unterschätzten intellektuellen Persönlichkeiten des 20. und 21. Jahrhunderts gelten. Für ihr Werk mobilisierte sie eine schwindelerregenden Vielfalt kultureller Referenzen und entwickelte eine genreübergreifende Ästhetik, der seit den späten 1930er Jahren u.a. eine systematische Demontage gängiger Körperbilder eignete. Zunächst im Dialog mit Max Ernst sowie den Pariser Surrealisten und ab den frühen 1940er Jahren in einer eigenwilligen Hybridisierung der für sie relevanten kulturellen Einflüsse erarbeitete Leonora Carrington ein vom surrealistischen merveilleux und dem Willen zum Widerstand gegen Autoritäten und gesellschaftliche Normen durchwirktes (Körper)Narrativ, das Ideen des Ökofeminismus vorwegnahm, auf die Wirkmacht burlesker und subversiver Performanz (Butler 1990) setzte und Grenzen sprengende Körperfigurationen imaginierte.
Am Beispiel ausgewählter Gemälde, der Kurzgeschichte „The Debutante“/“La débutante“ (1939), dem Prosatext The Hearing Trumpet (ca. 1950), der zunächst 1974 in einer französischen Übersetzung erschien, sowie dem Mitte der 1940er Jahre gemeinsam mit Remedios Varo verfassten Theaterstück El Santo Cuerpo Grasoso (Erstveröffentlichung 2010) soll die literarisch-künstlerische Körperpolitik der Leonora Carrington illustriert sowie biografisch und soziokulturell kontextualisiert werden.
Zur Person:
Doris G. Eibl, Mag. Dr. phil., ist Romanistin, Leiterin des Zentrums für Kanadastudien der Universität Innsbruck und Mitglied der Forschungsplattform Center Interdisziplinäre Geschlechterforschung Innsbruck. Zuletzt erschienen u.a. Artikel zur Pandemischen Prolepsis in der kanadischen Gegenwartsliteratur (2022) und den Familienerzählungen der Annie Ernaux (2021) sowie die Sammelbände Mensch-Tier-Beziehungen in den frankophonen Kulturen, Literaturen und Medien (Königshausen & Neumann 2020, hrsg. gemeinsam mit Christoph Vatter) und Zukunft/Utopie (iup 2020, hrsg. gemeinsam mit David Winkler-Ebner).
Doris Eibl
Do, 19. Januar 2023
17:15-18:45, HS 7 Innrain
Performance Lecture:
Abstract:
Ivana Marjanović presents her dissertation project which focuses on QueerBeograd collective’s artistic-activist project QueerBeograd Cabaret between the years 2006 and 2008 focusing on the question how the politics of interconnectedness was formulated in the praxis of the activist cabaret.
QueerBeograd Cabaret as a performance platform contributed not only to the practice of interpellation by the politics of interconnectedness but also to its elaboration, situating it locally and transnationally through activist practices that cut across geo-political divides and established forms of mobility that contested the naturalised construct of the borders of nations. In this, they connected to the knowledge created in the local histories of activism, especially forms of cultural activism that had already existed in socialist Yugoslavia and had maintained continuities during the periods of the wars in the 1990s, such as feminist cross-border activism. This form of transborder politics that has resulted from practices of border crossing in the post-Yugoslav context merges in QueerBeograd Cabaret with transnational movements of overcoming limits of borders of national and supranational formations that at the same time as defining belonging based on citizenship also created technologies of gender policing. QueerBeograd Cabaret created a space where each of its three main fields of direct action—queer, no-border politics and anti-fascism—contributed to the disruption of the borders and boundaries defined by gender and sexuality regimes that produce “male and female”, “hetero and homo”, the geo-political borders of the EU and the borders created by nationalist wars and nation-state forms of nation-centrism. In this, the cabaret not only staged new forms of subjectivity, the multitude through artistic performances, but it took part in the production of new forms of citizenship that unsettled nation and capitalism through the trans-border body.
Zur Person:
Ivana Marjanović wurde in Belgrad geboren. Sie hat das Studium der Kunstgeschichte an der Universität Belgrad im Jahr 2005 abgeschlossen. 2017 hat sie an der Akademie der bildenden Künste Wien promoviert (Staging the Politics of Interconnectedness between Queer, Anti-fascism and No Borders Politics. The Case of QueerBeograd Cabaret”). Seit 2005, ist Ivana Marjanović als Kunsthistorikerin, Forscherin, Autorin, Kuratorin und Kulturproduzentin in den Bereichen Zeitgenössische Kunst, Kultur und Theorie tätig. Sie hat zahlreiche Kunstprojekte und Publikationen konzipiert und organisiert, sowie eine Reihe von Texten in internationalen Publikationen veröffentlicht. 2006 hat sie gemeinsam mit Vida Knezević den Belgrader Kunstraum Galerie Kontekst gegründet und bis 2009 geleitet. In den Jahren 2016-2018 war Ivana Marjanović gemeinsam mit Nataša Mackuljak künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin des Wiener Kunst- und Kulturfestivals Wienwoche. Seit August 2019 ist sie künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin des KUNSTRAUM INNSBRUCK. Seit 2019 ist sie Teil des neuen Redaktionsteams des Magazins „Migrazine“ - Online Magazin von Migrantinnen für alle.
Ivana Marjanović
Do, 26. Januar 2023
17:15-18:45, HS 7 Innrain
Zusammenschau
Do, 02. Februar 2023
17:15-18:45, HS 7 Innrain
schriftliche Prüfung
Mit Fragen zur Vorlesung wenden Sie sich bitte an gender-studies@uibk.ac.at (Studienkoordination MA GKSW)
Organisationsteam: Estefanía Bournot, Doris Eibl, Maria Furtner, Maria Heidegger, Gundula Ludwig (LV-Leitung), Michaela Ralser, Caroline Voithofer