In der Nacht sind alle Katzen grau. Diese bekannte Redensart spielt darauf an, dass der Mensch in der Dunkelheit Farben nur mehr als verschiedene Abstufungen von Grau wahrnimmt. Wie viele er unterscheiden kann, ist ausschlaggebend dafür, wie gut er sich beispielsweise auf dem nächtlichen Nachhauseweg zurechtfindet: Ob er die Gehsteigkante sieht oder darüber stolpert, hängt – wissenschaftlich gesehen – auch davon ab, ob bestimmte Kalziumkanäle in seiner Netzhaut einwandfrei arbeiten. Funktionieren diese nicht richtig, wird der Mensch beispielsweise den Schritt vom hell erleuchteten Restaurant auf die dunkle Straße nur unsicher machen, weil er Anpassungsschwierigkeiten von Hell auf Dunkel hat.
„In der Retina kommen Kalziumkanäle unter anderem an den Synapsen der Photorezeptoren vor. Diese leiten die visuellen Informationen innerhalb der Retina an die nachgeschalteten Bipolarzellen weiter. Sie sind Ionenkanäle, die spannungsabhängig öffnen und dabei Kalziumeinstrom ermöglichen. Das Kalzium ist wiederum ein sogenannter Trigger für die Freisetzung von Neurotransmittern“, erklärt ao. Univ.-Prof. Alexandra Koschak vom Institut für Pharmazie, die seit vielen Jahren unterschiedliche Subtypen von Kalziumkanälen erforscht. Eine kontinuierliche Freisetzung von Kalzium, ist verantwortlich für die Qualität der Lichtinformation, die von Neurotransmittern weitergegeben wird. „Hier geht es um eine unglaublich feine Abstimmung“, verdeutlicht Koschak. Unter einer eingeschränkten Sehschärfe leiden häufig Menschen, bei denen eine sogenannte kongenitale, stationäre Nachtblindheit (CSNB2) diagnostiziert wurde. Die Symptome dieser erblichen Erkrankung der Retina sind aber wesentlich vielfältiger als es ihr Name nahe legt. „Manche Patienten sehen tatsächlich in der Nacht wenig, häufig sind die Betroffenen auch stark kurzsichtig, andere haben einen Nystagmus, eine Photophopie oder schielen“, führt Koschak aus. Die Symptome sind zwar sehr unterschiedlich, die Ursache liegt aber in einer genetisch bedingten Fehlfunktion der Kalziumkanäle in der Retina, weshalb die Forschung anhand dieser Form der Nachblindheit sehr viel über deren Funktionsweise erfahren kann.
Biopolarzellen im Fokus
Bei CSNB2-Patienten ist nämlich jenes Gen mutiert, das hinter dem relevanten L-Typ Kalziumkanal Cav1.4 steht. „Es wurde eine Vielzahl an genetischen Mutationen beim Menschen entdeckt, die auch in Datenbanken dokumentiert und der Forschung zugänglich sind“, berichtet Alexandra Koschak und ergänzt „Wir unterscheiden verschiedene Typen von Mutationen. Grob gesagt macht es einen Unterschied, ob wir einen Gain-of-Function haben und der Kanal zu viel Kalziumeinstrom zulässt oder einen Loss-of-Function.“ Diese Unterschiede zwischen Funktionsgewinn und -verlust herauszuarbeiten, ist eines der Ziele der Arbeit von Alexandra Koschak.
Eine spezielle Gen-Mutation, die bei einer Familie mit einer besonders stark ausgeprägten Form von CSNB2 entdeckt wurde, hat Eingang in ein von Neuseeländischen Forschern entwickeltes Mausmodell gefunden, mit dem Alexandra Koschak und ihr Team seit einiger Zeit arbeiten. „Die Genmutation hat eine starke Änderung der Spannungsabhängigkeit des Kalziumkanals und in diesem Fall einen Gain-of-Function zur Folge“, erklärt Koschak. In der Praxis heißt das, dass der betroffene Kalzium-Kanal schon bei einer geringen Depolarisation öffnet, wenn er noch geschlossen sein sollte. „Im Tiermodell können wir sowohl funktionell als auch morphologisch studieren, was in der Retina passiert“, so die Wissenschaftlerin. Im besonderen Fokus ihres Interesses und im Mittelpunkt eines kürzlich genehmigten EU-Netzwerk-Projekts steht die Frage, wie sich ein veränderter Kalziumeinstrom und damit eine veränderte Neurotransmitterfreisetzung auf die Funktion der Bipolarzellen auswirken, deren Aufgabe es ist, die Lichtinformationen aus den Photorezeptoren zu sammeln, zu gewichten und an die Ganglienzellen der Retina weiterzuleiten. „Wir können zum Beispiel die Retina auf einem mit Elektroden besetzten Mikrochip platzieren, mit dem man messen kann, welche Informationen die Ganglienzellen erhalten. So lassen sich Rückschlüsse darauf ziehen, was an Information am Output der Retina ankommt und ins Gehirn weitergeleitet wird“, beschreibt Koschak eine von vielen Methoden, Erkenntnisse zu gewinnen.
Die Forschung am Mausmodell hat bereits tiefere Einblicke in die Bedeutung und Funktionsweise von Kalziumkanälen ermöglicht: So entdeckten die Wissenschaftler, dass eine Fehlfunktion der Kalziumkanäle bereits während der Entwicklung zu sichtbaren Veränderungen der Photorezeptoren führt. „Wenn das Tier jung ist, sind die Bändersynapsen rund und bekommen im Lauf einer normalen Entwicklung eine Hufeisenform. Ist der Kalziumkanal dysfunktional, bildet sich die typische Hufeisenform nicht aus. Außerdem sterben viele Photorezeptoren ab“, führt Koschak aus. Ihrer Ansicht nach ist es unverzichtbar, genau zu wissen, wie Kalziumkanäle funktionieren, denn nur so können Wirkstoffe entwickelt werden, mit denen man modulatorisch in diese ersten Schritte der visuellen Wahrnehmung eingreifen kann. Sehr viel zusätzliches Know-how, insbesondere über die Retina, erwartet sie aus dem erwähnten European Training Network (ETN) mit dem Namen SwitchBoard (http://www.etn-switchboard.eu/), an dem insgesamt elf verschiedene wissenschaftliche Institutionen beteiligt sind.
Kommunikationstalent Netzhaut
Die Netzhaut (Retina) ist ein vielschichtiges Gewebe, das das Auge innen auskleidet und über Millionen an Nervenzellen verfügt. Ganz außen in der Netzhaut sitzen die lichtempfindlichen Photorezeptoren, die die Lichtinformationen aufnehmen. Innerhalb der Netzhaut werden diese Informationen weiterverarbeitet bevor sie über den optischen Nerv an das Gehirn weitergegeben werden. In der Retina gibt es zwei verschiedene Wege der Informationsverarbeitung. Jenen von den Photorezeptoren zu den nachgeschalteten Bipolar- und Ganglienzellen und außerdem Quervernetzungen, die diesen Input modulieren. Durch diese interne Verschaltung werden die Informationen über das Gesehene bereits stark interpretiert.
Zur Person
Alexandra Koschak, geboren 1972, studierte Biologie an der Universität Innsbruck. Im Anschluss an ihr Studium forschte sie am Institut für Pharmazie, Abteilung Pharmakologie und Toxikologie, wo sie sich 2008 im Bereich Zellbiologie habilitierte. Seit März 2015 leitet Koschak dort ihre Arbeitsgruppe für Molekulare Sensorische Physiologie. Zuvor war die mehrfach ausgezeichnete Forscherin Gastwissenschafterin an der Universität Padua und Universitätsprofessorin an der Medizinischen Universität Wien.