Fußball und Globalisierung: Das ist der Titel des Buches des französischen Politologen Pascal Boniface, und das war auch der Titel der Veranstaltung, für die er auf Einladung des Frankreich-Schwerpunkts nach Innsbruck kam. Als scharfsinniger Analyst des Weltgeschehens ist Boniface in Frankreich sehr bekannt; als er aber die Idee entwickelte, ein Buch über den Fußball in der Zusammenschau mit der Weltpolitik zu schreiben, erhielt er von den Verlegern zunächst nur Abfuhren. Zu abwegig erschien die Kombination des als plebejisch geltenden Massensports und der hochintellektuellen Studien über die hohe Politik. Doch Pascal Boniface blieb hartnäckig, brachte sein Buch heraus und landete damit einen Bestseller.
„Denn in der Tat“, so der Experte, „spiegeln sich im Fußball alle Aufs und Abs des weltpolitischen Geschehens. Und manchmal sieht es sogar so aus, als ob diese populärste aller Sportarten in das Weltgeschehen eingreifen oder gewissen Entwicklungen vorgreifen würde.“ So geschehen 1969, als ein Fußballmatch zwischen Honduras und El Salvador einen Krieg auslöste. Oder, wenn das (beinahe) Einzige, was zutiefst gespaltene Länder wie Belgien noch zusammen hält, die Fußball-Nationalmannschaft zu sein scheint. Zum Beispiel auch, wenn in Spanien unter Franco die Anhängerschaft zum FC Barcelona die einzige Form war, in der sich eine katalanische Identität und damit eine Opposition zum diktatorischen Regime artikulieren konnte. Ja, ganz generell, wenn gewisse Gemeinschaften (Taiwan, Palästina, die Färöer-Inseln, aber auch Schottland, Nordirland und Wales) über eine bei der FIFA eingetragene Nationalmannschaft ihre Unabhängigkeit proklamieren, lange bevor diese von der UNO anerkannt wird.
Denn die traditionelle Definition eines Staates über ein Territorium, eine Bevölkerung und eine Staatsgewalt ist schon seit langem zu ergänzen durch die Existenz einer Fußball-Nationalmannschaft. Und die Fußballer sind ohnehin viel prominenter als die Politiker. Wer kennt schon den derzeitigen Präsidenten von Portugal? Aber jedes Kind auf der ganzen Welt kennt Cristiano Ronaldo! Damit schafft der Fußball eine weltweite Gemeinschaft, sein Triumphzug ist auch der Triumphzug einer friedlichen Globalisierung. Aber einer Globalisierung, die die nationalen Identitäten respektiert, ja, die sogar der Ort eines neuen Nationalstolzes ist, der nicht auf kriegerischen Eroberungen, sondern auf sportlichen Leistungen basiert.
Politische, soziale, weltanschauliche Gegensätze verblassen, wenn eine ganze Nation die eigene Fußballmannschaft anfeuert. In Frankreich war der Weltmeistertitel der „équipe black blanc beur“ (der „schwarz-weiß-arabischen Mannschaft“) im Jahr 1998, und der darauffolgende Europameistertitel im Jahr 2000, ein Anlass, das Konzept der Nation jenseits rassischer, herkunftsmäßiger und sozialer Gegensätze neu zu definieren, sich mit Stolz als eine große Gemeinschaft zu empfinden. Eine Gemeinschaft, die insofern demokratisch ist, als nicht Nepotismus oder Clan-Herrschaft den Erfolg garantieren, sondern einzig und allein die sportliche Leistung. Und zwar eine Leistung, die – bei aller Prominenz von Ikonen wie Maradonna, Zidane, Messi und vielen anderen – niemals eine individuelle Leistung sein, sondern grundsätzlich nur im Team erbracht werden kann. Wobei es aus umgekehrter Perspektive zum Beispiel für traditionell kollektivistische Kulturen wie Japan wichtig ist, über den Fußball die Eigeninitiative und individuelle Kreativität innerhalb des Kollektivs zu fördern.
Wenn Pascal Boniface – der in Frankreich als politischer Kommentator ähnlich prominent ist wie bei uns lange Zeit Hugo Portisch – anfängt, von seiner Leidenschaft zu sprechen, gehen ihm die Anekdoten und Argumente lange nicht aus. Das zahlreich erschienene Publikum lauschte gespannt und stellte eine Menge Fragen, um den Genuss dieser klaren, präzisen und pointiert formulierten Erklärungen noch eine Weile zu verlängern. Eins zu null für die Verbindung von Fußball und Weltpolitik!
(Eva Lavric)