Sindarin, Esperanto, Klingonisch oder Na’vi – Kunstsprachen sind nicht nur in der Filmwelt, sondern auch in Form von Programmiersprachen, als Welthilfssprachen oder schon seit langem in der Literatur bekannt. Bereits Dante Alighieri lässt in der „Göttlichen Komödie“ seine Figuren nicht nur in verschiedenen Sprachen reden, sondern kreiert für die Dämonen der Hölle unverständliche, unheimlich und hässlich klingende Sätze. „Viele Theoretiker wie Wilhelm von Humboldt oder Noam Chomsky vertreten die These, dass die Sprache grundsätzlich etwas Kreatives sei. Dies trifft nicht nur auf die Lyrik, sondern auch auf die Alltagssprache zu. Beim Spracherwerb gelingt es auch Kindern, dass sie völlig neue Wörter erfinden“, so Manfred Kienpointner. Der kreative Umgang mit Sprache werde auch in der Lyrik als beliebtes Stilmittel eingesetzt. Prominente Beispiele seien hier Christian Morgensterns „Fisches Nachtgesang“ oder das vom selben Autor stammende Gedicht „Das Große Lalula“. Auch Ernst Jandls „schtzngrmm“, das lautmalerisch das Grauen des Krieges mit den Knattern der Maschinengewehre darstellt, sei ein Beispiel für die Kreativität der Sprache. „Bei der Kreation einer neuen Sprache vermischen sich zwei Ziele. Einerseits gibt es den Versuch, die Barrieren beim Erwerb von Fremdsprachen durch eine ideal-regelmäßige Sprache zu überwinden und andererseits auch eine Art perfekte Sprache für das Denken zu finden. Dieser Strom ist in der Philosophie ab dem Mittelalter nachweisbar, woraus auch die von Leibniz angeregten Formalen Sprachen der modernen Logik entstanden sind. Diese sind letztlich die Basis für unsere heutigen Programmiersprachen“, erklärt Kienpointner. Das wohl bekannteste und einzig erfolgreiche Beispiel der Entwicklung einer Welthilfssprache sei das Esperanto, kreiert und entwickelt im 19. Jahrhundert, von Ludwik Lejzer Zamenhof, einem polnischen Augenarzt. „Esperanto, eine absolut regelmäßige Sprache, wird weltweit von ein paar Millionen Menschen gesprochen, interessanterweise auch von manchen Kindern als Muttersprache“, so der Sprachwissenschaftler. Viele Werke der Weltliteratur wurden bereits in die vollausgebaute Kunstsprache übersetzt. Zudem wurden auch Texte zu Musik und Dichtung in Esperanto verfasst. „Zusammenfassend kann man sagen, dass fiktionale Sprachen weit davon entfernt sind, ein peripherer Sonderfall oder eine kuriose Idee zu sein, die mit dem Menschen nichts zu tun hat. Sie sind das Ergebnis der elementaren Fähigkeit, mit Sprache kreativ tätig zu werden“, so Kienpointner.
Ein Teil der Ringinschrift aus Tolkiens „Herr der Ringe“.
Fantastische Sprachen-Welt
Avatar, Star Trek, Herr der Ringe oder Game of Thrones – erfundene Filmsprachen sind aus zahlreichen Beispielen bekannt. „Es wäre ja absurd, wenn die Wesen im Weltraum oder in fantastischen Welten wie oft in früheren Filmen Deutsch oder Englisch sprechen würden“, erklärt Kienpointner die Notwendigkeit der Kreation von spezifischen Sprachen für Filme oder Serien. Zart, leicht und geheimnisvoll oder rau, wild und unheimlich – Filmsprachen müssen, neben Kostüm und Setting, den Charakter der jeweiligen Figuren repräsentieren. Der Auftrag und entsprechende Vorgaben würden von der Produktionsfirma an die ausgewählten Linguistinnen und Linguisten übergeben. J. R. R. Tolkien war selbst Linguist und hat für Mittelerde über zehn Sprachen kreiert. Sindarin, eine der Sprachen der Elben, oder Orkisch, die Sprache der Orks, sind Seherinnen und Sehern der Trilogie im Ohr. „Als Linguist hat Tolkien zuerst über Jahre hinweg die verschiedenen Sprachen erdacht, sie ausgebaut und eine passende Schrift dazu entwickelt. Erst später erfand er dazu die passenden Figuren und Wesen, die zu den Sprachen passen sollten“, erläutert der Wissenschaftler. So brauchen die uralten Baumwesen, die Ents, übertrieben lange für die Formulierung von einzelnen Wörtern oder gar Sätzen, denn für sie spielt Zeit keine so zentrale Rolle wie für die hektischen, kurzlebigen Menschen. Auch die Leichtigkeit der Elben spiegelt sich in den sanft klingenden th-Lauten sowie den wohlklingenden r- und l-Lauten wider. „Man kann wissenschaftlich nicht beweisen, warum Sprachen für Menschen als schön gelten. Allerdings scheinen Sprachen mit einem Vokalreichtum für viele Menschen angenehmer zu klingen. Dieses Konzept wurde auch in die Entwicklung von Kunstsprachen übernommen. In Na’vi beispielsweise steht das lautmalerische Wort meoauniaea für Harmonie – besser hätte Paul Frommer, der Autor der Sprache der Avatars, das Wort nicht gestalten können“, ist Kienpointner begeistert, der hervorstreicht, dass sich einige der Linguisten zum Erfinden neuer Sprachen an bereits existierenden Sprachmustern aus weitgehend unbekannten und kleinen Sprachen bedienen. So wählte Marc Okrand für Klingonisch eine ganz seltene Wortstellung, also Objekt – Prädikat – Subjekt, die in den Sprachen der Erde fast nie zu hören ist. Die Elbensprache Quenya klingt ähnlich wie das Finnische und Sindarin ist lautlich und grammatikalisch auch an Kymrisch (Walisisch) angelehnt. Auch das Na’vi folge einer äußerst selten vorkommenden syntaktischen Sprachtypologie, die zum Beispiel in der Indianersprache Nez Percé (heute: Idaho, USA) bekannt sei: „Als Linguist muss ich oft schmunzeln, wie die Fachkollegen und Fachkolleginnen diese Strukturen verwenden, um den kleinen, bedrohten Sprachen hier ein Denkmal zu setzen.“
Sprachensterben
Das Kreieren von Kunstsprachen ist in der Film- und Serienindustrie gerade sehr populär. Außer Acht gelassen oder ignoriert wird aber die aktuelle Problematik, dass der Großteil der noch existierenden Sprachen der Erde wahrscheinlich aussterben wird. „Da ist es bis zu einem gewissen Grad schon makaber, dass neue Sprachen, basierend auf bedrohten sprachlichen Feinheiten, neu erfunden werden und Fans ein brennendes Interesse für die seltenen Wortstrukturen oder syntaktischen Muster entwickeln, die sich sonst nie mit einer kleinen Indianersprache beschäftigt hätten. Und welcher Ehrgeiz dabei entwickelt wird!“, ist der Sprachwissenschaftler erstaunt. Kleine Sprachen würden von den sogenannten großen „killer languages“ wie Arabisch, Englisch, Französisch, Portugiesisch, Russisch oder Spanisch einfach weggewischt. Damit gehen nicht nur Sprachen, sondern mit ihnen ganze Weltanschauungen, Mythologien, Religionen, vielfältiges Wissen und Kunst verloren. „Heute gibt es aber auch einige Bemühungen, unter anderem angeregt von der Pharmaindustrie, das außerordentliche Wissen der Naturvölker für die Wissenschaft zu sichern. Die Heilpflanzen in Amazonien beispielsweise sind für die Industrie von großem Interesse, um sie weiter biologisch, medizinisch und pharmazeutisch erforschen zu können“, so Kienpointner, der in diesem Zusammenhang Projekte beschreibt, in denen die Menschen vor Ort ihr Wissen weitergeben und im Gegenzug Geld zum Bau von Schulen oder Krankenhäusern bekommen. „Hier gibt es glücklicherweise ermutigende Konzepte, wie Sprachen und das Wissen dieser Menschen erhalten werden kann“, freut sich der Wissenschaftler, der sich selbst auch mit einigen nordamerikanischen Indianersprachen auseinandersetzt. Warum dann nicht eine kleine, weitgehend unbekannte Sprache als potenzielle Filmsprache eingesetzt wird, um so deren Existenz zu sichern und die Thematik prominenter zu machen, ist selbst dem Experten unerklärlich. So werden weiterhin Kunstsprachen für die unterschiedlichsten Wesen kreiert werden und es bleibt zu hoffen, dass das Augenmerk auch auf die verschwindenden Sprachen gerichtet wird. Also Kìyevame – „bis bald“ auf Na’vi, in Pandora, der Welt der Avatars, oder Qapla’, wörtlich „Erfolg“, daher „Auf Wiedersehen“, auf Klingonisch im Universum von Star Trek.