Im Indischen Ozean liegt eine kleine Insel mit einem ungewöhnlichen Schicksal: Von ihrem Sultan im 19. Jahrhundert an Frankreich verkauft, hat sie sich immer ein bisschen anders definiert als ihre Schwester-Inseln in den Komoren. Beim Unabhängigkeits-Referendum 1974 hat sie für den Verbleib bei Frankreich gestimmt. Und seit fünf Jahren ist sie nun – nach einem neuerlichen Referendum – mit dem Status eines Übersee-Départements voll in die französische Republik und damit auch in die Europäische Union integriert.
Ein Stückchen Europa unter Palmen?
Der Schein trügt. Euro, „laïcité“ und französische Sozialleistungen haben nicht wie durch ein Wunder europäische Standards gebracht, sondern vor allem einmal Migrationsströme von den anderen Komoren-Inseln über die künstlich geschaffene EU-Außengrenze in das scheinbar gelobte Land. In dem das Gesundheitssystem zwar sehr schlecht funktioniert, aber immerhin existent ist – wenn auch nicht für die Hunderttausenden „Sans Papiers“, die nur im allerhöchsten Notfall in den Spitälern behandelt werden. In dem alle Kinder (theoretisch) in die Schule gehen können, aber dort von den rigoros durchgezogenen französischen Lehrplänen rettungslos überfordert sind – alleine schon sprachlich, denn nur eine gebildete Minderheit spricht die einzige Amtssprache Französisch. In dem die offizielle Arbeitslosenstatistik bei 37% liegt, aber die Zahl der Zuwanderer nicht wirklich bekannt ist. In dem die Jugendlichen, die die Mehrheit der Bevölkerung stellen, schlecht ausgebildet sind – mit Abschlüssen, die woanders nichts gelten, eben weil sie auf Mayotte erworben wurden – und sich zu kriminellen Jugendbanden zusammenschließen. In dem die Trennung von Kirche und Staat auf tief verwurzelte islamisch-religiöse Traditionen und Strukturen trifft. In dem die Armut und der Migrationsdruck die Illegalen in Slums am Rande der Dörfer drängt, die noch dazu immer wieder von den Dorfbewohnern zerstört werden, während die Polizei untätig zusieht. Fremdenfeindlichkeit hat sich in der unter demographischem Überdruck stehenden Insel breit gemacht, die Ankömmlinge aus den anderen Komoren-Inseln werden als billige Arbeitskräfte ausgenutzt, dann wieder aus den Dörfern vertrieben, und schließlich von der Grenzpolizei zurück auf ihre Inseln gebracht, von wo sie die Überfahrt in leichten Gefährten immer wieder wagen – bis sie, wie 7000 in den letzten Jahren – den Tod im Meer finden. Mit dem Status als Département hätte Mayotte nun den Zugang zu EU-Strukturfonds-Geldern – aber hat in Frankreich, hat in der EU überhaupt jemand Interesse an der Beschäftigung mit diesen vielfältigen Problemen, für die es keine Patentlösung gibt?
„Eine echte Herausforderung“
Dr. Rike Stotten vom Institut für Soziologie berichtete auf Einladung des Frankreich-Schwerpunkts von ihren Erfahrungen auf der Insel, auf der sie 2014 ein Jahr lang als Geschichte- und Geographie-Lehrerin gearbeitet hat. „Eine echte Herausforderung“, betonte sie, „weil die Schüler und die Lehrer überfordert sind und einfach gar nichts funktioniert. Dabei wäre die Insel von den Landschaften her wunderschön, und man sieht allein schon beim Schnorcheln mehr Meereswunder als anderswo beim Tauchen.“ Die Veranstaltung, die zeitgleich mit dem entscheidenden Fußballmatch Österreich gegen Island in der Claudiana stattfand, war sehr gut besucht und bewies so, dass es dieser Tage durchaus möglich ist, mit etwas anderem als Fußball ein Publikum zu interessieren. Rike Stotten, die auch andere Übersee-Départements aus eigener Erfahrung kennt, versprach für Oktober eine Veranstaltung zu La Réunion, bei der das paradiesische Bild des „Frankreich unter Palmen“ nicht so sehr angekratzt werden soll wie diesmal bei Mayotte.
(Text: Eva Lavric)